Der neue Gedichtband des Wortkünstlers Ralph DutliSehen, Hören und Fühlen, der Traum, die Kunst und die Liebe finden Eingang in die musikalischen Verse des »Ohren-Menschen« Ralph Dutli, der in einem Essay schrieb: »Laute lenken, Laute denken«. Poesie ist laut diesem Dichter Magie, »von einer zarten und irren, rätselhaften Euphorie«. Vom unvergänglichen Stoff in Salz-Gedichten (»Salz ist das Kleingeld der Ewigkeit«) bis zu fragilen, emblematischen Tierwesen, von Leuchtkäfern im japanischen Hotaru-Fest und Tintenfischen - die auch Dichter sind! - bis zu einer »Bienen-Partitur« wird dem Stetigen und Flüchtigen nachgespürt in den »Heiligen Müllhalden« der Welt.»Alba« vereint in zehn Zyklen Gedichte aus anderthalb Jahrzehnten. Verse aus verschiedenen Zeiten, Sprachen und Räumen holt der Heidelberger Dichter Ralph Dutli zu sich: Seine Lyrik ist durchwoben von Stimmen der Weltpoesie von Catull und Dante bis Rimbaud und Robert Frost. Er zehrt von diesem poetischen »Mundvorrat« in eingestreuten Übertragungen aus dem Okzitanischen der Troubadours, dem Französischen der Renaissance-Dichter und anderen mehr. Aus Ralph Dutlis Gedichten spricht staunenmachende Vielseitigkeit und große lyrische Kraft.wir sind bis an die Zungen unbewaffnetsing! Lust!bleck! die Zähne!die Liebe ist ein Fleckwir haben den Fleck nachthell geleckt
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Kritiker Christian Metz freut sich über einen Gedichtband von Ralph Dutli, der schon Bekanntes und Neues vereint: "In poetischer Bestform" schreibt das Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zum Beispiel über Mustangs, die in Nevada "zwanzig Meilen über/die verstörte Steppe gehetzt" werden, weil sie angeblich die Landschaft bedrohen. Der Gedichtzyklus "Salz" kann den Kritiker zwar weniger begeistern, aber dennoch ist Metz hocherfreut über die "poetische Erkenntnis", die der Autor ihm hier vermittelt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2024Ein Mustang der Zunge
Ralph Dutlis wilder Gedichtband "Alba"
Kein Verrat ohne Geheimnis. Das gilt schon, seit Judas Jesus rätselhafterweise mit einem Kuss an die Römer auslieferte. Und es zeigt sich auch an der Rede vom "Judas horse". Vor knapp fünfzehn Jahren jagten Landschaftsschützer in Nevada wilde Mustangs, weil die angeblich das Land bedrohten. Die Behörden störten sie mit Helikoptern im Tiefflug auf. Trieben sie bis zur Erschöpfung über die Prärie. Bis sich plötzlich ein abgerichtetes Pferd an die Spitze der Herde setzte, um sie gekonnt in ein zuvor errichtetes Gatter zu führen: auf falscher Fährte von der Freiheit in die Gefangenschaft. "Judas Horse" wurde das trainierte Pferd genannt. Die Geheimnisse dieses Verrats? Muss der Mensch die Wildnis vor der Wildnis retten? Was fühlt ein Mustang, wenn er seinesgleichen verrät? Pferdeschuld? Mustangambivalenz? Einen Funken nie gekannter Freiheit?
"Judaspferd" lautet der Titel des vierten Zyklus von Ralph Dutlis Gedichtband "Alba", der Gedichte aus den vergangenen zwanzig Jahren versammelt. Mit den Versen "Nevada-Roundups zwanzig Meilen über / die verstörte Steppe gehetzt" setzt der Zyklus ein. Mit der Wendung "Hubschrauber zittern scharfe Hornissen / lotsen es weg in das schwarze Nichts / von Adoption und Abdeckerei" stellt er gekonnt das damalige Jagdsetting vor Augen. Dutli erfasst nicht nur präzise die zeitdiagnostische Signifikanz dieser Szene. Er wendet den Verrat auch ins Literarische. Poesie ist für ihn, wenn die (abgerichtete) Sprach- und Versstruktur das musikalisch-wilde Klangliche nach dem Vorbild des Judas-Pferdes ins Gehege lockt: "die musikalischen Lefzen / in den Verschlag gelockt das Leittier schleust / das Wilde das Pferd ins Gehege der Gedanken." Gatter zu, Gedanke gefasst, Freiheit verraten? Doch schon das folgende Gedicht setzt dagegen: "sei streng zu Poesie / dann wird sie dich wiederleben." Und in einer neuen Wendung zur Sprache selbst folgt: "wer noch kein Pferd ist wird es werden 'mustang' der Zunge / 'tang' im Meer ungebändigt Laute." Ralph Dutli in poetischer Bestform. So wie auch auf je eigene Weise in seiner "Bienen-Partitur" oder in den Zyklen "Hörsturz" und "Vom Mundvorrat".
