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Die Frage nach dem Ursprung des Menschen gehört zu den faszinierendsten wissenschaftlichen Rätseln. Eine heiße Spur führt nach Afrika: Der fossile Fund des "Kibish-Menschen" beweist, dass in Afrika bereits vor etwa 100000 Jahren eine Spezies gelebt hat, die den heutigen Menschen sehr viel ähnlicher war als der Neandertaler. Wieso aber wurde dieser robuste, an die Kälte angepasste Urmensch aus Europa von dem grazilen "Kibish-Menschen" verdrängt? Und welche Merkmale verhalfen im Gegensatz dazu unserem Urahnen aus Afrika zur Weltherrschaft? Ein spannender Wissenschaftsreport über den Ursprung des Menschen mit zahlreichen Abbildungen.…mehr

Produktbeschreibung
Die Frage nach dem Ursprung des Menschen gehört zu den faszinierendsten wissenschaftlichen Rätseln. Eine heiße Spur führt nach Afrika: Der fossile Fund des "Kibish-Menschen" beweist, dass in Afrika bereits vor etwa 100000 Jahren eine Spezies gelebt hat, die den heutigen Menschen sehr viel ähnlicher war als der Neandertaler. Wieso aber wurde dieser robuste, an die Kälte angepasste Urmensch aus Europa von dem grazilen "Kibish-Menschen" verdrängt? Und welche Merkmale verhalfen im Gegensatz dazu unserem Urahnen aus Afrika zur Weltherrschaft? Ein spannender Wissenschaftsreport über den Ursprung des Menschen mit zahlreichen Abbildungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.1996

Dümmliche Muskelprotze
Chris Stringer und Robin McKie wandern auf den Spuren unserer Vorfahren

Glauben Sie es doch endlich: Wir sind alle Afrikaner! Die Hautfarbe ist nur äußere Tünche, das Haar ein Flachs an der Oberfläche; die größten und schlanksten Menschen leben ohnehin nach wie vor in unserer afrikanischen Urheimat, in den Steppen und Savannen Ostafrikas. Die Vorstellung, der Affe habe sich in verschiedenen Regionen der Erde zum Menschen gebildet, ist falsch. Auch die Neandertaler sind nicht unsere Vorfahren gewesen, obwohl die Forschung sie neuerdings nicht mehr als grobschlächtige, dümmliche Muskelprotze ansieht, sondern als weichlippige, zartfühlende Softies, die - in einen Anzug gesteckt - im Trubel der New Yorker Menschenmassen allenfalls durch ihre Gesittung auffallen würden.

Die Neandertaler waren zwar auch Menschen, aber keine wie wir; sie waren keine Blutsverwandten und keinesfalls unsere Ahnen. Wir stammen vielmehr von einer Gruppe feingliedriger, aufrecht gehender Individuen ab, die etwa vor 200000 Jahren in Ostafrika lebten. Dort entwickelten sich unsere Körpergestalt und die Grundlagen für all unsere Fähigkeiten, die uns schließlich so überlegen machten, daß nichts und niemand unseren Aufstieg mehr bremsen konnte - nicht einmal andere Menschenarten, selbst wenn diese, wie der Neandertaler, kräftiger waren als unsere Vorfahren und wahrscheinlich auch ein größeres Gehirn besaßen.

Es war der Schwächling, der in Eurasien eindrang und sich durchsetzte. Das war vor etwa 70000 Jahren. Während der ersten Hälfte dieser Zeitspanne kamen die Neandertaler noch mit uns mit, dann war für sie die Zeit - vor etwa 35000 Jahren - zu Ende. Ein Typus, der sich 200000 Jahre lang gehalten und vermehrt hatte, war gescheitert. Das ist, knapp zusammengefaßt, der Inhalt des Buches über die Geschichte der Menschheit. Es enthält keine guten Nachrichten für Rassisten, die die Überlegenheit ihrer Rasse einfach "biologisch" aufgrund des Entwicklungsrückstandes begründen wollen, den die anderen angeblich noch haben.

Unsere Art ist noch jung; sehr jung sogar, wenn man ihre Geschichte mit der von anderen Arten vergleicht. Die Einsichten der Genetiker und Sprachwissenschaftler deuten darauf hin, daß wir aus Afrika kommen. Fast paßt das Klischee von der "Wiege", denn es können nur recht wenige gewesen sein, die unsere unmittelbaren Ahnen genannt werden müssen.

Eigentlich wissen wir diese Dinge schon seit geraumer Zeit. Auch das linguistische Argument ist nicht ganz neu. An der Entwicklung der vollen Sprechfähigkeit soll es gelegen haben, daß der schwächere, aber sprachlich weitaus begabtere moderne Mensch, der sich selbst "Homo sapiens" nennt, dem stärkeren Neandertaler überlegen wurde und diesen von der Erde verdrängte, noch ehe die Eiszeit zu Ende gegangen war. Es gibt für die Hypothese sogar noch bessere Argumente, als in diesem Buch vorgetragen werden.

