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Albert Südekum war einer der prominentesten, aber auch umstrittensten Politiker der SPD zwischen 1900 und 1920. Der Sohn eines Gastwirts gehörte zu jener Gruppe sozialdemokratischer Reformer, die den bürgerlichen Staat akzeptierten und die als pragmatische Politiker den Schulterschluss zwischen Arbeiterbewegung und liberalem Bürgertum bewerkstelligen wollten. Im Ersten Weltkrieg stellte sich Südekum kompromisslos in den "Dienst des Vaterlandes". Er reiste als "Agent" des Auswärtigen Amtes in die neutralen Staaten Europas und war - neben Matthias Erzberger - einer der Wegbereiter der…mehr

Produktbeschreibung
Albert Südekum war einer der prominentesten, aber auch umstrittensten Politiker der SPD zwischen 1900 und 1920. Der Sohn eines Gastwirts gehörte zu jener Gruppe sozialdemokratischer Reformer, die den bürgerlichen Staat akzeptierten und die als pragmatische Politiker den Schulterschluss zwischen Arbeiterbewegung und liberalem Bürgertum bewerkstelligen wollten. Im Ersten Weltkrieg stellte sich Südekum kompromisslos in den "Dienst des Vaterlandes". Er reiste als "Agent" des Auswärtigen Amtes in die neutralen Staaten Europas und war - neben Matthias Erzberger - einer der Wegbereiter der interfraktionellen Verständigung von 1917. Für die radikale Linke galt er als Inkarnation des "Sozialchauvinismus", und der Begriff der "Südekümerei" wurde zum Synonym sozialdemokratischer Kriegspolitik.In der Nachkriegszeit bemühte sich Südekum als preußischer Finanzminister um eine überparteiliche Politik im Zeichen eines "nationalen Republikanismus", scheiterte aber letztlich am Widerstand seiner eigenen Partei. Kurz darauf nahm er endgültig von der Politik Abschied und wechselte - als vielfacher Aufsichtsrat - ins Wirtschaftsleben. Sämtlicher Posten enthoben, verfolgte Südekum seit 1933 die politische Entwicklung mit wachsender Resignation. Er trat in Kontakt mit führenden Vertretern des Widerstands und starb im Frühjahr 1944.
Autorenporträt
Dr. Max Bloch, geboren 1977 in Berlin; Studium der Neueren Geschichte und Neueren deutschen Literatur an der Freien Universität Berlin; Promotion mit der vorliegenden Arbeit; zur Zeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.2017

Großer Genosse fühlt wie die Bosse
Albert Südekum in Briefen an seine Familie aus den Jahren 1909 bis 1932

Max Bloch, der Herausgeber der Briefe des Sozialdemokraten Albert Südekum an seine Familie, hat bereits 2009 eine Biographie über seinen Urgroßvater vorgelegt, in der er dessen politischen Lebensweg als paradigmatisch für das Scheitern der Politikergeneration Friedrich Eberts und Gustav Noskes darstellte. Durch die Edition der Briefe, die Südekum von 1909 bis 1932 an seine Frau und seine Tochter Rosemarie schrieb, möchte Bloch das "Persönliche" seines Urgroßvaters in den Vordergrund stellen, das er in der Biographie ausgespart hatte.

Die politisch interessantesten und auch für die Persönlichkeit Südekums aufschlussreichsten Briefe datieren aus der Kriegszeit, wobei die als Quelle ergiebigsten, die sein Mitwirken an der Abfassung der Friedensresolution des Deutschen Reichstages vom 19. Juli 1917 und seine Kritik an den politischen Fähigkeiten des neuen Reichskanzlers Georg Michaelis dokumentieren, bereits 2014 in der "Zeitschrift für Geschichtswissenschaft" abgedruckt wurden. Als Stellvertreter des Kommissars des Belgischen Roten Kreuzes in Brüssel schilderte Südekum im August 1915 mit deutlich deutschnationalen Untertönen seiner Frau das Leid und die feindliche Stimmung, die durch die deutsche Besetzung Belgiens entstanden war: "Die Arbeit, die hier in Angriff genommen worden ist, ist unheimlich groß. Größer aber die Not, die es zu steuern gilt. Ob das überhaupt in nennenswertem Maße gehen wird, kann ich noch nicht übersehen, glaube es aber nicht. Das Belgische Bürgertum will offenbar die Not, um die ,Stimmung' der unteren Bevölkerung zu halten. Morgen soll wieder ein belgischer Königsaufruf heimlich verbreitet werden, worin König Albert davon phantasiert, dass er in 3 Monaten in Brüssel sein werde!"

