"Es ist schwer vorstellbar, daß es jemals eine erschöpfendere Studie zu Albert Camus' Persönlichkeit und der Beziehung zwischen seinem Leben und Werk geben kann." (The New York Review of Books)
Er fasziniert noch immer: Albert Camus, Nobelpreisträger des Jahres 1957, ist eine der großen intellektuellen Figuren unseres Jahrhunderts und der meistgelesene französische Autor. Der internationale Erfolg des aus dem Nachlaß 1994 herausgegebenen autobiographischen Romans "Der erste Mensch" zeigte, wie unersetzlich die Stimme dieses Schriftstellers und Humanisten ist. Olivier Todd ist für seine monumentale Biographie in den Archiven Algiers, Washingtons oder der Komintern in Moskau fündig geworden. Er hat mehr als zweihundert Freunde und Feinde, Zeitgenossen und Angehörige interviewt, die erst nach dem Tod der Witwe Françine ihre Diskretion aufgaben, und er schöpft aus dem bislang unveröffentlichten (ausführlich zitierten) Briefwechsel, den Camus mit seinen Freundinnen, Geliebten und Dichterkollegen pflegte, die sein Leben begleiteten. Todd stellt uns einen unerwarteten - und oft unbekannten - Camus in seinem Privatleben vor, in seinen öffentlichen Engagements, in seinen politischen und künstlerischen Stellungnahmen, in seinen Freundschaften und seinen Lieben. Befreit von den Legenden, die sich nach Nobelpreis und frühem Unfalltod um ihn bildeten, erscheint Camus in seiner komplexen Widersprüchlichkeit - und in der tragischen Größe eines Autors, dessen Leben in einem bisher unbekannten Ausmaß von der schweren Tuberkulose-Erkrankung überschattet war.
Er fasziniert noch immer: Albert Camus, Nobelpreisträger des Jahres 1957, ist eine der großen intellektuellen Figuren unseres Jahrhunderts und der meistgelesene französische Autor. Der internationale Erfolg des aus dem Nachlaß 1994 herausgegebenen autobiographischen Romans "Der erste Mensch" zeigte, wie unersetzlich die Stimme dieses Schriftstellers und Humanisten ist. Olivier Todd ist für seine monumentale Biographie in den Archiven Algiers, Washingtons oder der Komintern in Moskau fündig geworden. Er hat mehr als zweihundert Freunde und Feinde, Zeitgenossen und Angehörige interviewt, die erst nach dem Tod der Witwe Françine ihre Diskretion aufgaben, und er schöpft aus dem bislang unveröffentlichten (ausführlich zitierten) Briefwechsel, den Camus mit seinen Freundinnen, Geliebten und Dichterkollegen pflegte, die sein Leben begleiteten. Todd stellt uns einen unerwarteten - und oft unbekannten - Camus in seinem Privatleben vor, in seinen öffentlichen Engagements, in seinen politischen und künstlerischen Stellungnahmen, in seinen Freundschaften und seinen Lieben. Befreit von den Legenden, die sich nach Nobelpreis und frühem Unfalltod um ihn bildeten, erscheint Camus in seiner komplexen Widersprüchlichkeit - und in der tragischen Größe eines Autors, dessen Leben in einem bisher unbekannten Ausmaß von der schweren Tuberkulose-Erkrankung überschattet war.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2000Querläufer zwischen den Lagern
Olivier Todd entgeht kein Zettel im Leben von Albert Camus
Aus dem scharf hinter hochgeschlagenem Mantelkragen uns entgegenzwinkernden Autorenblick, der auf dem Umschlagfoto vor knapp vier Jahren das französische Original dieser Monumentalbiografie zierte (F.A.Z. vom 12. März 1996), ist in der deutschen Ausgabe ein durch die Sonnenbrille verschwommen ins Leere gehendes Träumergesicht geworden. Im Übrigen aber zeichnet die Übersetzung die vielfältigen Züge dieser biografischen Fleißarbeit getreulich nach und lässt nur mit viel Fingerspitzengefühl den einen oder anderen allzu anekdotischen Absatz beiseite. Mit dem von Olivier Todd versammelten Faktenmaterial müsste die Camus-Rezeption nun ein paar Jahrzehnte lang eigentlich auskommen. Es wird in allen Einzelheiten erzählt, warum dieses nordafrikanische Arme-Leute-Kind literarisch wie politisch-moralisch aus dem Pariser Intellektuellenkrieg der Gide, Sartre, Malraux, Aragon postum als Sieger hervorging. Größtes Verdienst dieser Biografie ist ihre Sachlichkeit, die der heute kaum mehr bestrittenen Identifikationsfigur Albert Camus die Heroisierung gegenüber den bösen Buben der Jahrhundert-Ideologien weitgehend erspart.
