Herausgegeben im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte.
Hauptherausgeber: Hans-Peter Schwarz, Mitherausgeber: Helga Haftendorn, Klaus Hildebrand, Werner Link, Horst Möller und Rudolf Morsey.
Wissenschaftlicher Leiter: Rainer Blasius.
Die Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler am 21. Oktober 1969 war eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik. Die sozialliberale Koalition setzte neue Zeichen, vor allem in der Deutschland- und Ostpolitik. Aufschluß über den außenpolitischen Auftakt der Regierung Brandt/Scheel und den Ausklang der Regierung Kiesinger/Brandt gibt nun der Jahresband 1969 der "Akten zur Auswärten Politik der Bundesrepublik Deutschland", der mit Ablauf der dreißigjährigen Aktensperrfrist eine Auswahl von 415 Dokumenten präsentiert.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hauptherausgeber: Hans-Peter Schwarz, Mitherausgeber: Helga Haftendorn, Klaus Hildebrand, Werner Link, Horst Möller und Rudolf Morsey.
Wissenschaftlicher Leiter: Rainer Blasius.
Die Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler am 21. Oktober 1969 war eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik. Die sozialliberale Koalition setzte neue Zeichen, vor allem in der Deutschland- und Ostpolitik. Aufschluß über den außenpolitischen Auftakt der Regierung Brandt/Scheel und den Ausklang der Regierung Kiesinger/Brandt gibt nun der Jahresband 1969 der "Akten zur Auswärten Politik der Bundesrepublik Deutschland", der mit Ablauf der dreißigjährigen Aktensperrfrist eine Auswahl von 415 Dokumenten präsentiert.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nach Gregor Schöllgens Ansicht wird durch diesen Band sehr gut deutlich, wie sehr "das internationale Umfeld in Bewegung" war, als die sozial-liberale Koalition 1969 an der Regierung war. Er erinnert an den geplanten Rückzug der Amerikaner aus Vietnam, die Auseinandersetzungen zwischen der Sowjetunion und China oder die Verhandlungen der USA und der Sowjetunion um die Begrenzung der Atomwaffen. Besonders aufschlussreich erscheint Schöllgen darüber hinaus, dass hier deutlich wird, wieso 1969 die Verhandlungen zwischen dem deutschen Botschafter Helmut Allardt und dem sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko scheitern mussten hinsichtlich der "Verträge mit Polen, der DDR und der Tschechoslowakei". Denn Gromyko habe damals auf der Unantastbarkeit der Grenzen und der `Anerkennung der Existenz` der DDR bestanden. Außerdem hebt Schöllgen die Passagen über de Gaulle hervor, die zeigen "wie genau und insgesamt zutreffend de Gaulle die Entwicklungen insbesondere der Sowjetunion beobachtete und analysierte". Großes Lob äußert der Rezensent darüber hinaus über den Anmerkungsapparat und die Register.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.2000Willy Brandt verstand
Als Gromyko auf Litwinows Rede von 1935 anspielte: Die Akten des Auswärtigen Amtes für 1969
Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1969. Herausgegeben im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte. Bearbeiter Franz Eibl und Hubert Zimmermann. Wissenschaftlicher Leiter Rainer A. Blasius. R. Oldenbourg Verlag, München 2000. LXXXIII, 1606 Seiten, 2 Bände, 240,- Mark.
Noch schien die Welt in Ordnung. Als Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und Staatspräsident Charles de Gaulle am 13. und 14. März 1969 zu offiziellen Gesprächen im Élysée zusammenkamen, hat kaum jemand erwarten können, dass diese Begegnung die letzte ihrer Art sein würde. Dass Kiesinger nach den Bundestagswahlen vom 28. September das Amt des Bundeskanzlers an Willy Brandt abtreten müsse, hielt nicht nur er für unwahrscheinlich; und dass sein französischer Gesprächspartner nur sechs Wochen später nicht mehr im Amt sein sollte, sondern am 28. April 1969 nach einem Volksentscheid zurücktreten würde, haben selbst seine vehementesten Kritiker im Innern kaum für möglich gehalten.
