Was es heißt, Schwarz zu sein: Afropessimismus ist ein Aufschrei und eine radikale Antwort auf eine der drängendsten Fragen unserer Zeit
Wie erklärt sich die brutale Alltäglichkeit der Gewalt gegen Schwarze Menschen? Warum bestimmt die Geschichte der Sklaverei ihre Erfahrungen bis heute? Wie kommt es, dass Rassismus jeden Aspekt des sozialen, politischen und geistigen Lebens berührt? Frank B. Wilderson III begegnet diesen Fragen in einer Weise, die so komplex ist wie unsere Verstrickungen in sie: Teils einschneidende Analyse, teils bewegendes Memoir, zeugt »Afropessimismus« davon, was es heißt, Schwarz - und das heißt für Wilderson immer zugleich, kein Mensch - zu sein. Er schildert eine nur scheinbar idyllische Kindheit in einem weißen Vorort von Minneapolis, die politisierten 1970er- und 1980er-Jahre, seinen Aktivismus gegen die südafrikanische Apartheid und die Gewalt, die ihm als Wissenschaftler noch heute begegnet. Wildersons Aufmerksamkeit für die Verheerungen eines Schwarzen Lebens in einer weißen Welt zeigen, dass die Unterdrückung der Schwarzen kein Relikt der Vergangenheit ist. Vielmehr bildet sie die unhintergehbare Grundlage jedes Verständnisses von Kultur, Fortschritt und Subjektivität. Auch die unbestreitbaren Erfolge des Civil Rights Movements oder von Black Lives Matter konnten sie nicht grundlegend infrage stellen. Ausgangspunkt von Wildersons Denken ist deshalb die Ausweglosigkeit. »Afropessimismus« fragt, wie sich das Leben als versklavte Person überhaupt erzählen lässt: eine herausfordernde und notwendige Lektüre.
Wie erklärt sich die brutale Alltäglichkeit der Gewalt gegen Schwarze Menschen? Warum bestimmt die Geschichte der Sklaverei ihre Erfahrungen bis heute? Wie kommt es, dass Rassismus jeden Aspekt des sozialen, politischen und geistigen Lebens berührt? Frank B. Wilderson III begegnet diesen Fragen in einer Weise, die so komplex ist wie unsere Verstrickungen in sie: Teils einschneidende Analyse, teils bewegendes Memoir, zeugt »Afropessimismus« davon, was es heißt, Schwarz - und das heißt für Wilderson immer zugleich, kein Mensch - zu sein. Er schildert eine nur scheinbar idyllische Kindheit in einem weißen Vorort von Minneapolis, die politisierten 1970er- und 1980er-Jahre, seinen Aktivismus gegen die südafrikanische Apartheid und die Gewalt, die ihm als Wissenschaftler noch heute begegnet. Wildersons Aufmerksamkeit für die Verheerungen eines Schwarzen Lebens in einer weißen Welt zeigen, dass die Unterdrückung der Schwarzen kein Relikt der Vergangenheit ist. Vielmehr bildet sie die unhintergehbare Grundlage jedes Verständnisses von Kultur, Fortschritt und Subjektivität. Auch die unbestreitbaren Erfolge des Civil Rights Movements oder von Black Lives Matter konnten sie nicht grundlegend infrage stellen. Ausgangspunkt von Wildersons Denken ist deshalb die Ausweglosigkeit. »Afropessimismus« fragt, wie sich das Leben als versklavte Person überhaupt erzählen lässt: eine herausfordernde und notwendige Lektüre.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensent Eberhard Falcke kann diese Streitschrift des amerikanischen Autors Frank B. Wilderson noch am besten als "zornige Raktion auf den Optimismus" lesen, der die schwarzen Bürgerrechtsbewegungen in den USA so oft getrogen hat, als Rebellion gegen den Status quo. Denn für Falcke ist auch schnell klar, dass Wildersons Pessismismus nirgendwo hinführen kann: Es gibt keinen Ausweg und keine Aussicht auf Besserung, wenn Blackness, das schwarze Dasein an sich, mit Sklaverei zusammenfällt. Wobei Wilderson hier von amerikanischer Blackness zu sprechen scheint. Immer wieder prangert der Autor ein Unterdrückungsverhältnis an, in dem Weiße sich wie peitschenschwingende Plantagenbesitzer gerierten, ohne dies jedoch empirisch zu verifizieren. Bei ihm ist alles quasi-ontologischer Befund. Falcke fühlt sich dadurch nicht einmal zu großem Widerspruch herausgefordert. Was soll er auch sagen, wenn Wilderson von vornherein postuliert: "Solidarität ist mir scheißegal."
