Zwischen März 1944 und Juni 1947 war Albert Camus zunächst Untergrundautor, dann Chefredakteur und Leitartikler bei der Zeitung Combat. Seine Texte sind einerseits an die historischen Ereignisse ihrer bewegten Entstehungszeit mit ihren Hoffnungen und Enttäuschungen geknüpft und spiegeln diese mit einer beeindruckenden Unmittelbarkeit wider. Gleichwohl aber haben sie viel von ihrer Aussagekraft und Aktualität bewahrt. Sie sind so klarsichtige wie leidenschaftliche Zeugnisse eines Journalisten, der sich der Verantwortung für seine Epoche bewusst war, in der es zum Ende der Résistance darum ging, das Alltagsleben neu zu organisieren und die Zukunft Frankreichs und Europas zu skizzieren.Camus sprach zahlreiche Themen an, etwa die Innenpolitik mit ihrer schwierigen Ingangsetzung der Demokratie. Aber auch die Außenpolitik, der Traum vom Aufbau internationaler Institutionen zur Sicherung des Weltfriedens spielten eine große Rolle. Er verhandelte viele weitere Fragen, u.a. die Rolle der aus der Résistance entstandenen Presse, Spanien, die Kolonialpolitik, dabei vor allem die Algerien-Frage. Wie eine theoretische Quintessenz dieser Zeit wirkt die Artikelserie 'Weder Opfer noch Henker' aus dem Jahr 1946.Camus' Gedanken, seine Wachsamkeit und die Weigerung, komplexe Probleme mit einfachen Antworten zu befrieden, können auch unser heutiges Nachdenken über politische Konflikte und verantwortungsvolles Handeln erhellen.Albert Camus wurde am 7. November 1913 im nordwest-algerischen Dorf Mondovi (heute Dréan) geboren und starb am 4. Januar 1960 bei einem Autounfall nahe Villeblevin, Frankreich. Camus wuchs in armen Familienverhältnissen in Algier auf, der Vater starb im Ersten Weltkrieg, die Mutter war Analphabetin.Weltweite Anerkennung erlangte er durch sein literarisches Werk (Der Fall, 1956; Die Pest, 1947; Der Fremde, 1942) und seine Theaterstücke (u.a. Die Gerechten, 1948; Caligula,1944). Weniger bekannt ist sein immenses journalistisches Werk.Seine Artikel in libertär-sozialistischen Zeitschriften sowie sein Buch Der Mensch in der Revolte (1951) inspirierten anarchistische Bewegungen weltweit. Auch arbeitete er als Journalist für Algierer Tageszeitungen. Zwischen März 1944 und Juni 1947 war Albert Camus zunächst Untergrundautor, dann Chefredakteur und Leitartikler bei der Zeitung Combat. In seinen vielen Texten, die er für Combat schrieb, kommt die leidenschaftliche Stimme eines Schriftstellers im Angesicht der Geschichte zum Vorschein, eines von der Idee der Gerechtigkeit, der Freiheit und der Wahrheit eingenommenen Menschen, der hartnäckig versuchte, moralische Kategorien in die Politik einzuführen und Respekt vor der menschlichen Würde verlangte: eine Stimme, die noch im gegenwärtigen Bewusstsein nachhallt.Beide Bände zusammen beinhalten die Gesamtheit seiner 165 Artikel für Combat, ob namentlich gezeichnet, als von Camus stammend identifiziert oder legitimer Weise Camus zugeordnet. Die Herausgeberin Jacqueline Lévy-Valensi hat sie mit aufschlussreichen Kommentaren versehen.Jacqueline Lévy-Valensis (1932-2004) Jugend wurde durch die Shoa geprägt. Ihre Eltern und ihr Bruder wurden von den Nazis in Auschwitz-Birkenau ermordet. Ihr gelang die Flucht. Sie studierte klassische Literatur an der Sorbonne in Paris und war Dozentin in Laon, ab 1959 in Algier. 