Kommissarin Alba jagt ein Monster, das ihr stets einen Schritt voraus zu sein scheint. In einer heruntergekommenen Villa an der Via Nettunense, südlich von Rom, wird ein halbtotes Mädchen gefunden, gefesselt nach der japanischen Shibari-Tradition, systematisch und brutal misshandelt. Wer sie so zugerichtet hat, hat viel Zeit und Energie aufgewendet. Das Werk eines Verrückten. Das weiß Alba Doria, die in ihrer Persönlichkeit gestörte, brillante Hauptkommissarin der Staatspolizei. Es erinnert sie an die sadistischen Praktiken eines Serienkillers, doch der ist seit zehn Jahren tot. Damals hatte sie gemeinsam mit zwei Freunden von der Polizeischule in ein obskures Nest aus Geheimdiensten, Kriminellen und korrupten Politikern gestochen und viel riskiert. Nun holt die Vergangenheit sie wieder ein. Ein komplexer Fall um Latino-Banden, rumänische Zuhälter, Schattenbankiers, den Geheimdienst und das Darknet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2021Mein Wille wird Ihr Wille sein
Giancarlo de Cataldo findet Spaß an Fesselspielen
Im Dezember haben wir an dieser Stelle aufgelistet, was wir in Krimis nicht mehr lesen wollen. Zu den großen Sünden zählen etwa Anbiederungen an die Hochkultur, eine schablonenhafte Figurenpsyche, Analogien zwischen dem Wetter und der Stimmung des Ermittlers oder arme Typen, die von ihrer Vergangenheit eingeholt werden. Glücklicherweise sind seriöse Autoren meistens darauf bedacht, ihre Bücher nicht mit zu vielen Klischees zu kontaminieren. Betonung auf "meistens".
Giancarlo de Cataldo, 1956 im italienischen Tarent geboren und Autor von mehr als fünfzehn Romanen, hat für den Plot seines Thrillers "Alba Nera" ein Gerüst von Stereotypen errichtet, das zwar tragfähig ist, häufig jedoch wirkt, als handle es sich um den Versuch einer Parodie - oder um ein Best-of der von uns beanstandeten Fauxpas. Die Geschichte setzt mit einer widerwärtigen Gewaltszene ein, um im zweiten Kapitel direkt beim Therapeuten zu landen. Seine Patientin ist Alba Doria, Hauptkommissarin der Staatspolizei in Rom, geübt im Umgang mit Waffen, cleverer als die Kollegen. Kürzlich hat sie einen Serienmörder zur Strecke gebracht und anschließend posttraumatischen Stress entwickelt.
Der Psychologe glaubt nach zwölf Sitzungen zu wissen, dass Alba unter Wahnsinn leidet: "Die Frau ist gefährlich." Zudem wäre er gerne "schon vor geraumer Zeit über sie hergefallen". Das hat sie natürlich sofort bemerkt: "Er ist ein gutaussehender Mann, wahrscheinlich ein guter Liebhaber." Im Übrigen existiert bereits eine Diagnose für sie - dunkle Triade, eine Mischung aus Narzissmus, Soziopathie und Manipulationsdrang.
Diesen heiklen Persönlichkeitscocktail bringt De Cataldo immer wieder zur Sprache, ohne daraus Spannungskapital zu schlagen. Er spart es sich nämlich, Dinge an den Figuren zu zeigen, und zieht es vor, Dinge über die Figuren zu behaupten. Seine Devise lautet "tell, don't show". So lernen wir beispielsweise auch, dass Albas Kollege Biondo dröge und voraussehbar ist, weil dies über ihn gesagt wird, nicht weil er sich entsprechend verhält.
Die beiden Polizisten bilden gemeinsam mit Dr. Sax, dessen Schwiegervater eine hohe Position im Geheimdienst besetzt, das Ermittlerteam des Romans. Sie hatten vor vielen Jahren mit der Leiche einer jungen Frau zu tun, die nach japanischem Shibari-Vorbild verschnürt wurde. Bei dieser Fesselkunst geht es gleichermaßen um erotischen und ästhetischen Kitzel. Nun taucht abermals eine gefesselte Frau auf. Shibari lässt grüßen. Alles wie damals, "die Vergangenheit kehrt zurück".
