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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2001

Albert im Glück?
Hapag-Generaldirektor Ballin in verengter Perspektive

Eberhard Straub: Albert Ballin. Der Reeder des Kaisers. Siedler Verlag, Berlin 2001. 270 Seiten, 39,90 Mark.

Albert Ballin, bis 1918 Generaldirektor der größten Reederei der Welt, der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft, kurz Hapag genannt, war ein Mann der Widersprüche. Der kosmopolitische Hamburger jüdischen Glaubens war stets umstritten. Doch weder seine Wettbewerber auf den Weltmeeren noch seine Gegner im Inland haben dem "Souverän der Seefahrt" ihren Respekt versagt. Als er am 9. November 1918 zusammen mit dem Kaiserreich gestorben war, würdigte selbst die sozialistische "Rote Fahne" den Klassenfeind als eine "zweifelsohne geniale Persönlichkeit, mit weitem Blick, größter Entschlossenheit und nie versagendem Wagemut".

Ein Ballin-Biograph hätte wohl herausfinden müssen, was eigentlich die Abkürzung "Hapag" korrekt bedeutet und wann Ballin erster Mann an der Spitze des Unternehmens wurde. Doch auch ohnedies steckt Straubs Schiffahrtsgeschichte voller Fehler. So häufen sich zum Beispiel falsche Schiffsnamen und ihnen zugeordnete Daten, weht die blau-weiß-gelbe Hapag-Flagge bei ihm symbolträchtig schwarz-weiß-rot und offenbart der Autor über den größten Wettbewerber - den Norddeutschen Lloyd - Unkenntnis. Auswanderer als "Humanware" oder "liquide, in Bewegung geratene Biomasse" zu bezeichnen unterliegt der Freiheit des Autors. Diese jedoch findet beim Umgang mit Fakten ihre Grenzen.

In seinem Bemühen, Ballins Aufstieg vor allem mit "Glück" zu erklären, verhaspelt sich Straub - so etwa, wenn er unterstellt, der kleine Auswandereragent habe, als er von Mai 1881 an beispiellos günstige Überfahrten nach Amerika anbot (und damit seinen Durchbruch schaffte), lediglich spekuliert: "Er konnte schließlich nicht ahnen, daß 1882 der russische Kaiser Alexander II. ermordet werden" würde und Pogrome eine gewaltige Auswanderungswelle aus Rußland auslösten. Ballin brauchte das nicht zu "ahnen". Der Zar wurde schon im März 1881 ermordet, und die Folgen waren durchaus für ihn vorhersehbar.

Auch bei einem der größten Erfolge Ballins, der Erfindung der Kreuzfahrt, habe letztlich "das Glück des Spielers" zum Erfolg verholfen? Wohl kaum, denn er - kreativster Kopf seiner Branche mit der Fähigkeit, sein Gespür mit kaufmännischem Kalkül umzusetzen - bereitete die zweimonatige Mittelmeer-"Excursion" geradezu generalstabsmäßig vor. Er habe, so ein weiterer Vorwurf, kleinere notleidende Reedereien aufgekauft und so den Einflußbereich der Hapag imperial ausgedehnt? Sicher, das tat er, sogar mit bemerkenswertem Geschick. Und schließlich, unter Berufung auf zwei noble hanseatische Ballin-Hasser: Nur der Erste Weltkrieg habe die Hapag davor bewahrt, vom Größenwahn ihres Chefs ruiniert zu werden? Die Bilanzen sprechen dagegen. Die waren 1914 - trotz des Baus dreier Großschiffe, von denen der "Imperator" bereits seit 1913 erfolgreich den Nordatlantik querte - kerngesund und wesentlich besser als die der Bremer.

Ein schiffahrtspolitisches Ereignis sei wegen seiner Bedeutung für das deutsch-britische Verhältnis, die Straub ihm zumißt, erwähnt: Der amerikanische Bankier John P. Morgan, der in den Vereinigten Staaten den größten Stahl- und Kohletrust sowie die meisten Eisenbahnen, vor allem an der Ostküste, kontrollierte, strebte zu Beginn des vorigen Jahrhunderts nach der Vorherrschaft auch auf dem Nordatlantik. Die Vereinigten Staaten besaßen bis dahin keine nennenswerte Handelsflotte. Morgan erwarb eine Reihe namhafter europäischer Reedereien (darunter in Großbritannien die White Star Line, die 1912 mit dem Untergang ihrer "Titanic" Schlagzeilen machte). Von den deutschen Großreedereien sah sich insbesondere die Hapag bedroht; ihre Stärke war der hohe Frachtanteil, und der war im Zu- und Ablauf in den Vereinigten Staaten auf Morgans Eisenbahnen angewiesen.

Ballin streckte damals Verhandlungsfühler aus. Straub behauptet nun (den wirtschaftlichen Hintergrund ignorierend), Ballin habe in seiner Machtgier auf dem Umweg über Morgan die größte britische Reederei, die Cunard Line, erwerben wollen. Die Verhandlungen mit dem Morgan-Trust, die auch den Kaiser auf den Plan gerufen hatten, endeten schließlich mit einem Interessenvertrag der Hapag und des Lloyd mit den Amerikanern ohne gegenseitige Kapitalbeteiligung.

Nach Straubs Worten sind an dem von ihm unterstellten Versuch Ballins, die Cunard Line "feindlich" zu übernehmen, "1901/02 die von vornherein vergeblichen und letzten Bemühungen Englands, sich vielleicht mit Deutschland zu verbünden", gescheitert. Diese Schlußfolgerung hat weder innere Logik noch Wahrheitsgehalt. Fraglich wird sie mit der These, Ballin sei einer der Verantwortlichen für die exzessive deutsche Seerüstung mit allen bekannten Folgen. Die entscheidende Rolle des Kaisers wird nicht mit einem einzigen Wort erwähnt.

Ballin, der zunächst - wie seine Kollegen - für die Flotte plädiert und geworben hatte, sah von 1908 an das Ziel erreicht und engagierte sich nun für Rüstungskontrolle zur See. Zusammen mit dem deutsch-britischen Bankier Sir Ernest Cassel versuchte er 1908/09 zum ersten Mal, deutsch-britische Verhandlungen in Gang zu bringen. Noch im Juni 1914 hoffte er, Winston Churchill zu Gesprächen mit Tirpitz zusammenzubringen, und reiste Ende Juli zu einem letzten, verzweifelten Vermittlungsversuch nach London. Vor allem initiierte er 1912 den Versuch, ein Rüstungskontroll- und Neutralitätsabkommen zwischen Deutschland und Großbritannien zustande zu bringen. Der britische Rüstungsminister Lord Haldane kam im Dezember 1912 nach Berlin, doch die Verhandlungen scheiterten. Ballin wird mit der "Haldane-Mission" in jeder Geschichtsschreibung dieser Epoche erwähnt. Warum ausgerechnet ein Ballin-Biograph sie unterschlägt, ist nicht nachzuvollziehen.

KLAUS WIBORG

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