Zum ersten Mal in deutscher Sprache wird das gesamte Werk "Alack Sinner" komplett in einem Band veröffentlicht. Die Sammlung umfasst sämtliche Abenteuer des Ex-Polizisten und Privatdetektivs, die weltweit von Comicliebhaberinnen & Comicliebhabern gefeiert werden und zu den modernen Klassikern des Genres zählen. Zwischen 1975 und 2006 wurden sie von den Argentiniern Jose Mun oz und Carlos Sampayo kreiert.Alack Sinner ist ein Detektiv aus dem Kanon der amerikanischen schwarzen Serie: ehrlich, aber desillusioniert und zynisch, misanthropisch und einsam, aber Verteidiger derer, denen niemand hilft. Ein Antiheld, der Falle löst, während er über sich selbst und die Gesellschaft reflektiert.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.10.2019Das Script des Lebens
Jedes Bild eine Explosion. Die gebündelten Comics über die Fälle des Detektivs Alack Sinner, von José Muñoz und Carlos Sampayo
Manchmal steckt ein ganzes Leben in einem einzigen Comic-Bild, pulsierend in seiner Fülle – die Straßen von Harlem oder vom Greenwich Village, mit all ihren Schwarzen, Hippies, Prostituierten, oder das lakonische Gedränge in Joe’s Bar oder das schäbige kleine Zimmer eines einsamen Mannes mit zerfurchtem Gesicht, ein zerwühltes Bett, daneben ein Nachttischchen mit einer schrägen Lampe, einer vollen Kaffeetasse, einem überquellenden Aschenbecher, einem Päckchen Camel, einem Buch, dessen Titel ist The Long (nicht: Big) Sleep. Alack Sinner heißt der Mann, der hier haust, ein dicker Band packt nun all die Abenteuer zusammen, die er in den vergangenen Jahrzehnten zwischen 1975 und 2008 erlebt hatte, in den Comics von José Muñoz (Zeichnungen) und Carlos Sampayo (Text). Sinner war einst ein Cop in New York, nun ist er Privatdetektiv, aber man spürt, dass er diesen Job nicht erledigt, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern um die Leere und Einsamkeit seiner Existenz zu vergessen.
Einen Namen, der so eindeutig spricht, wird’s wohl nicht wieder geben in der Tradition der Comic-Noirs. Alack, das ist im Englischen ein Seufzer, der für Tristesse und Wehmut steht, der Sinner ist, in diesem Genre, pure moralische Ironie. Privatdetektive, die in New York allemal, sind die Comic-Helden par excellence. Ihre Welt ist die Nacht, ihre Perspektiven sind Stückwerk, jeder, der ihnen über den Weg läuft, ob schweigsam oder mit fiesen Pointen, ist erst mal suspekt. Jedes einzelne Bild will für sich genommen werden, es ist wie eine Explosion – eine Kontinuität wird es nicht geben, eine erlösende Aufklärung des Falles, eine Deutung der Welt. Eine Leere, die Muñoz inspirierend findet: „Die grausame Welt bereichert unsere bildnerischen, erzählerischen Talente mit dem Fehlen von Bedeutung im Script des Lebens.“
José Muñoz, Jahrgang 1942, studierte bei den großen Comic-Autoren Hugo Pratt und Alberto Breccia, Carlos Sampayo, Jahrgang 1943, lernte er 1974 in Barcelona kennen. Beide sind in Buenos Aires aufgewachsen, in den Jahren der Militärdiktatur, in der Aura des südamerikanischen magischen Realismus, wo das Intellektuelle sich auf natürliche Weise mit der Kolportage mischt, dabei ausgesprochen politisch wird. Ihre Zusammenarbeit begann mit der ersten Folge von „Alack Sinner“ in der italienischen Zeitschrift alterlinus. Gemeinsam schufen sie auch eine Comic-Biografie von Billie Holiday.
Die Zerrissenheit der Noir-Stadt New York ist so radikal, weil die beiden Autoren New York nicht kannten, als sie Alack Sinner schufen. Der muss in den ersten Geschichten jede Menge zerstrittene, ja perverse Familienverhältnisse durchstöbern, meistens in den großbürgerlichen Schichten, wie das Vorbild Philip Marlowe. Dann kommen allmählich persönliche Erfahrungen hinzu, mit seiner Tochter, seinem Vater. Die letzte Geschichte heißt „Der Fall USA“ und beginnt am 11. August 2001, sie rutscht schnell auf die politische Ebene zwischen der Mafia und dem Präsidenten Bush & Entourage, einer geplanten Attacke arabischer Terroristen und den Geschäften, die man damit machen kann. Hier muss die Erzählung ganz fragmentarisch und fragil werden, mit stricheligen Konturen, sodass der Begriff minimalistisch noch viel zu rund klingt, und die Freiheitsstatue erscheint wie eine staksige Giacometti-Figur.
