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"Die aufgeklärte Öffentlichkeit im Westen hat neue Helden: die Journalisten und Macher des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira. Ganz offensichtlich lassen sie sich weder von Anzeigenboykotten aus der arabischen Welt noch von Anfeindungen der amerkanischen Führung davon abbringen, ihnen zugängliche Nachrichten ohne jedwede Rücksichten zu verbreiten. Weltweites Aufsehen erregte Al Dschasira, als man nach dem 11. September ein Tonband Osama Bin Ladens abspielte. Seitdem steht der Sender im Verdacht, mit Al Quaida zu konspirieren. In den Verdacht, auch vom israelischen Geheimdienst oder der…mehr

Produktbeschreibung
"Die aufgeklärte Öffentlichkeit im Westen hat neue Helden: die Journalisten und Macher des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira. Ganz offensichtlich lassen sie sich weder von Anzeigenboykotten aus der arabischen Welt noch von Anfeindungen der amerkanischen Führung davon abbringen, ihnen zugängliche Nachrichten ohne jedwede Rücksichten zu verbreiten. Weltweites Aufsehen erregte Al Dschasira, als man nach dem 11. September ein Tonband Osama Bin Ladens abspielte. Seitdem steht der Sender im Verdacht, mit Al Quaida zu konspirieren. In den Verdacht, auch vom israelischen Geheimdienst oder der CIA finanziert zu sein, kam er, als er zu Beginn der zweiten Intifada in seiner berühmten Talkshow »The Opposite Direction« auch Israelis zu Wort kommen ließ. Mit dieser Politik folgt Al-Dschasira - nach Auskunft der Verantwortlichen - »nur« seinem Motto »Meinung und Gegenmeinung«. Ob damit die tatsächlichen Motive des Senders richtig charakterisiert sind, ist auch Thema dieser Reportage. Der Journalist Hugh Miles sprach mit den Schlüsselfiguren des Senders. Er berichtet über die Hintergründe und die Stationen des meteoritengleichen Aufstiegs eines Fernsehsenders, der ab demnächst auch in englischer Sprache senden wird, um so weltweit zu agieren. Möglicherweise, so meint Hugh Miles selbstkritisch, habe er nur deswegen - sozusagen als PR im englischsprachigen Raum - die bisher einmalige Gelegenheit erhalten, hinter die Kulissen zu sehen."
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2005

Pflichtprogramm aus Qatar
Entstehung und Wirkung des Fernsehsenders Al Dschazira

Der Fernsehsender Al Dschazira ist im Westen vor allem durch Usama Bin Ladin bekannt geworden: als Sprachrohr für seine Bekennerschreiber und als Plattform zur Verbreitung seiner radikalen Ideen in Interviews. Hugh Miles widmet sich nun der Entstehung und Wirkung des Fernsehsenders aus dem Emirat Qatar. Die Medien in der arabischen Welt waren immer einer gewissen Zensur ausgesetzt, zuerst durch die Kolonialherren, später durch die islamischen Führer.

Als Beispiel dafür führt Miles die Berichterstattung im Zuge des arabisch-israelischen Krieges von 1967 an, als die arabischen Radiosender verkündeten, Israels Flugzeuge "fallen vom Himmel wie Fliegen". Eine Woche später erfuhren die Araber, daß die Wirklichkeit anders aussah - und sie erfuhren es durch ausländische Sender. "Seither haben die Medien wenig unternommen, um das tief erschütterte Vertrauen der Araber zurückzugewinnen. Als 1990 die Iraker in Kuweit einmarschierten, meldeten dies die saudischen Medien erst zwei Tage später."

Die Marktlücke der vertrauensvollen Medienarbeit versucht Al Dschazira zu schließen. Allein durch seine Präsenz in der Region ermöglicht er im Zuge der Intifada, daß die israelischen Medien keine Hegemonie über die Deutung der Ereignisse mehr beanspruchen können. Die Wahrnehmung des politischen Weltgeschehens findet auf der Grundlage des islamischen Welt- und Menschenbildes statt - andere Vorzeichen als in der westlichen Welt. Dies ist "die Herausforderung für den Westen", von der Miles schreibt.