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2021Gegen alle liberale Zuversicht
Eine an Schärfe kaum zu überbietende Polemik: Frank Wildersons "Afropessimismus"
Ist ein Schwarzer ein Mensch? Die ungeheuerliche Frage stammt nicht etwa von einem mörderischen Rassisten des Ku-Klux-Klan, sie stammt von Frank Wilderson III, Philosoph, Filmemacher, Professor für African American Studies an der Irvine University of California und politischer Aktivist. Und er gibt auch die ebenso ungeheuerliche Antwort: Nein, der Schwarze ist kein Mensch. Was für eine Provokation, dass Wilderson eben nicht zurückgeht auf die klassische humanistische Formulierung, dem Schwarzen werde von den Weißen sein Menschsein abgesprochen; nein, er besteht ohne Wenn und Aber auf der bestimmten Negation: Der humanistische Begriff der Menschheit schließt den Schwarzen nicht ein. Der Schwarze ist "der Andere".
Frank Wildersons "Afropessimismus" führte bei seinem Erscheinen im April 2020 sofort zu heftigsten Diskussionen. Man wäre versucht, es bereits jetzt zwischen die Klassiker der schwarzen Literatur einzureihen - zwischen Frantz Fanon und Eldridge Cleaver -, doch seine radikale Kompromisslosigkeit verbietet jede voreilige Beruhigung im Kanon. In den gegenwärtigen aufgeheizten Auseinandersetzungen und ideologischen Kämpfen um Rassismus und Ausgrenzung sowohl auf realen wie auf bloß terminologischen Schauplätzen, wirkt Wildersons Buch als Zuspitzung, als Zumutung, als eine Herausforderung auch für diejenigen, die sich einig wissen im Widerspruch gegen jede Form von Rassenhass. Denn gerade dieser Konsens gegen jede Form des Rassismus wird hier gekündigt: Es gibt keine Gleichheit in der Unterdrückung.
"Afropessimismus" ist eine Herausforderung bereits in seiner literarischen Gestalt. Als Mischung, Collage von autobiographischer Erzählung, politischem Traktat, philosophischer Theorie verfolgt es die Strategie eines "wilden" Denkens, das sich seine Werkzeuge holt, wo sie sich bieten, von klassischer Philosophie über Poststrukturalismus bis zur Psychoanalyse. Autobiographie bildet dabei durchgehend die Basis, mit der ganzen Ambivalenz einer solchen Verbindung: Die eigene Erfahrung des "Schwarzseins" als unhintergehbare Existenzbedingung, von der Kindheit bis in Seminare über den Rassismus selbst, entwickelt eine schlagende Überzeugungskraft, die bloße Theorie kaum erreichen kann; umgekehrt liegt in der Unmöglichkeit, lebendige Erfahrung zu kritisieren, natürlich immer schon die Versuchung, Theorie gegen Einwände zu immunisieren. Wilderson ist sich dieses Risikos völlig bewusst, mehr noch: Er nimmt es strategisch auf, zwingt den Leser unter erheblichen Druck, sich dieser erfahrenen Wirklichkeit auszusetzen.
"Afropessimismus" ist durchaus auch ein literarischer Text. Sprunghaft, mitreißend, voll von überraschenden Assoziationen und Bildern, dann wieder im schrägen Jargon universitärer Debatten, aggressiv, provozierend, auch spöttisch oder komisch in der Skizze von Gegnern und wohlmeinenden Liberalen, erinnert diese ungeheuer gedrängte Sprache an die polemischen Pamphlete aus Sartres Jahren als Aktivist. Doch Sartres Fortschrittsoptimismus wird hier zur pessimistischen Widerlegung aller liberalen Zuversicht.
