Von einem Babysitterjob zum nächsten wird Agnes von ihrer Agentur geschickt. Dabei begegnet sie den verrücktesten Familienverhältnissen und den skurrilsten Kindern. Windel und Schnuller, Kinderfeste und Schwimmbadbesuche - staunend beobachtet Agnes die ihr manchmal ganz fremden Welten. Da verliebt sie sich in den rätselhaften Mustafa, mit dem sie ein Verhältnis voller Nähe, Lust und Leidenschaft beginnt. Doch dann gerät Mustafa ernsthaft in Gefahr, und Agnes wird in seine undurchsichtigen Geschäfte hineingezogen ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2001Heldentum? Feige Flucht?
Problematische Parabel: Silvia Szymanski leidet an der Liebe
Wenn es in Silvia Szymanskis Büchern hinter den offensichtlichen Handlungen um etwas Allgemeineres geht, dann immer gleich um das Leben, das heutige Leben in den Worten derer, die durch es hindurch müssen. Eröffnet uns dann Agnes Sobierajski, die Ich-Erzählerin und Titelheldin von Silvia Szymanskis neuem Roman, schon auf der zweiten Seite, das Leben sei "ein Roman, und zwar ein guter! Man ist nur Banause!", so stellt sich eine gewisse Erwartung ein. Nach der Lektüre aber muß man leider feststellen, daß die Autorin im Erzählen das Leben gegen eine Räuberpistole vertauscht hat.
Dabei fängt alles sehr vielversprechend an, bevor die banale deutsche Alltagswelt der westdeutschen Provinz mit dem abenteuerlichen Leben der balkanisierten Welt draußen vor der Tür konfrontiert wird. Die erste Welt kennen wir bereits aus Szymanskis früheren Büchern "Chemische Reinigung" und "Kein Sex mit Mike", und bei dem Talent der Autorin, ihrer Erzählerin eine unverwechselbare Sprache und Wahrnehmung zu verleihen, hätte diese Welt sicher wieder den Hintergrund für einen guten Roman aus den Niederungen der Poprepublik Deutschland ergeben. Doch weil der Autorin das nicht genügt, weil sie mehr will, bleibt am Ende nicht nur Agnes unbefriedigt, sondern auch der Leser.
Diese Agnes kennt ihre Heimatstadt von innen wie von außen, denn sie ist professioneller Babysitter. Ihren Job erlebt sie vor allem als ungewollten Einbruch des Allzumenschlichen in ihre geistige Intimsphäre. Entwaffnet von der unbekümmerten Offenheit der Kinder rennt sie in das offene Messer der Wirklichkeit. Die Begegnungen mit den sich gegenseitig bedingenden Neurosen von Kindern und Eltern - und Agnes' innere Kommentare - stellen die erzählerischen Höhepunkte des Romans dar.
Leider werden sie schon bald an den Rand gedrängt, denn Agnes lernt Mustafa kennen, den fremdländischen Bilderbuchmacho mit dem jungenhaften Charme, dem sie in kürzester Zeit hilflos verfällt. Obwohl Mustafa deutlich macht, daß es ihm nur um schnellen Sex geht, richtet sich Agnes mit Beharrlichkeit und Unterwerfung in seinem Leben ein. Anfänglich gibt es noch ein paar Querelen, sie hat Angst vor Aids, er mag keine Kondome, schließlich macht man den Test und er kriegt seinen Willen. Was als aufregende multikulturelle Affäre begann, verwandelt sich ziemlich schnell in eine banale Beziehungskiste. Doch war es das, worüber Silvia Szymanski schreiben wollte?