1965 Rückkehr nach Frankreich. 1981 Dissertation zur Genese des Werks von Albert Camus, 2006 bei Gallimard unter dem Titel Albert Camus ou la naissance d'un romancier (Albert Camus oder die Geburt eines Schriftstellers) erschienen.1982 gründete sie zusammen mit Raymond Gay-Crosier die Pariser Albert-Camus-Gesellschaft und war Herausgeberin und Koautorin zahlreicher Werke über Camus. Für den Gallimard-Verlag und die berühmte Pléiade-Ausgabe großer Schriftsteller und Schriftstellerinnen initiierte sie die auf vier Bände angelegte Neuherausgabe der Gesamtwerke Camus', die von 2006 bis 2008 veröffentlicht wurden, wovon sie die beiden ersten Bände noch zu ihren Lebzeiten a
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Für Rudolf Walther behandelt die von Jacqueline Lévi-Valensi herausgegebene Edition mit den journalistischen Arbeiten von Albert Camus aus der Zeit der Résistance und der ersten Nachkriegsjahre einen aufregenden Abschnitt der französischen Geschichte. Einen gelungenen Versuch, Camus für ein breiteres Publikum wiederzubeleben, stellt der Band laut Rezensent aufgrund seiner chronologischen Anlage und seiner benutzerfreundlichen Schwerpunktsortierung im Register. Die Texte erschienen August 1944 bis Juni 1947 in der Untergrundzeitung "Combat" und vermitteln dem Rezensenten einen Einblick in die politische Arbeit des Autors.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2015Faulheit ist eine Todsünde
Von 1944 bis zum Beginn des Kalten Kriegs schrieb Albert Camus für "Combat", die Zeitung der Résistance. Jetzt liegen seine Artikel in deutscher Übersetzung vor. Es sind Meisterwerke.
GENF, im Juni
Die Vichy-Regierung hat sich in Luft aufgelöst": Mit diesem Befund begann Albert Camus am 22. August 1944 seinen Leitartikel in der Zeitung "Combat", deren Chefredakteur er war. Nach 55 "illegalen" Ausgaben im Untergrund des antifaschistischen französischen Widerstands hatte das Blatt am Vortag, nach der Befreiung von Paris, erstmals öffentlich erscheinen können. Die Texte, die Camus für "Combat" schrieb, aber nicht immer namentlich zeichnete, hat Jacqueline Lévi-Valensi schon vor zehn Jahren in einer vorbildlichen Edition versammelt. Jetzt ist diese Artikelsammlung in zwei Bänden mitsamt umfangreichem Anmerkungsapparat in der genauen deutschen Übersetzung von Lou Marin erschienen.
Camus' Reportagen und Kommentare erschließen die Jahre zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Ausbruch des Kalten Kriegs. Sie illustrieren das Denken eines Philosophen, der den Totalitarismus Hitlers wie den Stalins gleichermaßen bekämpfte und zum Kolonialismus einen eigenen Standpunkt vertrat. Seine für den Tag geschriebenen Texte sind auch siebzig Jahre nach ihrem ersten Erscheinen immer noch spannend. In ihrer Gesamtheit sind sie ein Schlüsselwerk zum Verständnis der unmittelbaren Nachkriegsgesellschaft: ihrer Lebenslügen und auch ihrer Illusion, dass man sich in einer Übergangsphase befinde. "Von der Résistance zur Revolution": Unter diesem Titel erschien Camus' erster Leitartikel. Er wurde als politisches und publizistisches Programm gleich zweimal gedruckt, am 21. und 22. August. Die Ausgaben waren nicht immer leicht zu bekommen, die Auflagen waren klein, Papier war knapp.
