Im Gegensatz zu den anderen Abschnitten ihres kurzen Lebens war über den Afrika-Aufenthalt von Annemarie Schwarzenbach 1941/42 lange Zeit wenig bekannt. Mit der Veröffentlichung des nachgelassenen Romans Das Wunder des Baums wurde 2011 ein erster Schritt getan, den Blick auf diese Schaffensphase der Autorin zu lenken. Der vorliegende Band präsentiert alle weiteren während ihrer Afrikareise verfassten Arbeiten - die zu Lebzeiten publizierten Reportagen und Feuilletons sowie bisher unveröffentlichte Texte, darunter Gedichte, ein Rechenschaftsbericht und Marc.Annemarie Schwarzenbach reiste 1941 nach Belgisch-Kongo und versuchte von dort aus Anschluss an die Operationen des France libre zu finden, war durch politische Verdächtigungen in ihrem Handlungsspielraum allerdings eingeschränkt. Dennoch konnte sie in der Schweizer Presse rund zwei Dutzend Reportagen veröffentlichen. Es geht darin um Eindrücke von ihren Schiffsreisen zwischen Europa und Afrika und um vielfältige Impressionen aus dem Kongo, so in der Artikelserie über Schweizer Kolonialisten. In ihrem bisher unveröffentlichten Bericht Beim Verlassen Afrikas reflektiert Annemarie Schwarzenbach die spektakulären Umstände bei der Niederschrift ihres Romans Das Wunder des Baums. Hinzu kommen Gedichte, die sie aus dem Kongo und aus Marokko, ihrer zweiten grossen Station in Afrika, schrieb. Aus Marokko stammen zudem ein Dutzend Reportagen.Den Abschluss des Bandes bildet der Erstdruck von Marc, der geheimnisumwitterten lyrischen Umarbeitung von Das Wunder des Baums, die sie nach ihrer Rückkehr aus Afrika kurz vor ihrem Tod 1942 in Sils beendete. Damit liegen nun alle afrikanischen Schriften von Annemarie Schwarzenbach gesammelt vor. Sie gestatten neue Blicke auf diese immer noch viel zu wenig bekannte Etappe ihres Lebens und ihres Werkes.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2012Unterwegs ins Herz der Finsternis
Bilder vom Schwarzen Kontinent im Geist der Zeit: Annemarie Schwarzenbachs "Afrikanische Schriften"
"Die Schwarzen arbeiten nicht gern, und man muss sie immer beaufsichtigen." Diesen Satz, der eines der hartnäckigsten Stereotype über Afrikaner reproduziert, notierte Annemarie Schwarzenbach (1908 bis 1942) in einem unveröffentlichten Text, der 1941 im damaligen Belgisch-Kongo entstand. Ihr Aufenthalt in Afrika mitten im Zweiten Weltkrieg gehörte bislang zu den wenig bekannten Perioden im kurzen Leben der Schweizer Schriftstellerin und Journalistin. Schwarzenbachs OEuvre, lange vergessen, wird seit einiger Zeit wiederentdeckt. Die promovierte Historikerin, Tochter aus wohlhabendem, politisch extrem rechts stehendem Zürcher Haus, gehörte in den frühen dreißiger Jahren zu den zentralen Figuren der Berliner Boheme. Erika und Klaus Mann zählten zu ihren engen Freuden.
Die engagierte Antifaschistin Schwarzenbach, schwer morphiumsüchtig und immer wieder in Therapie, machte sich nach 1933 vor allem als Reisereporterin einen Namen. Berühmt wurde ihre 1939 mit der Ethnologin Ella Maillart unternommene Autofahrt von Genf nach Kabul. Fast dreihundert Reportagen flossen aus ihrer Feder, rund fünftausend Fotografien hat sie angefertigt. "Alle ihre Texte", schrieb ihre Großnichte Alice Schwarzenbach, seien "geprägt von der intensiven Suche nach der anderen Seite, nach der Wahrheit hinter der Wirklichkeit".