Denn während die Beziehung alltäglich wird, übernimmt eine neue und dunkle Bedrohung die Regie. Mustafa, so erfahren wir hauptsächlich aus seinen eigenen Anspielungen, ist ein aus der Heimat Vertriebener, und die ungenannten Feinde, die ihm bis in sein deutsches Asyl nachstellen, verhindern das Happy-End zu zweit. Ob das allerdings wahr ist und worum es wirklich geht, erfährt weder Agnes noch der Leser. Dessen Vermutungen pendeln irgendwo zwischen einem fremden Geheimdienst, der den heroischen Dissidenten im Ausland zum Schweigen bringen will, den Mitgliedern eines verfeindeten Familienclans, deren Ehre Mustafa geschändet hat, oder den bezahlten Schlägern eines Drogenringes, die das Geld für den letzten Deal eintreiben wollen. Nicht ganz von der Hand zu weisen ist allerdings auch die am wenigsten romantische Deutung: Die Gefahr ist eine Erfindung Mustafas, um sich so leichter aus der Affäre Agnes ziehen zu können. Dafür spricht die Tatsache, daß er am Ende verschwunden ist - und mit ihm Agnes' Familienerbe.
Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Leser schon mehrfach den Drang verspürt, die Protagonistin aus ihrer Verfallenheit herauszuschütteln, die sie jede geistige und sexuelle Demütigung durch ihren Geliebten gleichmütig ertragen läßt. Auch wenn Silvia Szymanski sich alle Mühe gibt, die Faszination ihrer Heldin für das verbotene Andere und für die Unterwerfung überzeugend darzustellen, bleiben Zweifel an der Figur, wenn man sie nicht lediglich als komplementäres Klischee zu Mustafa lesen möchte, wofür sie aber zu viel Eigenleben besitzt.
Unabhängig von der Plausibilität der Geschichte bleibt der Leser am Ende mit der unbeantworteten Frage nach der tieferen Botschaft des Romans zurück. Durch die Hintertür ist dieser zu einer zweifelhaften Parabel über männliche Ausländer in Deutschland geworden. Frauen geraten nicht in das Blickfeld der Titelheldin, während ihr an jeder Ecke dunkelhäutige schnurrbärtige Männer nachsehen und Gaststudenten sie praktisch von der Straße weg verführen wollen. Zusammen mit den Erniedrigungen und dem abschließenden Verrat durch Mustafa ergibt dies alles ein Bild, das auf frappierende Weise dem altbekannten mütterlichen Rat vor dem "bösen fremden Mann" ähnelt.
SEBASTIAN DOMSCH
Silvia Szymanski: "Agnes Sobierajski". Roman. Verlag Hoffman und Campe, Hamburg 2000. 240 S., geb., 34,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Problematische Parabel: Silvia Szymanski leidet an der Liebe
Wenn es in Silvia Szymanskis Büchern hinter den offensichtlichen Handlungen um etwas Allgemeineres geht, dann immer gleich um das Leben, das heutige Leben in den Worten derer, die durch es hindurch müssen. Eröffnet uns dann Agnes Sobierajski, die Ich-Erzählerin und Titelheldin von Silvia Szymanskis neuem Roman, schon auf der zweiten Seite, das Leben sei "ein Roman, und zwar ein guter! Man ist nur Banause!", so stellt sich eine gewisse Erwartung ein. Nach der Lektüre aber muß man leider feststellen, daß die Autorin im Erzählen das Leben gegen eine Räuberpistole vertauscht hat.
Dabei fängt alles sehr vielversprechend an, bevor die banale deutsche Alltagswelt der westdeutschen Provinz mit dem abenteuerlichen Leben der balkanisierten Welt draußen vor der Tür konfrontiert wird. Die erste Welt kennen wir bereits aus Szymanskis früheren Büchern "Chemische Reinigung" und "Kein Sex mit Mike", und bei dem Talent der Autorin, ihrer Erzählerin eine unverwechselbare Sprache und Wahrnehmung zu verleihen, hätte diese Welt sicher wieder den Hintergrund für einen guten Roman aus den Niederungen der Poprepublik Deutschland ergeben. Doch weil der Autorin das nicht genügt, weil sie mehr will, bleibt am Ende nicht nur Agnes unbefriedigt, sondern auch der Leser.