Die Biografie zeigt, wie unsicher der Weg zum hohen, durch kein Denksystem abgesicherten Anspruch war. Er begann im Knabengymnasium von Algier mit dem, was Camus im unlängst aus dem Nachlass publizierten Roman "Der erste Mensch" als eine doppelte Scham beschrieb: die Scham des Halbwaisen, dem Lehrer zum Schuljahresbeginn einen praktisch leeren Fragebogen zurückzugeben, weil er nicht wusste, ob er bei der Mutter "Hausfrau" oder "Putzfrau" angeben sollte, und vor allem die Scham darüber, sich deswegen zu schämen. Das Zögern des gut Zwanzigjährigen, der sich im Jahre 1935 der kommunistischen Partei anschloss, hatte schon mehr spirituelle als politische Motive. Der Kommunismus bedeute ihm nichts, solange er nicht den Rang einer Religion hätte, schrieb Camus in einem Brief. Ein Christentum ohne Gott war lange Zeit das Ideal des engagementhungrigen Atheisten, dessen "plotinisierenden Kommunismus" Olivier Todd schlüssig etwa aus der Diplomarbeit fürs Lehrerexamen herleitet: ein Politikverständnis, das nicht von Marx, sondern von Plotin und Augustinus herkommt.
Nicht ein "anderer", bisher unbekannter Camus kommt hier zum Vorschein, sondern ein in seinen Zweifeln schärfer gezeichneter. Über Briefstellen und Zeitungsartikel, die Camus in den späten dreißiger Jahren als Mitglied des "Alger républicain" schrieb, wohnen wir gleichsam der Programmierung seiner Beziehung zu Sartre bei. Camus bewunderte Sartres Roman "Der Ekel" seines Stils wegen, lehnte ihn aber wegen seiner Philosophie ab: Die Lebensrealität werde da von der Theorie aufgesaugt, das absurde Menschenschicksal sei bei Sartre Endziel, könne aber in einem literarischen Werk immer nur Ausgangspunkt sein. Die engste, wenn auch kurze Komplizenschaft bis zum Bruch entstand in der Euphorie der Pariser Jazzkeller und Redaktionsstuben unmittelbar nach der Befreiung. Die beiden debattierten viel, sprachen aber nie dieselbe Sprache. Für Sartre war die Hauptfrage die Wahl des Lagers: für oder gegen den Marxismus, für oder gegen das Kapital. Camus hingegen wollte sich nicht ins Dilemma einschließen lassen und dachte in den Kategorien von persönlicher Glaubwürdigkeit - im christlichen oder nachchristlichen Sinn. Damit geriet er mit seinen Zeitgenossen in Konflikt.
Die Aburteilung der Kollaborateure war für den ehemaligen Pazifisten, der sich 1943 der Résistance-Gruppe "Combat" angeschlossen hatte, mehr als nur eine schematische Frage der Lagerwahl während der Okkupation. Er unterzeichnete unter Skrupeln ein Begnadigungsgesuch für den zum Tode verurteilten Schriftsteller Robert Brasillach, stritt aber zugleich in einer berühmten Kontroverse mit dem einstigen Résistance-Kollegen François Mauriac für eine unnachsichtig harte Abrechnung mit den Mitläufern. Ebenso stand er während des Algerienkriegs als Abkömmling armer Algerienfranzosen quer zu den Lagern. Die theoretisch nicht auflösbare Grundhaltung gipfelte in der berühmten Aporie der Dankrede für den Nobelpreis 1957: Im Dilemma zwischen der Gerechtigkeit und seiner Mutter würde er sich für seine Mutter entscheiden. Diese komplexe Motivationslage des intellektuellen Querläufers durchs ideologische Nachkriegsterrain ist in der Biografie Todds aus dem literarischen Werk wie aus dem entlegensten Notizzettel abgeleitet und damit künftig belegbar.