Ein zentrales Thema dieser Aufsätze ist der Journalismus und seine Ethik. Der Journalismus stand auch am Anfang von Camus' Schreiben. Der französische Schriftsteller und Publizist Pascal Pia hatte Camus noch in dessen Geburtsland Algerien (also Französisch-Nordafrika) dazu gebracht, Mitarbeiter seiner linksgerichteten Zeitschrift "Alger Républicain" zu werden. Camus schrieb Gerichtsreportagen, in denen er die Einheimischen verteidigte und das Kolonialsystem angriff. Er engagierte sich für die Berber der Kabylei. Literarische Rezensionen veröffentlichte er unter dem Pseudonym "Objecteur de Conscience": Kriegs- und Armeedienstverweigerer aus Gewissensgründen. Herbert Lottmann schreibt in seiner Biographie des Dichters, dass Camus und Pascal Pia aus der Zeitung ein "anarchistisches Organ" gemacht hätten. 1938 kritisierten die Kriegsgegner Camus und Pia das Abkommen von München. Aus dem "Alger Républicain" wurde "Le soir républicain", der sich nach Hitlers Einmarsch in Polen fortwährend in Konflikt mit der Zensur befand. Im Januar 1940 wurde die Zeitung verboten. Nur wenige Monate später, im Juni, musste Frankreich ein Waffenstillstandsabkommen mit Deutschland unterzeichnen. Pascal Pia ging nach Paris und schloss sich der Résistance an. Die von Henri Frenay begründete Widerstandsbewegung antwortet auf Hitlers "Mein Kampf" mit "Combat". Zwischen 1941 und 1944 erschienen achtundfünfzig Ausgaben, für die Mitarbeiter ihr Leben riskierten. Camus, der Pias Ruf gefolgt war, schrieb seinen ersten Artikel für "Combat" im März 1944. Seine Beiträge befassen sich mit den mörderischen Verbrechen der Nazis und ihrer Kollaborateure und werfen die Frage auf, wie mit ihnen nach der sich abzeichnenden "Libération" umzugehen sei.
In der letzten Ausgabe aus dem Untergrund veröffentlichte Camus eine Glosse über den "Beruf des Journalisten", von dem der Kollaborateur Marcel Déat geschrieben hatte, dass er im Dienste der Vichy-Propaganda "zum ersten Mal in der Geschichte ein ehrbarer" geworden sei. Camus nahm Déat ironisch beim Wort: "Da wir nun einem ehrbaren Beruf nachgehen, werden die Politik und der Journalismus morgen diejenigen zu richten haben, die diesen Beruf bisher entehrt haben . . . Herrn Marcel Déat zum Beispiel." Déat wurde nach der Befreiung in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
Camus, der auch während der "Säuberungen" die Todesstrafe ablehnte, war kein Scharfmacher. In den Auseinandersetzungen mit dem Schriftsteller François Mauriac, der im "Figaro" publizierte und 1952 den Literaturnobelpreis verliehen bekommen würde, ging es um die "épuration" (Reinigung) im Lager der Literaten. Camus zitiert ein miserables Gedicht von Paul Claudel, der erst Philippe Pétain, dem Anführer des Vichy-Regimes, dann Charles de Gaulle eine Ode widmete. Camus selbst hatte Werke mit dem Segen der deutschen Zensur publiziert und aufführen lassen. Am 19. Oktober 1944 handelte sein Leitartikel von der "Vorbereitung des französischen Besatzungsregimes in Deutschland": "An dieser schwierigen Kontrollaufgabe werden wir teilnehmen ..., um diesem verirrten Volk zu beweisen, dass sich die Gewalt der Gerechtigkeit unterstellen kann". Camus hatte die Möglichkeit einer Einbindung Frankreichs in eine alliierte Militärregierung als "große Neuigkeit" bezeichnet, "wenn sie denn stimmen sollte." Tatsächlich war es eine Falschmeldung der Nachrichtenagentur AFP, die am Tag darauf berichtigt wurde.
Frankreich hatte zwar auf Regierungsebene mit Hitler kollaboriert, nutzte die Monate von seiner Befreiung bis zur Kapitulation Deutschlands jedoch, um sich als Siegermacht zu positionieren. Schon im Juni 1945 besuchte Camus das Land, "dessen Städte sich zu unaufhörlichen Steinwüsten gewandelt haben und dessen Menschen gebeugt waren von der schlimmsten Form des Hasses". Den "vergangenen Gewalttaten" hält der Beobachter die "gegenwärtige Prüfung" entgegen und versucht, ein Bild von der Lage zu vermitteln: "Die französische Besatzung ist zweifellos hart. Sie bleibt jedoch, so scheint mir, innerhalb jenes gerechten Rahmens, den ein Sieger ausüben kann. Nach anfänglichen Exzessen werden nun Plünderungen und Vergewaltigungen streng und manchmal, so habe ich erfahren, erbarmungslos bestraft."