Dutli ist kein Unbekannter. Seit 1995 ist er Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Mit renommierten Preisen wurde er wohlbedacht. Seine luzide Essayistik wird nur noch von seiner Übersetzungskunst überstrahlt: Marina Zwetajewa, Joseph Brodsky und Ossip Mandelstam kennen und genießen wir im Deutschen aus Dutlis Hand. Seine Lyrik indes war bislang nur verstreut erschienen. Das heißt aber auch: Dutli-Lesern sind eine Reihe von Texten bereits bekannt. "Hotaru" etwa lag bislang als Liebhaberausgabe in Kleinstauflage vor. Den Zyklus "Hörsturz" wiederum kennen wir bereits aus der "Neuen Rundschau", 2010 publiziert. Selbstverständlich schlagen diese Arbeiten die verschiedensten Töne an und umspannen einen weiten thematischen Horizont.
Das beginnt mit dem Zyklus "Salz", der den Band eröffnet: Diese Gedichte begleiteten 2008 eine populärwissenschaftliche Ausgabe von Thomas Strässles Studie "Salz". Der Literaturwissenschaftler hatte sie als atemberaubend kluge Habilitation vorgelegt, die später bei Hanser erschien. Für den salzigen Vorgeschmack fand Dutli eigene poetische Semantiken des Salzes. Es herrschen Reimlust und Sprachspiel: Salz bleibt / und macht bleiben / Salz schreibt / seit Jahrmillionen sein würziges Tagebuch / Salz macht schreiben." Mit Mut neigen sich die Verse zu der Leichthändigkeit: "salb mich, salz mich / halb mich, halb dich / halt mich - kalt nicht -". In der jetzigen Form allerdings fehlt dem Zyklus jene sachkundige Gravitas, die er bei seiner Erstveröffentlichung durch Strässles Texte erhalten hatte.
Dadurch tritt pointiert zutage, dass Dutli sich nicht mit jedem seiner poetischen Verfahren einen Gefallen tut. Wenn es im Gedicht "Nochmals Ohne" heißt: "ohne / dich zu sein ohne! Oh-ne!", kommt einem aufgrund der Pointenschlichtheit auch ein "O nein" in den Sinn. Wenn das Urmeer einst "vor uns ver - duns - te - te", mag das noch als salzkristalline Elementarkunde überzeugen. Aber fordert doch auch einen Trivialitätsverdacht heraus. Verrat an der eigenen poetischen Fertigkeit? Das ginge zu weit. Denn Dutli in Bestform garantiert poetische Erkenntnis im Herzen des kulturellen Arkanums. CHRISTIAN METZ
Ralph Dutli: "Alba". Gedichte.
Wallstein Verlag,
Göttingen 2024.
199 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Ralph Dutlis wilder Gedichtband "Alba"
Kein Verrat ohne Geheimnis. Das gilt schon, seit Judas Jesus rätselhafterweise mit einem Kuss an die Römer auslieferte. Und es zeigt sich auch an der Rede vom "Judas horse". Vor knapp fünfzehn Jahren jagten Landschaftsschützer in Nevada wilde Mustangs, weil die angeblich das Land bedrohten. Die Behörden störten sie mit Helikoptern im Tiefflug auf. Trieben sie bis zur Erschöpfung über die Prärie. Bis sich plötzlich ein abgerichtetes Pferd an die Spitze der Herde setzte, um sie gekonnt in ein zuvor errichtetes Gatter zu führen: auf falscher Fährte von der Freiheit in die Gefangenschaft. "Judas Horse" wurde das trainierte Pferd genannt. Die Geheimnisse dieses Verrats? Muss der Mensch die Wildnis vor der Wildnis retten? Was fühlt ein Mustang, wenn er seinesgleichen verrät? Pferdeschuld? Mustangambivalenz? Einen Funken nie gekannter Freiheit?
"Judaspferd" lautet der Titel des vierten Zyklus von Ralph Dutlis Gedichtband "Alba", der Gedichte aus den vergangenen zwanzig Jahren versammelt. Mit den Versen "Nevada-Roundups zwanzig Meilen über / die verstörte Steppe gehetzt" setzt der Zyklus ein. Mit der Wendung "Hubschrauber zittern scharfe Hornissen / lotsen es weg in das schwarze Nichts / von Adoption und Abdeckerei" stellt er gekonnt das damalige Jagdsetting vor Augen. Dutli erfasst nicht nur präzise die zeitdiagnostische Signifikanz dieser Szene. Er wendet den Verrat auch ins Literarische. Poesie ist für ihn, wenn die (abgerichtete) Sprach- und Versstruktur das musikalisch-wilde Klangliche nach dem Vorbild des Judas-Pferdes ins Gehege lockt: "die musikalischen Lefzen / in den Verschlag gelockt das Leittier schleust / das Wilde das Pferd ins Gehege der Gedanken." Gatter zu, Gedanke gefasst, Freiheit verraten? Doch schon das folgende Gedicht setzt dagegen: "sei streng zu Poesie / dann wird sie dich wiederleben." Und in einer neuen Wendung zur Sprache selbst folgt: "wer noch kein Pferd ist wird es werden 'mustang' der Zunge / 'tang' im Meer ungebändigt Laute." Ralph Dutli in poetischer Bestform. So wie auch auf je eigene Weise in seiner "Bienen-Partitur" oder in den Zyklen "Hörsturz" und "Vom Mundvorrat".