So gesehen lesen sich die Gesprächsaufzeichnungen geradezu wie ein politisches Testament de Gaulles: Nach wie vor war sich der General sicher, dass England, dessen Beitrittsgesuch zur Europäischen Gemeinschaft er erst jüngst zum zweiten Mal abgeschmettert hatte, "den Amerikanern" gehöre. "Die Engländer bedauerten dies vielleicht, aber sie hätten es nun mal während des Krieges angefangen, er habe es selbst gesehen, er sei ja da gewesen, als Churchill sich den Amerikanern unterstellt habe." Auf der anderen Seite belegen die Aufzeichnungen, wie genau und insgesamt zutreffend de Gaulle die Entwicklungen insbesondere in der Sowjetunion beobachtete und analysierte. So zeigte er sich gegenüber seinem deutschen Gesprächspartner überzeugt, "dass das heutige Sowjetrussland keine Schwierigkeiten mit dem Westen suche, nicht einmal Schwierigkeiten wegen Berlin. Die Gründe dafür lägen klar zutage, sie hießen China und die heimliche Evolution der Bevölkerung und der Satelliten."
Das alles ist jetzt in den "Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland" für das Jahr 1969 nachzulesen. Unter der bewährten wissenschaftlichen Regie von Rainer A. Blasius haben Franz Eibl und Hubert Zimmermann mehr als 400 Dokumente mit einem sorgfältig erstellten Anmerkungsapparat und soliden Registern versehen und so für eine interessierte Öffentlichkeit aufbereitet.
Die Akten zeigen, wie sehr jenes internationale Umfeld in Bewegung war, in dem die sozial-liberale Koalition seit dem Oktober 1969 mit enormem Tempo neue Wege in der Ost- und Deutschland-Politik sowie in der Berlin-Frage einzuschlagen suchte.
Der Rückzug aus Vietnam, den die seit Januar amtierende Nixon-Administration so schnell als möglich ins Werk setzen wollte; die zu Kampfhandlungen eskalierenden Spannungen zwischen der Sowjetunion und der Volksrepublik China, wo im April offiziell die "Große Proletarische Kulturrevolution" beendet wurde; oder auch die vor diesem Hintergrund zu sehenden amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen über eine Begrenzung der strategischen Atomwaffen (Salt) - das waren die weltpolitischen Rahmenbedingungen, denen sich die Außenpolitik der Bundesrepublik zu stellen hatte, ganz gleich, wer die politische Verantwortung trug: "Gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten", so brachte es der Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt Egon Bahr in einer Aufzeichnung zu Salt im Juni 1969 auf den Punkt, "sind die Grundlage unserer Sicherheitsund Deutschland-Politik."
Die Kooperation und Rückendeckung durch die Vereinigten Staaten war auch nötig, wenn man in Moskau weiterkommen wollte. Dort nämlich saß der eigentliche Verhandlungspartner der Regierung Brandt-Scheel, auch wenn es um die Verträge mit Polen, der DDR und der Tschechoslowakei ging. In den Akten des Auswärtigen Amtes für das Jahr 1969 ist jetzt nachzuvollziehen, warum die noch im Dezember aufgenommenen Unterredungen zwischen dem von Außenminister Walter Scheel instruierten deutschen Botschafter in Moskau Helmut Allardt und dem sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko alsbald in einer Sackgasse endeten.
Die Sowjets bestanden nämlich nicht nur kompromisslos auf ihren Maximalforderungen, sondern fielen in einigen Punkten noch hinter jenes Angebot zurück, das der Warschauer Pakt mit dem "Budapester Appell" vom 17. März 1969 bereits unterbreitet hatte. War dort von der "Unantastbarkeit der in Europa bestehenden Grenzen" sowie von der "Anerkennung der Existenz" der DDR die Rede gewesen, so forderte Gromyko jetzt wieder die völkerrechtliche Anerkennung der DDR und beharrte auf dem Prinzip der grundsätzlichen Unveränderlichkeit der Grenzen in Europa.
Offensichtlich war sich die Kreml-Führung ziemlich sicher, dass ihre harte Haltung nicht zu einem Abbruch des Kontaktes, sondern vielmehr zu einer Beschleunigung der Verhandlungen führen werde. Der Beitritt der Bundesrepublik zum Atomsperrvertrag, über den es in der Großen Koalition zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen war und den die neue Bundesregierung am 28. November vollzog, bestärkte die sowjetische Führung in ihrer Einschätzung, dass es Bonn jetzt um rasche vorweisbare Erfolge in ihrer Ost- und Deutschland-Politik zu tun war.