Camus' seltene Reportagen sind wie seine Leitartikel um Wahrheit und Objektivität bemüht. Die Schoa allerdings ist - wie in der unmittelbaren Nachkriegszeit insgesamt - auch in seinen Artikeln nicht präsent. Die Heimkehr der französischen Deportierten wird im Zeichen der Résistance gefeiert. Unmittelbar nach dem 8. Mai 1945 interessierte sich Camus vor allem für Algerien, wo eine Hungersnot herrschte. Dass die französische Armee am Tag der deutschen Kapitulation mindestens zehntausend Aufständische in Algerien erschossen hatte, war ihm offensichtlich nicht bekannt. Nur kurz berichtete die Zeitung unter seiner Verantwortung über die Repressionen, die sie sehr wohl kritisierte. In Camus' Artikelserie aber steckt bereits der Keim seines späteren Konflikts mit der Linken über den Kolonialismus: Der Chefredakteur sprach von der "Notwendigkeit, Algerien ein zweites Mal zu erobern" - auch wenn er damit keine militärische Aktion meinte.
Camus war beinahe der einzige Philosoph, dem umgehend bewusst wurde, dass in Hiroshima eine neue Epoche mit "erschreckenden Perspektiven für die Menschheit" begonnen hatte. "Die technische Zivilisation ist auf der letzten Stufe der Barbarei angekommen", urteilt er. Sein Leitartikel zum Abwurf der Atombombe enthält auch ein Stück Medienkritik des "gemeinsamen Konzerts" aus "begeisterten Kommentaren" in den "amerikanischen, englischen, französischen Zeitungen". Er bescheinigt diesem Chor "etwas Schamloses".
Als Gefahr erkannte der Philosoph, "dass wir nun auf umgekehrte Weise die Presse während der Besatzungszeit kopieren". Er prangert die "Sünde der Faulheit" an. Im Widerstand habe "der Körper so viel gearbeitet, dass der Geist seine Vorsicht beiseitelegte". Er attackierte die neuen Machthaber und hielt sich aus den Ränkespielen der Parteien heraus: "Wir akzeptieren freimütig die militärische Zensur von Nachrichten, die dem Feind dienlich sein könnten. Wir akzeptieren aber niemals die politische Zensur. Im Besonderen erkennen wir der militärischen Zensur nicht das Recht zu, das Denken und die Handlungen des wichtigsten Organs der Résistance zu kontrollieren."
"Combat" erreichte eine Auflage von knapp 200 000 Exemplaren. Pascal Pia und Camus verließen das Blatt 1947. Es wurde immer schwieriger, eine nichtkommunistische linke Zeitung zu machen. Im Mai 1968 konnte "Combat" noch einmal an seine besseren Zeiten anknüpfen. 1974 wurde sie eingestellt.
Camus war nach seinem Weggang von "Combat" dem Journalismus verbunden und seinen antitotalitären Überzeugungen treu geblieben. Lou Marin, der Übersetzer seiner "Combat"-Artikel, hat vor zwei Jahrzehnten auch Camus' Beiträge für die anarchistische Züricher Zeitschrift "Témoins" entdeckt. Marin nahm diese Trouvaille zum Anlass, in seinem Buch "Ursprung der Revolte" (Verlag Graswurzelrevolution, 1998) Albert Camus' Weltanschauung aus dessen intensiver journalistischer Tätigkeit herzuleiten.
In seinem ersten Artikel für "Témoins" attackierte Camus die linken Intellektuellen, die der Bundesrepublik Deutschland die DDR vorzogen und den Aufstand vom 17. Juni 1953 als Wiederkehr des Faschismus kritisierten. Für Camus gab es in der DDR keine Meinungsfreiheit. Als 1952 der ehemalige Generalsekretär der tschechoslowakischen Kommunisten Rudolf Slánsky in einem Schauprozess zum Tode verurteilt wurde, erwähnte Camus in seiner Berichterstattung auch das Motiv des stalinistischen Antisemitismus. Sein großer Gegenspieler Jean-Paul Sartre schwieg dazu. Nach der Hinrichtung von Imre Nagy in Ungarn 1958 verhöhnte Camus die Todesstrafe für ideologische Abweichler als "Dialektik, die sich zum Knoten des Strangs windet".