Angesichts der ständigen intellektuellen Aufwertung Camus' im Zeichen des Zerfalls der Systemideologien fehlte die entsprechend breite Zitatbasis. Dass Camus, der mit seinem Roman "Der Fremde" zum größten Verkaufserfolg seit Gründung des Gallimard-Verlags wurde, gegenüber dem dialektisch zugespitzten Denken seiner Zeitgenossen nicht einfach im humanistischen Ungefähr aufging, konnte bisher immer nur mit verstreuten Textverweisen gezeigt werden. Hier ist fortan der neue Rahmen gesteckt. Mit dem Untertitel "Ein Leben" ist auch gleich der Akzent gesetzt: Dargestellt wird mehr ein Intellektuellenschicksal als ein literarisches OEuvre. Literarisch würden von Camus wohl "Der Fremde" und "Der Fall" überleben, schreibt Olivier Todd in seiner Schlussbetrachtung. Auf der Bühne bleibe allenfalls "Caligula", philosophisch sei der Autor gewiss hinter dem brillanteren Sartre weit zurückgeblieben. Im Bereich der Selbstdarstellung schließlich habe ihn Albert Camus, etwa im Fernsehen, auch nicht sonderlich überzeugt: "zu emphatisch", schließt Todd. Umso wertvoller erscheint seine biografische Hilfeleistung.
JOSEPH HANIMANN
Olivier Todd: "Albert Camus. Ein Leben". Aus dem Französischen übersetzt von Doris Heinemann. Rowohlt Verlag, Reinbek 1999. 923 S., geb., 78,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Olivier Todd entgeht kein Zettel im Leben von Albert Camus
Aus dem scharf hinter hochgeschlagenem Mantelkragen uns entgegenzwinkernden Autorenblick, der auf dem Umschlagfoto vor knapp vier Jahren das französische Original dieser Monumentalbiografie zierte (F.A.Z. vom 12. März 1996), ist in der deutschen Ausgabe ein durch die Sonnenbrille verschwommen ins Leere gehendes Träumergesicht geworden. Im Übrigen aber zeichnet die Übersetzung die vielfältigen Züge dieser biografischen Fleißarbeit getreulich nach und lässt nur mit viel Fingerspitzengefühl den einen oder anderen allzu anekdotischen Absatz beiseite. Mit dem von Olivier Todd versammelten Faktenmaterial müsste die Camus-Rezeption nun ein paar Jahrzehnte lang eigentlich auskommen. Es wird in allen Einzelheiten erzählt, warum dieses nordafrikanische Arme-Leute-Kind literarisch wie politisch-moralisch aus dem Pariser Intellektuellenkrieg der Gide, Sartre, Malraux, Aragon postum als Sieger hervorging. Größtes Verdienst dieser Biografie ist ihre Sachlichkeit, die der heute kaum mehr bestrittenen Identifikationsfigur Albert Camus die Heroisierung gegenüber den bösen Buben der Jahrhundert-Ideologien weitgehend erspart.
Die Biografie zeigt, wie unsicher der Weg zum hohen, durch kein Denksystem abgesicherten Anspruch war. Er begann im Knabengymnasium von Algier mit dem, was Camus im unlängst aus dem Nachlass publizierten Roman "Der erste Mensch" als eine doppelte Scham beschrieb: die Scham des Halbwaisen, dem Lehrer zum Schuljahresbeginn einen praktisch leeren Fragebogen zurückzugeben, weil er nicht wusste, ob er bei der Mutter "Hausfrau" oder "Putzfrau" angeben sollte, und vor allem die Scham darüber, sich deswegen zu schämen. Das Zögern des gut Zwanzigjährigen, der sich im Jahre 1935 der kommunistischen Partei anschloss, hatte schon mehr spirituelle als politische Motive. Der Kommunismus bedeute ihm nichts, solange er nicht den Rang einer Religion hätte, schrieb Camus in einem Brief. Ein Christentum ohne Gott war lange Zeit das Ideal des engagementhungrigen Atheisten, dessen "plotinisierenden Kommunismus" Olivier Todd schlüssig etwa aus der Diplomarbeit fürs Lehrerexamen herleitet: ein Politikverständnis, das nicht von Marx, sondern von Plotin und Augustinus herkommt.