Im Übrigen war den Sowjets bekannt, dass Willy Brandt und seine Leute, ähnlich wie sie selbst, die Verhandlungen und die ins Auge gefassten Verträge als Etappen auf dem Weg zu einer allgemeineuropäischen Friedensordnung betrachteten, auch wenn sich die Vorstellungen beider Seiten von deren konkreter Ausgestaltung vorerst nur partiell deckten. Und so gab der sowjetische Außenminister dem deutschen Botschafter zu verstehen, dass man die einzelnen Abkommen nicht isoliert betrachten, "das Problem als solches" also "ebensowenig zerschneiden" könne "wie etwa das Problem der europäischen Sicherheit oder die Weltpolitik als Ganzes. In diesem Zusammenhang erinnere er an die sowjetische These von der Unteilbarkeit des Friedens, die schon vor dem Krieg formuliert worden sei." Mit diesem Rückgriff auf das Prinzip "kollektiver Sicherheit" spielte Gromyko auf die berühmte Rede eines seiner Amtsvorgänger, Maxim Litwinows, vom Januar 1935 an. Er konnte sicher sein, dass namentlich Willy Brandt mit diesem Hinweis etwas anfangen konnte.
GREGOR SCHÖLLGEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Als Gromyko auf Litwinows Rede von 1935 anspielte: Die Akten des Auswärtigen Amtes für 1969
Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1969. Herausgegeben im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte. Bearbeiter Franz Eibl und Hubert Zimmermann. Wissenschaftlicher Leiter Rainer A. Blasius. R. Oldenbourg Verlag, München 2000. LXXXIII, 1606 Seiten, 2 Bände, 240,- Mark.
Noch schien die Welt in Ordnung. Als Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und Staatspräsident Charles de Gaulle am 13. und 14. März 1969 zu offiziellen Gesprächen im Élysée zusammenkamen, hat kaum jemand erwarten können, dass diese Begegnung die letzte ihrer Art sein würde. Dass Kiesinger nach den Bundestagswahlen vom 28. September das Amt des Bundeskanzlers an Willy Brandt abtreten müsse, hielt nicht nur er für unwahrscheinlich; und dass sein französischer Gesprächspartner nur sechs Wochen später nicht mehr im Amt sein sollte, sondern am 28. April 1969 nach einem Volksentscheid zurücktreten würde, haben selbst seine vehementesten Kritiker im Innern kaum für möglich gehalten.
So gesehen lesen sich die Gesprächsaufzeichnungen geradezu wie ein politisches Testament de Gaulles: Nach wie vor war sich der General sicher, dass England, dessen Beitrittsgesuch zur Europäischen Gemeinschaft er erst jüngst zum zweiten Mal abgeschmettert hatte, "den Amerikanern" gehöre. "Die Engländer bedauerten dies vielleicht, aber sie hätten es nun mal während des Krieges angefangen, er habe es selbst gesehen, er sei ja da gewesen, als Churchill sich den Amerikanern unterstellt habe." Auf der anderen Seite belegen die Aufzeichnungen, wie genau und insgesamt zutreffend de Gaulle die Entwicklungen insbesondere in der Sowjetunion beobachtete und analysierte. So zeigte er sich gegenüber seinem deutschen Gesprächspartner überzeugt, "dass das heutige Sowjetrussland keine Schwierigkeiten mit dem Westen suche, nicht einmal Schwierigkeiten wegen Berlin. Die Gründe dafür lägen klar zutage, sie hießen China und die heimliche Evolution der Bevölkerung und der Satelliten."
Das alles ist jetzt in den "Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland" für das Jahr 1969 nachzulesen. Unter der bewährten wissenschaftlichen Regie von Rainer A. Blasius haben Franz Eibl und Hubert Zimmermann mehr als 400 Dokumente mit einem sorgfältig erstellten Anmerkungsapparat und soliden Registern versehen und so für eine interessierte Öffentlichkeit aufbereitet.
Die Akten zeigen, wie sehr jenes internationale Umfeld in Bewegung war, in dem die sozial-liberale Koalition seit dem Oktober 1969 mit enormem Tempo neue Wege in der Ost- und Deutschland-Politik sowie in der Berlin-Frage einzuschlagen suchte.