FRITZ GÖTTLER
José Muñoz (Zeichnungen), Carlos Sampayo (Text): Alack Sinner. Aus dem Spanischen von André Höchemer. Avant-Verlag, Berlin 2019. 704 Seiten, 49 Euro.
Am Anfang stand der
tiefe Schlaf, das Ende
kommt mit 9/11
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Jedes Bild eine Explosion. Die gebündelten Comics über die Fälle des Detektivs Alack Sinner, von José Muñoz und Carlos Sampayo
Manchmal steckt ein ganzes Leben in einem einzigen Comic-Bild, pulsierend in seiner Fülle – die Straßen von Harlem oder vom Greenwich Village, mit all ihren Schwarzen, Hippies, Prostituierten, oder das lakonische Gedränge in Joe’s Bar oder das schäbige kleine Zimmer eines einsamen Mannes mit zerfurchtem Gesicht, ein zerwühltes Bett, daneben ein Nachttischchen mit einer schrägen Lampe, einer vollen Kaffeetasse, einem überquellenden Aschenbecher, einem Päckchen Camel, einem Buch, dessen Titel ist The Long (nicht: Big) Sleep. Alack Sinner heißt der Mann, der hier haust, ein dicker Band packt nun all die Abenteuer zusammen, die er in den vergangenen Jahrzehnten zwischen 1975 und 2008 erlebt hatte, in den Comics von José Muñoz (Zeichnungen) und Carlos Sampayo (Text). Sinner war einst ein Cop in New York, nun ist er Privatdetektiv, aber man spürt, dass er diesen Job nicht erledigt, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern um die Leere und Einsamkeit seiner Existenz zu vergessen.
Einen Namen, der so eindeutig spricht, wird’s wohl nicht wieder geben in der Tradition der Comic-Noirs. Alack, das ist im Englischen ein Seufzer, der für Tristesse und Wehmut steht, der Sinner ist, in diesem Genre, pure moralische Ironie. Privatdetektive, die in New York allemal, sind die Comic-Helden par excellence. Ihre Welt ist die Nacht, ihre Perspektiven sind Stückwerk, jeder, der ihnen über den Weg läuft, ob schweigsam oder mit fiesen Pointen, ist erst mal suspekt. Jedes einzelne Bild will für sich genommen werden, es ist wie eine Explosion – eine Kontinuität wird es nicht geben, eine erlösende Aufklärung des Falles, eine Deutung der Welt. Eine Leere, die Muñoz inspirierend findet: „Die grausame Welt bereichert unsere bildnerischen, erzählerischen Talente mit dem Fehlen von Bedeutung im Script des Lebens.“
José Muñoz, Jahrgang 1942, studierte bei den großen Comic-Autoren Hugo Pratt und Alberto Breccia, Carlos Sampayo, Jahrgang 1943, lernte er 1974 in Barcelona kennen. Beide sind in Buenos Aires aufgewachsen, in den Jahren der Militärdiktatur, in der Aura des südamerikanischen magischen Realismus, wo das Intellektuelle sich auf natürliche Weise mit der Kolportage mischt, dabei ausgesprochen politisch wird. Ihre Zusammenarbeit begann mit der ersten Folge von „Alack Sinner“ in der italienischen Zeitschrift alterlinus. Gemeinsam schufen sie auch eine Comic-Biografie von Billie Holiday.
Die Zerrissenheit der Noir-Stadt New York ist so radikal, weil die beiden Autoren New York nicht kannten, als sie Alack Sinner schufen. Der muss in den ersten Geschichten jede Menge zerstrittene, ja perverse Familienverhältnisse durchstöbern, meistens in den großbürgerlichen Schichten, wie das Vorbild Philip Marlowe. Dann kommen allmählich persönliche Erfahrungen hinzu, mit seiner Tochter, seinem Vater. Die letzte Geschichte heißt „Der Fall USA“ und beginnt am 11. August 2001, sie rutscht schnell auf die politische Ebene zwischen der Mafia und dem Präsidenten Bush & Entourage, einer geplanten Attacke arabischer Terroristen und den Geschäften, die man damit machen kann. Hier muss die Erzählung ganz fragmentarisch und fragil werden, mit stricheligen Konturen, sodass der Begriff minimalistisch noch viel zu rund klingt, und die Freiheitsstatue erscheint wie eine staksige Giacometti-Figur.
FRITZ GÖTTLER
José Muñoz (Zeichnungen), Carlos Sampayo (Text): Alack Sinner. Aus dem Spanischen von André Höchemer. Avant-Verlag, Berlin 2019. 704 Seiten, 49 Euro.
Am Anfang stand der
tiefe Schlaf, das Ende
kommt mit 9/11
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