The only one-volume hardcover edition of the two uncommonly powerful novels written by the youngest of the famous Brontë sisters. Anne Brontë wrote these two fantastically successful novels just before her tragically early death, both of them in a much more grittily realistic mode than the more romantic ones favored by her sisters. Agnes Grey, the story of a governess working for disdainful and cruel employers, is a wrenching account of the desperate straits faced by Victorian women without money or husband. The Tenant of Wildfell Hall tells a story that was shocking for its time: a woman leaves her alcoholic and abusive husband in order to protect their young son and must live in hiding to prevent the law from taking her child away from her. These novels have become classics not only by dint of the subtle and ironic force of Anne Brontë's prose but because of the passionate indictments of social injustice that animate them.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.02.2013Wenn die Zofe nullmal klingelt
„Agnes Grey“, der schmerzliche Gouvernantenroman der jüngsten Brontë-Schwester Anne, in einer neuen deutschen Übersetzung
Die junge Gouvernante, die ihre Stelle in Horton Lodge antritt, bezieht ihr Zimmer. Dabei kommt es zu folgender Szene: „Als ich nun feststellen musste, dass man mir keines meiner Gepäckstücke heraufgebracht hatte, machte ich mich auf die Suche nach der Klingel; nachdem ich jeden Winkel meines Zimmers vergebens nach einer solchen Annehmlichkeit durchsucht hatte, nahm ich die Kerze und wagte es, über den langen Flur und die steile Treppe hinab auf Entdeckungsreise zu gehen. Als mir dabei ein gut gekleidetes weibliches Wesen über den Weg lief, erklärte ich ihr mein Begehr, wenn auch nicht ohne einiges Zögern, denn ich war nicht ganz sicher, ob ich es nun mit einer bessergestellten Bediensteten zu tun hatte oder mit Mrs. Murray persönlich. Es stellte sich jedoch heraus, dass sie ihre Zofe war. Mit einer Miene, als erfülle sie mir einen höchst ungewöhnlichen Wunsch, ließ sie sich zu dem Versprechen herab, mir meine Sachen heraufschicken zu lassen (. . .).“
Nicht etwa nach einer, sondern nach der Klingel sucht Agnes Grey, die Heldin des gleichnamigen Romans; denn dass ihr eine solche zusteht, daran hegt sie keinen Zweifel. Gehört sie nicht, da ihr die Erziehung der Kinder obliegt, zur Familie? Doch wird sie unverzüglich darüber belehrt, dass ihr Platz bei den Domestiken ist, bei den Leuten am anderen Ende der Klingel also – eine überaus schmerzliche Erfahrung. Wer sich in der Gesellschaft des frühviktorianischen England derart in seiner Klassenstellung vertut, dem stehen unausweichlich Leiden bevor. Agnes soll sich bei Kindern Respekt verschaffen, von deren Eltern, mondänen Damen und fuchsjagenden rotgesichtigen Landjunkern wird sie verachtet: Das kann nicht gutgehen. Die Kleinen tanzen ihr auf der Nase herum, und ihr bleibt nichts, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
Die Autorin Anne Brontë wusste, wovon sie sprach, hatte sie doch in ihrem kurzen Leben (sie starb 1849 an der Schwindsucht, noch nicht dreißig Jahre alt) den Kelch des Gouvernantentums bis zur Neige gekostet. Sie war die jüngste und ist bis heute die unbekannteste der drei Brontës, der „taubengrauen Schwestern“, wie Arno Schmidt sie nannte. Aber musste sie ihre Heldin dazu noch „Grey“, also Grau nennen und obendrein „Agnes“? Da steckt lateinisch agnus drin, das Opferlamm, Martyrien scheinen programmiert. Und so tendiert ihr Ton, trotz steifer Oberlippe, zur sentimentalen Gekränktheit.
Der relativ enge Blickwinkel seiner Erzählerin schränkt die Perspektive des Romans ein; er hat erbauliche Längen und ein ziemlich aufgesetztes Happy-End (Agnes kriegt einen frommen Pfarrer). Doch macht ihn gerade seine geringe Distanz zum bemerkenswerten Dokument seiner Epoche, der Zeit um 1840. Fährt Agnes zu ihrem ersten Arbeitsplatz noch mit der Postkutsche, so zum zweiten schon in der Eisenbahn. Und sobald nicht sie selbst das Wort führt, sondern ihre aufsässigen Zöglinge, beweist der Roman feine Beobachtung und gewinnt Lebendigkeit, namentlich in den Dialogen. Am stärksten wirkt Rosalie, die dem Einfluss ihrer Gouvernante früh entwächst, eine Figur von beeindruckender literarischer (wenn auch nicht moralischer) Charakterstärke; sie ermutigt einen Bewerber um ihre Hand, nur um ihn dann desto exquisiter zu demütigen – und als sie am Ziel ihrer Wünsche ist, der guten Partie, muss sie erkennen, was für ein trauriges Schicksal das bedeutet.
Nicht ganz leicht geht der Ton dieses Buches ins Deutsche hinüber. Agnes weiß sich im Besitz zweier Eigenschaften, die sie über das Niveau ihrer Dienstherrschaft erheben, der Bildung und der Tugend. Diese muss sie, ihrer heiklen sozialen Position entsprechend, zugleich betonen und verbergen, was sich im Original, bei besagter misslingender Klingelszene, so anhört: „(. . .) but finding that none of my luggage was brought up, I instituted a search for the bell“. Michaela Meßner übersetzt es akkurat und allenfalls ein wenig umständlich ind Deutsche. Aber mit welcher Notwendigkeit jemand, der so elaboriert spricht, unglücklich werden muss – diese Nuancen bleiben auf der Strecke.
