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Der Autor behandelt die Beurteilung der "aktiven" Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Sicht. Die einschlägigen Argumente werden verfassungsrechtlich, das heißt grundrechtlich eingefangen und systematisch verarbeitet. Durch eine konsequente Analyse des Lebensrechtes (Art. 2 II GG) aus der Autonomieperspektive des Art. 1 I GG soll eine konsistente Interpretation des Lebensschutzes jenseits der Alternative von Heiligkeit des Lebens versus Interessenschutz vorgestellt werden. Eingehend behandelt werden auch bislang wenig erörterte Fallkonstellationen der aktiven Sterbehilfe: Patientenverfügung,…mehr

Produktbeschreibung
Der Autor behandelt die Beurteilung der "aktiven" Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Sicht. Die einschlägigen Argumente werden verfassungsrechtlich, das heißt grundrechtlich eingefangen und systematisch verarbeitet. Durch eine konsequente Analyse des Lebensrechtes (Art. 2 II GG) aus der Autonomieperspektive des Art. 1 I GG soll eine konsistente Interpretation des Lebensschutzes jenseits der Alternative von Heiligkeit des Lebens versus Interessenschutz vorgestellt werden. Eingehend behandelt werden auch bislang wenig erörterte Fallkonstellationen der aktiven Sterbehilfe: Patientenverfügung, Früheuthanasie, aktive Sterbehilfe bei Kindern und "Hirntoten". Letztlich besitzt der Gesetzgeber bei der Pönalisierung wie bei der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe einen Einschätzungs-, Gestaltungs- und Abwägungsspielraum, um den Konflikt zwischen seiner Verpflichtung zum effektiven Lebensschutz und dem Recht auf bioethische Selbstbestimmung über das eigene Leben und Sterben (Art. 2 II i.V.m. Art. 1 I GG) aufzulösen. Strikt einzuhaltende Grenzen und die hohen Anforderungen an den gesetzgeberischen Lebensschutz werden aufgezeigt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.2005

Auf gar keinen Fall?
Jörg Antoine fragt nach der aktiven Sterbehilfe in Deutschland

Dem Modell der ergebenen Hinnahme von Leid und Tod stellte der Schweizer Bioethiker Markus Zimmermann-Acklin vor einigen Jahren das Modell eines hedonistisch geprägten Umgangs mit dem eigenen Sterben gegenüber. Der Hedonist lebt aus dem Ideal, möglichst gesund zu sterben. Das Weiterleben befindet er für wertlos, wenn das Leben die erwartete Qualität nicht mehr erreicht oder das Bewußtsein verlorengegangen ist. Die Abhängigkeit von anderen empfindet er als entwürdigend. Mit dem zunehmenden Einfluß dieses Ideals geht die Forderung einher, über das Ende des eigenen Lebens selbst bestimmen zu können. So konnte das Schlagwort von der "Patientenautonomie" binnen weniger Jahrzehnte zum Angelpunkt der medizinethischen und medizinrechtlichen Diskussion aufsteigen.

Die gegenwärtige Rechtslage in Deutschland kommt diesem Ansinnen bereits in weitem Umfang entgegen. Die Beihilfe zum Suizid ist straflos. Das Recht des Patienten, Heileingriffe aus jedem erdenklichen Grund abzulehnen, wird von niemandem mehr in Zweifel gezogen. Auch eine im voraus verfaßte Patientenverfügung soll eine weitreichende Bindungswirkung für den behandelnden Arzt entfalten. Die letzte Bastion der traditionellen Lehre von der Heiligkeit des Lebens bildet das Verbot der aktiven Sterbehilfe. Erst vor wenigen Tagen hat die Bundesjustizministerin im Gespräch mit dieser Zeitung bekräftigt, aktive Sterbehilfe werde "auf gar keinen Fall" toleriert (F.A.Z. vom 8. März 2005). Ein Blick in das Strafgesetzbuch scheint dies zu bestätigen. Dessen Paragraph 216 stellt klar, daß auch derjenige sich strafbar macht, der durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden ist.

Bei Lichte besehen, ist allerdings auch das Verbot der aktiven Sterbehilfe bereits in vielfacher Weise ausgehöhlt. So wird die sogenannte indirekte Sterbehilfe allgemein für erlaubt gehalten. Indirekte Sterbehilfe liegt vor, wenn eine ärztlich gebotene, schmerzlindernde Medikation bei einem sterbenden Patienten als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann. Der Sache nach handelt es sich dabei um eine vorsätzliche und direkte Tötungshandlung. Daß ihre Zulässigkeit nicht an der Klippe des Paragraphen 216 zerschellt, kann die Strafrechtswissenschaft nur mit Hilfe höchst waghalsiger Konstruktionen begründen. Schon seit geraumer Zeit geben die radikalen Verfechter des Ideals der Patientenautonomie sich allerdings nicht mehr mit solchen Randkorrekturen zufrieden. Sie blasen zum Generalangriff auf das Verbot der aktiven Sterbehilfe. Wird durch dieses Verbot nicht der Selbstbestimmung des Sterbewilligen Gewalt angetan? Gehört zum vielbeschworenen "Recht auf den eigenen Tod" nicht auch das Recht, sich von fremder Hand "erlösen" zu lassen?

