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Tropical Africa was one of the last regions of the world to experience formal European colonialism, a process that coincided with the advent of a range of scientific specialties and research methods. This title studies the thorny relationship between imperialism and the role of scientific expertise in the colonization of British Africa.

Produktbeschreibung
Tropical Africa was one of the last regions of the world to experience formal European colonialism, a process that coincided with the advent of a range of scientific specialties and research methods. This title studies the thorny relationship between imperialism and the role of scientific expertise in the colonization of British Africa.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Sozialexperimente im afrikanischen Feld
Helen Tilley sieht in der "kolonialen Wissenschaft" durchaus schon kritische postkoloniale Einsichten angelegt

Der "African Research Survey", in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erarbeitet und kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs publiziert, wird in der historischen Forschung bis heute sehr unterschiedlich gedeutet. Zahlreiche Interpreten sehen in diesem dickleibigen Kompendium vornehmlich ein Projekt, welches der Erweiterung imperialer Hegemonie dienen sollte. In der Tat zielte dieses Unterfangen auf die bessere Koordinierung und möglichst Standardisierung kolonialpolitischer Praktiken nicht nur in den britischen, sondern auch französischen, belgischen und portugiesischen Territorien in Afrika.

Zentrales Anliegen war die effizientere Kontrolle und Nutzbarmachung der Ressourcen und Bewohner des Kontinents durch wissenschaftliches Management und Planung. Der "Survey" sollte beispielhaft zeigen, wie wissenschaftliche Sichtweisen an afrikanische Gegenwartsprobleme herangetragen werden konnten und auf diese Weise Grundlagen für die Transformation und Modernisierung des Kontinents bereitstellen. Eine andere Lesart betont hingegen die große Bedeutung der Studie für die Legitimierung und Ausdifferenzierung der Afrikawissenschaften als akademische Disziplin. Überdies sei das Werk eine wichtige Quelle für die großen Kolonialreformen der vierziger Jahre gewesen und habe in Teilen eine Art Dekolonisationsdenken avant la lettre zum Ausdruck gebracht.

In ihrer vorzüglichen Studie argumentiert Helen Tilley ebenfalls dafür, dass die ausschließliche Betonung seines "imperialistischen Charakters" dem " Survey" nicht gerecht werde. Die amerikanische Historikerin arbeitet auf breiter Quellengrundlage heraus, dass dem Projekt von Beginn an "ein Subtext der Kritik, des Dissens und der Debatte" eigen war. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf das breite Spektrum von Vorstellungen zu den Möglichkeiten "kolonialer Entwicklung", auf die Berücksichtigung spezifischer lokaler Bedingungen, die systematischere Einbeziehung und Anerkennung einheimischen Wissens sowie auf die bei den meisten Mitarbeitern des Surveys anzutreffende Ablehnung der seinerzeit gängigen "rassenkundlichen" Ansätze. Die britischen Bemühungen, wissenschaftliche Forschung in Afrika zu koordinieren, mündeten, so eine zentrale These, "in einen selbstbewussten, interdisziplinären Ansatz, der die Vielschichtigkeit Afrikas betonte".

Die Analyse des "African Survey" bildet das Kernstück von Tilleys umfassender Darlegung des Verhältnisses von Imperialismus und Wissenschaft in Britisch-Afrika zwischen 1870 und 1950. Ihr Plädoyer für Differenz und für den Fokus nicht auf Anomalien und Ungeheuerlichkeiten, sondern auf die alltäglichen und profanen Prioritäten von Forschungsinstitutionen und technischen Abteilungen im kolonialen Afrika, zieht sich als roter Faden durch die Darstellung. Nun musste sich ein Teil der jüngeren Forschung zur Kolonialperiode in Afrika wiederholt mit dem Vorwurf auseinandersetzen, vor lauter Ausdifferenzierung einige handfeste Realitäten zu weich gezeichnet zu haben: Der Paternalismus, die Arroganz und der Rassismus der Kolonialherren, die Gewalt gegen die Einheimischen und die oft harsche Ausbeutung afrikanischer Ressourcen würden bei der ostentativen Betonung der Heterogenität und der begrenzten Macht der Kolonisierenden zu kurz kommen, mithin werde die koloniale Herrschaft gar ein Stück weit beschönigt.