Während die Erzählung über eine Sauftour führender Sozialdemokraten durch das besetzte Belgien zu amüsieren vermag, klingen seine an der rumänischen Front verfassten Briefe wie Klagelieder, denn wochenlang bekam er keine Post und war von der Außenwelt abgeschnitten. Den dort verfassten Briefen lässt sich aber auch entnehmen, dass er selbst an der Front, wo er sich um die Instandsetzung zerstörter Bahnanlagen zu kümmern hatte, auf einen bürgerlichen Lebensstil nicht verzichten wollte. Im Januar 1917 lamentierte er über den "entsetzlichen Schmutz" des "Lausenestes" Buzen, aus dem er sich "hinaussehne nach einem anständigen Bad, Bett (etc.), Zimmer u.s.w.". Dem folgte der von nationalen Vorurteilen zeugende Aufschrei: "Herrgott, sind diese Rumänen Schweine! Nicht einmal in Bucarest war neulich ein Bad zu haben, auch nicht im feinsten Hôtel."

Die Sozialdemokratie wurde dem Genossen "mit Glacéhandschuhen und Bügelfalten" nie zur Heimat. Die Wunden, die ihm die SPD schlug, als er das Amt des preußischen Finanzministers räumen musste, weil er Kontakt mit den Anführern des Kapp-Lüttwitz-Putsches aufgenommen hatte, schlossen sich nicht mehr. So gab er in einem Brief an seine Frau vom August 1921 einen fast von Verachtung zeugenden Kommentar über den Görlitzer Parteitag der SPD ab: "Ein Blick auf die sogenannte ,Politik' der SPD zeigt jetzt, dass man eigentlich gar nicht mehr mittun kann. Die Hanswurstiade einer doppelten Ausfertigung des Programmentwurfs - einer mit, einer ohne Klassenkampf - ist doll; die widerwärtige Demagogenpolitik als ,opponierende Regierungspartei' ist einfach würdelos." Das Urteil war überaus ungerecht, denn im Görlitzer Programm präsentierte sich die SPD nicht mehr als proletarische Klassenpartei, sondern als linke Volkspartei.

Südekum, der in seiner Zehlendorfer Villa Politiker aus allen politischen Lagern empfing, in dessen großem Salon Wissenschaftler und Künstler einund ausgingen, und die Sozialdemokraten, die zumeist dem Arbeitermilieu entstammten, lebten in zwei Welten. Dieser Zusammenprall zweier Kulturen wird in den Briefen, die nach 1919 kaum noch politische Betrachtungen enthalten, jedoch nicht weiter thematisiert und reflektiert. Man kann aus ihnen ersehen, dass Südekum und seine Frau selbst während des Kriegs in teuren Sanatorien kurten, dass sie Dienstboten beschäftigten, die der Hausfrau die Arbeit erleichterten, die von ihrem Gatten immer wieder gemahnt wurde, "sich zu pflegen". Der Sozialdemokrat, der danach strebte, Offizier zu werden und während des Kriegs auch zum Leutnant der Landwehr befördert wurde, öffnete seinen Kindern das Entrée in die sogenannte bessere Gesellschaft und erwartete dafür auch Dankbarkeit von ihnen. So fragte er seine Tochter Rosemarie, ob ihr Bruder ihr denn ein Bild von sich und seinen Kameraden geschickt habe, um dann fortzufahren: "Wenn ja, dann wirst Du wohl auch den Eindruck bekommen haben, dass das ,gentlemen' sind. Der Junge weiß hoffentlich, was wir ihm antun, indem wir ihm diesen Verkehr ermöglichen."

Zahlreiche Briefe sind ziemlich belanglos, wie zwei der drei vom Jahre 1919 überlieferten. Am 24. Februar 1919 erfuhr seine Frau: "Gesund und wohl in Weimar angekommen. Den Kindern u. Dir, Liebes, viele gute Grüße." Zwei Tage berichtete er ihr: "Liebes, ich habe den vermissten Steuerzettel heute morgen unter meinen Papieren entdeckt u. soeben die vollzogene Anweisung geschickt; Du brauchst Dich also nicht mehr zu bemühen. - Von hier nichts Neues. Die Welt sieht ja nicht gerade schön aus! Hoffentlich geht's Euch gut. Nachrichten habe ich noch nicht. Tausend Grüße den Kindern und Dir."

Briefe aus der Zeit des Nationalsozialismus, in der Südekum wegen seiner jüdischen Frau alle Ämter und Funktionen verlor, scheinen nicht überliefert zu sein. Stattdessen werden am Schluss der Edition die an die Witwe des am 18. Februar 1944 Verstorbenen gerichteten Kondolenzbriefe abgedruckt. Unter den Kondolierenden befanden sich Widerstandskämpfer wie Carl Friedrich Goerdeler, Jakob Kaiser und Ernst von Harnack, Sozialdemokraten wie Carl Severing, Liberale wie Theodor Heuss und Konservative wie Kuno Graf von Westarp. Sie alle hielten sich an den altrömischen Grundsatz "de mortuis nil nisi bene". Das Leben und die oppositionelle Haltung Südekums während der NS-Diktatur beleuchten die Kondolenzschreiben kaum.

PETRA WEBER.

Max Bloch (Herausgeber.): Albert Südekum. Genosse, Bürger, Patriarch. Briefe an die Familie 1909-1932. Mit einem Vorwort von Michael Wolffsohn. Böhlau Verlag, Köln 2017. 288 S., 40,- [Euro].

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