Herausgegeben im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte.
Hauptherausgeber: Hans-Peter Schwarz, Mitherausgeber: Helga Haftendorn, Klaus Hildebrand, Werner Link, Horst Möller und Rudolf Morsey.
Wissenschaftliche Leiterin: Ilse Dorothee Pautsch.
Der vorliegende Jahresband der "Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland" gibt anhand von ca. 375 Dokumenten Aufschluss über die außenpolitischen Aktivitäten im Wahljahr 1953. Geheime Verschlusssachen werden zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
In den Unterzeichnerstaaten der EVG wurde um die Zustimmung zum Vertragswerk gerungen. Frankreich machte die Ratifizierung nicht zuletzt von einer Regelung der Saarfrage abhängig, deren Lösung bilateral mit der Bundesregierung, aber auch auf der Ebene des Europarats erörtert wurde. Die Verhandlungen über die Gründung einer europäischen politischen Gemeinschaft wurden fortgeführt.
Hoffnungen nach dem Tode Stalins am 5. März 1953 auf einen außen- und deutschlandpolitischen Kurswechsel der UdSSR wurden durch die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes in der DDR am 17. Juni 1953 enttäuscht. Bei erneuten Initiativen zu Vier-Mächte-Verhandlungen sah sich die mit der Wahl vom 6. September 1953 im Amt bestätigte Bundesregierung divergierenden amerikanischen, britischen und französischen Interessen gegenüber. Sie blieb bestrebt, vor Gesprächen der Drei Mächte mit der UdSSR zumindest konsultiert zu werden, um so ihren Vorstellungen von einer Wiedervereinigung Deutschlands Geltung zu verschaffen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hauptherausgeber: Hans-Peter Schwarz, Mitherausgeber: Helga Haftendorn, Klaus Hildebrand, Werner Link, Horst Möller und Rudolf Morsey.
Wissenschaftliche Leiterin: Ilse Dorothee Pautsch.
Der vorliegende Jahresband der "Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland" gibt anhand von ca. 375 Dokumenten Aufschluss über die außenpolitischen Aktivitäten im Wahljahr 1953. Geheime Verschlusssachen werden zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
In den Unterzeichnerstaaten der EVG wurde um die Zustimmung zum Vertragswerk gerungen. Frankreich machte die Ratifizierung nicht zuletzt von einer Regelung der Saarfrage abhängig, deren Lösung bilateral mit der Bundesregierung, aber auch auf der Ebene des Europarats erörtert wurde. Die Verhandlungen über die Gründung einer europäischen politischen Gemeinschaft wurden fortgeführt.
Hoffnungen nach dem Tode Stalins am 5. März 1953 auf einen außen- und deutschlandpolitischen Kurswechsel der UdSSR wurden durch die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes in der DDR am 17. Juni 1953 enttäuscht. Bei erneuten Initiativen zu Vier-Mächte-Verhandlungen sah sich die mit der Wahl vom 6. September 1953 im Amt bestätigte Bundesregierung divergierenden amerikanischen, britischen und französischen Interessen gegenüber. Sie blieb bestrebt, vor Gesprächen der Drei Mächte mit der UdSSR zumindest konsultiert zu werden, um so ihren Vorstellungen von einer Wiedervereinigung Deutschlands Geltung zu verschaffen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2002Alternde Geliebte an der Seine
1953: Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland im Jahr des Wartens auf die Ratifizierung des EVG-Vertrages
Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1953. Herausgegeben im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte. Bearbeitet von Matthias Jaroch und Mechthild Lindemann. Wissenschaftliche Leiterin Ilse Dorothee Pautsch. R. Oldenbourg Verlag, München 2001. 2 Bände, LXXXI und 1400 Seiten, 94,80 Euro.