Auch den Literaturnobelpreis, den der Schriftsteller im Jahr zuvor hatte verliehen bekommen, haben ihm seine marxistischen Kollegen nicht verziehen. Sie versöhnten sich erst nach der Abkehr vom Kommunismus mit dem Pionier der antitotalitären Aufklärung. Camus ist 1960 bei einem Unfall im Auto seines Verlegers Michel Gallimard gestorben. Neben seinen literarischen Klassikern und philosophischen Essays haben auch seine Zeitungsartikel überlebt - es sind Meisterwerke des Journalismus.
JÜRG ALTWEGG
Albert Camus - Journalist in der Résistance. Hrsg. von Jacqueline Lévi-Valensi. Aus dem Französischen von Lou Marin. Laika Verlag, Hamburg 2014. Zwei Bände, 340 und 264 S., geb., je 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von 1944 bis zum Beginn des Kalten Kriegs schrieb Albert Camus für "Combat", die Zeitung der Résistance. Jetzt liegen seine Artikel in deutscher Übersetzung vor. Es sind Meisterwerke.
GENF, im Juni
Die Vichy-Regierung hat sich in Luft aufgelöst": Mit diesem Befund begann Albert Camus am 22. August 1944 seinen Leitartikel in der Zeitung "Combat", deren Chefredakteur er war. Nach 55 "illegalen" Ausgaben im Untergrund des antifaschistischen französischen Widerstands hatte das Blatt am Vortag, nach der Befreiung von Paris, erstmals öffentlich erscheinen können. Die Texte, die Camus für "Combat" schrieb, aber nicht immer namentlich zeichnete, hat Jacqueline Lévi-Valensi schon vor zehn Jahren in einer vorbildlichen Edition versammelt. Jetzt ist diese Artikelsammlung in zwei Bänden mitsamt umfangreichem Anmerkungsapparat in der genauen deutschen Übersetzung von Lou Marin erschienen.
Camus' Reportagen und Kommentare erschließen die Jahre zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Ausbruch des Kalten Kriegs. Sie illustrieren das Denken eines Philosophen, der den Totalitarismus Hitlers wie den Stalins gleichermaßen bekämpfte und zum Kolonialismus einen eigenen Standpunkt vertrat. Seine für den Tag geschriebenen Texte sind auch siebzig Jahre nach ihrem ersten Erscheinen immer noch spannend. In ihrer Gesamtheit sind sie ein Schlüsselwerk zum Verständnis der unmittelbaren Nachkriegsgesellschaft: ihrer Lebenslügen und auch ihrer Illusion, dass man sich in einer Übergangsphase befinde. "Von der Résistance zur Revolution": Unter diesem Titel erschien Camus' erster Leitartikel. Er wurde als politisches und publizistisches Programm gleich zweimal gedruckt, am 21. und 22. August. Die Ausgaben waren nicht immer leicht zu bekommen, die Auflagen waren klein, Papier war knapp.
Ein zentrales Thema dieser Aufsätze ist der Journalismus und seine Ethik. Der Journalismus stand auch am Anfang von Camus' Schreiben. Der französische Schriftsteller und Publizist Pascal Pia hatte Camus noch in dessen Geburtsland Algerien (also Französisch-Nordafrika) dazu gebracht, Mitarbeiter seiner linksgerichteten Zeitschrift "Alger Républicain" zu werden. Camus schrieb Gerichtsreportagen, in denen er die Einheimischen verteidigte und das Kolonialsystem angriff. Er engagierte sich für die Berber der Kabylei. Literarische Rezensionen veröffentlichte er unter dem Pseudonym "Objecteur de Conscience": Kriegs- und Armeedienstverweigerer aus Gewissensgründen. Herbert Lottmann schreibt in seiner Biographie des Dichters, dass Camus und Pascal Pia aus der Zeitung ein "anarchistisches Organ" gemacht hätten. 1938 kritisierten die Kriegsgegner Camus und Pia das Abkommen von München. Aus dem "Alger Républicain" wurde "Le soir républicain", der sich nach Hitlers Einmarsch in Polen fortwährend in Konflikt mit der Zensur befand. Im Januar 1940 wurde die Zeitung verboten. Nur wenige Monate später, im Juni, musste Frankreich ein Waffenstillstandsabkommen mit Deutschland unterzeichnen. Pascal Pia ging nach Paris und schloss sich der Résistance an. Die von Henri Frenay begründete Widerstandsbewegung antwortet auf Hitlers "Mein Kampf" mit "Combat". Zwischen 1941 und 1944 erschienen achtundfünfzig Ausgaben, für die Mitarbeiter ihr Leben riskierten. Camus, der Pias Ruf gefolgt war, schrieb seinen ersten Artikel für "Combat" im März 1944. Seine Beiträge befassen sich mit den mörderischen Verbrechen der Nazis und ihrer Kollaborateure und werfen die Frage auf, wie mit ihnen nach der sich abzeichnenden "Libération" umzugehen sei.