Sprachkosmetik der Übersetzung
Kurios dabei, dass die deutsche Ausgabe durchweg jenen bürokratischen Newspeak pflegt ("Jüd:innen", "Arbeiter:innenklasse", "Studierendenkrankenhaus", "Critical-Race-Vokabular", "Schwarze Schreibende" und natürlich "Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner" ohne Ende), der nun gerade dem frommen Glauben vertraut, sprachliche Kosmetik eröffne gewiss den Weg ins Reich des Wahren, Guten, Schönen. Leider weckt das auch ein gewisses Misstrauen, was davon sich tatsächlich dem Autor verdankt und was ausschließlich neudeutschem Benimm.
Bedeutungsvoll schreibt sich hier ein weißer Mensch klein und kursiv, ein Schwarzer Mensch groß und gerade; unbekannt, worin diese Bedeutung liegt. Nach mystischer Regel scheinen verpönte Begriffe wie "Rasse" unschuldig zu werden, belässt man sie nur englisch als "race". Doch dieses ganze nervtötende, sprachmagische Abrakadabra verpufft zum Glück vor der Kraft von Wildersons Sprache und Argumentation, und es liegt auf der Hand, dass die radikale Härte eines solchen Pessimismus sich gerade nicht herumdrücken will um die schimpflichen Wörter "negro" oder "nigger".
Die Theorie des Afropessimismus beruht auf einer Handvoll fundamentalen Annahmen. Der Schwarze besetzt unter allen Opfern der Rassendiskriminierung eine singuläre Position. Der Schwarze hat die Existenzform, die condition des Sklaven bis heute nicht verlassen. Und deshalb ist der Schwarze nach wie vor ausgeschlossen aus der condition humaine, aus dem Menschsein: Die Menschen haben ein gesellschaftliches, soziales Leben, der Schwarze nur den "sozialen Tod". Die "Blackness" ist Realität, also weder gesellschaftliches Stigma noch bloße Konstruktion; der Schwarze ist erst im Moment seiner Versklavung eingetreten in die Geschichte, und diese condition wird auch durch sozialen Aufstieg nicht aufgehoben. Selbst der Professor Wilderson oder Michelle Obama bleiben für den deklassierten Weißen oder sogar den Aktivisten des American Indian Movement im Extremfall der "Nigger", hinter dem der Lynchmob wartet. Der Afropessimismus ist die Gegentheorie schlechthin zum klassischen Humanismus: Er konfrontiert diesen mit der Behauptung, dass sein Begriff des Menschen den Schwarzen nicht einschließt; krasser noch: dass er den Schwarzen als nicht menschliches Gegenbild zwingend braucht, um diesen Begriff zu definieren.
Ein unaustragbarer Konflikt
Wilderson überschreitet also noch weit die konsequentesten Polemiken über Alltags- oder strukturellen Rassismus, stellt pessimistisch das europäisch geprägte Denken selbst infrage. Natürlich weckt die Theorie damit auch erhebliche Probleme, vor allem das der eigenen Kritisierbarkeit. Einen sogenannten "safe space", der die eigene Gruppenüberzeugung schützt vor äußerer Kritik, beansprucht Wilderson ganz und gar nicht, aber trotzdem: Wenn sich die existenziellen Erfahrungen von Schwarz und Weiß unterscheiden wie die Menschheit von der Nicht-Menschheit, dann ist Kritik über diese Grenze hinweg im Grunde ausgeschlossen. Und doch darf sie es nicht sein, soll theoretischer und politischer Austausch irgendwie möglich bleiben. So folgt zwingend die Frage, ob dieser Radikalpessimismus nicht jede Lösung des rassistischen Problems definitiv ausschließt.
Solche Fragen stellen sich natürlich nicht bei persönlichen Erfahrungen, sondern erst bei bestimmten Aspekten der theoretischen Folgerung. Offenkundig beruht der Afropessimismus sehr stark auf amerikanischen Realitäten, also auf der Geschichte der Sklaverei und auf dem hohen schwarzen Bevölkerungsanteil damals wie heute. Kann die theoretische Annahme auch für Gesellschaften ohne nennenswerte schwarze Präsenz gelten? Ist die Entstehung des europäischen Humanismus tatsächlich immer schon von einer schwarzen Präsenz begleitet, die den Begriff der Menschheit in der Grenzziehung zum Schwarzsein erst denkbar machen soll? Ist der Judenhass in seiner letzten vernichtenden Konsequenz dem anti-schwarzen Rassismus nicht doch ähnlicher, als Wilderson meint, und stellt damit die kategoriale Singularität der "Blackness" doch infrage?