Bei den Recherchen machen die Kommissare Abstecher in Folterkerker und ins Darknet, rumänische Zuhälter haben ebenso ihren Auftritt wie korrupte Politiker und kriminelle Latinos. Sobald es für die Protagonisten brenzlig wird, helfen meteorologische Indikatoren dem Leser auf die Sprünge: "Ein Blitz zuckt über den Himmel, gefolgt von einem viel zu nahen Donner. Die Erde zittert." Steuert die Handlung hingegen in Richtung Entspannungszone, wird aufgetischt: Schafherz auf Topinamburbett in Lakritzsoße. Oder Thunfisch mit Kartoffeln, Büffelmozzarella und Zitronenkuchen. Oder Paccheri alla Nerano mit gebratenen Zucchini und Provolone.
Kulinaristik verträgt sich nur selten mit Kriminalistik (Hannibal Lecter ist die Ausnahme, welche diese Regel bestätigt), und zu viel Kulturbeflissenheit gefährdet bei unsachgemäßer Handhabung schnell den Charme von Genreliteratur (Hannibal ist auch hier die Ausnahme). De Cataldo kümmert sich nicht darum und schöpft aus dem Vollen. Man schaut sich "Schwanensee" an, sinniert über Duke Ellington oder Billie Holiday und zitiert ganze Passagen von Sacher-Masoch: "Ich akzeptiere Sie als Sklave und toleriere Sie unter folgenden Bedingungen an meiner Seite. Sie müssen völlig auf Ihr Ich verzichten . . .", sagt Alba zu ihrem Endgegner. Der ist gebildet genug, um zu erwidern: "Mein Wille wird Ihr Wille sein. Sie sind ein passives Werkzeug in meinen Händen und führen widerstandslos alle meine Befehle aus."
Die Figuren sind so kommunikationsfreudig, dass sie sich sogar Sachen erzählen, die sie längst wissen: "Du beginnst einen Schusswechsel mit zwei nervösen Jungs, einer haut ab, der andere ergibt sich und singt wie ein Vogel." Hier geht es nur darum, den Leser zu informieren. Der ist aber schon sehr früh sehr erschöpft und hat mehr Lust auf gebratene Zucchini und Zitronenkuchen als auf diesen Roman.
KAI SPANKE
Giancarlo de Cataldo: "Alba Nera". Thriller.
Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl.
Folio Verlag,
Bozen / Wien 2021.
256 S., geb., 22.- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Giancarlo de Cataldo findet Spaß an Fesselspielen
Im Dezember haben wir an dieser Stelle aufgelistet, was wir in Krimis nicht mehr lesen wollen. Zu den großen Sünden zählen etwa Anbiederungen an die Hochkultur, eine schablonenhafte Figurenpsyche, Analogien zwischen dem Wetter und der Stimmung des Ermittlers oder arme Typen, die von ihrer Vergangenheit eingeholt werden. Glücklicherweise sind seriöse Autoren meistens darauf bedacht, ihre Bücher nicht mit zu vielen Klischees zu kontaminieren. Betonung auf "meistens".
Giancarlo de Cataldo, 1956 im italienischen Tarent geboren und Autor von mehr als fünfzehn Romanen, hat für den Plot seines Thrillers "Alba Nera" ein Gerüst von Stereotypen errichtet, das zwar tragfähig ist, häufig jedoch wirkt, als handle es sich um den Versuch einer Parodie - oder um ein Best-of der von uns beanstandeten Fauxpas. Die Geschichte setzt mit einer widerwärtigen Gewaltszene ein, um im zweiten Kapitel direkt beim Therapeuten zu landen. Seine Patientin ist Alba Doria, Hauptkommissarin der Staatspolizei in Rom, geübt im Umgang mit Waffen, cleverer als die Kollegen. Kürzlich hat sie einen Serienmörder zur Strecke gebracht und anschließend posttraumatischen Stress entwickelt.
Der Psychologe glaubt nach zwölf Sitzungen zu wissen, dass Alba unter Wahnsinn leidet: "Die Frau ist gefährlich." Zudem wäre er gerne "schon vor geraumer Zeit über sie hergefallen". Das hat sie natürlich sofort bemerkt: "Er ist ein gutaussehender Mann, wahrscheinlich ein guter Liebhaber." Im Übrigen existiert bereits eine Diagnose für sie - dunkle Triade, eine Mischung aus Narzissmus, Soziopathie und Manipulationsdrang.