In der letzten Ausgabe aus dem Untergrund veröffentlichte Camus eine Glosse über den "Beruf des Journalisten", von dem der Kollaborateur Marcel Déat geschrieben hatte, dass er im Dienste der Vichy-Propaganda "zum ersten Mal in der Geschichte ein ehrbarer" geworden sei. Camus nahm Déat ironisch beim Wort: "Da wir nun einem ehrbaren Beruf nachgehen, werden die Politik und der Journalismus morgen diejenigen zu richten haben, die diesen Beruf bisher entehrt haben . . . Herrn Marcel Déat zum Beispiel." Déat wurde nach der Befreiung in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
Camus, der auch während der "Säuberungen" die Todesstrafe ablehnte, war kein Scharfmacher. In den Auseinandersetzungen mit dem Schriftsteller François Mauriac, der im "Figaro" publizierte und 1952 den Literaturnobelpreis verliehen bekommen würde, ging es um die "épuration" (Reinigung) im Lager der Literaten. Camus zitiert ein miserables Gedicht von Paul Claudel, der erst Philippe Pétain, dem Anführer des Vichy-Regimes, dann Charles de Gaulle eine Ode widmete. Camus selbst hatte Werke mit dem Segen der deutschen Zensur publiziert und aufführen lassen. Am 19. Oktober 1944 handelte sein Leitartikel von der "Vorbereitung des französischen Besatzungsregimes in Deutschland": "An dieser schwierigen Kontrollaufgabe werden wir teilnehmen ..., um diesem verirrten Volk zu beweisen, dass sich die Gewalt der Gerechtigkeit unterstellen kann". Camus hatte die Möglichkeit einer Einbindung Frankreichs in eine alliierte Militärregierung als "große Neuigkeit" bezeichnet, "wenn sie denn stimmen sollte." Tatsächlich war es eine Falschmeldung der Nachrichtenagentur AFP, die am Tag darauf berichtigt wurde.
Frankreich hatte zwar auf Regierungsebene mit Hitler kollaboriert, nutzte die Monate von seiner Befreiung bis zur Kapitulation Deutschlands jedoch, um sich als Siegermacht zu positionieren. Schon im Juni 1945 besuchte Camus das Land, "dessen Städte sich zu unaufhörlichen Steinwüsten gewandelt haben und dessen Menschen gebeugt waren von der schlimmsten Form des Hasses". Den "vergangenen Gewalttaten" hält der Beobachter die "gegenwärtige Prüfung" entgegen und versucht, ein Bild von der Lage zu vermitteln: "Die französische Besatzung ist zweifellos hart. Sie bleibt jedoch, so scheint mir, innerhalb jenes gerechten Rahmens, den ein Sieger ausüben kann. Nach anfänglichen Exzessen werden nun Plünderungen und Vergewaltigungen streng und manchmal, so habe ich erfahren, erbarmungslos bestraft."
Camus' seltene Reportagen sind wie seine Leitartikel um Wahrheit und Objektivität bemüht. Die Schoa allerdings ist - wie in der unmittelbaren Nachkriegszeit insgesamt - auch in seinen Artikeln nicht präsent. Die Heimkehr der französischen Deportierten wird im Zeichen der Résistance gefeiert. Unmittelbar nach dem 8. Mai 1945 interessierte sich Camus vor allem für Algerien, wo eine Hungersnot herrschte. Dass die französische Armee am Tag der deutschen Kapitulation mindestens zehntausend Aufständische in Algerien erschossen hatte, war ihm offensichtlich nicht bekannt. Nur kurz berichtete die Zeitung unter seiner Verantwortung über die Repressionen, die sie sehr wohl kritisierte. In Camus' Artikelserie aber steckt bereits der Keim seines späteren Konflikts mit der Linken über den Kolonialismus: Der Chefredakteur sprach von der "Notwendigkeit, Algerien ein zweites Mal zu erobern" - auch wenn er damit keine militärische Aktion meinte.
