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Produktdetails
  • Reclam Bibliothek Bd.1538
  • Verlag: Reclam, Leipzig
  • 1995.
  • Deutsch
  • Abmessung: 185mm
  • Gewicht: 202g
  • ISBN-13: 9783379015387
  • ISBN-10: 3379015385
  • Artikelnr.: 05991756
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Autorenporträt
Privatdozent Dr. Robert Stockhammer lehrt am Fachbereich Germanistik der FU Berlin und ist Komparatist.
Rezensionen
Die literarische Interpretation steht im engsten Zusammenhang mit aktueller philosophischer, kulturkritischer und ideologiekritischer Diskussion. Ashaver zu deuten, das gleicht auch einer Erkundung des dunklen Kontinents im Menschen - ein langer Weg, der Aufhellung durch eine vielfältige Darstellung im Lesebuch erfährt; Vorwissen und ein Sichversenken sind bei dieser Lektüre Voraussetzung. Ostthüringer Zeitung

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.1995

Lauter Irrfahrten
Das Ahasver-Motiv, gesammelt

"Geradezu entsetzlich" ist er anzuschauen, der Patient namens Klein, der im Dezember 1888 in die Pariser Salpêtrière einfährt, nachdem er monatelang zu Fuß durch Europa gezogen war: "Zerlumpt, schmutzig, bleich, abgemagert, zu Tode ermattet und seiner Sinne kaum mächtig, bot er das herzzerreißende Bild des tiefsten Elends. Seine Füsse waren blutunterlaufen, so daß er mehrere Tage nicht wagen konnte, das Bett zu verlassen", erinnert sich sein Arzt Jean Martin Charcot. Die Symptome des Kranken - Lähmungen, Spasmen und starke Gliederschmerzen - lassen den berühmten Neurologen auf Hysterie schließen, hervorgerufen durch "heftige Gemüthsbewegungen" in der Familiengeschichte des jungen Juden. In den Jargon der medizinischen Diagnostik aber mischt sich ein mythologisches Element, denn Klein ist mehr als ein gewöhnlicher Patient, er ist, so Charcot, der "echte Sprößling von Ahasver".

Die Maske des Vaters des Hysterikers ist eine der späteren Rollen, die der "Ewige Jude" in den west- und mitteleuropäischen imaginaires sociaux bekleidete. Bis er schließlich in Charcots Salpêtrière gerät, hat er einen langen Weg durch die in "Volksbüchern" gedruckten und auf Wochenmärkten erzählten Textwelten der frühen und späteren Neuzeit hinter sich. Als ersten trifft er im Jahr 1542 einen Schüler Martin Luthers, Paulus von Eitzen, dem die langhaarige, "barfüßige" und notdürftig gekleidete Person in Hamburg ihre Geschichte verrät. Weil er den "Herrn Christus unter seinem Creutz" auf dem Weg nach Golgatha von seiner Schwelle gewiesen habe, sagt Ahasver, der von Beruf ausgerechnet Schuster ist, sei er verflucht, bis an das Ende der Zeiten zu laufen und nicht zu ruhen und nicht zu altern. So aus Zeit und Heimat verbannt, warte er in Ungeduld auf den Tag des Jüngsten Gerichts, betrachte den Flug der Zeit, lerne die Sprachen der durchreisten Länder, sogar Sächsisch, und sei überhaupt ein Zeuge der Wundertätigkeit des "Herrn".

Die Sammlung von Mona Körte und Robert Stockhammer ist ein kleiner Führer zu einigen Textorten der noch viel längeren ahasverischen Irrfahrt zwischen Hamburg und Paris, ein Dokument der "Lebzähigkeit" (Karl Gutzkow) eines literarischen Motivs. Der "Ewige Jude" taucht auf bei Johann Jacob Schudt, schaut bei Goethe herein, unterhält sich im Hauffschen Berlin mit dem Satan, inspiriert Wordsworth und Shelley, Chamisso und Börne, und auch Schopenhauer, Mynona und andere nichtjüdische und jüdische Autoren bis hin zu Stefan Heym sucht er auf oder heim, je nach dem.

Ohne festen Ort und eigene Zeit spiegeln sich in ihm die Zeiten und Länder, die er bereist. Sinnfällige Metapher für die jüdische Diaspora, dient er mäßigen Poeten dazu, das Bedürfnis nach Kitsch zu befriedigen, Antisemiten zur Propaganda und ihren Opfern zur emphatischen Beschwörung des jüdischen Fatums. In ihrem kurzen Nachwort zeigen die Herausgeber, wie das Antlitz des literarischen Ahasver die reale Gewalt gegen die jüdische Gruppe reflektiert. "Das Wandern", schreibt Joseph Roth 1934, angesichts seiner deutschen Zeitgenossen für eine Moderne der Entwurzelung plädierend, "das Wandern ist kein Fluch, sondern ein Segen." HANS-JOACHIM NEUBAUER

Mona Körte und Robert Stockhammer (Hrsg.): "Ahasvers Spur". Dichtungen und Dokumente vom "Ewigen Juden". Reclam-Verlag, Leipzig 1995. 253 S., br., 22,- DM.

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