Das Jahr 1953 wird, was die Geschichte der Bundesrepublik angeht, erinnert als das Jahr der zweiten Bundestagswahl, der in der Tat Schlüsselbedeutung zukommt: Erst die triumphale Bestätigung des Kurses, den Adenauer und Erhard seit 1948/49 gegen heftige Widerstände eingeschlagen hatten, durch den Wähler im September 1953 hat über den Weg des westdeutschen Staates entschieden. Erinnert wird das Jahr 1953 auch wegen des 17. Juni, des Aufstandes in der DDR. Und als ein Jahr der Weltgeschichte wegen des Todes Stalins am 5. März.
In den "Akten zur Auswärtigen Politik" aber stellt es sich vor allem als ein Jahr des Wartens auf die Ratifizierung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) dar. Das ist das große Thema vom ersten bis zum letzten Tag: Wird der 1952 unterzeichnete Vertrag, der die europäische Integration einen Quantensprung weiterbringen und der Bundesrepublik darüber hinaus durch den ihm in einem Junktim verbundenen Deutschland-Vertrag eine beschränkte Souveränität eintragen sollte, von den Parlamenten der sechs Unterzeichnerstaaten in Kraft gesetzt werden oder nicht? Und was geschieht, wenn nicht? Alle Unterzeichnerstaaten taten sich, wie der Leser überrascht feststellt, schwer mit der Ratifizierung. Der Bundestag stimmte im März 1953 als erstes der sechs Parlamente mit einer ziemlich deutlichen Mehrheit zu; der Bundesrat, auf den Adenauer mit Sorge geblickt hatte, folgte im Mai, aber es blieb die Ungewißheit, wie das Verfassungsgericht entscheiden werde. Zögerlicher ging man in Italien, auch in den Beneluxstaaten mit dem Vertrag um. Und am zögerlichsten in Frankreich.
Frankreich forderte Nachbesserungen, Zusatzprotokolle, wie man beschönigend sagte, mit der die im Vertrag preisgegebene Souveränität ein Stück weit wieder zurückgewonnen werden sollte. Dazu kam das Saarproblem, bis 1954 das dornigste Thema in den deutsch-französischen Beziehungen. Frankreich bestand faktisch auf einer Lösung des Saarproblems in seinem Sinne als Voraussetzung einer Ratifizierung des EVG-Vertrages. Adenauer war damit vor die Frage gestellt, wie weit er Frankreich, um des höheren Zieles willen, in dieser Sache entgegenkommen solle und könne - sein Handlungsspielraum war begrenzt. Die Europäisierung des Saargebietes war der Kompromiß, der sich abzuzeichnen begann - die Bildung eines "europäischen Districts of Columbia", wie Adenauer gelegentlich formulierte, aber damit war Frankreichs Anspruch, das Saargebiet wirtschaftlich zu kontrollieren, noch nicht aus der Welt. Als das Jahr zu Ende ging, war immer noch alles offen, die Skepsis, was das Schicksal der EVG anging, eher gewachsen - zu Recht, wie sich zeigen sollte.
Eng war gerade in diesem Jahr des Wartens, in dem John Foster Dulles als Außenminister der neuen Administration Eisenhower die Bühne betrat, die deutsch-amerikanische Kooperation. Die Amerikaner drängten ungeduldig auf die Ratifikation des Vertrages. Die Voraussetzungen für die Aufstellung deutscher Streitkräfte sollten möglichst rasch geschaffen werden. Und die Bundesrepublik wurde dabei, gleichsam im vorhinein schon, zunehmend zu ihrem wichtigsten Partner, zumal nachdem sie als erstes Land die Verträge ratifiziert hatte. Je länger Frankreich zögerte, desto mehr wuchs das politische Gewicht Bonns - 1954, als nach dem Scheitern der EVG eine neue Lösung ausgehandelt werden mußte, sollte sich das sehr deutlich zeigen.
