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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2019

Ja, dieser Dregger!
Eine Biographie des CDU-Politikers, der gar nicht so "rechts" war, wie gerne getan wird

Bevor über dieses Buch und Alfred Dregger zu berichten ist, muss etwas über den Autor gesagt werden. Dieter Weirich ist Journalist, war von 1989 bis 2001 Intendant der Deutschen Welle, davor aber auch Politiker und ein enger Vertrauter Dreggers, erst als Persönlicher Referent, später als Sprecher der hessischen CDU und der CDU-Landtagsfraktion, schließlich auch als Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, die Dregger als Vorsitzender leitete. Weirich muss also damit rechnen, dass sein Buch nicht unbedingt als distanzierte Biographie gelesen wird, die wissenschaftlichen Maßstäben gerecht wird. Das erwartet er aber auch gar nicht. Weirich will schlichtweg an Dregger (zum 100. Geburtstag am 10. Dezember 2020) erinnern: Dass er viele Episoden erzählen kann, die kein Historiker so erzählen könnte, bereichert das Buch. Gelegentliche Ehrenbezeugungen treten dahinter zurück.

Auch wenn Weirich nicht in den Verdacht geraten will, der CDU den Namen Alfred Dregger ins Stammbuch zu schreiben, ganz ohne diesen Hintergedanken wird man das Buch wohl doch nicht lesen können. Es finden sich etliche Zitate und Formulierungen, die Leuten auf den Leib geschrieben scheinen, die bei der Lektüre denken mögen: Ja, dieser Dregger! Das war noch einer in der CDU nach altem Schrot und Korn! Will sagen: Wenn heute der "rechte Flügel" der CDU vermisst wird und Vorbilder aus der Vergangenheit gesucht werden, fällt meist als erster der Name Alfred Dregger. Damit beginnen aber schon die Unschärfen, die Weirich nie aus den Augen verliert.

Die erste Unschärfe: Dregger hätte aus der hessischen CDU nie einen schlagkräftigen (ursprünglich, in der Nachkriegszeit, sozialistisch orientierten) Landesverband machen können, wenn er ihn so verortet und geführt hätte, wie Dregger heute gerne dargestellt wird, stockkonservativ und beharrend. Als er sich nach etlichen Wahlniederlagen gegen die SPD als Nachfolger Wilhelm Fays als CDU-Landesvorsitzender durchsetzte, war sein Rivale unter anderem Christian Schwarz-Schilling, der spätere Bundespostminister und Jugoslawien-Beauftragte; außerdem waren da noch der spätere niedersächsische Minister und Außenpolitiker Walter Leisler-Kiep, der spätere Frankfurter Oberbürgermeister und Bundesumweltminister Walter Wallmann und der spätere Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber (auf dessen Gartenfest Weirich 2018 nebenbei erfuhr, dass er, Riesenhuber, 1976 von Helmut Kohl als CDU-Vorsitzender Bayerns ins Spiel gebracht wurde, sollte sich die CSU, wie angedroht, tatsächlich abspalten). Schwarz-Schilling wurde Dreggers Generalsekretär in Hessen, Wallmann und Riesenhuber gehörten zum engeren Führungszirkel. Wichtigster Berater wurde laut Weirich aber Manfred Kanther (noch so ein Name, an den heute gerne erinnert wird), der spätere Bundesinnenminister, den Dregger zum Landesgeschäftsführer machte.