Al Dschazira ist das Ziehkind der Emirfamilie von Qatar. Neben Nachrichten aus Politik, Wirtschaft und Sport (mit der ersten weiblichen Sportreporterin der arabischen Welt) leistet sich der Sender auch, aktuelle gesellschaftliche Konstellationen im Nahen und Mittleren Osten in Diskussionssendungen ungeschminkt aufs Korn zu nehmen: "Hier wurden arabische Herrscher erstmals offen als Lakaien der Vereinigten Staaten an den Pranger gestellt und ihre Politik als speichelleckerisch, verräterisch und korrupt gebrandmarkt." Politisch kritisch sind die wenigsten Medien in der Region.

Welche Haltung Al Dschazira zur Terrororganisation Al-Qaida hat, bleibt umstritten. Mehrfach hat sich Terrorchef Bin Ladin über den Sender an die Weltöffentlichkeit gewandt. "Al Dschazira war das einzige Medium, durch das Bilder aus Afghanistan in die übrige Welt gelangen konnten. Bin Ladins Fax machte Schlagzeilen und ebenso der Sender, der es verbreitet hatte. Es gab zahlreiche Spekulationen über das Verhältnis zwischen Bin Ladin und Al Dschazira." Auch wenn man bislang zu keinem abschließenden Urteil kommen konnte, ist Al Dschazira mittlerweile ein Pflichtprogramm für Journalisten auf der ganzen Welt.

Zum einen klopfen sie an die Türen des kleinen Sendehauses in Doha, um zu erfragen, ob unabhängiger Journalismus im Dunstkreis orientalischen Dünkels und Nepotismus gelingen kann. Zum anderen hat der Sender mittlerweile sein Korrespondentennetz bis nach Nordamerika ausgeweitet: George W. Bush ist stets bereit, dem Sender ein Interview zu geben, um das Image der Vereinigten Staaten in der arabischen Welt zu verbessern. Bei der Berichterstattung rund um den Tod und die Beerdigung von Papst Johannes Paul II. und der Wahl von Benedikt XVI. auf den Stuhl Petri durfte ein Sender nicht fehlen: Al Dschazira. Die Messe aus Rom war überall in der arabischen Welt zu sehen, unter anderem in Saudi-Arabien und im Jemen, wo freie Religionsausübung und somit auch die katholische Kirche verboten sind. Soviel Freigeist ist den politischen Eliten der islamischen Welt nicht immer recht. Der Sender wird als Meilenstein in Richtung eines "islamischen Glasnost" gewertet, so Miles. Seine sehr empfehlenswerte Abhandlung ist in erzählender Wissenschaftlichkeit, wie sie im angelsächsischen Raum üblich ist, gehalten.

Von der Entwicklung der Medienlandschaft in der islamischen Welt, von deren Unabhängigkeit, hängen entscheidend die politischen Veränderungen der Region ab. "So viel Ärger aus einer Streichholzschachtel", soll nach Miles der ägyptische Alleinherrscher Mubarak - oft Zielscheibe der Kritik des Senders - verblüfft ausgerufen haben, als er die bescheidenen Räumlichkeiten des Senders in Qatar einmal besuchte: Kleine Ursache, große Wirkung!

ALEXANDER GÖRLACH

Hughes Miles: Al-Dschasira. Ein arabischer Nachrichtensender fordert den Westen heraus. Aus dem Englischen von Bernhard Jendricke und Gabriele Gockel. EVA Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2005. 335 S., 24,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Auch wenn es Rezensent "ras" nicht explizit sagt: Er scheint mit Hugh Miles' Porträt des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira hochzufrieden zu sein. Als einen Schwerpunkt der Darstellung macht "Ras" die Frage nach der Unabhängigkeit des in Qatar stationierten Senders aus, die Miles "differenziert" zu beantworten versuche. Miles zeige, wie schwierig es für Nachrichtensender überhaupt ist, die richtige Balance aus Nähe und Distanz zu ihren Quellen zu halten. Ansonsten betone Miles, dass auch Al-Dschasira der generellen Entwicklung des Mediensystems unterworfen ist: "Sensationsmache, Banalisierung, Emotionalisierung". Allerdings habe es Al-Dschasira geschafft, entnimmt der Rezensent der Darstellung von Miles, durch Exklusivberichte den globalen Informationsfluss erstmals teilweise umzukehren sowie durch seine Talkshows die anderen Sender der Region zu zwingen, ihr Programm nach den tatsächlichen Publikumsinteressen auszurichten.

© Perlentaucher Medien GmbH