Nicht ein "anderer", bisher unbekannter Camus kommt hier zum Vorschein, sondern ein in seinen Zweifeln schärfer gezeichneter. Über Briefstellen und Zeitungsartikel, die Camus in den späten dreißiger Jahren als Mitglied des "Alger républicain" schrieb, wohnen wir gleichsam der Programmierung seiner Beziehung zu Sartre bei. Camus bewunderte Sartres Roman "Der Ekel" seines Stils wegen, lehnte ihn aber wegen seiner Philosophie ab: Die Lebensrealität werde da von der Theorie aufgesaugt, das absurde Menschenschicksal sei bei Sartre Endziel, könne aber in einem literarischen Werk immer nur Ausgangspunkt sein. Die engste, wenn auch kurze Komplizenschaft bis zum Bruch entstand in der Euphorie der Pariser Jazzkeller und Redaktionsstuben unmittelbar nach der Befreiung. Die beiden debattierten viel, sprachen aber nie dieselbe Sprache. Für Sartre war die Hauptfrage die Wahl des Lagers: für oder gegen den Marxismus, für oder gegen das Kapital. Camus hingegen wollte sich nicht ins Dilemma einschließen lassen und dachte in den Kategorien von persönlicher Glaubwürdigkeit - im christlichen oder nachchristlichen Sinn. Damit geriet er mit seinen Zeitgenossen in Konflikt.
Die Aburteilung der Kollaborateure war für den ehemaligen Pazifisten, der sich 1943 der Résistance-Gruppe "Combat" angeschlossen hatte, mehr als nur eine schematische Frage der Lagerwahl während der Okkupation. Er unterzeichnete unter Skrupeln ein Begnadigungsgesuch für den zum Tode verurteilten Schriftsteller Robert Brasillach, stritt aber zugleich in einer berühmten Kontroverse mit dem einstigen Résistance-Kollegen François Mauriac für eine unnachsichtig harte Abrechnung mit den Mitläufern. Ebenso stand er während des Algerienkriegs als Abkömmling armer Algerienfranzosen quer zu den Lagern. Die theoretisch nicht auflösbare Grundhaltung gipfelte in der berühmten Aporie der Dankrede für den Nobelpreis 1957: Im Dilemma zwischen der Gerechtigkeit und seiner Mutter würde er sich für seine Mutter entscheiden. Diese komplexe Motivationslage des intellektuellen Querläufers durchs ideologische Nachkriegsterrain ist in der Biografie Todds aus dem literarischen Werk wie aus dem entlegensten Notizzettel abgeleitet und damit künftig belegbar.
Angesichts der ständigen intellektuellen Aufwertung Camus' im Zeichen des Zerfalls der Systemideologien fehlte die entsprechend breite Zitatbasis. Dass Camus, der mit seinem Roman "Der Fremde" zum größten Verkaufserfolg seit Gründung des Gallimard-Verlags wurde, gegenüber dem dialektisch zugespitzten Denken seiner Zeitgenossen nicht einfach im humanistischen Ungefähr aufging, konnte bisher immer nur mit verstreuten Textverweisen gezeigt werden. Hier ist fortan der neue Rahmen gesteckt. Mit dem Untertitel "Ein Leben" ist auch gleich der Akzent gesetzt: Dargestellt wird mehr ein Intellektuellenschicksal als ein literarisches OEuvre. Literarisch würden von Camus wohl "Der Fremde" und "Der Fall" überleben, schreibt Olivier Todd in seiner Schlussbetrachtung. Auf der Bühne bleibe allenfalls "Caligula", philosophisch sei der Autor gewiss hinter dem brillanteren Sartre weit zurückgeblieben. Im Bereich der Selbstdarstellung schließlich habe ihn Albert Camus, etwa im Fernsehen, auch nicht sonderlich überzeugt: "zu emphatisch", schließt Todd. Umso wertvoller erscheint seine biografische Hilfeleistung.
JOSEPH HANIMANN
Olivier Todd: "Albert Camus. Ein Leben". Aus dem Französischen übersetzt von Doris Heinemann. Rowohlt Verlag, Reinbek 1999. 923 S., geb., 78,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Ein "Meisterwerk der leerlaufenden Recherche", urteilt Ludger Heidbrink. Zwar würdigt er Todds jahrzehntelange Nachforschungen, aber unter dem immensen Informationsberg sei der Mensch Camus kaum mehr zu finden. Heidbrink vermisst in diesem Buch etwas über die Abgründe von Camus` Moral, über die Widersprüchlichkeit seines Charakters und seiner Werke. Zwar räumt Heidbrink ein, dass Camus als Person und Charakter weitaus schwerer zu fassen ist als beispielsweise Sartre. Dennoch hätte er sich vom Autor eine mehr "eigenständige Sichtweise" gewünscht, wie sie etwa Annie Cohen-Solal in ihrer Sartre-Biografie entwickelt habe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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