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B.S. Johnsons Protagonisten sind Helden des Alltags: Unwiderstehlich böse und komisch erzählt "Albert Angelo" die Geschichte eines dicklichen jungen Lehrers, der es leider nicht sehr weit bringen wird. Eigentlich ist er Architekt, aber niemand interessiert sich für seine Entwürfe. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Aushilfslehrer, aber niemand interessiert sich für seine Ausführungen nicht zuletzt, weil seine griechischen und türkischen Schüler kaum ein Wort Englisch verstehen. Seit Jahren liebt er Jenny, die ihn längst verlassen hat, wegen eines Krüppels, der sie nötiger…mehr

Produktbeschreibung
B.S. Johnsons Protagonisten sind Helden des Alltags: Unwiderstehlich böse und komisch erzählt "Albert Angelo" die Geschichte eines dicklichen jungen Lehrers, der es leider nicht sehr weit bringen wird. Eigentlich ist er Architekt, aber niemand interessiert sich für seine Entwürfe. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Aushilfslehrer, aber niemand interessiert sich für seine Ausführungen nicht zuletzt, weil seine griechischen und türkischen Schüler kaum ein Wort Englisch verstehen. Seit Jahren liebt er Jenny, die ihn längst verlassen hat, wegen eines Krüppels, der sie nötiger braucht.

Albert fühlt sich überflüssig, unglücklich, als Versager. Am Ende des Schuljahres lässt er seine Schüler einen Aufsatz schreiben, in dem sie darlegen sollen, was sie von ihrem Lehrer halten, damit sie so ihre Aggressionen "kanalisieren". Die Porträts des ungeliebten Lehrers lassen nichts Gutes ahnen.

Nicht nur die Möglichkeit, durch ein "Zukunftsloch" schauen zu können, macht diesen Roman zu einem außergewöhnlichen Leseerlebnis.
Autorenporträt
B.S. Johnson (1933 1973) geboren und gestorben in London. Er war Dozent für Englisch am King's College und Literaturredakteur. B.S. Johnson veröffentlichte Romane und Erzählungen, darüber hinaus arbeitete er für Film und Fernsehen als Autor und Regisseur. Er gilt als einer der großen englischen Literaten des 20. Jahrhunderts. Im Alter von vierzig Jahren nahm er sich das Leben. Im Frühjahr 2002 erschien im Argon Verlag sein Roman Christie Malrys doppelte Buchführung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.05.2003

Buchhaltung im Luftschloß
Schiffbruch aller Gewißheiten: Zwei Romane von B. S. Johnson

Ein Messerschnitt sagt mehr als viele Worte. Die Seiten dieses Romans, die buchstäblich zerschnitten sind, sprechen daher eine klare Sprache. Durch die entstandene Öffnung richten sie unseren Blick bereits geraume Zeit auf das tödliche Ende der Geschichte, das - wie auch anders? - durch einen Messerstich erfolgen wird. Gespannte Leser können sich das Vorblättern zur letzten Seite also sparen. Doch bei B. S. Johnson entwickelt unsere Leselust sich ohnehin weniger durch Spannung auf den Ausgang als auf den Gang des Erzählens, denn die pointen- wie sinnreichen Erfindungskünste dieses Autors machen stets sein Vorgehen selbst zum Gegenstand und finden überraschend neue Lösungen für die ältesten Probleme des Romans.

Wie beispielsweise können Schrift und Druckbild je eine wahrhaftige Darstellung vom Sterben geben? Der gewaltsame Tod, der uns in "Albert Angelo" entgegenblickt, gewinnt seine unheimliche Präsenz und Anschaulichkeit eben daraus, daß mit dem Schnitt durch die Buchseiten etwas Selbstverständliches zerstört wird. Das Mittel ist so einprägsam wie simpel und nur mit der Duschszene aus Hitchcocks "Psycho" noch vergleichbar, wenn sie die tödliche Gewalt der Messerstiche in Filmschnitte verschiebt.

