Produktdetails
  • Verlag: Scribner
  • ISBN-13: 9780743297882
  • Artikelnr.: 20846186
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2007

Whisky mit Wehmutsnote
Letzte Blicke: Monica Alis Reigen aus der portugiesischen Provinz

Ende November versammeln sich in Mamarrosa alle in der mit Flaggen und Häkelarbeiten geschmückten Casa do Povo und feiern ein Fest, über dessen historischen Ursprung keiner der Dorfbewohner mehr Genaueres weiß. João, der vierundachtzigjährige Landarbeiter, der auf den ersten Seiten des neuen Romans von Monica Ali den Leichnam des heimlich geliebten Jugendfreundes von einer der alten Korkeichen abgeschnitten hatte, sitzt an einem Tisch und trinkt mit Freunden Bier. Die zwanzigjährige Teresa, die Mamarrosa am nächsten Tag verlassen will, um in London ein neues Leben zu beginnen, steht am Rand der Tanzfläche und schenkt den anderen ihre letzten Blicke.

In Mamarrosa, diesem vergessenen Dorf in der armen portugiesischen Provinz Alentejo, schmeckt selbst der Whisky nach Wehmut und Bedauern. Auf der festa von Mamarrosa, an deren Ende sich der alte Vasco mit seinem Freund Eduardo im langsamen Walzer einer kindischen Rauferei dreht, verbinden sich alle die episodisch erzählten Geschichten des Romans zu einem anspielungsreichen, in zurückhaltenden Farben gemalten Tableau. Vasco vermutet, das Fest habe mit Heinrich dem Seefahrer und Vasco da Gama zu tun; die anderen Dorfbewohner haben eigene Theorien.

Vasco ist eine der zentralen Figuren des Romans, obwohl Monica Ali den Besitzer des kleinen Cafés, der seit "seinem legendären Aufenthalt als Barkeeper in Provincetown, Cape Cod", die Theke mit Stolz und besonderem Nachdruck wischt, kaum mehr in den Mittelpunkt der Handlung stellt als die anderen Figuren, die im Reigen der Erzählung irgendwann nach vorne drängen, um dann im nächsten Kapitel als Nebenfigur wieder in den Hintergrund zu treten. In Vasco bündelt Monica Ali all jene unterschiedlichen Sehnsüchte und Illusionen, die teilweise das Leben aller anderen Figuren lenken: die Scham und die Schande, Verlangen und Einsamkeit und das Scheitern der Utopie vom großen Glück, das Vasco vor mehr als zwei Jahrzehnten ebenso unnachgiebig aus Amerika zurück in die vermeintliche Idylle seiner Heimat führte.

"Alentejo Blue" ist ein aufrichtiger, ein mitunter schroffer Roman, in dem Ali das farbige Kolorit ihres literarischen Bestsellers "Brick Lane" durchgängig kühler nunanciert. Die verschiedenen Stimmen des Romans, die wechselnden, von der Autorin mit Sorgfalt und Empathie gezeichneten Perspektivlinien konzentrieren sich dabei schließlich alle auf die Wunde der nackten Existenz. "Lass mich etwas fühlen", fleht der alte João, als er sich für eine Weile neben die Leiche seines Freundes Rui auf den Waldboden legt; der Alentejo, sagt einer, habe die höchste Selbstmordrate unter Männern in der gesamten EU.

Der englische Schriftsteller Harry Stanton ringt in Mamarrosa um das Gelingen seines neuen Romans. Stanton, Vasco und die schöne Teresa, die für João gelegentlich die Einkäufe erledigt - für sie alle wird das abgeschiedene, von Hügeln umgebene Dorf in der malerischen Landschaft nach und nach zu einem Schauplatz, an dem sie Verantwortung übernehmen und über den weiteren Verlauf ihres Lebens entscheiden müssen. Die Vergangenheit führt im Mamarrosa der Zukunft noch das Wort, die Langmut der Zeit gewährt den unwiderruflich der Vergessenheit anheimfallenden Bräuchen noch etwas Aufschub, aber es ist das Wissen um diese letzten Augenblicke vor der Verwandlung, das diesem Roman Schönheit und Würde schenkt.

THOMAS DAVID

Monica Ali: "Alentejo Blue". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Anette Grube. Droemer Verlag, München 2006. 332 S., geb., 19,90 [Euro].

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