Die Ungewißheit darüber, wie es mit der EVG weitergehen würde, verknüpfte sich aufs engste mit der Ungewißheit darüber, welchen Weg die Sowjetunion nach Stalins Tod einschlagen würde. Wie sollte man reagieren, wenn die neue Moskauer Führung, die zumal in den ersten Wochen nach Stalins Tod auffallend friedliche Töne anschlug, noch einmal, wie Stalin es im Frühjahr 1952 getan hatte, die Wiedervereinigung unter der Bedingung der Neutralisierung Deutschlands anbot? Zwar waren Washington und Bonn entschlossen, sich nicht vom Wege abbringen zu lassen, aber der beinahe 80 Jahre alte Churchill schien plötzlich Gefallen an dem Gedanken zu finden, sein politisches Lebenswerk mit einer Friedensgipfelkonferenz abzuschließen. Und Frankreich, mit seinen höchst labilen inneren Verhältnissen, war immer ein unsicherer Kantonist.
Die Hoffnungen, wo es sie denn gegeben hatte, verflogen freilich rasch wieder. Die Sowjetunion machte keine neuen verwirrenden Wiedervereinigungsangebote. Im Notenwechsel des Sommers und des Herbstes standen sich wie eh und je die Forderung "zuerst freie Wahlen" und die Ablehnung ebendieser Forderung gegenüber. Und als man sich gegen Ende des Jahres auf eine Deutschlandkonferenz der vier Außenminister in Berlin einigte, gab es eigentlich schon niemanden mehr, der sich etwas davon erwartete.
Und die Welt jenseits der Grenzen des westeuropäisch-nordatlantischen Raumes, jenseits des Ost-West-Konfliktes? Sie ist gegenwärtig, aber nur am Rande. Mit einer gewissen Prominenz, so jedenfalls spiegelt es die Edition wider, der arabische Raum, der irritiert auf das im Vorjahr unterzeichnete deutsch-israelische Wiedergutmachungsabkommen reagierte, zugleich aber selbst darum bemüht war, es zu ernstlichen Trübungen des deutsch-arabischen Verhältnisses nicht kommen zu lassen. Überhaupt gab es schon erstaunlich viele Signale dafür, daß die Bundesrepublik weltweit als wiederkehrende Wirtschaftsgroßmacht wahrgenommen wurde, mit der man in guten Beziehungen stehen wollte. Die Sowjetunion kommt nur indirekt vor, es gibt kein einziges Dokument direkten Kontaktes. Diplomatische Beziehungen wurden bekanntlich erst 1955 aufgenommen.
Am Ende dieser erstklassigen Editionsleistung - nach fast vierhundert Aktenstücken - sind es vor allem zwei Eindrücke, die die Wanderung durch das "Jahr des Wartens" beim Leser hinterläßt. Sehr stark empfindet er den eigentümlichen Schwebezustand, in dem der junge westdeutsche Staat jener Jahre sich befand: Krieg und Niederlage waren noch sehr nahe, und Krieg und Niederlage lagen doch auch schon weit, weit zurück. Kriegsgefangene und Kriegsverbrecher sind als Themen präsent, das heikle Problem der ehemaligen Wehrmachtsoffiziere ist es, die in Ägypten als Militärberater tätig sind. Über die Rückgabe der Gebäude deutscher Auslandsschulen und deutscher Auslandsinstitute wird verhandelt, über Warenzeichen, die im Krieg konfisziert wurden. Die Bundesrepublik - ein Staat, der mühsam die Folgen einer verheerenden Niederlage abarbeitet. Aber zugleich eben auch schon wieder ein Staat, den man braucht, der umworben wird, dem man Respekt bekundet, der mitredet. Die Tür zum Clubraum der Allianz westlicher Demokratien, das ist die andere Botschaft der gleichen Dokumente, ist weit geöffnet, und die Bundesrepublik steht schon auf der Schwelle.
Die zweite, historisch wichtigere Einsicht, die sich dem Leser aufdrängt: Es war keineswegs ein gerader, leicht gangbarer Weg, der die Bundesrepublik mit Notwendigkeit und Selbstverständlichkeit in das westliche Bündnis führte. So nimmt es sich allenfalls für den aus, der über Jahrzehnte hinweg zurückblickt und nicht genau hinsieht. Die Akten des Jahres 1953 machen vielfältig sichtbar, welche Hürden auf diesem Weg zu überwinden waren.
