Drei phantastische, komische, traurige Erzählungen vom Autor des Bestsellers "Middlesex"
"Jeffrey Eugenides ist ein großer, großzügiger Autor: großzügig gegenüber seinen Lesern, da er ihnen Geschichten erzählt, die sie mit Sicherheit unterhalten, und großzügig gegenüber seinen Figuren, die wie alle, die wir richtig lieben, herumschlingern und sich ab rackern und leiden und bereuen." JONATHAN FRANZEN
"Der Epiker Eugenides ist auch ein Artist der Kurzstrecke." DER SPIEGEL
"Jeffrey Eugenides ist ein großer, großzügiger Autor: großzügig gegenüber seinen Lesern, da er ihnen Geschichten erzählt, die sie mit Sicherheit unterhalten, und großzügig gegenüber seinen Figuren, die wie alle, die wir richtig lieben, herumschlingern und sich ab rackern und leiden und bereuen." JONATHAN FRANZEN
"Der Epiker Eugenides ist auch ein Artist der Kurzstrecke." DER SPIEGEL
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2003Bemalte Kühe
"Air Mail", drei Erzählungen von Jeffrey Eugenides
"Stories vom Autor mit dem Erzähl-Gen", hat der Rowohlt Verlag auf das neue Buch von Jeffrey Eugenides gedruckt. Diese Stories sind nun nicht neu; zwei von ihnen sind bereits in der Reihe "Spurensicherung" vom Deutschen Akademischen Austauschdienst publiziert worden. Es sind Geschichten aus den Jahren 1997 bis 1999, und es ist leichter, etwas in ihnen zu entdecken, wenn man "Middlesex" (2003) oder "Die Selbstmord-Schwestern" (1998) kennt, als von ihnen dazu animiert zu werden, die beiden Romane zu lesen.
Es ist bei Short Stories immer ein guter Test, wenn man sich am Ende fragt, ob man gerne mehr gelesen, ob man die Figuren auch auf die Langstrecke begleitet hätte. Zwei der drei Geschichten sind einfach, was sie sind: in der kurzen Form erschöpft, ohne Nachhall. Mitchell, der irgendwo im fernen Indien sitzt, dort, wo sich das Personal von "The Beach" versammelte, leidet an der Ruhr. Er hat spirituelle Anwandlungen, und kosmische Schwingungen stellen sich ein, wenn das Schwappen des Meeres und das Schwappen des Gedärms ineinander übergehen. Mitchell schreibt Luftpostbriefe an die Eltern, in denen er von seinen kleinen Erweckungen berichtet, aber er schickt sie nicht ab, und ein wenig ähnelt sein Schreiben der Diarrhoe, die ihn plagt: "Alles, was er sah - die bezaubernden Banyanbäume, die bemalten Kühe -, trieb ihn zum Schreiben." Ob ihm "moksa", die völlige Befreiung vom Körper, gelingt, im strengen buddhistischen Sinne gelingt, ist fraglich, da er am Ende ertrinkt.
Mit dem heftigen Willen zur Satire überfällt einen "Die Bratenspitze", die vom merkwürdigen Verhalten empfängniswilliger New Yorkerinnen kurz vor der Midlife-Zeit erzählt und mit den fulminanten Worten beginnt: "Das Rezept kam per Post: Samen von drei Männern mischen. Kräftig verrühren. In die Bratenspitze füllen. Sich zurücklegen. Tülle einführen. Zusammendrücken." Das ist hinreichend drastisch - und leider schwer zu überbieten, weil man sich für die vierzigjährige Tomasina, deren Vita kurz und lieblos referiert wird, dann doch eher weniger interessiert. Sie will ein Kind, aber nicht unbedingt einen Mann, wie uns ihr lange abgelegter Lover Wally Mars erzählt. Auch die Inseminationsparty ist eher matt, um nicht zu sagen: etwas lendenlahm geraten, so daß man schließlich melancholisch auf die beiläufigen Momentaufnahmen, auf die kleinen Nebensätze blickt, in denen nichts weiter erzählt wird, als daß man in New Yorker Restaurants einmal ganz ungezwungen rauchen konnte.
Und wenn man dann fast schon aufgegeben hat, kommt "Timesharing". Eine Geschichte von Vater und Sohn, in einem verkommenen Motel in Florida, dem Rentnerparadies, angesiedelt, wo der alte Vater das Glück noch einmal zwingen will. Da ist weniger forcierter Humor und mehr traurige Grundierung, es tropft von den Decken, die Palmen verkümmern, und der Sohn schafft es nicht mal, sich ein paar Gummilatschen zu besorgen, während er wie paralysiert auf den körperlichen Verfall der Eltern und die Baufälligkeit der Immobilie schaut. Auf einmal ist da die Skizze einer Familie, über die man gern mehr erführe, eine Story, in der die Figuren, vor allem der Erzähler selbst, ein kleines Geheimnis behalten, in der die Beschreibungen fast jene Randschärfe und Tristesse haben wie auf den Fotografien eines William Egglestone.
