Die Akademischen Abhandlungen (verfasst 45 v. Chr.), in denen Cicero die Erkenntnislehre der griechischen Philosophie (zumal hellenistischer Zeit) darstellt, bieten eine einzigartige historische Quelle nicht nur für Art und Form der Übertragung grundlegender philosophischer Begriffe aus dem Griechischen ins Lateinische, sondern auch ganz allgemein für die Rezeption griechischer philosophischer Konzepte in Rom. Von den zwei Fassungen der Abhandlungen, die sich wohl allein der äußeren Form nach voneinander unterschieden, ist heute nur mehr das zweite Buch der ersten Fassung unversehrt erhalten (der Dialog Lucullus) und hier erstmals allgemein zugänglich gemacht worden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.1995Philosophieren mit Lukullus
Marcus Tullius Ciceros "Akademische Abhandlungen" jetzt zweisprachig: Ein Kurs in skeptischer Erkenntnistheorie
Im Frühjahr 45 v. Chr. geriet Cicero in eine schwere Krise. Der endgültige Sieg Caesars über seine letzten Gegner in Spanien ließ für Cicero eine weitere politische Tätigkeit nicht mehr zu. Dazu kamen persönliche Katastrophen: der Tod seiner geliebten Tochter Tullia, das Scheitern seiner dreißigjährigen Ehe mit Terentia und auch erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. In dieser Notlage entschloß sich Cicero, einen Kursus der griechischen Philosophie in sprachlich ansprechender Form zu verfassen, den Grund zu einer römischen philosophischen Literatur von Rang zu legen und zugleich der Jugendbildung einen Dienst zu erweisen.
Sein Plan sah zunächst eine Reihe von Dialogen mit den gleichen Personen, nämlich mit Hortensius, Catulus, Lucullus und sich selbst, vor, die in deren Villen in der Zeit zwischen 63 und 60 spielen sollten. Davon führte er den "Hortensius" aus mit dem Nachweis, daß man philosophieren müsse. Die zwei Dialoge der "Akademischen Abhandlungen", der "Catulus" und der "Lucullus", handeln davon, daß die Erkenntnistheorie der akademischen Skepsis angesichts der vielfältigen hellenistischen Philosophenschulen der richtige Weg des Philosophierens sei. Das gilt besonders vor dem Hintergrund des Versuchs von Antiochos von Askalon, altakademische und stoische Positionen einander anzugleichen. Am Ende des "Lucullus" stellte Cicero weitere Diskussionen desselben Personenkreises zu Fragen der Naturphilosophie und der Ethik in Aussicht.
Aber nach Abschluß des "Lucullus" im Mai 45 kamen Cicero Bedenken, ob die realen Vorbilder seiner Dialogpersonen überhaupt gebildet genug waren. Immerhin ist Lukullus den meisten heute fast nur noch als Gourmet bekannt. Daher fügte Cicero in die Einleitungen der beiden Dialoge Rechtfertigungen dieser Wahl ein, entschloß sich dann aber doch, seine Personen umzuarbeiten; den Plan einer Serie von Dialogen mit gleichem Personal gab er auf. In einer letzten Fassung (von Juni 45) verteilte er den Stoff der beiden Dialoge auf vier Bücher und bestimmte zum Gesprächspartner den Polyhistor Varro und als Zuhörer seinen Freund Atticus. Von nun an wird Cicero die für das jeweilige Thema geeigneten Personen als Dialogpartner auswählen. Von dieser letzten Fassung der "Akademischen Abhandlungen" ist etwas mehr als die Hälfte des 1. Buches erhalten, von der ältesten Fassung der Dialog "Lucullus", der wohl gegen die Intentionen Ciceros erst aus dem Nachlaß herausgegeben wurde.
Dieser Dialog, die älteste erhaltene zusammenfassende Darstellung der skeptischen Erkenntnistheorie, liegt jetzt in einer zweisprachigen, reich kommentierten Ausgabe in Meiners Philosophischer Bibliothek vor. Sie ist das Produkt einer gemeinschaftlichen Lektüre von Philologen und Philosophen, die sich über mehrere Semester erstreckte. In der Schlußredaktion zeichnen für die instruktive Einleitung Andreas Graeser und Christoph Schäublin, für Text und Übersetzung Christoph Schäublin, für die sorgfältige Analyse des Aufbaus Andreas Bächli und für die reichen kommentierenden Anmerkungen, in denen vor allem philosophische Probleme kritisch erläutert werden, Andreas Bächli und Andreas Graeser verantwortlich. Die Übersetzung ist um eine genaue Erfassung des philosophischen Sinnes bemüht und soll dem Lateinischen weniger mächtigen Leser das Verständnis des Urtextes erleichtern. So ist das Werk nicht nur den Philologen und Philosophiehistorikern zu empfehlen, sondern auch dem interessierten Laien.