Sie alle galten damals, ähnlich wie Helmut Kohl in Rheinland-Pfalz, als junge Modernisierer, die für eine "liberale Erneuerung" warben, als Überwinder einer verknöcherten Honoratioren-CDU, die sich gleichwohl aber als "Rechte" gegen den "linkswütigen Zeitgeist" (M. Kanther) stellten. Und, getreu der Devise, die CDU müsse integrierend wirken, sie wollten auch NPD-Wählern ein Angebot machen (Weirich zitiert Dregger: "Wer uns wählt, wählt demokratisch"). Hier beginnt die zweite Unschärfe, gegen die Weirich korrigierend anschreibt. Wenn Politiker wie Dregger, Kanther oder Wallmann heute als "Rechte" tituliert und vermisst werden, wird leichtsinnig das Etikett verwendet, das ihnen die damalige (in Hessen besonders linke) SPD anheftete. Gar nicht so "rechts" im heutigen Sinne waren, zum Beispiel, ihre Europagedanken. Dregger war der Vorstellung "Europa der Vaterländer" nicht fern, aber kein deutscher Gaullist. Die "Vereinigten Staaten von Europa", mit allem Souveränitätsverzicht, der damit verbunden ist, waren ihm eine sympathische Vorstellung, weil Konsequenz aus einem abgrundtief gescheiterten Nationalismus - und aus einem Verständnis von Politik, das nicht von oben, vom Staat her denkt, sondern von unten entsteht, aus der Stadtpolitik. Dreggers Laufbahn begann als Oberbürgermeister von Fulda und als Präsident des Deutschen Städtetags.

Der Schwung, den Dregger unter anderem mit seiner "Eltviller Rede" 1967 der CDU im "roten" Hessen verlieh, trug ihm selbst nie den Regierungswechsel ein - wohl aber machte er die CDU zum ebenbürtigen Gegner der SPD, die damals noch Ergebnisse nahe fünfzig Prozent erreichte. Erst Walter Wallmann wurde 1987 erster Ministerpräsident der CDU in Hessen, als Dregger schon fünf Jahre Fraktionsvorsitzender in Bonn war. Er blieb es bis über die deutsche Einheit hinweg, bis 1991. Besonders diese Zeit der achtziger Jahre der Kohl-Regierung hat Dreggers Ruf geprägt, unter anderem als Anführer der als "Stahlhelm-Fraktion" belächelten Befürworter der Wiedervereinigung. Dregger gehörte zu den Politikern, die sie in den achtziger Jahren nicht ad acta legen wollten, wie etwa Heiner Geißler. Das gebot ihm sein Verständnis von "Nation".

Wie wichtig dieser Teil der politischen Biographie Dreggers war, beleuchtet Weirich nicht nur anhand der Deutschland-Politik. Ein ganzes Kapitel widmet er dem Streit über die "Wehrmachtsausstellung" von 1995, die zeigen sollte, wie sehr die Wehrmacht in die Verbrechen der Nazis verstrickt war und wie wenig der Mythos von der ideologisch missbrauchten Streitmacht stimmte. Dregger wandte sich vehement gegen die Ausstellung und verteidigte den "einfachen Soldaten" vor rückwirkenden Anschuldigungen. Das war Ausdruck einer Haltung, die der geschlagenen Kriegsgeneration Respekt zollte - und diesen Respekt nicht Nationalisten überlassen wollte. Wo Dregger die Linie zog, wurde im Fall Filbinger deutlich. Zu dem Ministerpräsidenten und CDU-Politiker, der seine Vergangenheit als Marinerichter unter dem Nationalsozialismus erst verdrängte, dann schönredete, hielt Dregger laut Weirich am Ende Distanz.

Dregger dachte dabei auch an die eigene Biographie: Er war ein Kind, als Hitler die Weimarer Republik zerstörte, und der Krieg begann, als er gerade volljährig geworden war. Schon deshalb aber ist die Zeit in der CDU über die Dreggers hinweggegangen. Die Kriegsgeneration gibt es nicht mehr, und "Nation" scheint allenfalls ein Thema nur noch im Spiegel "Europas" zu sein, seit die Wiedervereinigung die ständige Auseinandersetzung damit vermeintlich "erledigt" hat. Weirichs Buch erinnert die CDU aber daran, wie leichtsinnig es für ihre Existenz als Volkspartei ist, anderen die Aufgabe zu überlassen, dieses Feld so zu beackern, wie Dregger und viele andere es noch konnten.

JASPER VON ALTENBOCKUM

Dieter Weirich: Alfred Dregger. Haltung und Herz - Eine Biografie.

Societäts Verlag, Frankfurt/M. 2019, 336 Seiten, 20,- [Euro]

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