",Das wird noch schön hier oben', sagt meine Mutter. ,Als wäre man mitten im Himmel.'" Da hocken sie am Abend auf Klappstühlen auf dem Moteldach, und plötzlich sieht man ein Bild vor sich, spürt eine Stimmung - und hört nicht bloß routiniert ein Erzählmuster klappern.
PETER KÖRTE
Jeffrey Eugenides: "Air Mail". Erzählungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Cornelia C. Walter und Eike Schönfeldt. Mit einem Nachwort von Denis Scheck. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003. 120 S., br., 10,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Air Mail", drei Erzählungen von Jeffrey Eugenides
"Stories vom Autor mit dem Erzähl-Gen", hat der Rowohlt Verlag auf das neue Buch von Jeffrey Eugenides gedruckt. Diese Stories sind nun nicht neu; zwei von ihnen sind bereits in der Reihe "Spurensicherung" vom Deutschen Akademischen Austauschdienst publiziert worden. Es sind Geschichten aus den Jahren 1997 bis 1999, und es ist leichter, etwas in ihnen zu entdecken, wenn man "Middlesex" (2003) oder "Die Selbstmord-Schwestern" (1998) kennt, als von ihnen dazu animiert zu werden, die beiden Romane zu lesen.
Es ist bei Short Stories immer ein guter Test, wenn man sich am Ende fragt, ob man gerne mehr gelesen, ob man die Figuren auch auf die Langstrecke begleitet hätte. Zwei der drei Geschichten sind einfach, was sie sind: in der kurzen Form erschöpft, ohne Nachhall. Mitchell, der irgendwo im fernen Indien sitzt, dort, wo sich das Personal von "The Beach" versammelte, leidet an der Ruhr. Er hat spirituelle Anwandlungen, und kosmische Schwingungen stellen sich ein, wenn das Schwappen des Meeres und das Schwappen des Gedärms ineinander übergehen. Mitchell schreibt Luftpostbriefe an die Eltern, in denen er von seinen kleinen Erweckungen berichtet, aber er schickt sie nicht ab, und ein wenig ähnelt sein Schreiben der Diarrhoe, die ihn plagt: "Alles, was er sah - die bezaubernden Banyanbäume, die bemalten Kühe -, trieb ihn zum Schreiben." Ob ihm "moksa", die völlige Befreiung vom Körper, gelingt, im strengen buddhistischen Sinne gelingt, ist fraglich, da er am Ende ertrinkt.
Mit dem heftigen Willen zur Satire überfällt einen "Die Bratenspitze", die vom merkwürdigen Verhalten empfängniswilliger New Yorkerinnen kurz vor der Midlife-Zeit erzählt und mit den fulminanten Worten beginnt: "Das Rezept kam per Post: Samen von drei Männern mischen. Kräftig verrühren. In die Bratenspitze füllen. Sich zurücklegen. Tülle einführen. Zusammendrücken." Das ist hinreichend drastisch - und leider schwer zu überbieten, weil man sich für die vierzigjährige Tomasina, deren Vita kurz und lieblos referiert wird, dann doch eher weniger interessiert. Sie will ein Kind, aber nicht unbedingt einen Mann, wie uns ihr lange abgelegter Lover Wally Mars erzählt. Auch die Inseminationsparty ist eher matt, um nicht zu sagen: etwas lendenlahm geraten, so daß man schließlich melancholisch auf die beiläufigen Momentaufnahmen, auf die kleinen Nebensätze blickt, in denen nichts weiter erzählt wird, als daß man in New Yorker Restaurants einmal ganz ungezwungen rauchen konnte.
Und wenn man dann fast schon aufgegeben hat, kommt "Timesharing". Eine Geschichte von Vater und Sohn, in einem verkommenen Motel in Florida, dem Rentnerparadies, angesiedelt, wo der alte Vater das Glück noch einmal zwingen will. Da ist weniger forcierter Humor und mehr traurige Grundierung, es tropft von den Decken, die Palmen verkümmern, und der Sohn schafft es nicht mal, sich ein paar Gummilatschen zu besorgen, während er wie paralysiert auf den körperlichen Verfall der Eltern und die Baufälligkeit der Immobilie schaut. Auf einmal ist da die Skizze einer Familie, über die man gern mehr erführe, eine Story, in der die Figuren, vor allem der Erzähler selbst, ein kleines Geheimnis behalten, in der die Beschreibungen fast jene Randschärfe und Tristesse haben wie auf den Fotografien eines William Egglestone.
",Das wird noch schön hier oben', sagt meine Mutter. ,Als wäre man mitten im Himmel.'" Da hocken sie am Abend auf Klappstühlen auf dem Moteldach, und plötzlich sieht man ein Bild vor sich, spürt eine Stimmung - und hört nicht bloß routiniert ein Erzählmuster klappern.
PETER KÖRTE
Jeffrey Eugenides: "Air Mail". Erzählungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Cornelia C. Walter und Eike Schönfeldt. Mit einem Nachwort von Denis Scheck. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003. 120 S., br., 10,- [Euro].
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Ein hingebungsvoller Geschichtenerzähler. FAZ