Auf Schwarzenbachs Reportagen über Belgisch-Kongo, die nun zum Teil erstmals veröffentlicht werden, trifft diese Charakterisierung freilich nur begrenzt zu. Die Autorin, mit der Familie politisch über Kreuz und auf der Suche nach einem sinnvollen Engagement gegen Krieg und Nationalsozialismus, war aufgebrochen, um sich De Gaulles "freiem Frankreich" anzuschließen und möglichst bei Radio Brazzaville mitzuwirken. Doch ihre Pläne ließen sich nicht verwirklichen. Schwarzenbach reiste schließlich den Kongo hinauf zur Kolonialstation Lisala, fuhr im Land umher und machte eine Tour durch den Regenwald bis zum Ruwenzori-Gebirge an der Grenze zu Uganda.
Während der Reise definierte sich Schwarzenbach immer mehr als Dichterin, vollendete einen Roman und schrieb Lyrik. Einiges findet sich im vorliegenden Band zum ersten Mal abgedruckt. Daneben verfasste sie zahlreiche Texte und Reportagen über "Land und Leute". Grundsätzliche Kritik am kolonialen System sucht man in diesen Aufsätzen allerdings vergebens. Nicht nur beschreibt sie den Kongo-Fluss und den dichten Regenwald, - deutlich an Joseph Conrads "Herz der Finsternis" gemahnend und im Einklang mit den seinerzeit üblichen europäischen Imaginationen zu Afrika - als düster, mächtig und gefährlich. Sie stellte zudem dieser bedrohlichen Natur sogleich den zivilisatorischen Einfluss der Europäer gegenüber. "Ja, diese Plantage ist jetzt, nach vielen Jahren harter Arbeit, ein Stück wirklicher, bewohnbarer Erde, so wie wir Menschen sie zum Leben brauchen", schreibt sie über die Besitzung einer Schweizer Familie inmitten Belgisch-Kongo.
Deutlich kontrastieren dazu die Reportagen über Marokko, das sie nach ihrer Kongo-Reise besuchte. Im Maghreb erschien nicht nur die Natur wesentlich freundlicher. Diese Region repräsentierte ihr zufolge auch weitaus mehr Geschichte und Kultur als der subsaharische Raum, ja schien angesichts von Krieg, Gewalt und Faschismus in Europa gar eine Art positiver Gegenentwurf sein zu können. Insgesamt atmen Annemarie Schwarzenbachs "Afrikanische Schriften" sehr deutlich das Parfüm ihrer Zeit. Sie bieten wenig überraschende Afrika-Bilder, aber offenbaren einige unbekannte Facetten in Leben und Werk dieser Autorin.
ANDREAS ECKERT
Annemarie Schwarzenbach: "Afrikanische Schriften". Reportagen - Lyrik - Autobiographisches. Mit dem Erstdruck von ,Marc'.
Hrsg. von Sofie Decock, Walter Fähnders und Uta Schaffers. Chronos Verlag, Zürich 2012. 333 S., Abb., geb., 31,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bilder vom Schwarzen Kontinent im Geist der Zeit: Annemarie Schwarzenbachs "Afrikanische Schriften"
"Die Schwarzen arbeiten nicht gern, und man muss sie immer beaufsichtigen." Diesen Satz, der eines der hartnäckigsten Stereotype über Afrikaner reproduziert, notierte Annemarie Schwarzenbach (1908 bis 1942) in einem unveröffentlichten Text, der 1941 im damaligen Belgisch-Kongo entstand. Ihr Aufenthalt in Afrika mitten im Zweiten Weltkrieg gehörte bislang zu den wenig bekannten Perioden im kurzen Leben der Schweizer Schriftstellerin und Journalistin. Schwarzenbachs OEuvre, lange vergessen, wird seit einiger Zeit wiederentdeckt. Die promovierte Historikerin, Tochter aus wohlhabendem, politisch extrem rechts stehendem Zürcher Haus, gehörte in den frühen dreißiger Jahren zu den zentralen Figuren der Berliner Boheme. Erika und Klaus Mann zählten zu ihren engen Freuden.
