Tamerlane, the Ottomans, the Mughals, the Manchus, the British, the Soviets, the Japanese and the Nazis - all built empires they hoped would last forever: all were destined to fail. This book shows how their empire building created the world.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.10.2010Panorama der Weltgeschichte
Nicht alles ist schon mal dagewesen: In einem monumentalen Werk erzählt John Darwin vom Schicksal großer Reiche
Wer sich gerne Weltgeschichte erzählen lässt, dem ist mit John Darwins monumentalem Werk „Der imperiale Traum“ gut gedient. In bestem englischen Erzählstil werden einem auf knapp sechshundert Seiten die letzten sechshundert Jahre bis in die jüngste Vergangenheit vorgeführt – in der allerbesten Absicht, die Gegenwart verständlicher zu machen. Man kann sich nur verneigen vor einer Gelehrsamkeit und Belesenheit, wie sie an den Spitzenakademien von Oxbridge gepflegt wird, ohne sich dünkelhaft über den Rest der wissenschaftlichen Welt erhaben zu fühlen. Anregungen aus allen Winkeln der Welt werden aufgegriffen und produktiv verarbeitet; aber das ist auch nötig, um einen Überblick bei rastlosen Perspektivwechseln zu wagen.
Eine Weltgeschichte lässt sich heute nicht mehr ernsthaft aus der Sicht eines Columbus oder Vasco da Gama erzählen, die für die Europäer die Welt „entdeckten“. Schon der alte Lichtenberg forderte zur Zeit der Aufklärung einen Perspektivwechsel zu denen, die den Columbus entdeckten. John Darwin gelingt noch mehr, er schildert die Welt auch aus der Sicht derer, denen Columbus unbekannt und Vasco da Gama gleichgültig blieb: Chinesen, Japaner, Inder. Darwins historisches Panoramawerk zeigt, dass dem Eurozentrismus in den Sozialwissenschaften die letzte Stunde geschlagen hat.
Dennoch liegt der Focus dieser Weltgeschichte auf Eurasien, weil sie die entscheidende Frage klären will, wie und wann es zu einer Kluft, zur great divergence, zwischen dem Westen und dem Rest der Welt gekommen ist. Dahinter lauert die nächste Frage, ob nicht der Anfang vom Ende der westlichen Dominanz nicht schon begonnen hat. An diesem Punkt zeigt sich, dass die Auseinandersetzungen an den westlichen Akademien um die „Subaltern Studies“ und der von Edward Said ausgehenden Orientalismuskritik Früchte trägt. Die Meistererzählung vom prometheischen Westen, der eine stagnierende Umwelt berührte und mit dem dynamischen Fortschrittsvirus infizierte, lässt sich ebenso wenig glaubhaft vorbringen, wie die Knechtschaftsgeschichte von Ausbeutung und Elend, in der ein böses westliches System den Rest der Welt als willenloses Objekt die letzten fünfhundert Jahre be- und misshandelte. Liest man Werke wie die Darwins, wird einem die Aktualität und konkrete Bedeutung von Hegels großsprecherisch klingendem Satz „Das Ganze ist das Wahre“ bewusst: Weltgeschichte erschien vor gut zweihundert Jahren erstmals möglich, heute ist sie nötig.
In der akademischen Arbeitsteilung von heute nennt man Darwins Unternehmen Makrogeschichte, in deren Schatten viele Mikrogeschichten sich tummeln können. Diese zur Kenntnis zu nehmen und sie für die „große Geschichte“ fruchtbar zu machen, ist ein nicht nur zeitaufwendiges, sondern ein schwieriges Unterfangen. Geschieht dies nicht, droht ein Rückfall in Herrschaftsgeschichte, die das profane Geschehen am Boden von oben wahrnimmt.
Die Focussierung seines Interesses auf die „großen Reiche“ bringt Darwin oft in eine gefährliche Nähe zu einer traditionellen Sicht von Haupt- und Staatsaktionen. Ständig betont er das Neue seiner Sichtweise; aber das geschmähte Alte erscheint fast nur noch in karikaturhafter Form. Ein gemäßigter posttotalitärer Liberalismus, keineswegs ein kämpferischer Neoliberalismus, gibt bei Darwin den Ton an; alles liest sich angenehm und regt zum Nachdenken an.