Wilderson versteht den Afropessimismus ausdrücklich nicht als Summe von Tatsachenbehauptungen oder bloßen Meinungen zu Tatsachen, er versteht ihn als Instrumentarium einer kritischen Theorie, als "optische Linse", als "Mittel zur Interpretation". Es geht also nicht darum, die These von der Anti-Blackness als Grundlage des Humanismus einfach als "wahr" anzunehmen, sondern vielmehr um eine Form der Gesellschaftsanalyse, die diese These als Linse auf Geschichte und Gesellschaft richtet.
Einmal erzählt Wilderson von einer Fahrt im frühmorgendlichen Taxishuttle zum New Yorker Flughafen; im Wagen der pakistanische Fahrer und ein weißes Ehepaar. Als der Schwarze einsteigt, erstirbt das Gespräch, beginnt zögernd von Neuem, nachdem der sich immerhin als Professor zu erkennen gibt. Es ist die Zeit kurz nach dem 11. September, die Zeit des generellen Misstrauens gegenüber allem, was irgendwie muslimisch wirkt; der pakistanische Fahrer spricht von dem autoritären "Patriot Act" der Bush-Regierung, von willkürlichen Verhaftungen, Gefängnis ohne Gerichtsverfahren: "Ich weiß nicht, wie ich meine Familie jemals in dieses Land bringen konnte", schließt er im liberalen Einverständnis mit dem weißen Ehepaar. "Und bevor ich die Struktur meiner nicht assimilierbaren Blackness aus dem Geflecht und der Grütze des multiethnischen Affekts entwirren konnte, sagte ich: 'Geht mir genauso.' Doch diese Worte zerfetzten die Stimmung. Die Erde kippte. Wir fielen alle herunter."
Nur eine Geschichte mehr? Unter dem Brennglas des Afropessimismus wird sie zum verdichteten Bild eines nach wie vor unaustragbaren Konflikts. Wildersons Demontage der liberalen Illusionen ist mehr als schmerzhaft, "Afropessimismus" ein Meilenstein in der großen Debatte unserer Zeit. WOLFGANG MATZ
Frank B. Wilderson III: "Afropessimismus".
Aus dem Englischen von Jan Wilm. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021. 415 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine an Schärfe kaum zu überbietende Polemik: Frank Wildersons "Afropessimismus"
Ist ein Schwarzer ein Mensch? Die ungeheuerliche Frage stammt nicht etwa von einem mörderischen Rassisten des Ku-Klux-Klan, sie stammt von Frank Wilderson III, Philosoph, Filmemacher, Professor für African American Studies an der Irvine University of California und politischer Aktivist. Und er gibt auch die ebenso ungeheuerliche Antwort: Nein, der Schwarze ist kein Mensch. Was für eine Provokation, dass Wilderson eben nicht zurückgeht auf die klassische humanistische Formulierung, dem Schwarzen werde von den Weißen sein Menschsein abgesprochen; nein, er besteht ohne Wenn und Aber auf der bestimmten Negation: Der humanistische Begriff der Menschheit schließt den Schwarzen nicht ein. Der Schwarze ist "der Andere".
Frank Wildersons "Afropessimismus" führte bei seinem Erscheinen im April 2020 sofort zu heftigsten Diskussionen. Man wäre versucht, es bereits jetzt zwischen die Klassiker der schwarzen Literatur einzureihen - zwischen Frantz Fanon und Eldridge Cleaver -, doch seine radikale Kompromisslosigkeit verbietet jede voreilige Beruhigung im Kanon. In den gegenwärtigen aufgeheizten Auseinandersetzungen und ideologischen Kämpfen um Rassismus und Ausgrenzung sowohl auf realen wie auf bloß terminologischen Schauplätzen, wirkt Wildersons Buch als Zuspitzung, als Zumutung, als eine Herausforderung auch für diejenigen, die sich einig wissen im Widerspruch gegen jede Form von Rassenhass. Denn gerade dieser Konsens gegen jede Form des Rassismus wird hier gekündigt: Es gibt keine Gleichheit in der Unterdrückung.