Die engagierte Antifaschistin Schwarzenbach, schwer morphiumsüchtig und immer wieder in Therapie, machte sich nach 1933 vor allem als Reisereporterin einen Namen. Berühmt wurde ihre 1939 mit der Ethnologin Ella Maillart unternommene Autofahrt von Genf nach Kabul. Fast dreihundert Reportagen flossen aus ihrer Feder, rund fünftausend Fotografien hat sie angefertigt. "Alle ihre Texte", schrieb ihre Großnichte Alice Schwarzenbach, seien "geprägt von der intensiven Suche nach der anderen Seite, nach der Wahrheit hinter der Wirklichkeit".
Auf Schwarzenbachs Reportagen über Belgisch-Kongo, die nun zum Teil erstmals veröffentlicht werden, trifft diese Charakterisierung freilich nur begrenzt zu. Die Autorin, mit der Familie politisch über Kreuz und auf der Suche nach einem sinnvollen Engagement gegen Krieg und Nationalsozialismus, war aufgebrochen, um sich De Gaulles "freiem Frankreich" anzuschließen und möglichst bei Radio Brazzaville mitzuwirken. Doch ihre Pläne ließen sich nicht verwirklichen. Schwarzenbach reiste schließlich den Kongo hinauf zur Kolonialstation Lisala, fuhr im Land umher und machte eine Tour durch den Regenwald bis zum Ruwenzori-Gebirge an der Grenze zu Uganda.
Während der Reise definierte sich Schwarzenbach immer mehr als Dichterin, vollendete einen Roman und schrieb Lyrik. Einiges findet sich im vorliegenden Band zum ersten Mal abgedruckt. Daneben verfasste sie zahlreiche Texte und Reportagen über "Land und Leute". Grundsätzliche Kritik am kolonialen System sucht man in diesen Aufsätzen allerdings vergebens. Nicht nur beschreibt sie den Kongo-Fluss und den dichten Regenwald, - deutlich an Joseph Conrads "Herz der Finsternis" gemahnend und im Einklang mit den seinerzeit üblichen europäischen Imaginationen zu Afrika - als düster, mächtig und gefährlich. Sie stellte zudem dieser bedrohlichen Natur sogleich den zivilisatorischen Einfluss der Europäer gegenüber. "Ja, diese Plantage ist jetzt, nach vielen Jahren harter Arbeit, ein Stück wirklicher, bewohnbarer Erde, so wie wir Menschen sie zum Leben brauchen", schreibt sie über die Besitzung einer Schweizer Familie inmitten Belgisch-Kongo.
Deutlich kontrastieren dazu die Reportagen über Marokko, das sie nach ihrer Kongo-Reise besuchte. Im Maghreb erschien nicht nur die Natur wesentlich freundlicher. Diese Region repräsentierte ihr zufolge auch weitaus mehr Geschichte und Kultur als der subsaharische Raum, ja schien angesichts von Krieg, Gewalt und Faschismus in Europa gar eine Art positiver Gegenentwurf sein zu können. Insgesamt atmen Annemarie Schwarzenbachs "Afrikanische Schriften" sehr deutlich das Parfüm ihrer Zeit. Sie bieten wenig überraschende Afrika-Bilder, aber offenbaren einige unbekannte Facetten in Leben und Werk dieser Autorin.
ANDREAS ECKERT
Annemarie Schwarzenbach: "Afrikanische Schriften". Reportagen - Lyrik - Autobiographisches. Mit dem Erstdruck von ,Marc'.
Hrsg. von Sofie Decock, Walter Fähnders und Uta Schaffers. Chronos Verlag, Zürich 2012. 333 S., Abb., geb., 31,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Von wegen Boheme, Avantgarde und so. Aus ihren afrikanischen Reisereportagen und literarischen Texten aus Belgisch-Kongo tritt Annemarie Schwarzenbach dem überraschten Rezensenten als eher wenig aufgeklärtes Kind ihrer Zeit entgegen. Der koloniale Blick ins "Herz der Finsternis", das Schwärmen für den zivilisatorischen Vorsprung der Europäer gegenüber Afrika - alles da, alles wie gehabt, meint Andreas Eckert einigermaßen enttäuscht darüber, dass der Band keine originelleren Perspektiven auf den Kontinent bietet. Dass die hier zu lesenden Texte zum Teil erstmals veröffentlich werden, kann dem Rezensenten da kein Trost sein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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