Darwin schwelgt im ungeheuren empirischen Material, er überblickt die Forschung, ob es um den Nahen oder Fernen Osten, Nord- oder Südamerika geht; aber er zeigt eine Sprödigkeit gegen jeden wirklichen theoretischen Gedanken. Seine Weltgeschichte bleibt im Beschreiben stecken.
So gut sich das Buch liest; der Fortschritt in der Erkenntnis ist – nach einem Wort Nestroys – nur halb so groß, wie er zunächst ausschaut. Ganz in der Tradition Max Webers, der auch eine Universalgeschichte anstrebte, versucht Darwin gegen den Ökonomismus zu argumentieren, der den aktuellen Globalisierungsdiskurs durchwirkt und beherrscht. Obwohl ihm postmoderner kulturwissenschaftlicher Schnickschnack durchaus fernliegt, bleibt die kulturelle Divergenz etwas an die Herrschaftsgeschichte, die in ihrem Kern Macht- und Gewaltgeschichte bleibt, Angeklebtes.
Der Begriff der Gesellschaft wird gemieden, ohne den aber die Welt unvermittelt in Wirtschaft und Kultur auseinanderfällt. So verständlich es ist, dass Darwin sich nicht in Polemiken mit dem im angloamerikanischen akademischen Raum präsenten Neomarxismus verzetteln will, so schadet es seiner eigenen Sache, dass er glaubt, historische Unterschiede und Ungleichzeitigkeiten, die sich weltweit im 19. Jahrhundert herausbildeten, ohne den Begriff der „bürgerlichen Gesellschaft“ erklären zu können. Karl Marx ist eben doch ein anderes intellektuelles Kaliber als Benjamin Constant und Jeremy Bentham, die bei ihm zu Kronzeugen des dominierenden westlichen Kapitalismus werden.
Das führt bei Darwin zu einer Aufweichung aller Begriffe – der des Imperialismus wird auf jedes Großreich seit Timurs Zeiten angewandt, sodass das Spezifische des modernen Imperialismus, der das verflossene 20. Jahrhundert prägte, verblasst.
Im Strom der allgemeinen Erzählung droht das Besondere unterzugehen. Schon der Begriff eines Westens, der Japan einschließt, kann nur mit Mühe mit einem „Reich“ verglichen werden, wie das Chinesische eines ist oder das Sowjetimperium eines war. Da Darwin eine Vorstellung von Gesellschaft fehlt, mangelt es ihm an einem Gespür für innere Widersprüche. Geradezu konstitutiv für die great divergence, die im long century (1815-1914) sich vertiefte, muss die Bildung von Nationen in der Region des Westens angesehen werden.
Nationen und Reiche vertragen sich nicht; die Nationenbildung unterminierte die dynastischen Reiche der Romanows, Habsburger, Osmanen und Hohenzollern. Im short century (1917-1989) sprengte das nation building die alten Kolonialreiche wie das Sowjetimperium; aber Nationen kommen bei Darwin nur in der Gestalt des Nationalismus, also einer Ideologie vor, von der auch keinen Begriff hat. Auf diese Weise werden die Triebkräfte der Geschichte nicht deutlich und bestimmt: Geopolitik erscheint als ein Motiv wie als eine äußere Bedingung; ethnische Konflikte werden als gegeben angenommen, obwohl unklar bleibt, was Menschen überhaupt zu Ethnien macht.
Wer von Darwins souveräner Erzählung der letzten sechshundert Jahre beeindruckt ist, muss umso mehr von der prognostischen Kraft seiner Gegenwartsanalyse enttäuscht sein. Aber manchmal ist es für das Nachdenken ganz gut, wenn man im Rausch der Diskurse einmal innehält, und den Blick zurück wendet und sich fragt, ob wirklich alles schon einmal dagewesen ist. Die richtige Antwort lernt man aus Büchern wie denen Darwins: Nein. Auf den Unterschied kommt es an. DETLEV CLAUSSEN
JOHN DARWIN: Der imperiale Traum. Die Globalgeschichte großer Reiche 1400-2000, Campus Verlag, Frankfurt/New York 2010. 544 Seiten, 25 Karten, 49,90 Euro.