"Afropessimismus" ist eine Herausforderung bereits in seiner literarischen Gestalt. Als Mischung, Collage von autobiographischer Erzählung, politischem Traktat, philosophischer Theorie verfolgt es die Strategie eines "wilden" Denkens, das sich seine Werkzeuge holt, wo sie sich bieten, von klassischer Philosophie über Poststrukturalismus bis zur Psychoanalyse. Autobiographie bildet dabei durchgehend die Basis, mit der ganzen Ambivalenz einer solchen Verbindung: Die eigene Erfahrung des "Schwarzseins" als unhintergehbare Existenzbedingung, von der Kindheit bis in Seminare über den Rassismus selbst, entwickelt eine schlagende Überzeugungskraft, die bloße Theorie kaum erreichen kann; umgekehrt liegt in der Unmöglichkeit, lebendige Erfahrung zu kritisieren, natürlich immer schon die Versuchung, Theorie gegen Einwände zu immunisieren. Wilderson ist sich dieses Risikos völlig bewusst, mehr noch: Er nimmt es strategisch auf, zwingt den Leser unter erheblichen Druck, sich dieser erfahrenen Wirklichkeit auszusetzen.
"Afropessimismus" ist durchaus auch ein literarischer Text. Sprunghaft, mitreißend, voll von überraschenden Assoziationen und Bildern, dann wieder im schrägen Jargon universitärer Debatten, aggressiv, provozierend, auch spöttisch oder komisch in der Skizze von Gegnern und wohlmeinenden Liberalen, erinnert diese ungeheuer gedrängte Sprache an die polemischen Pamphlete aus Sartres Jahren als Aktivist. Doch Sartres Fortschrittsoptimismus wird hier zur pessimistischen Widerlegung aller liberalen Zuversicht.
Sprachkosmetik der Übersetzung
Kurios dabei, dass die deutsche Ausgabe durchweg jenen bürokratischen Newspeak pflegt ("Jüd:innen", "Arbeiter:innenklasse", "Studierendenkrankenhaus", "Critical-Race-Vokabular", "Schwarze Schreibende" und natürlich "Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner" ohne Ende), der nun gerade dem frommen Glauben vertraut, sprachliche Kosmetik eröffne gewiss den Weg ins Reich des Wahren, Guten, Schönen. Leider weckt das auch ein gewisses Misstrauen, was davon sich tatsächlich dem Autor verdankt und was ausschließlich neudeutschem Benimm.
Bedeutungsvoll schreibt sich hier ein weißer Mensch klein und kursiv, ein Schwarzer Mensch groß und gerade; unbekannt, worin diese Bedeutung liegt. Nach mystischer Regel scheinen verpönte Begriffe wie "Rasse" unschuldig zu werden, belässt man sie nur englisch als "race". Doch dieses ganze nervtötende, sprachmagische Abrakadabra verpufft zum Glück vor der Kraft von Wildersons Sprache und Argumentation, und es liegt auf der Hand, dass die radikale Härte eines solchen Pessimismus sich gerade nicht herumdrücken will um die schimpflichen Wörter "negro" oder "nigger".
Die Theorie des Afropessimismus beruht auf einer Handvoll fundamentalen Annahmen. Der Schwarze besetzt unter allen Opfern der Rassendiskriminierung eine singuläre Position. Der Schwarze hat die Existenzform, die condition des Sklaven bis heute nicht verlassen. Und deshalb ist der Schwarze nach wie vor ausgeschlossen aus der condition humaine, aus dem Menschsein: Die Menschen haben ein gesellschaftliches, soziales Leben, der Schwarze nur den "sozialen Tod". Die "Blackness" ist Realität, also weder gesellschaftliches Stigma noch bloße Konstruktion; der Schwarze ist erst im Moment seiner Versklavung eingetreten in die Geschichte, und diese condition wird auch durch sozialen Aufstieg nicht aufgehoben. Selbst der Professor Wilderson oder Michelle Obama bleiben für den deklassierten Weißen oder sogar den Aktivisten des American Indian Movement im Extremfall der "Nigger", hinter dem der Lynchmob wartet. Der Afropessimismus ist die Gegentheorie schlechthin zum klassischen Humanismus: Er konfrontiert diesen mit der Behauptung, dass sein Begriff des Menschen den Schwarzen nicht einschließt; krasser noch: dass er den Schwarzen als nicht menschliches Gegenbild zwingend braucht, um diesen Begriff zu definieren.