Es gehört zu den Reizen der Lektüre der beiden Aktenbände, daß sie den Eindruck einer hohen Professionalität des - gerade in seinen Anfängen wegen seiner Vergangenheitsverstrickungen sehr umstrittenen - bundesrepublikanischen Auswärtigen Dienstes vermitteln, jedenfalls was seine analytischen Talente angeht. Nur davon können die Dokumente ja Zeugnis ablegen. Zur Klarheit und Präzision der Analyse kommt gelegentlich auch stilistische Brillanz. So in einer Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrates Albrecht von Kessel aus Washington. Er berichtet von harscher Kritik der Vereinigten Staaten an Frankreich und fährt dann fort: "Man erklärt dies alles immer wieder mit lauter Stimme - die erkennen läßt, daß man noch am selben Abend reumütig und mit Geschenken beladen in die Arme dieser alternden Geliebten zurückkehren wird." Dieses Bild hilft einem noch immer zu verstehen, was den Unterschied zwischen dem deutsch-amerikanischen und dem französisch-amerikanischen Verhältnis ausmacht.
PETER GRAF KIELMANSEGG
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
1953: Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland im Jahr des Wartens auf die Ratifizierung des EVG-Vertrages
Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1953. Herausgegeben im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte. Bearbeitet von Matthias Jaroch und Mechthild Lindemann. Wissenschaftliche Leiterin Ilse Dorothee Pautsch. R. Oldenbourg Verlag, München 2001. 2 Bände, LXXXI und 1400 Seiten, 94,80 Euro.
Das Jahr 1953 wird, was die Geschichte der Bundesrepublik angeht, erinnert als das Jahr der zweiten Bundestagswahl, der in der Tat Schlüsselbedeutung zukommt: Erst die triumphale Bestätigung des Kurses, den Adenauer und Erhard seit 1948/49 gegen heftige Widerstände eingeschlagen hatten, durch den Wähler im September 1953 hat über den Weg des westdeutschen Staates entschieden. Erinnert wird das Jahr 1953 auch wegen des 17. Juni, des Aufstandes in der DDR. Und als ein Jahr der Weltgeschichte wegen des Todes Stalins am 5. März.
In den "Akten zur Auswärtigen Politik" aber stellt es sich vor allem als ein Jahr des Wartens auf die Ratifizierung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) dar. Das ist das große Thema vom ersten bis zum letzten Tag: Wird der 1952 unterzeichnete Vertrag, der die europäische Integration einen Quantensprung weiterbringen und der Bundesrepublik darüber hinaus durch den ihm in einem Junktim verbundenen Deutschland-Vertrag eine beschränkte Souveränität eintragen sollte, von den Parlamenten der sechs Unterzeichnerstaaten in Kraft gesetzt werden oder nicht? Und was geschieht, wenn nicht? Alle Unterzeichnerstaaten taten sich, wie der Leser überrascht feststellt, schwer mit der Ratifizierung. Der Bundestag stimmte im März 1953 als erstes der sechs Parlamente mit einer ziemlich deutlichen Mehrheit zu; der Bundesrat, auf den Adenauer mit Sorge geblickt hatte, folgte im Mai, aber es blieb die Ungewißheit, wie das Verfassungsgericht entscheiden werde. Zögerlicher ging man in Italien, auch in den Beneluxstaaten mit dem Vertrag um. Und am zögerlichsten in Frankreich.
Frankreich forderte Nachbesserungen, Zusatzprotokolle, wie man beschönigend sagte, mit der die im Vertrag preisgegebene Souveränität ein Stück weit wieder zurückgewonnen werden sollte. Dazu kam das Saarproblem, bis 1954 das dornigste Thema in den deutsch-französischen Beziehungen. Frankreich bestand faktisch auf einer Lösung des Saarproblems in seinem Sinne als Voraussetzung einer Ratifizierung des EVG-Vertrages. Adenauer war damit vor die Frage gestellt, wie weit er Frankreich, um des höheren Zieles willen, in dieser Sache entgegenkommen solle und könne - sein Handlungsspielraum war begrenzt. Die Europäisierung des Saargebietes war der Kompromiß, der sich abzuzeichnen begann - die Bildung eines "europäischen Districts of Columbia", wie Adenauer gelegentlich formulierte, aber damit war Frankreichs Anspruch, das Saargebiet wirtschaftlich zu kontrollieren, noch nicht aus der Welt. Als das Jahr zu Ende ging, war immer noch alles offen, die Skepsis, was das Schicksal der EVG anging, eher gewachsen - zu Recht, wie sich zeigen sollte.
