Eine bewegende Lebensgeschichte erzählt von der Tochter
1972 kommt der junge Ahmadjan aus Afghanistan nach Deutschland, um Künstler zu werden. Was folgt, ist eine bunte Irrfahrt; ein bewegtes Leben zwischen Kunst und Krieg, Heimat und Neuanfang, Flucht und Verantwortung, immer auf der Suche nach dem Glück.
Seine beeindruckende Biografie erzählt Ahmadjans Tochter Maren Amini in ihrer Graphic Novel entlang der alten persischen Sage der »Konferenz der Vögel« von Fariduddin Attar. Sie zeigt darin auch die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Identität und der Geschichte Afganistans, einfühlsam, humorvoll und mit leichtem Strich.
Maren Aminis mit Spannung erwartetes Debüt »Ahmadjan und der Wiedehopf« wurde 2023 mit dem Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung ausgezeichnet.
1972 kommt der junge Ahmadjan aus Afghanistan nach Deutschland, um Künstler zu werden. Was folgt, ist eine bunte Irrfahrt; ein bewegtes Leben zwischen Kunst und Krieg, Heimat und Neuanfang, Flucht und Verantwortung, immer auf der Suche nach dem Glück.
Seine beeindruckende Biografie erzählt Ahmadjans Tochter Maren Amini in ihrer Graphic Novel entlang der alten persischen Sage der »Konferenz der Vögel« von Fariduddin Attar. Sie zeigt darin auch die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Identität und der Geschichte Afganistans, einfühlsam, humorvoll und mit leichtem Strich.
Maren Aminis mit Spannung erwartetes Debüt »Ahmadjan und der Wiedehopf« wurde 2023 mit dem Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung ausgezeichnet.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.10.2024Die Stimme
der Hoffnung
Maren Aminis melancholischer
Comic über die
Migration ihres Vaters.
Ein Comic, dessen Zeichnungen an die des großen Jean-Jacques Sempé erinnern, kann auf keinen Fall schlecht sein. Die von Melancholie durchdrungene Freundlichkeit, mit der Sempé auf seine Figuren blickt, findet sich auch in Maren Aminis Graphic-Novel-Debüt, ebenso die sparsam-präzisen Striche. Es braucht nicht viel, um eine Figur, ihren Gemütszustand, die Stimmung in einem historischen Moment zu charakterisieren.
Dass Amini ihr Handwerk versteht, hat die Cartoonistin und Illustratorin längst bewiesen, sie hat Cover für die Zeit und den Spiegel gestaltet, kurze Bilderzählungen sind in Comic-Anthologien erschienen. „Ahmadjan und der Wiedehopf“ ist ihr Graphic-Novel-Debüt, für das sie im vergangenen Jahr den renommierten Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung bekam. Für das Buch hat sie sich mit ihrem Vater zusammengetan, erzählt dessen bewegte Lebensgeschichte nach: zwischen dem Pandschir-Tal, wo er in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs; Kabul, wo er Hippies und die Kultur des Westens kennenlernte; und Hamburg, wo er eine Familie gründete.
Ahmadjans Lebensreise verbindet das Buch mit dem knapp 800 Jahre alten persischen Klassiker „Die Konferenz der Vögel“ von Fariduddin Attar, in dem sich die Vögel auf der Suche nach ihrem König machen, weil die Welt aus den Fugen ist – wann wäre sie das nicht. Die Vögel durchqueren sieben Täler, die den Kapiteln des Buches entsprechen, begegnen den allergrößten Gefahren, bis zur Erkenntnis, dass der gesuchte „Simurg“, der König der Vögel, in jedem Menschen selbst und in der Gemeinschaft liegt.
Für Leser aus dem Westen ist die kulturelle Vielfalt Afghanistans, die das Buch schildert, vor den Taliban und dem Einmarsch der Sowjets, womöglich verblüffend. Ahmadjan hört Bob Dylan in einer Kabuler Disco, er begegnet Omar Sharif, der dort einen Hollywood-Film drehte; seine Liebe zur Kunst entdeckt Ahmadjan durch die Schnitzereien seines Großvaters. Der Comic verschweigt nicht die soziale Ungleichheit und autoritären Strukturen, aber er wirft einen differenzierten Blick auf ein Land, das wir heute vor allem als Frauengefängnis, Ausweis westlichen Versagens und politisch fast hoffnungslosen Fall wahrnehmen.