Manche literarischen Geheimtips können gar nicht oft genug verbreitet werden und sind doch immer wieder zu entdecken. Dazu zählt der englische Erzähler, Lyriker, Dramatiker, Filmemacher, Fußballreporter und Kritiker Bryan Stanley Johnson (1933 bis 1973). Zu Lebzeiten stets ein Einzelgänger, der selbst in einem Land, das seine Exzentriker feiert, kaum Anerkennung fand, ist er mittlerweile Zentrum einer wachsenden, verschworenen Leserschar. Anders nämlich als viele klassische Avantgardisten, die ihre Aufgabe mit dem feierlichen Ernst einer historischen Mission verfolgen, verbindet er alle programmatische Neuerung mit anarchischem Witz und so grimmer Komik, daß wir bei der Lektüre den Theoriewert seiner Werke getrost auch mal vergessen können.

Zu einer Zeit, da Roland Barthes den Tod des Autors ausrief, wird bei Johnson die Geburt des Lesers lustvoll eingeleitet. Die fünf Romane, mit denen er in den sechziger Jahren daranging, Medien und Möglichkeiten unserer Wirklichkeitserfassung radikal zu erkunden und experimentell zu erweitern, sind daher längst begehrte Sammlerstücke. Eine englische Werkausgabe ist weiterhin nicht in Sicht. Zum siebzigsten Geburts- und dreißigsten Todestag in diesem Jahr soll jedoch endlich die Biographie von Jonathan Coe erscheinen, die in der Londoner Verlagswelt hoffentlich für Umdenken sorgt.

Um so rühmlicher ist das Engagement des Argon-Verlags, der in diesem Frühjahr bereits den zweiten Band einer neuen deutschen Werkausgabe vorlegt. "Albert Angelo" von 1964 ist ein Bildungsroman, doch einer aus Verlegenheit und schleichender Verzweiflung. Eigentlich ist der Titelheld nämlich Architekt, ein "Schöpfer", wie er sagt, und "kein Überlieferer"; gleichwohl muß er sein Leben als Aushilfslehrer fristen. Während er sich daher wochentags in Londoner Schulen redlich müht, pubertierende Jugendliche für die Umbrüche der Erdgeschichte zu begeistern, plant er sonntags Prachtbauten und entwirft kühne Konstruktionen, auch wenn davon schließlich nur zwei, drei Striche auf dem Zeichenblatt zu sehen sind. Wer Großes will, kann sich mit Kleinigkeiten nicht aufhalten: "Ich hasse Leute, die nur in Teilen leben. Ich bin ein Allesodernichtser. Was für gewöhnlich auf nichts hinausläuft. Egal." Und wenn die Frustration doch einmal überhandnimmt, weiß er sich durch Ausgleichshandlungen zu erleichtern, beispielsweise indem er seinem Wellensittich ordinäre Ausdrücke beibringt.

Diesen liebenswerten Luftschloßbaumeister durch die Abenteuer seines Alltags zu begleiten ist so beklemmend wie beglückend. Dabei sind es weniger dramatische Ereignisse oder persönliche Entwicklungen - ohnehin nur noch in der Erinnerung an verlorene Glücksmomente greifbar -, die uns fesseln, als vielmehr die Wirren der Gewöhnlichkeit, in die Albert sich zusehends verstrickt. Ob er der Schulklasse das Theodizee-Problem oder das Eruptivgestein erklärt, ob er über den Konjunktiv I oder die Frage, wie der Henkel an die Tasse kam, sinniert oder ob er sich in bernhardschen Bezichtigungsarien über Opernsänger und die Untreue seiner Ex-Freundin erregt, stets verschafft ihm der Roman komische Distanz und zugleich unsere Anteilnahme. Dazu bietet der Autor seinen gesamten Einfallsreichtum auf und setzt die einfache Geschichte virtuos aus einer Fülle collagierter Textsorten zusammen. Vor allem die zweispaltig gesetzten Simultanszenen, eine Art erzählerischer split screen, verleihen dem ständigen Gegeneinander von Sehnsuchts- und Alltagswelt, von Selbst- und Fremdwahrnehmung, von innerer und äußerer Rede eine bittere Prägnanz, die in der Literatur ihresgleichen sucht.