Chris Stringer ist Anthropologe am Londoner Museum für Naturgeschichte und einer der größten Verfechter der Theorie, daß der Mensch aus Afrika gekommen und der Neandertaler eine ganz andere Art sei. Er gilt als kompetenter Spezialist und - wie die meisten Anthropologen - auch als dickköpfiger Individualist. Robin McKie ist Wissenschaftsredakteur und ein erfahrener Schreiber. Das Buch ist ihr gemeinsames Werk, die Autoren haben sich beim Schreiben kapitelweise abgewechselt. Unweigerlich haben die Autoren sich für das, was sie schreiben und wiederholen, gerechtfertigt. Im "persönlichen Rückblick" von Chris Stringer kommt manches durch, was die etablierten Forscher dem Neuling in den Weg legten. Stringer wehrt sich gegen die Selbstherrlichkeit, mit der die Größen ihres Faches ihren Standpunkt vertreten; am Ende aber bezieht er selbst eine ganz ähnliche Position - vielleicht liegt es an der Natur des Themas.

Überhitztes Gehirn

Sicher hängt es aber auch damit zusammen, daß gute Funde so rar sind und jeder einzelne publizistisch ausgeschlachtet werden soll. Dabei wird gelegentlich "übersehen", daß andere Wissenschaftler auch gute Argumente vorgebracht hatten. Die Autoren berichten von zwei Forschern, die über den Neandertaler gearbeitet hatten und zu sehr wichtigen Schlüssen gekommen waren: "Beide publizierten auf deutsch und zahlten den Preis dafür; ihre Arbeiten wurden ignoriert." Derlei kommt immer wieder vor.

Im Mittelpunkt dieses Buches steht typischerweise wieder ein Einzelfund. Diesmal ist es nicht "Lucy", sondern der "Kibish-Mensch", der sich als unser "frühester Artgenosse" erweisen soll. Warum die frühen Vorläufer des Menschen sich aufrichteten und Zweibeiner wurden, darüber spekulieren die Autoren recht unbekümmert: "Vielleicht entwickelten sie die Fähigkeit, Steine zu werfen." Oder haben wir uns vielleicht aufgerichtet, "um möglichst wenig Hautfläche der harten Sonnenstrahlung auszusetzen, damit sich das Gehirn nicht überhitzt"?

Stringer und McKie glauben auch, daß der Mensch auf zwei Beinen stand, bevor sein kleines Hirn zu wachsen begann. Merkwürdigerweise kommen sie dabei zu dem Schluß, daß "dieser große Schritt in der Gehirnentwicklung im unteren Paläolithikum stattfand" und daß "das zu diesem Zeitpunkt erreichte geistige Niveau sich über die kommenden 2 Millionen Jahre hielt". Denn: "In der abwechslungsreichen Landschaft Ostafrikas, die vor 2 Millionen Jahren aus Wäldern, Grasland und Seeufern bestand, fand jeder von ihnen eine bequeme Nische. Einige hunderttausend Jahre später starb zuerst die Spezies habilis aus, und das Schicksal des Menschen lastete nun allein auf Erectus. Erectus gibt zweifellos einen überzeugenden Menschen ab."

Liegt es an der Übersetzung, oder ist das Argument tatsächlich so konfus? Beides scheint zuzutreffen. Denn wenn etwa Homo erectus, der große Vorläufer des Menschen, "mit Wölfen und Geiern um die Kadaver konkurriert" haben sollte, "die große Raubtiere, wie Löwen, übrigließen", dann wäre ihm sicherlich ziemlich übel geworden. Er mußte frisches Fleisch haben, keine Reste von Kadavern. Dann heißt es, daß "der vom Menschen gewählte Weg Energie" freigesetzt habe, "durch die das Gehirn wachsen konnte, so daß wir zu immer effizienteren Allesfressern wurden". Wächst Gehirn durch Energie?

In der Behandlung der evolutionsbiologisch-ökologischen Zusammenhänge liegen die größten Schwächen des Buches. Hier war offensichtlich der Mitautor überfordert. Die Stärken stecken in den detaillierten Darstellungen über den Neandertaler und über die anthropologischen Befunde. Die Ansichten, die andere Anthropologen vertreten haben, werden vernünftig kritisiert. Wenn Chris Stringer und Robin McKie in ihrem Buch auch keine neue, umfassende Theorie zur Entstehungsgeschichte des Menschen aufstellen, so geben sie doch einen guten Einblick in die Art und Weise, wie in diesem Fachgebiet gearbeitet wird und wie schnell sich scheinbar gut begründete Urteile als Vorurteile herausstellen.

Die Suche nach unserem Ursprung hat erst begonnen. Viel Spannendes ist noch zu erwarten - und viele Bücher dazu auch! JOSEF H. REICHHOLF

Chris Stringer/Robin McKie: "Afrika. Wiege der Menschheit". Die Entstehung, Entwicklung und Ausbreitung des Homo sapiens. Aus dem Englischen von Andrea Zapf. Limes Verlag, München 1996. 383S., Abb., geb., 44,- DM.

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