Weil er die Welt sehen und Künstler werden will, reist Ahmadjan 1972 zum ersten Mal nach Deutschland und fortan ist er hin- und hergerissen zwischen dem Westen und seiner Geburtsheimat. „Mensch zu sein braucht enorm viel Tapferkeit. Es ist schwer“, hat der inzwischen verstorbene Sempé im Interview mit dieser Zeitung gesagt. Das gilt eigentlich immer, aber es gilt ganz besonders für Ahmadjan und seine Reisen, die sehr viel Mut (und Glück) erfordert haben müssen – und stellvertretend für viele Migrationserfahrungen stehen. Das Buch erzählt das in einem melancholischen Märchenton und mit viel Respekt für alle, die so viel wagen.
Als Künstler und Pendler zwischen zwei Kulturen war Ahmadjan kein einfacher Vater, in der Erzählung seiner Tochter wird das deutlich. Klar wird aber auch, was für eine Zumutung die Forderung sich zu „integrieren“ sein kann, wenn das Herz immer auch woanders ist. Und ist das Anderssein nicht auch ein kultureller Schatz? „Ahmadjan und der Wiedehopf“ ist nur ein Beleg dafür.
Das Schwere in ihrem Buch hat Maren Amini in eine anmutige, poetische, beinahe leichte Form gebracht. Sehr witzig sind die Vögel, die jedes Kapitel eröffnen, in denen Amini wichtige Menschen im Leben ihres Vaters porträtiert. Da ist „Der Reiher“, Ahmadjans Onkel, der mit seinem Geld das Studium des Jungen in Kabul ermöglicht; oder „Die Taube“, Ahmadjans Hamburger Ehefrau, unter deren Flügel sich ein Schwangerschaftsbauch wölbt. Ihren Vater selbst kennzeichnet sie durch ein turbanförmiges Gewusel schwarzer Linien auf seinem Kopf – dieser Kopf ist eigenwillig, heißt das. In einem Moment größter Verzweiflung besteht die Vater-Figur überhaupt nur noch aus diesem Gekringel schwarzer Linien, die durch die Ritzen eines Kanaldeckels gesogen werden und aufgehen in einem grau-schwarzen Nichts. Vermutlich muss man sich das Nicht-Fühlen, das Verschwinden des Ichs während einer Depressions-Episode genau so vorstellen.
Zum Glück gibt es den titelgebenden Wiedehopf, ein tweetygelbes Vögelchen, das Ahmadjan den Weg weist, ihn auch zur Suche nach dem Simurg auffordert. Dieser kleine Vogel piepst vermutlich leise, aber er verstummt nicht. Es ist die Stimme der Hoffnung.
MARTINA KNOBEN
In melancholischem Ton
erzählt sie mit viel Respekt
von den Aufbrechenden
Maren Amini:
Ahmadjan und der Wiedehopf.
Graphic Novel.
Carlsen Verlag,
Hamburg 2024.
240 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
der Hoffnung
Maren Aminis melancholischer
Comic über die
Migration ihres Vaters.
Ein Comic, dessen Zeichnungen an die des großen Jean-Jacques Sempé erinnern, kann auf keinen Fall schlecht sein. Die von Melancholie durchdrungene Freundlichkeit, mit der Sempé auf seine Figuren blickt, findet sich auch in Maren Aminis Graphic-Novel-Debüt, ebenso die sparsam-präzisen Striche. Es braucht nicht viel, um eine Figur, ihren Gemütszustand, die Stimmung in einem historischen Moment zu charakterisieren.
Dass Amini ihr Handwerk versteht, hat die Cartoonistin und Illustratorin längst bewiesen, sie hat Cover für die Zeit und den Spiegel gestaltet, kurze Bilderzählungen sind in Comic-Anthologien erschienen. „Ahmadjan und der Wiedehopf“ ist ihr Graphic-Novel-Debüt, für das sie im vergangenen Jahr den renommierten Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung bekam. Für das Buch hat sie sich mit ihrem Vater zusammengetan, erzählt dessen bewegte Lebensgeschichte nach: zwischen dem Pandschir-Tal, wo er in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs; Kabul, wo er Hippies und die Kultur des Westens kennenlernte; und Hamburg, wo er eine Familie gründete.
Ahmadjans Lebensreise verbindet das Buch mit dem knapp 800 Jahre alten persischen Klassiker „Die Konferenz der Vögel“ von Fariduddin Attar, in dem sich die Vögel auf der Suche nach ihrem König machen, weil die Welt aus den Fugen ist – wann wäre sie das nicht. Die Vögel durchqueren sieben Täler, die den Kapiteln des Buches entsprechen, begegnen den allergrößten Gefahren, bis zur Erkenntnis, dass der gesuchte „Simurg“, der König der Vögel, in jedem Menschen selbst und in der Gemeinschaft liegt.