Bei allen Vorzügen läßt die Ausgabe gelegentlich auch Wünsche unerfüllt. Ciceros eigener Anteil wird vornehmlich in der literarischen Gestaltung gesehen: "Ciceros ,Eigenstes' liegt hier im Lucullus, wie auch sonst vermutlich in der überlegten, eingängigen Darbietung eines schwierigen Gegenstandes, in dessen sprachlicher Meisterung und im eleganten ,rhetorischen' Duktus, der das Werk von Anfang bis Ende durchzieht." Die literarische Leistung Ciceros ist damit treffend beschrieben. Aber es gerät der Philosoph Cicero nicht hinreichend in den Blick, der seinen eigenen philosophischen Standort interpretierend in der kritischen Auseinandersetzung mit den älteren Zeugnissen zur Skepsis gewinnt. Es sei nur auf das großartige Selbstporträt als des großen "Meiners" ("opinator") verwiesen, der die Philosophie nicht als Besitz der Wahrheit, sondern als das stete Suchen nach der Wahrheit ansieht.
Diese Grundauffassung der skeptischen Philosophie erlaubte es Cicero immerhin noch im gleichen Sommer, im Dialog über die höchsten Werte eine modifizierte Form der peripatetischen Güterlehre zu akzeptieren und in der Theologie der stoischen Auffassung zuzuneigen. Zum Philosophen Cicero und überhaupt zu manchem Einzelproblem wird der Leser Anregung und Hilfe finden in der Darstellung der pyrrhonischen und der akademischen Skepsis von Waldemar Görler und im Cicero-Kapitel von Görler und Günter Gawlick im vierten Band des neuen "Grundrisses der Geschichte der Philosophie", der den Hellenismus behandelt und von Hellmut Flashar im Basler Schwabe-Verlag herausgegeben worden ist. PETER STEINMETZ
Marcus Tullius Cicero: "Akademische Abhandlungen. Lucullus".Lateinisch-Deutsch. Verlag Felix Meiner, Hamburg 1995. 314 S., geb., 86,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Marcus Tullius Ciceros "Akademische Abhandlungen" jetzt zweisprachig: Ein Kurs in skeptischer Erkenntnistheorie
Im Frühjahr 45 v. Chr. geriet Cicero in eine schwere Krise. Der endgültige Sieg Caesars über seine letzten Gegner in Spanien ließ für Cicero eine weitere politische Tätigkeit nicht mehr zu. Dazu kamen persönliche Katastrophen: der Tod seiner geliebten Tochter Tullia, das Scheitern seiner dreißigjährigen Ehe mit Terentia und auch erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. In dieser Notlage entschloß sich Cicero, einen Kursus der griechischen Philosophie in sprachlich ansprechender Form zu verfassen, den Grund zu einer römischen philosophischen Literatur von Rang zu legen und zugleich der Jugendbildung einen Dienst zu erweisen.
Sein Plan sah zunächst eine Reihe von Dialogen mit den gleichen Personen, nämlich mit Hortensius, Catulus, Lucullus und sich selbst, vor, die in deren Villen in der Zeit zwischen 63 und 60 spielen sollten. Davon führte er den "Hortensius" aus mit dem Nachweis, daß man philosophieren müsse. Die zwei Dialoge der "Akademischen Abhandlungen", der "Catulus" und der "Lucullus", handeln davon, daß die Erkenntnistheorie der akademischen Skepsis angesichts der vielfältigen hellenistischen Philosophenschulen der richtige Weg des Philosophierens sei. Das gilt besonders vor dem Hintergrund des Versuchs von Antiochos von Askalon, altakademische und stoische Positionen einander anzugleichen. Am Ende des "Lucullus" stellte Cicero weitere Diskussionen desselben Personenkreises zu Fragen der Naturphilosophie und der Ethik in Aussicht.