Diesen heiklen Persönlichkeitscocktail bringt De Cataldo immer wieder zur Sprache, ohne daraus Spannungskapital zu schlagen. Er spart es sich nämlich, Dinge an den Figuren zu zeigen, und zieht es vor, Dinge über die Figuren zu behaupten. Seine Devise lautet "tell, don't show". So lernen wir beispielsweise auch, dass Albas Kollege Biondo dröge und voraussehbar ist, weil dies über ihn gesagt wird, nicht weil er sich entsprechend verhält.
Die beiden Polizisten bilden gemeinsam mit Dr. Sax, dessen Schwiegervater eine hohe Position im Geheimdienst besetzt, das Ermittlerteam des Romans. Sie hatten vor vielen Jahren mit der Leiche einer jungen Frau zu tun, die nach japanischem Shibari-Vorbild verschnürt wurde. Bei dieser Fesselkunst geht es gleichermaßen um erotischen und ästhetischen Kitzel. Nun taucht abermals eine gefesselte Frau auf. Shibari lässt grüßen. Alles wie damals, "die Vergangenheit kehrt zurück".
Bei den Recherchen machen die Kommissare Abstecher in Folterkerker und ins Darknet, rumänische Zuhälter haben ebenso ihren Auftritt wie korrupte Politiker und kriminelle Latinos. Sobald es für die Protagonisten brenzlig wird, helfen meteorologische Indikatoren dem Leser auf die Sprünge: "Ein Blitz zuckt über den Himmel, gefolgt von einem viel zu nahen Donner. Die Erde zittert." Steuert die Handlung hingegen in Richtung Entspannungszone, wird aufgetischt: Schafherz auf Topinamburbett in Lakritzsoße. Oder Thunfisch mit Kartoffeln, Büffelmozzarella und Zitronenkuchen. Oder Paccheri alla Nerano mit gebratenen Zucchini und Provolone.
Kulinaristik verträgt sich nur selten mit Kriminalistik (Hannibal Lecter ist die Ausnahme, welche diese Regel bestätigt), und zu viel Kulturbeflissenheit gefährdet bei unsachgemäßer Handhabung schnell den Charme von Genreliteratur (Hannibal ist auch hier die Ausnahme). De Cataldo kümmert sich nicht darum und schöpft aus dem Vollen. Man schaut sich "Schwanensee" an, sinniert über Duke Ellington oder Billie Holiday und zitiert ganze Passagen von Sacher-Masoch: "Ich akzeptiere Sie als Sklave und toleriere Sie unter folgenden Bedingungen an meiner Seite. Sie müssen völlig auf Ihr Ich verzichten . . .", sagt Alba zu ihrem Endgegner. Der ist gebildet genug, um zu erwidern: "Mein Wille wird Ihr Wille sein. Sie sind ein passives Werkzeug in meinen Händen und führen widerstandslos alle meine Befehle aus."
Die Figuren sind so kommunikationsfreudig, dass sie sich sogar Sachen erzählen, die sie längst wissen: "Du beginnst einen Schusswechsel mit zwei nervösen Jungs, einer haut ab, der andere ergibt sich und singt wie ein Vogel." Hier geht es nur darum, den Leser zu informieren. Der ist aber schon sehr früh sehr erschöpft und hat mehr Lust auf gebratene Zucchini und Zitronenkuchen als auf diesen Roman.
KAI SPANKE
Giancarlo de Cataldo: "Alba Nera". Thriller.
Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl.
Folio Verlag,
Bozen / Wien 2021.
256 S., geb., 22.- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Kai Spanke nimmt dankbar die kulinarischen Tipp entgegen, die ihm Giancarlo de Cataldo auftischt, ansonsten rät er eher, die Finger von diesem Roman zu lassen. Ziemlich verschmockt und voller Klischee erscheint ihm dieser Fall um japanische Fesselkunst, den Cataldo kulturbeflissen mit Exkursen zu Duke Ellington, Billie Holiday und Sacher-Masoch garniert. Gegen den Strich geht ihm auch die mit dickem schwarzen Pinsel getuschte Figurenpsychologie, derzufolge die Kommissare genauso pathologisch sind wie die Folterknechte und Zuhälter, die sie im Darknet jagen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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