Der Rückzug aus Vietnam, den die seit Januar amtierende Nixon-Administration so schnell als möglich ins Werk setzen wollte; die zu Kampfhandlungen eskalierenden Spannungen zwischen der Sowjetunion und der Volksrepublik China, wo im April offiziell die "Große Proletarische Kulturrevolution" beendet wurde; oder auch die vor diesem Hintergrund zu sehenden amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen über eine Begrenzung der strategischen Atomwaffen (Salt) - das waren die weltpolitischen Rahmenbedingungen, denen sich die Außenpolitik der Bundesrepublik zu stellen hatte, ganz gleich, wer die politische Verantwortung trug: "Gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten", so brachte es der Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt Egon Bahr in einer Aufzeichnung zu Salt im Juni 1969 auf den Punkt, "sind die Grundlage unserer Sicherheitsund Deutschland-Politik."
Die Kooperation und Rückendeckung durch die Vereinigten Staaten war auch nötig, wenn man in Moskau weiterkommen wollte. Dort nämlich saß der eigentliche Verhandlungspartner der Regierung Brandt-Scheel, auch wenn es um die Verträge mit Polen, der DDR und der Tschechoslowakei ging. In den Akten des Auswärtigen Amtes für das Jahr 1969 ist jetzt nachzuvollziehen, warum die noch im Dezember aufgenommenen Unterredungen zwischen dem von Außenminister Walter Scheel instruierten deutschen Botschafter in Moskau Helmut Allardt und dem sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko alsbald in einer Sackgasse endeten.
Die Sowjets bestanden nämlich nicht nur kompromisslos auf ihren Maximalforderungen, sondern fielen in einigen Punkten noch hinter jenes Angebot zurück, das der Warschauer Pakt mit dem "Budapester Appell" vom 17. März 1969 bereits unterbreitet hatte. War dort von der "Unantastbarkeit der in Europa bestehenden Grenzen" sowie von der "Anerkennung der Existenz" der DDR die Rede gewesen, so forderte Gromyko jetzt wieder die völkerrechtliche Anerkennung der DDR und beharrte auf dem Prinzip der grundsätzlichen Unveränderlichkeit der Grenzen in Europa.
Offensichtlich war sich die Kreml-Führung ziemlich sicher, dass ihre harte Haltung nicht zu einem Abbruch des Kontaktes, sondern vielmehr zu einer Beschleunigung der Verhandlungen führen werde. Der Beitritt der Bundesrepublik zum Atomsperrvertrag, über den es in der Großen Koalition zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen war und den die neue Bundesregierung am 28. November vollzog, bestärkte die sowjetische Führung in ihrer Einschätzung, dass es Bonn jetzt um rasche vorweisbare Erfolge in ihrer Ost- und Deutschland-Politik zu tun war.
Im Übrigen war den Sowjets bekannt, dass Willy Brandt und seine Leute, ähnlich wie sie selbst, die Verhandlungen und die ins Auge gefassten Verträge als Etappen auf dem Weg zu einer allgemeineuropäischen Friedensordnung betrachteten, auch wenn sich die Vorstellungen beider Seiten von deren konkreter Ausgestaltung vorerst nur partiell deckten. Und so gab der sowjetische Außenminister dem deutschen Botschafter zu verstehen, dass man die einzelnen Abkommen nicht isoliert betrachten, "das Problem als solches" also "ebensowenig zerschneiden" könne "wie etwa das Problem der europäischen Sicherheit oder die Weltpolitik als Ganzes. In diesem Zusammenhang erinnere er an die sowjetische These von der Unteilbarkeit des Friedens, die schon vor dem Krieg formuliert worden sei." Mit diesem Rückgriff auf das Prinzip "kollektiver Sicherheit" spielte Gromyko auf die berühmte Rede eines seiner Amtsvorgänger, Maxim Litwinows, vom Januar 1935 an. Er konnte sicher sein, dass namentlich Willy Brandt mit diesem Hinweis etwas anfangen konnte.
GREGOR SCHÖLLGEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Das Herausgebergremium beziehungsweise dessen Mitarbeiter bieten in der bekannt hervorragenden Editionsqualität nicht nur einen guten Überblick über Schlüsseldokumente der deutschen Außenpolitik, sondern betten diese durch umfangreiche Erklärungen und Verweise so ein, dass ein vielgestaltiges Bild der bundesdeutschen Außenpolitik im Jahr 1969, ihrer Probleme und Grundzüge entsteht." (Zeitschrift für Politikwissenschaften 2000)