Aber nach Abschluß des "Lucullus" im Mai 45 kamen Cicero Bedenken, ob die realen Vorbilder seiner Dialogpersonen überhaupt gebildet genug waren. Immerhin ist Lukullus den meisten heute fast nur noch als Gourmet bekannt. Daher fügte Cicero in die Einleitungen der beiden Dialoge Rechtfertigungen dieser Wahl ein, entschloß sich dann aber doch, seine Personen umzuarbeiten; den Plan einer Serie von Dialogen mit gleichem Personal gab er auf. In einer letzten Fassung (von Juni 45) verteilte er den Stoff der beiden Dialoge auf vier Bücher und bestimmte zum Gesprächspartner den Polyhistor Varro und als Zuhörer seinen Freund Atticus. Von nun an wird Cicero die für das jeweilige Thema geeigneten Personen als Dialogpartner auswählen. Von dieser letzten Fassung der "Akademischen Abhandlungen" ist etwas mehr als die Hälfte des 1. Buches erhalten, von der ältesten Fassung der Dialog "Lucullus", der wohl gegen die Intentionen Ciceros erst aus dem Nachlaß herausgegeben wurde.
Dieser Dialog, die älteste erhaltene zusammenfassende Darstellung der skeptischen Erkenntnistheorie, liegt jetzt in einer zweisprachigen, reich kommentierten Ausgabe in Meiners Philosophischer Bibliothek vor. Sie ist das Produkt einer gemeinschaftlichen Lektüre von Philologen und Philosophen, die sich über mehrere Semester erstreckte. In der Schlußredaktion zeichnen für die instruktive Einleitung Andreas Graeser und Christoph Schäublin, für Text und Übersetzung Christoph Schäublin, für die sorgfältige Analyse des Aufbaus Andreas Bächli und für die reichen kommentierenden Anmerkungen, in denen vor allem philosophische Probleme kritisch erläutert werden, Andreas Bächli und Andreas Graeser verantwortlich. Die Übersetzung ist um eine genaue Erfassung des philosophischen Sinnes bemüht und soll dem Lateinischen weniger mächtigen Leser das Verständnis des Urtextes erleichtern. So ist das Werk nicht nur den Philologen und Philosophiehistorikern zu empfehlen, sondern auch dem interessierten Laien.
Bei allen Vorzügen läßt die Ausgabe gelegentlich auch Wünsche unerfüllt. Ciceros eigener Anteil wird vornehmlich in der literarischen Gestaltung gesehen: "Ciceros ,Eigenstes' liegt hier im Lucullus, wie auch sonst vermutlich in der überlegten, eingängigen Darbietung eines schwierigen Gegenstandes, in dessen sprachlicher Meisterung und im eleganten ,rhetorischen' Duktus, der das Werk von Anfang bis Ende durchzieht." Die literarische Leistung Ciceros ist damit treffend beschrieben. Aber es gerät der Philosoph Cicero nicht hinreichend in den Blick, der seinen eigenen philosophischen Standort interpretierend in der kritischen Auseinandersetzung mit den älteren Zeugnissen zur Skepsis gewinnt. Es sei nur auf das großartige Selbstporträt als des großen "Meiners" ("opinator") verwiesen, der die Philosophie nicht als Besitz der Wahrheit, sondern als das stete Suchen nach der Wahrheit ansieht.
Diese Grundauffassung der skeptischen Philosophie erlaubte es Cicero immerhin noch im gleichen Sommer, im Dialog über die höchsten Werte eine modifizierte Form der peripatetischen Güterlehre zu akzeptieren und in der Theologie der stoischen Auffassung zuzuneigen. Zum Philosophen Cicero und überhaupt zu manchem Einzelproblem wird der Leser Anregung und Hilfe finden in der Darstellung der pyrrhonischen und der akademischen Skepsis von Waldemar Görler und im Cicero-Kapitel von Görler und Günter Gawlick im vierten Band des neuen "Grundrisses der Geschichte der Philosophie", der den Hellenismus behandelt und von Hellmut Flashar im Basler Schwabe-Verlag herausgegeben worden ist. PETER STEINMETZ
Marcus Tullius Cicero: "Akademische Abhandlungen. Lucullus".Lateinisch-Deutsch. Verlag Felix Meiner, Hamburg 1995. 314 S., geb., 86,- DM.
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