Doch auch für ganz schlichte Wetterbeobachtungen findet dieser Autor eine wunderbar klare Sprache. Die Sonne, heißt es einmal, "glänzte silbern auf den nassen Ziegelschichten der Schornsteine und tauchte die Dachgauben in geheimnisvolle Schatten. Draußen wurde das Muster eines Spatzenflugs durch die Spiegelung auf einem polierten Autodach zersprengt." Wie alle Werke Johnsons autobiographisch grundiert, protokolliert auch dieser Roman sehr genau die Welt, aus der er stammt. Die alte Stadtlandschaft Londons spiegelt und bricht sich hier in vielen Einzelheiten wie in einem Kaleidoskop, das die abseitigen und unsanierten Ecken einer Großstadt zeigt, die sich der Modernisierung mit Beharrlichkeit verweigert. Gleiches gilt für "Christy Malrys doppelte Buchführung" von 1973, Johnsons letzten Roman, der bereits im vorigen Jahr auf deutsch erschienen ist.

Im Tonfall düsterer und in der Sache härter, erzählt er die Geschichte eines Londoner Bankangestellten, der aus schierem Überdruß zum Terroristen wird. Christy Malry ist ein einfacher Mensch, ein kleiner Buchhalter und grauer Stadtbewohner, der weder über großes Geld noch besonderes Talent verfügt. Eines Tages jedoch hat er die tolle Idee, alle Ärgernisse und Beschränkungen, die er fortwährend erleiden muß, anderen heimzuzahlen. Die jeweilige Bilanz aus empfangenen und zugefügten Belästigungen wird er fortan nach den bewährten Regeln der doppelten Buchführung auflisten und ausgleichen. Wenn daher Schlimmes zu ertragen ist ("Sozialismus bekommt keine Chance"), muß zur gerechten Abrechnung auch schon mal das Trinkwasser von West-London mit Zyanid vergiftet werden. Dieses mörderische Spiel gegen die unerträgliche Stumpfsinnigkeit des Seins treibt der Roman mit irrer Konsequenz zum Ende und präsentiert zwischendrin immer korrekt die Bilanzierung. Doch die aberwitzige Logik wie auch das Verfahren seines Helden sind ganz so alt wie die Form des bürgerlichen Romans selbst. Schon Robinson Crusoe verschaffte sich auf der Insel dadurch Trost, daß er die Vor- und Nachteile seiner Lage sorgsam gegeneinander aufrechnete.

Auch nach dem Schiffbruch aller bürgerlichen Gewißheiten, so zeigt Johnson, laufen unsere überkommenen Ordnungsmuster munter weiter, und sei es im Dienst der puren Anarchie. In "Albert Angelo" bemüht er ausdrücklich das Muster der klassischen Plot-Dramaturgie, um die vielstimmigen Versatzstücke vorgeblich zu ordnen. Allerdings wird die entscheidende Kategorie, die "Auflösung", dabei im Wortsinn eingesetzt. Der Erzähltext löst sich auf, und der Roman eröffnet den kritischen Diskurs über sich selbst: "Angesichts der ungeheuren Detailfülle, Vitalität und Größe dieser Komplexität, des Lebens, wird ein Schriftsteller sehr in Versuchung geführt, sein eigenes Muster zu prägen, ein willkürliches Muster, das in die Irre führen muß, das gar nicht anders kann, als in die Irre zu führen; es sei denn, er erfindet etwas, was ganz einfach bedeutet, er lügt." Dem können wir kaum widersprechen und beharren doch darauf, daß wir uns von niemandem lieber in die Irre führen lassen als von B. S. Johnson, diesem radikalen Lügenmeister, der die Detailfülle des Lebens bündelt, ohne sie zu bändigen.

B. S. Johnson: "Albert Angelo". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Regina Rawlinson. Mit einem Nachwort von Cordelia Borchardt. Argon, Berlin 2003. 232 S., geb., 18,- [Euro].

B. S. Johnson: "Christy Malrys doppelte Buchführung". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Michael Walter. Mit einem Vorwort von Georg M. Oswald. Argon, Berlin 2002. 223 S., geb., 18,- [Euro].

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