Diese Agnes kennt ihre Heimatstadt von innen wie von außen, denn sie ist professioneller Babysitter. Ihren Job erlebt sie vor allem als ungewollten Einbruch des Allzumenschlichen in ihre geistige Intimsphäre. Entwaffnet von der unbekümmerten Offenheit der Kinder rennt sie in das offene Messer der Wirklichkeit. Die Begegnungen mit den sich gegenseitig bedingenden Neurosen von Kindern und Eltern - und Agnes' innere Kommentare - stellen die erzählerischen Höhepunkte des Romans dar.
Leider werden sie schon bald an den Rand gedrängt, denn Agnes lernt Mustafa kennen, den fremdländischen Bilderbuchmacho mit dem jungenhaften Charme, dem sie in kürzester Zeit hilflos verfällt. Obwohl Mustafa deutlich macht, daß es ihm nur um schnellen Sex geht, richtet sich Agnes mit Beharrlichkeit und Unterwerfung in seinem Leben ein. Anfänglich gibt es noch ein paar Querelen, sie hat Angst vor Aids, er mag keine Kondome, schließlich macht man den Test und er kriegt seinen Willen. Was als aufregende multikulturelle Affäre begann, verwandelt sich ziemlich schnell in eine banale Beziehungskiste. Doch war es das, worüber Silvia Szymanski schreiben wollte?
Denn während die Beziehung alltäglich wird, übernimmt eine neue und dunkle Bedrohung die Regie. Mustafa, so erfahren wir hauptsächlich aus seinen eigenen Anspielungen, ist ein aus der Heimat Vertriebener, und die ungenannten Feinde, die ihm bis in sein deutsches Asyl nachstellen, verhindern das Happy-End zu zweit. Ob das allerdings wahr ist und worum es wirklich geht, erfährt weder Agnes noch der Leser. Dessen Vermutungen pendeln irgendwo zwischen einem fremden Geheimdienst, der den heroischen Dissidenten im Ausland zum Schweigen bringen will, den Mitgliedern eines verfeindeten Familienclans, deren Ehre Mustafa geschändet hat, oder den bezahlten Schlägern eines Drogenringes, die das Geld für den letzten Deal eintreiben wollen. Nicht ganz von der Hand zu weisen ist allerdings auch die am wenigsten romantische Deutung: Die Gefahr ist eine Erfindung Mustafas, um sich so leichter aus der Affäre Agnes ziehen zu können. Dafür spricht die Tatsache, daß er am Ende verschwunden ist - und mit ihm Agnes' Familienerbe.
Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Leser schon mehrfach den Drang verspürt, die Protagonistin aus ihrer Verfallenheit herauszuschütteln, die sie jede geistige und sexuelle Demütigung durch ihren Geliebten gleichmütig ertragen läßt. Auch wenn Silvia Szymanski sich alle Mühe gibt, die Faszination ihrer Heldin für das verbotene Andere und für die Unterwerfung überzeugend darzustellen, bleiben Zweifel an der Figur, wenn man sie nicht lediglich als komplementäres Klischee zu Mustafa lesen möchte, wofür sie aber zu viel Eigenleben besitzt.
Unabhängig von der Plausibilität der Geschichte bleibt der Leser am Ende mit der unbeantworteten Frage nach der tieferen Botschaft des Romans zurück. Durch die Hintertür ist dieser zu einer zweifelhaften Parabel über männliche Ausländer in Deutschland geworden. Frauen geraten nicht in das Blickfeld der Titelheldin, während ihr an jeder Ecke dunkelhäutige schnurrbärtige Männer nachsehen und Gaststudenten sie praktisch von der Straße weg verführen wollen. Zusammen mit den Erniedrigungen und dem abschließenden Verrat durch Mustafa ergibt dies alles ein Bild, das auf frappierende Weise dem altbekannten mütterlichen Rat vor dem "bösen fremden Mann" ähnelt.
SEBASTIAN DOMSCH
Silvia Szymanski: "Agnes Sobierajski". Roman. Verlag Hoffman und Campe, Hamburg 2000. 240 S., geb., 34,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Der Roman ist ein funkelndes Stück Prosa: voller Gegenwart, auch Geistesgegenwart. Vergeßt den Großstadtroman! Hier, in der Provinz, ist genug über das Leben zu erfahren." (Volker Hage, Der Spiegel)