Dutli ist kein Unbekannter. Seit 1995 ist er Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Mit renommierten Preisen wurde er wohlbedacht. Seine luzide Essayistik wird nur noch von seiner Übersetzungskunst überstrahlt: Marina Zwetajewa, Joseph Brodsky und Ossip Mandelstam kennen und genießen wir im Deutschen aus Dutlis Hand. Seine Lyrik indes war bislang nur verstreut erschienen. Das heißt aber auch: Dutli-Lesern sind eine Reihe von Texten bereits bekannt. "Hotaru" etwa lag bislang als Liebhaberausgabe in Kleinstauflage vor. Den Zyklus "Hörsturz" wiederum kennen wir bereits aus der "Neuen Rundschau", 2010 publiziert. Selbstverständlich schlagen diese Arbeiten die verschiedensten Töne an und umspannen einen weiten thematischen Horizont.
Das beginnt mit dem Zyklus "Salz", der den Band eröffnet: Diese Gedichte begleiteten 2008 eine populärwissenschaftliche Ausgabe von Thomas Strässles Studie "Salz". Der Literaturwissenschaftler hatte sie als atemberaubend kluge Habilitation vorgelegt, die später bei Hanser erschien. Für den salzigen Vorgeschmack fand Dutli eigene poetische Semantiken des Salzes. Es herrschen Reimlust und Sprachspiel: Salz bleibt / und macht bleiben / Salz schreibt / seit Jahrmillionen sein würziges Tagebuch / Salz macht schreiben." Mit Mut neigen sich die Verse zu der Leichthändigkeit: "salb mich, salz mich / halb mich, halb dich / halt mich - kalt nicht -". In der jetzigen Form allerdings fehlt dem Zyklus jene sachkundige Gravitas, die er bei seiner Erstveröffentlichung durch Strässles Texte erhalten hatte.
Dadurch tritt pointiert zutage, dass Dutli sich nicht mit jedem seiner poetischen Verfahren einen Gefallen tut. Wenn es im Gedicht "Nochmals Ohne" heißt: "ohne / dich zu sein ohne! Oh-ne!", kommt einem aufgrund der Pointenschlichtheit auch ein "O nein" in den Sinn. Wenn das Urmeer einst "vor uns ver - duns - te - te", mag das noch als salzkristalline Elementarkunde überzeugen. Aber fordert doch auch einen Trivialitätsverdacht heraus. Verrat an der eigenen poetischen Fertigkeit? Das ginge zu weit. Denn Dutli in Bestform garantiert poetische Erkenntnis im Herzen des kulturellen Arkanums. CHRISTIAN METZ
Ralph Dutli: "Alba". Gedichte.
Wallstein Verlag,
Göttingen 2024.
199 S., geb., 22,- Euro.
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»In Dutlis Miniaturen schlägt es schnell, oft im Drive der Euphorie. Seien es mehrteilige Texte über Bienen oder Heiligenstatuen auf den Neckarbrücken - hier dichtet stets jemand mit größter Passion.« (Björn Hayer, Frankfurter Rundschau, 01.03.2024) »Sinnenfroh und sinnend sind diese Gedichte, die durch die Zeiten wandern und besondere Freude daran finden, das Innere nach außen zu kehren, das Chaos und das Auseinanderbrechen zu feiern« (Beate Tröger, der Freitag, 14.03.2024) »eine originelle und kraftvolle Hommage an die Poesie (...), in deren Buchseiten man sich wirklich hineinlegen sollte.« (Franz Schneider, Rhein-Neckar-Zeitung, 04.05.2024) »Überzeugt, dass der Ursprung der Poesie im Zauberspruch liege, reaktiviert Dutli die beschwörende Kraft und die betörende Wirkung des Worts. Er ist ein Sprachspieler, er spielt, um zu entdecken und um Klänge und Bilder fruchtbar zu machen.« (Florian Bissig, NZZ am Sonntag, 30.06.2024) »Dutli in Bestform garantiert poetische Erkenntnis im Herzen des kulturellen Arkanums.« (Christian Metz, FAZ, 08.08.2024)