BURKHARD MÜLLER
Gerade seine Distanzlosigkeit
macht das Buch zu einem
bemerkenswerten Zeit-Dokument
Anne Brontë: Agnes Grey. Roman. Aus dem Englischen von Michaela Meßner. dtv, München 2012. 320 Seiten,
8,90 Euro.
Anne Brontë (1820-1849), gemalt von ihrem Bruder Patrick Branwell Brontë.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
„Agnes Grey“, der schmerzliche Gouvernantenroman der jüngsten Brontë-Schwester Anne, in einer neuen deutschen Übersetzung
Die junge Gouvernante, die ihre Stelle in Horton Lodge antritt, bezieht ihr Zimmer. Dabei kommt es zu folgender Szene: „Als ich nun feststellen musste, dass man mir keines meiner Gepäckstücke heraufgebracht hatte, machte ich mich auf die Suche nach der Klingel; nachdem ich jeden Winkel meines Zimmers vergebens nach einer solchen Annehmlichkeit durchsucht hatte, nahm ich die Kerze und wagte es, über den langen Flur und die steile Treppe hinab auf Entdeckungsreise zu gehen. Als mir dabei ein gut gekleidetes weibliches Wesen über den Weg lief, erklärte ich ihr mein Begehr, wenn auch nicht ohne einiges Zögern, denn ich war nicht ganz sicher, ob ich es nun mit einer bessergestellten Bediensteten zu tun hatte oder mit Mrs. Murray persönlich. Es stellte sich jedoch heraus, dass sie ihre Zofe war. Mit einer Miene, als erfülle sie mir einen höchst ungewöhnlichen Wunsch, ließ sie sich zu dem Versprechen herab, mir meine Sachen heraufschicken zu lassen (. . .).“
Nicht etwa nach einer, sondern nach der Klingel sucht Agnes Grey, die Heldin des gleichnamigen Romans; denn dass ihr eine solche zusteht, daran hegt sie keinen Zweifel. Gehört sie nicht, da ihr die Erziehung der Kinder obliegt, zur Familie? Doch wird sie unverzüglich darüber belehrt, dass ihr Platz bei den Domestiken ist, bei den Leuten am anderen Ende der Klingel also – eine überaus schmerzliche Erfahrung. Wer sich in der Gesellschaft des frühviktorianischen England derart in seiner Klassenstellung vertut, dem stehen unausweichlich Leiden bevor. Agnes soll sich bei Kindern Respekt verschaffen, von deren Eltern, mondänen Damen und fuchsjagenden rotgesichtigen Landjunkern wird sie verachtet: Das kann nicht gutgehen. Die Kleinen tanzen ihr auf der Nase herum, und ihr bleibt nichts, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
Die Autorin Anne Brontë wusste, wovon sie sprach, hatte sie doch in ihrem kurzen Leben (sie starb 1849 an der Schwindsucht, noch nicht dreißig Jahre alt) den Kelch des Gouvernantentums bis zur Neige gekostet. Sie war die jüngste und ist bis heute die unbekannteste der drei Brontës, der „taubengrauen Schwestern“, wie Arno Schmidt sie nannte. Aber musste sie ihre Heldin dazu noch „Grey“, also Grau nennen und obendrein „Agnes“? Da steckt lateinisch agnus drin, das Opferlamm, Martyrien scheinen programmiert. Und so tendiert ihr Ton, trotz steifer Oberlippe, zur sentimentalen Gekränktheit.
Der relativ enge Blickwinkel seiner Erzählerin schränkt die Perspektive des Romans ein; er hat erbauliche Längen und ein ziemlich aufgesetztes Happy-End (Agnes kriegt einen frommen Pfarrer). Doch macht ihn gerade seine geringe Distanz zum bemerkenswerten Dokument seiner Epoche, der Zeit um 1840. Fährt Agnes zu ihrem ersten Arbeitsplatz noch mit der Postkutsche, so zum zweiten schon in der Eisenbahn. Und sobald nicht sie selbst das Wort führt, sondern ihre aufsässigen Zöglinge, beweist der Roman feine Beobachtung und gewinnt Lebendigkeit, namentlich in den Dialogen. Am stärksten wirkt Rosalie, die dem Einfluss ihrer Gouvernante früh entwächst, eine Figur von beeindruckender literarischer (wenn auch nicht moralischer) Charakterstärke; sie ermutigt einen Bewerber um ihre Hand, nur um ihn dann desto exquisiter zu demütigen – und als sie am Ziel ihrer Wünsche ist, der guten Partie, muss sie erkennen, was für ein trauriges Schicksal das bedeutet.
Nicht ganz leicht geht der Ton dieses Buches ins Deutsche hinüber. Agnes weiß sich im Besitz zweier Eigenschaften, die sie über das Niveau ihrer Dienstherrschaft erheben, der Bildung und der Tugend. Diese muss sie, ihrer heiklen sozialen Position entsprechend, zugleich betonen und verbergen, was sich im Original, bei besagter misslingender Klingelszene, so anhört: „(. . .) but finding that none of my luggage was brought up, I instituted a search for the bell“. Michaela Meßner übersetzt es akkurat und allenfalls ein wenig umständlich ind Deutsche. Aber mit welcher Notwendigkeit jemand, der so elaboriert spricht, unglücklich werden muss – diese Nuancen bleiben auf der Strecke.
BURKHARD MÜLLER
Gerade seine Distanzlosigkeit
macht das Buch zu einem
bemerkenswerten Zeit-Dokument
Anne Brontë: Agnes Grey. Roman. Aus dem Englischen von Michaela Meßner. dtv, München 2012. 320 Seiten,
8,90 Euro.
Anne Brontë (1820-1849), gemalt von ihrem Bruder Patrick Branwell Brontë.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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