Eine solche Kritik würde Tilleys Monographie allerdings nicht gerecht. Ihre Analyse der Produktion von Wissen über Medizin, Umwelt, Ethnographie, Geographie und "Rasse" in den britischen Afrikakolonien geht keineswegs einher mit der Bagatellisierung des kolonialen Projekts. Die Autorin insistiert hingegen zu Recht darauf, wissenschaftliche Forschung in und zu den Kolonien nicht einfach in der negativ konnotierten Kategorie "colonial science" aufgehen zu lassen, sondern sorgfältig das Zusammenspiel zwischen wissenschaftlicher Arbeit "im afrikanischen Feld" und der Forschung in diversen europäischen und kolonialen Kontexten herauszuarbeiten.

Wissen, schreibt Tilley, mag "situiert" sein, "aber es soll reisen. Es gab zu viel Zirkulation von Wissen zwischen Metropole und Kolonie, zwischen verschiedenen Kolonien und zwischen Kolonien und Nationalstaaten, als dass die Bezeichnung ,koloniale Wissenschaft' Sinn machen würde." Tilley konzediert die große Bedeutung gerade von afrikanischen Kolonien als "Laboratorien" für wissenschaftliche Forschung, Entwicklungsexperimente und Social engineering, wobei oft wenig Rücksicht auf die einheimische Bevölkerung genommen wurde. Zugleich waren die Kolonien jedoch, wie sie eindringlich darlegt, ein Laboratorium für Sozialkritik und für die "Kodifizierung neuer Gebiete ethnowissenschaftlicher und vernakularer Forschung".

Der Detailreichtum, den Tilley in ihrer Studie bietet, ist beeindruckend. Immer wieder gelingen ihr originelle Einsichten, oder sie bürstet gängige Weisheiten gegen den Strich. Ein Beispiel nur: In den ersten Dekaden nach der Kolonialperiode haben vor allem Historiker und Ethnologen auf Asymmetrien in der Wissensproduktion zu Afrika hingewiesen, die sich als Folge des Kolonialismus einstellten. Mit großem Eifer machte man sich deshalb daran, Wissensbestände und Praktiken zu rehabilitieren, welche die Kolonialherren vermeintlich übersehen, unterdrückt oder falsch interpretiert hatten. Tilley verdeutlicht, dass viele dieser Kritikpunkte kein Produkt postkolonialen Denkens waren, sondern zumindest in nuce bereits in der Kolonialzeit formuliert wurden.

Das Buch ist trotzdem nicht frei von Schwächen. Tilleys Schussfolgerungen erscheinen gelegentlich überzeichnet, ihre Argumentation ist zuweilen redundant. Vor allem aber trifft auf ihr Buch ein Einwand zu, den zeitgenössische Kritiker bereits gegenüber dem "Survey" formuliert hatten: Afrikaner als aktiv Handelnde tauchen eher selten auf. Dies ist ein gewichtiger Einwurf, aber er sollte nicht den Blick auf die großen Meriten des Werkes verstellen. "Afrika as a Living Laboratory" ist ein im besten Sinne provokantes, ein ungemein anregendes Buch, welches die Diskussion über die Rolle von Wissenschaft und Wissensproduktion im Kolonialismus auf eine neue Ebene hebt.

ANDREAS ECKERT

Helen Tilley: "Africa as a Living Laboratory". Empire, Development, and the Problem of Scientific Knowledge 1870-1950.

The University of Chicago Press, Chicago 2011. 496 S., Abb., br., 21,99 [Euro].

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