Ein unaustragbarer Konflikt
Wilderson überschreitet also noch weit die konsequentesten Polemiken über Alltags- oder strukturellen Rassismus, stellt pessimistisch das europäisch geprägte Denken selbst infrage. Natürlich weckt die Theorie damit auch erhebliche Probleme, vor allem das der eigenen Kritisierbarkeit. Einen sogenannten "safe space", der die eigene Gruppenüberzeugung schützt vor äußerer Kritik, beansprucht Wilderson ganz und gar nicht, aber trotzdem: Wenn sich die existenziellen Erfahrungen von Schwarz und Weiß unterscheiden wie die Menschheit von der Nicht-Menschheit, dann ist Kritik über diese Grenze hinweg im Grunde ausgeschlossen. Und doch darf sie es nicht sein, soll theoretischer und politischer Austausch irgendwie möglich bleiben. So folgt zwingend die Frage, ob dieser Radikalpessimismus nicht jede Lösung des rassistischen Problems definitiv ausschließt.
Solche Fragen stellen sich natürlich nicht bei persönlichen Erfahrungen, sondern erst bei bestimmten Aspekten der theoretischen Folgerung. Offenkundig beruht der Afropessimismus sehr stark auf amerikanischen Realitäten, also auf der Geschichte der Sklaverei und auf dem hohen schwarzen Bevölkerungsanteil damals wie heute. Kann die theoretische Annahme auch für Gesellschaften ohne nennenswerte schwarze Präsenz gelten? Ist die Entstehung des europäischen Humanismus tatsächlich immer schon von einer schwarzen Präsenz begleitet, die den Begriff der Menschheit in der Grenzziehung zum Schwarzsein erst denkbar machen soll? Ist der Judenhass in seiner letzten vernichtenden Konsequenz dem anti-schwarzen Rassismus nicht doch ähnlicher, als Wilderson meint, und stellt damit die kategoriale Singularität der "Blackness" doch infrage?
Wilderson versteht den Afropessimismus ausdrücklich nicht als Summe von Tatsachenbehauptungen oder bloßen Meinungen zu Tatsachen, er versteht ihn als Instrumentarium einer kritischen Theorie, als "optische Linse", als "Mittel zur Interpretation". Es geht also nicht darum, die These von der Anti-Blackness als Grundlage des Humanismus einfach als "wahr" anzunehmen, sondern vielmehr um eine Form der Gesellschaftsanalyse, die diese These als Linse auf Geschichte und Gesellschaft richtet.
Einmal erzählt Wilderson von einer Fahrt im frühmorgendlichen Taxishuttle zum New Yorker Flughafen; im Wagen der pakistanische Fahrer und ein weißes Ehepaar. Als der Schwarze einsteigt, erstirbt das Gespräch, beginnt zögernd von Neuem, nachdem der sich immerhin als Professor zu erkennen gibt. Es ist die Zeit kurz nach dem 11. September, die Zeit des generellen Misstrauens gegenüber allem, was irgendwie muslimisch wirkt; der pakistanische Fahrer spricht von dem autoritären "Patriot Act" der Bush-Regierung, von willkürlichen Verhaftungen, Gefängnis ohne Gerichtsverfahren: "Ich weiß nicht, wie ich meine Familie jemals in dieses Land bringen konnte", schließt er im liberalen Einverständnis mit dem weißen Ehepaar. "Und bevor ich die Struktur meiner nicht assimilierbaren Blackness aus dem Geflecht und der Grütze des multiethnischen Affekts entwirren konnte, sagte ich: 'Geht mir genauso.' Doch diese Worte zerfetzten die Stimmung. Die Erde kippte. Wir fielen alle herunter."
Nur eine Geschichte mehr? Unter dem Brennglas des Afropessimismus wird sie zum verdichteten Bild eines nach wie vor unaustragbaren Konflikts. Wildersons Demontage der liberalen Illusionen ist mehr als schmerzhaft, "Afropessimismus" ein Meilenstein in der großen Debatte unserer Zeit. WOLFGANG MATZ
Frank B. Wilderson III: "Afropessimismus".
Aus dem Englischen von Jan Wilm. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021. 415 S., geb., 28,- Euro.
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