Eng war gerade in diesem Jahr des Wartens, in dem John Foster Dulles als Außenminister der neuen Administration Eisenhower die Bühne betrat, die deutsch-amerikanische Kooperation. Die Amerikaner drängten ungeduldig auf die Ratifikation des Vertrages. Die Voraussetzungen für die Aufstellung deutscher Streitkräfte sollten möglichst rasch geschaffen werden. Und die Bundesrepublik wurde dabei, gleichsam im vorhinein schon, zunehmend zu ihrem wichtigsten Partner, zumal nachdem sie als erstes Land die Verträge ratifiziert hatte. Je länger Frankreich zögerte, desto mehr wuchs das politische Gewicht Bonns - 1954, als nach dem Scheitern der EVG eine neue Lösung ausgehandelt werden mußte, sollte sich das sehr deutlich zeigen.
Die Ungewißheit darüber, wie es mit der EVG weitergehen würde, verknüpfte sich aufs engste mit der Ungewißheit darüber, welchen Weg die Sowjetunion nach Stalins Tod einschlagen würde. Wie sollte man reagieren, wenn die neue Moskauer Führung, die zumal in den ersten Wochen nach Stalins Tod auffallend friedliche Töne anschlug, noch einmal, wie Stalin es im Frühjahr 1952 getan hatte, die Wiedervereinigung unter der Bedingung der Neutralisierung Deutschlands anbot? Zwar waren Washington und Bonn entschlossen, sich nicht vom Wege abbringen zu lassen, aber der beinahe 80 Jahre alte Churchill schien plötzlich Gefallen an dem Gedanken zu finden, sein politisches Lebenswerk mit einer Friedensgipfelkonferenz abzuschließen. Und Frankreich, mit seinen höchst labilen inneren Verhältnissen, war immer ein unsicherer Kantonist.
Die Hoffnungen, wo es sie denn gegeben hatte, verflogen freilich rasch wieder. Die Sowjetunion machte keine neuen verwirrenden Wiedervereinigungsangebote. Im Notenwechsel des Sommers und des Herbstes standen sich wie eh und je die Forderung "zuerst freie Wahlen" und die Ablehnung ebendieser Forderung gegenüber. Und als man sich gegen Ende des Jahres auf eine Deutschlandkonferenz der vier Außenminister in Berlin einigte, gab es eigentlich schon niemanden mehr, der sich etwas davon erwartete.
Und die Welt jenseits der Grenzen des westeuropäisch-nordatlantischen Raumes, jenseits des Ost-West-Konfliktes? Sie ist gegenwärtig, aber nur am Rande. Mit einer gewissen Prominenz, so jedenfalls spiegelt es die Edition wider, der arabische Raum, der irritiert auf das im Vorjahr unterzeichnete deutsch-israelische Wiedergutmachungsabkommen reagierte, zugleich aber selbst darum bemüht war, es zu ernstlichen Trübungen des deutsch-arabischen Verhältnisses nicht kommen zu lassen. Überhaupt gab es schon erstaunlich viele Signale dafür, daß die Bundesrepublik weltweit als wiederkehrende Wirtschaftsgroßmacht wahrgenommen wurde, mit der man in guten Beziehungen stehen wollte. Die Sowjetunion kommt nur indirekt vor, es gibt kein einziges Dokument direkten Kontaktes. Diplomatische Beziehungen wurden bekanntlich erst 1955 aufgenommen.