Vor 200 Jahren erschien
Weltgeschichte erstmals möglich,
heute ist sie nötig
Nationenbildung unterminiert die
dynastischen Reiche der
Romanows, Habsburger, Osmanen
So werden Reiche groß, so stellte sich die Historienmalerei des 19. Jahrhunderts einen entscheidenden Augenblick der europäischen Geschichte vor: Mehmet der Zweite (1432-1481) beim Einzug in Konstantinopel. Foto: akg-images
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Nicht alles ist schon mal dagewesen: In einem monumentalen Werk erzählt John Darwin vom Schicksal großer Reiche
Wer sich gerne Weltgeschichte erzählen lässt, dem ist mit John Darwins monumentalem Werk „Der imperiale Traum“ gut gedient. In bestem englischen Erzählstil werden einem auf knapp sechshundert Seiten die letzten sechshundert Jahre bis in die jüngste Vergangenheit vorgeführt – in der allerbesten Absicht, die Gegenwart verständlicher zu machen. Man kann sich nur verneigen vor einer Gelehrsamkeit und Belesenheit, wie sie an den Spitzenakademien von Oxbridge gepflegt wird, ohne sich dünkelhaft über den Rest der wissenschaftlichen Welt erhaben zu fühlen. Anregungen aus allen Winkeln der Welt werden aufgegriffen und produktiv verarbeitet; aber das ist auch nötig, um einen Überblick bei rastlosen Perspektivwechseln zu wagen.
Eine Weltgeschichte lässt sich heute nicht mehr ernsthaft aus der Sicht eines Columbus oder Vasco da Gama erzählen, die für die Europäer die Welt „entdeckten“. Schon der alte Lichtenberg forderte zur Zeit der Aufklärung einen Perspektivwechsel zu denen, die den Columbus entdeckten. John Darwin gelingt noch mehr, er schildert die Welt auch aus der Sicht derer, denen Columbus unbekannt und Vasco da Gama gleichgültig blieb: Chinesen, Japaner, Inder. Darwins historisches Panoramawerk zeigt, dass dem Eurozentrismus in den Sozialwissenschaften die letzte Stunde geschlagen hat.
Dennoch liegt der Focus dieser Weltgeschichte auf Eurasien, weil sie die entscheidende Frage klären will, wie und wann es zu einer Kluft, zur great divergence, zwischen dem Westen und dem Rest der Welt gekommen ist. Dahinter lauert die nächste Frage, ob nicht der Anfang vom Ende der westlichen Dominanz nicht schon begonnen hat. An diesem Punkt zeigt sich, dass die Auseinandersetzungen an den westlichen Akademien um die „Subaltern Studies“ und der von Edward Said ausgehenden Orientalismuskritik Früchte trägt. Die Meistererzählung vom prometheischen Westen, der eine stagnierende Umwelt berührte und mit dem dynamischen Fortschrittsvirus infizierte, lässt sich ebenso wenig glaubhaft vorbringen, wie die Knechtschaftsgeschichte von Ausbeutung und Elend, in der ein böses westliches System den Rest der Welt als willenloses Objekt die letzten fünfhundert Jahre be- und misshandelte. Liest man Werke wie die Darwins, wird einem die Aktualität und konkrete Bedeutung von Hegels großsprecherisch klingendem Satz „Das Ganze ist das Wahre“ bewusst: Weltgeschichte erschien vor gut zweihundert Jahren erstmals möglich, heute ist sie nötig.
In der akademischen Arbeitsteilung von heute nennt man Darwins Unternehmen Makrogeschichte, in deren Schatten viele Mikrogeschichten sich tummeln können. Diese zur Kenntnis zu nehmen und sie für die „große Geschichte“ fruchtbar zu machen, ist ein nicht nur zeitaufwendiges, sondern ein schwieriges Unterfangen. Geschieht dies nicht, droht ein Rückfall in Herrschaftsgeschichte, die das profane Geschehen am Boden von oben wahrnimmt.
Die Focussierung seines Interesses auf die „großen Reiche“ bringt Darwin oft in eine gefährliche Nähe zu einer traditionellen Sicht von Haupt- und Staatsaktionen. Ständig betont er das Neue seiner Sichtweise; aber das geschmähte Alte erscheint fast nur noch in karikaturhafter Form. Ein gemäßigter posttotalitärer Liberalismus, keineswegs ein kämpferischer Neoliberalismus, gibt bei Darwin den Ton an; alles liest sich angenehm und regt zum Nachdenken an.
Darwin schwelgt im ungeheuren empirischen Material, er überblickt die Forschung, ob es um den Nahen oder Fernen Osten, Nord- oder Südamerika geht; aber er zeigt eine Sprödigkeit gegen jeden wirklichen theoretischen Gedanken. Seine Weltgeschichte bleibt im Beschreiben stecken.