Camus war beinahe der einzige Philosoph, dem umgehend bewusst wurde, dass in Hiroshima eine neue Epoche mit "erschreckenden Perspektiven für die Menschheit" begonnen hatte. "Die technische Zivilisation ist auf der letzten Stufe der Barbarei angekommen", urteilt er. Sein Leitartikel zum Abwurf der Atombombe enthält auch ein Stück Medienkritik des "gemeinsamen Konzerts" aus "begeisterten Kommentaren" in den "amerikanischen, englischen, französischen Zeitungen". Er bescheinigt diesem Chor "etwas Schamloses".
Als Gefahr erkannte der Philosoph, "dass wir nun auf umgekehrte Weise die Presse während der Besatzungszeit kopieren". Er prangert die "Sünde der Faulheit" an. Im Widerstand habe "der Körper so viel gearbeitet, dass der Geist seine Vorsicht beiseitelegte". Er attackierte die neuen Machthaber und hielt sich aus den Ränkespielen der Parteien heraus: "Wir akzeptieren freimütig die militärische Zensur von Nachrichten, die dem Feind dienlich sein könnten. Wir akzeptieren aber niemals die politische Zensur. Im Besonderen erkennen wir der militärischen Zensur nicht das Recht zu, das Denken und die Handlungen des wichtigsten Organs der Résistance zu kontrollieren."
"Combat" erreichte eine Auflage von knapp 200 000 Exemplaren. Pascal Pia und Camus verließen das Blatt 1947. Es wurde immer schwieriger, eine nichtkommunistische linke Zeitung zu machen. Im Mai 1968 konnte "Combat" noch einmal an seine besseren Zeiten anknüpfen. 1974 wurde sie eingestellt.
Camus war nach seinem Weggang von "Combat" dem Journalismus verbunden und seinen antitotalitären Überzeugungen treu geblieben. Lou Marin, der Übersetzer seiner "Combat"-Artikel, hat vor zwei Jahrzehnten auch Camus' Beiträge für die anarchistische Züricher Zeitschrift "Témoins" entdeckt. Marin nahm diese Trouvaille zum Anlass, in seinem Buch "Ursprung der Revolte" (Verlag Graswurzelrevolution, 1998) Albert Camus' Weltanschauung aus dessen intensiver journalistischer Tätigkeit herzuleiten.
In seinem ersten Artikel für "Témoins" attackierte Camus die linken Intellektuellen, die der Bundesrepublik Deutschland die DDR vorzogen und den Aufstand vom 17. Juni 1953 als Wiederkehr des Faschismus kritisierten. Für Camus gab es in der DDR keine Meinungsfreiheit. Als 1952 der ehemalige Generalsekretär der tschechoslowakischen Kommunisten Rudolf Slánsky in einem Schauprozess zum Tode verurteilt wurde, erwähnte Camus in seiner Berichterstattung auch das Motiv des stalinistischen Antisemitismus. Sein großer Gegenspieler Jean-Paul Sartre schwieg dazu. Nach der Hinrichtung von Imre Nagy in Ungarn 1958 verhöhnte Camus die Todesstrafe für ideologische Abweichler als "Dialektik, die sich zum Knoten des Strangs windet".
Auch den Literaturnobelpreis, den der Schriftsteller im Jahr zuvor hatte verliehen bekommen, haben ihm seine marxistischen Kollegen nicht verziehen. Sie versöhnten sich erst nach der Abkehr vom Kommunismus mit dem Pionier der antitotalitären Aufklärung. Camus ist 1960 bei einem Unfall im Auto seines Verlegers Michel Gallimard gestorben. Neben seinen literarischen Klassikern und philosophischen Essays haben auch seine Zeitungsartikel überlebt - es sind Meisterwerke des Journalismus.
JÜRG ALTWEGG
Albert Camus - Journalist in der Résistance. Hrsg. von Jacqueline Lévi-Valensi. Aus dem Französischen von Lou Marin. Laika Verlag, Hamburg 2014. Zwei Bände, 340 und 264 S., geb., je 24,90 [Euro].
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