Für Leser aus dem Westen ist die kulturelle Vielfalt Afghanistans, die das Buch schildert, vor den Taliban und dem Einmarsch der Sowjets, womöglich verblüffend. Ahmadjan hört Bob Dylan in einer Kabuler Disco, er begegnet Omar Sharif, der dort einen Hollywood-Film drehte; seine Liebe zur Kunst entdeckt Ahmadjan durch die Schnitzereien seines Großvaters. Der Comic verschweigt nicht die soziale Ungleichheit und autoritären Strukturen, aber er wirft einen differenzierten Blick auf ein Land, das wir heute vor allem als Frauengefängnis, Ausweis westlichen Versagens und politisch fast hoffnungslosen Fall wahrnehmen.
Weil er die Welt sehen und Künstler werden will, reist Ahmadjan 1972 zum ersten Mal nach Deutschland und fortan ist er hin- und hergerissen zwischen dem Westen und seiner Geburtsheimat. „Mensch zu sein braucht enorm viel Tapferkeit. Es ist schwer“, hat der inzwischen verstorbene Sempé im Interview mit dieser Zeitung gesagt. Das gilt eigentlich immer, aber es gilt ganz besonders für Ahmadjan und seine Reisen, die sehr viel Mut (und Glück) erfordert haben müssen – und stellvertretend für viele Migrationserfahrungen stehen. Das Buch erzählt das in einem melancholischen Märchenton und mit viel Respekt für alle, die so viel wagen.
Als Künstler und Pendler zwischen zwei Kulturen war Ahmadjan kein einfacher Vater, in der Erzählung seiner Tochter wird das deutlich. Klar wird aber auch, was für eine Zumutung die Forderung sich zu „integrieren“ sein kann, wenn das Herz immer auch woanders ist. Und ist das Anderssein nicht auch ein kultureller Schatz? „Ahmadjan und der Wiedehopf“ ist nur ein Beleg dafür.
Das Schwere in ihrem Buch hat Maren Amini in eine anmutige, poetische, beinahe leichte Form gebracht. Sehr witzig sind die Vögel, die jedes Kapitel eröffnen, in denen Amini wichtige Menschen im Leben ihres Vaters porträtiert. Da ist „Der Reiher“, Ahmadjans Onkel, der mit seinem Geld das Studium des Jungen in Kabul ermöglicht; oder „Die Taube“, Ahmadjans Hamburger Ehefrau, unter deren Flügel sich ein Schwangerschaftsbauch wölbt. Ihren Vater selbst kennzeichnet sie durch ein turbanförmiges Gewusel schwarzer Linien auf seinem Kopf – dieser Kopf ist eigenwillig, heißt das. In einem Moment größter Verzweiflung besteht die Vater-Figur überhaupt nur noch aus diesem Gekringel schwarzer Linien, die durch die Ritzen eines Kanaldeckels gesogen werden und aufgehen in einem grau-schwarzen Nichts. Vermutlich muss man sich das Nicht-Fühlen, das Verschwinden des Ichs während einer Depressions-Episode genau so vorstellen.
Zum Glück gibt es den titelgebenden Wiedehopf, ein tweetygelbes Vögelchen, das Ahmadjan den Weg weist, ihn auch zur Suche nach dem Simurg auffordert. Dieser kleine Vogel piepst vermutlich leise, aber er verstummt nicht. Es ist die Stimme der Hoffnung.
MARTINA KNOBEN
In melancholischem Ton
erzählt sie mit viel Respekt
von den Aufbrechenden
Maren Amini:
Ahmadjan und der Wiedehopf.
Graphic Novel.
Carlsen Verlag,
Hamburg 2024.
240 Seiten, 26 Euro.
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"Klasse von vorne bis hinten." COMICKUNST - Rezensionen von Autorencomics und Graphic Novels 20241004
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensentin Imke Staats kann die heiter strahlende Bilderzählung von Maren Amini und ihrem Vater Ahmadjan nur empfehlen. Aminis Bilder holen die Migrationsgeschichte ihres Vaters aus dem Afghanistan der 1980er Jahre auf berührende Weise zurück: Der Vater lässt sich von verschiedenen Vögeln aus dem kriegsversehrten Orient in den Westen führen - ein Motiv, das zur Dichtung des persischen Dichters Fariduddin Attar passe, dessen Verse ebenfalls in dem Band enthalten seien. Attars Poesie passe perfekt zu Aminis nüchterner Zeichentechnik und mache die Geschichte zugänglicher. Farben werden nur sparsam eingesetzt und wenn, dann haben sie einen symbolischen Gehalt und akzentuieren sich zu einem komplexen Relief der Migrationserfahrung. Im Grunde sei es die Stärke des Comics, das Bittere "verständlich und erträglich" zu machen, betont Staats. Eine einfühlsame Lektüre reiche hier also aus, Vorkenntnisse seien nicht nötig, denn dieser Comic lese sich wie ein Geschichtsbuch, nur "viel schöner", so die Rezensentin abschließend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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