So gut sich das Buch liest; der Fortschritt in der Erkenntnis ist – nach einem Wort Nestroys – nur halb so groß, wie er zunächst ausschaut. Ganz in der Tradition Max Webers, der auch eine Universalgeschichte anstrebte, versucht Darwin gegen den Ökonomismus zu argumentieren, der den aktuellen Globalisierungsdiskurs durchwirkt und beherrscht. Obwohl ihm postmoderner kulturwissenschaftlicher Schnickschnack durchaus fernliegt, bleibt die kulturelle Divergenz etwas an die Herrschaftsgeschichte, die in ihrem Kern Macht- und Gewaltgeschichte bleibt, Angeklebtes.
Der Begriff der Gesellschaft wird gemieden, ohne den aber die Welt unvermittelt in Wirtschaft und Kultur auseinanderfällt. So verständlich es ist, dass Darwin sich nicht in Polemiken mit dem im angloamerikanischen akademischen Raum präsenten Neomarxismus verzetteln will, so schadet es seiner eigenen Sache, dass er glaubt, historische Unterschiede und Ungleichzeitigkeiten, die sich weltweit im 19. Jahrhundert herausbildeten, ohne den Begriff der „bürgerlichen Gesellschaft“ erklären zu können. Karl Marx ist eben doch ein anderes intellektuelles Kaliber als Benjamin Constant und Jeremy Bentham, die bei ihm zu Kronzeugen des dominierenden westlichen Kapitalismus werden.
Das führt bei Darwin zu einer Aufweichung aller Begriffe – der des Imperialismus wird auf jedes Großreich seit Timurs Zeiten angewandt, sodass das Spezifische des modernen Imperialismus, der das verflossene 20. Jahrhundert prägte, verblasst.
Im Strom der allgemeinen Erzählung droht das Besondere unterzugehen. Schon der Begriff eines Westens, der Japan einschließt, kann nur mit Mühe mit einem „Reich“ verglichen werden, wie das Chinesische eines ist oder das Sowjetimperium eines war. Da Darwin eine Vorstellung von Gesellschaft fehlt, mangelt es ihm an einem Gespür für innere Widersprüche. Geradezu konstitutiv für die great divergence, die im long century (1815-1914) sich vertiefte, muss die Bildung von Nationen in der Region des Westens angesehen werden.
Nationen und Reiche vertragen sich nicht; die Nationenbildung unterminierte die dynastischen Reiche der Romanows, Habsburger, Osmanen und Hohenzollern. Im short century (1917-1989) sprengte das nation building die alten Kolonialreiche wie das Sowjetimperium; aber Nationen kommen bei Darwin nur in der Gestalt des Nationalismus, also einer Ideologie vor, von der auch keinen Begriff hat. Auf diese Weise werden die Triebkräfte der Geschichte nicht deutlich und bestimmt: Geopolitik erscheint als ein Motiv wie als eine äußere Bedingung; ethnische Konflikte werden als gegeben angenommen, obwohl unklar bleibt, was Menschen überhaupt zu Ethnien macht.
Wer von Darwins souveräner Erzählung der letzten sechshundert Jahre beeindruckt ist, muss umso mehr von der prognostischen Kraft seiner Gegenwartsanalyse enttäuscht sein. Aber manchmal ist es für das Nachdenken ganz gut, wenn man im Rausch der Diskurse einmal innehält, und den Blick zurück wendet und sich fragt, ob wirklich alles schon einmal dagewesen ist. Die richtige Antwort lernt man aus Büchern wie denen Darwins: Nein. Auf den Unterschied kommt es an. DETLEV CLAUSSEN
JOHN DARWIN: Der imperiale Traum. Die Globalgeschichte großer Reiche 1400-2000, Campus Verlag, Frankfurt/New York 2010. 544 Seiten, 25 Karten, 49,90 Euro.
Vor 200 Jahren erschien
Weltgeschichte erstmals möglich,
heute ist sie nötig
Nationenbildung unterminiert die
dynastischen Reiche der
Romanows, Habsburger, Osmanen
So werden Reiche groß, so stellte sich die Historienmalerei des 19. Jahrhunderts einen entscheidenden Augenblick der europäischen Geschichte vor: Mehmet der Zweite (1432-1481) beim Einzug in Konstantinopel. Foto: akg-images
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