Am Ende dieser erstklassigen Editionsleistung - nach fast vierhundert Aktenstücken - sind es vor allem zwei Eindrücke, die die Wanderung durch das "Jahr des Wartens" beim Leser hinterläßt. Sehr stark empfindet er den eigentümlichen Schwebezustand, in dem der junge westdeutsche Staat jener Jahre sich befand: Krieg und Niederlage waren noch sehr nahe, und Krieg und Niederlage lagen doch auch schon weit, weit zurück. Kriegsgefangene und Kriegsverbrecher sind als Themen präsent, das heikle Problem der ehemaligen Wehrmachtsoffiziere ist es, die in Ägypten als Militärberater tätig sind. Über die Rückgabe der Gebäude deutscher Auslandsschulen und deutscher Auslandsinstitute wird verhandelt, über Warenzeichen, die im Krieg konfisziert wurden. Die Bundesrepublik - ein Staat, der mühsam die Folgen einer verheerenden Niederlage abarbeitet. Aber zugleich eben auch schon wieder ein Staat, den man braucht, der umworben wird, dem man Respekt bekundet, der mitredet. Die Tür zum Clubraum der Allianz westlicher Demokratien, das ist die andere Botschaft der gleichen Dokumente, ist weit geöffnet, und die Bundesrepublik steht schon auf der Schwelle.
Die zweite, historisch wichtigere Einsicht, die sich dem Leser aufdrängt: Es war keineswegs ein gerader, leicht gangbarer Weg, der die Bundesrepublik mit Notwendigkeit und Selbstverständlichkeit in das westliche Bündnis führte. So nimmt es sich allenfalls für den aus, der über Jahrzehnte hinweg zurückblickt und nicht genau hinsieht. Die Akten des Jahres 1953 machen vielfältig sichtbar, welche Hürden auf diesem Weg zu überwinden waren.
Es gehört zu den Reizen der Lektüre der beiden Aktenbände, daß sie den Eindruck einer hohen Professionalität des - gerade in seinen Anfängen wegen seiner Vergangenheitsverstrickungen sehr umstrittenen - bundesrepublikanischen Auswärtigen Dienstes vermitteln, jedenfalls was seine analytischen Talente angeht. Nur davon können die Dokumente ja Zeugnis ablegen. Zur Klarheit und Präzision der Analyse kommt gelegentlich auch stilistische Brillanz. So in einer Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrates Albrecht von Kessel aus Washington. Er berichtet von harscher Kritik der Vereinigten Staaten an Frankreich und fährt dann fort: "Man erklärt dies alles immer wieder mit lauter Stimme - die erkennen läßt, daß man noch am selben Abend reumütig und mit Geschenken beladen in die Arme dieser alternden Geliebten zurückkehren wird." Dieses Bild hilft einem noch immer zu verstehen, was den Unterschied zwischen dem deutsch-amerikanischen und dem französisch-amerikanischen Verhältnis ausmacht.
PETER GRAF KIELMANSEGG
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als erstklassige Editionsleistung bezeichnet Peter Graf Kielmansegg in seiner, für eine politische Buchbesprechung ungewöhnlich emphatischen Rezension die vorliegende Ausgabe mit vierhundert Aktenstücken aus dem Jahr 1953. Die Akten stellten das Jahr 1953 vor allem als "Jahr des Wartens" auf die Ratifizierung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft dar. Sehr stark hat Kielmansegg bei der Lektüre den "Schwebezustand" der jungen Republik empfunden, die Anstrengungen, die Folgen der Niederlage abzuarbeiten. Dem Rezensenten drängte sich dabei auch die historische Einsicht auf, dass der Weg der Bundesrepublik in das westliche Bündnis keineswegs "ein gerader, leicht gangbarer Weg" war. Zu den Reizen der Lektüre der beiden Aktenbände zählt Kielmansegg auch, dass sie die Professionalität des, gerade in seinen Anfängen wegen seiner Verstrickung in den Nationalsozialismus sehr umstrittenen Auswärtigen Dienstes vermitteln würden, jedenfalls was seine analytischen Talente angehe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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