Diesen Behauptungen geht Jörg Antoine in seiner Dissertation nach. Überzeugend weist er nach, daß Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes das Leben nicht um seiner selbst willen, sondern um der Autonomie des Grundrechtsträgers willen schützt. Das Lebensgrundrecht erweist sich in dieser Perspektive als "ein allgemeines Persönlichkeitsrecht der Selbstbestimmung über die eigene Körperlichkeit". Auch die Vernichtung des eigenen Lebens fällt danach in den Schutzbereich des Grundrechts auf Leben. Ob der Sterbewillige den tödlichen Akt mit eigener Hand vollzieht oder ob er ihn von einem anderen vollziehen läßt, ist in dieser Perspektive lediglich eine Frage der Binnenorganisation des eigenen Rechtskreises. Zutreffend betont Antoine, daß man sich absurden Schlußfolgerungen aussetzte, würde man die Inanspruchnahme von Mitmenschen zur Umsetzung des eigenen Willens als eine Form der Fremdverfügung ansehen. "Eine gewünschte Schönheitsoperation am Patienten ist ebensowenig eine Fremdverfügung über dessen Körper wie die Reise mit einem Flugzeug eine Freiheitsberaubung darstellt." Die Einsetzung anderer Personen zur Realisierung des eigenen Willens sei für denjenigen, der die zu realisierenden Zwecke vorgebe, vielmehr "Ausdruck einer Ausweitung autonomer Selbstbestimmungsmöglichkeiten". Mit der Autonomie des Patienten Ernst zu machen hieße demnach in der Tat, auch die aktive Sterbehilfe freizugeben. Daß eine solche Maßnahme vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt wäre, erkennt Antoine ausdrücklich an. Die Aufgabe des Gesetzgebers bestünde in diesem Fall lediglich darin, durch geeignete präventive Schutzmaßnahmen sicherzustellen, daß dem Tötungswunsch eine ernsthafte, wohlüberlegte und von Irrtümern freie Entscheidung zugrunde liege.

Antoine selbst plädiert dennoch für eine Beibehaltung des Verbots aktiver Sterbehilfe. Durch seine vorangegangenen Ausführungen hat er sich freilich um die Möglichkeit gebracht, zur Begründung auf das Lebensrecht des Sterbewilligen selbst zu verweisen. Er greift deshalb auf die Lebensrechte anderer Bürger zurück, "die bei Legalisierung der aktiven Sterbehilfe einem höheren Mißbrauchsrisiko und der Gefahr des Dammbruchs ausgesetzt sind". Für diese Strategie zahlt Antoine einen hohen, ihm selbst anscheinend nicht voll bewußten Preis. Unter Antoines Händen verwandelt sich der Paragraph 216 von einer Straftat gegen das Leben zu einem Delikt gegen die öffentliche Sicherheit, auf einer Linie mit der Trunkenheit im Straßenverkehr und anderen gemeingefährlichen Straftaten. Auch die Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid gerät in der Konsequenz von Antoines Begründungsansatz ins Wanken. Zwar setzt die Selbsttötung eine gewisse Beteiligung des Suizidenten voraus. Er selbst muß die Giftampulle schlucken oder die tödliche Injektion auslösen. Die im Fall der aktiven Sterbehilfe drohende und in den Niederlanden bereits vollzogene Ausweitung auf handlungsunfähige Patienten kann hier deshalb nicht stattfinden.

Quantitativ weitaus bedeutender als die Gruppe der Handlungsunfähigen ist indes die Gruppe jener Kranken, die zu der erforderlichen Mitwirkung noch imstande sind. Ist die sich aus der Straflosigkeit der Suizidbeihilfe ergebende Rechtslage, wonach es Außenstehenden erlaubt ist, einem Kranken mit Nachdruck die Selbsttötung nahezulegen und ihm zugleich umfassende professionelle Hilfe bei deren Durchführung in Aussicht zu stellen, nicht ebenfalls hochgradig mißbrauchsanfällig? Müßte deshalb ein Autor, der wie Antoine die Mißbrauchs- und Dammbruchgefahr in den Mittelpunkt seiner Begründung stellt, nicht konsequenterweise auch für die Pönalisierung der Beihilfe zur Selbsttötung eintreten und damit einer Ausweitung der Strafbarkeit das Wort reden, die niemand will, am wenigsten Antoine selbst?

Während unzureichende Begründungen gewöhnlich daran kranken, daß sie zuwenig erklären, leidet Antoines Vorschlag unter dem umgekehrten Gebrechen: Er erklärt zuviel. Auch mit dem von Antoine ausgeworfenen Rettungsanker wird sich ein weiteres Abdriften der Sterbehilfediskussion in die Untiefen einer Kultur des Todes nicht verhindern lassen. Der Leser legt deshalb Antoines kluges Buch mit der beklemmenden Einsicht aus der Hand, daß die Zulassung der aktiven Sterbehilfe auch in Deutschland nur noch eine Frage der Zeit ist.

MICHAEL PAWLIK.

Jörg Antoine: "Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung". Schriften zum öffentlichen Recht, Band 966. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2004. 479 S., 1 Abb., br., 89,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dies Buch gilt dem alltäglichen Sterben. Und es ist ein informatives wie erschütterndes Buch, wollen wir den Worten des Rezensenten Michael Pawlik Glauben schenken. Erschütternd, weil der Autor uns mitnimmt auf die Palliativstationen der Spitäler, Heime und Hospizen, informativ, weil er Kostenberechnungen und Statistiken auswertet. Das ergibt ein düsteres Gesamtbild, das der Rezensent denjenigen zur Ansicht empfiehlt, die sich gesundheitspolitisch dem Ausbau der palliativmedizinischen Versorgung gern verweigern möchten: So schaut das in der Praxis aus. Pawlik gruselts angesichts des dokumentierten Heimalltags und der im Buch gewährten Einsicht in eine Studie zu den Todesursachen von Altenheimbewohnern. Dabei lehrt ihn der gründlich rechnende Autor, dass sich eine Verbesserung finanziell durchaus bewältigen ließe. Nach dieser Lektüre, so Pawlik, wird man Todesanzeigen mit anderen Augen lesen.

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