Eine wissenschaftliche Monographie über den leidenschaftlichen Parlamentarier Alfred Dregger war bisher ein Desiderat. Der vorliegende Band der beiden Historiker Wolfram Pyta und Nils Havemann, dem erstmals zugängliche Archivalien zugrunde liegen, schließt diese Lücke. In Dreggers Lebensweg kreuzen sich Entwicklungen, die einen spezifischen Beitrag im Reifungsprozess der bundesdeutschen Demokratie leisteten: nationalliberale Grundeinstellung; soldatisch geprägter Führungsstil; Sensibilität für die Macht der Sprache und parlamentarischer Gestaltungsanspruch. Dregger war zudem derjenige bundesdeutsche Politiker, der wie kein zweiter landes- und bundespolitische Führungsansprüche koordinierte. Für die CDU trat er in Hessen viermal hintereinander als Spitzenkandidat für das Amt des hessischen Ministerpräsidenten an; zugleich trug er maßgeblich zum bundespolitischen Profil der CDU in deren Oppositionszeit im Bund bei. Die Autoren zeigen, dass Dregger seine eigentliche politische Erfüllung als Vorsitzender der größten Regierungsfraktion in der Ära Kohl fand, in der er eigene politische Akzente gerade in Hinblick auf eine aktive Wiedervereinigungspolitik setzte. Noch zu Ende seines Fraktionsvorsitzes spielte er eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung des Bundestages für Berlin als Sitz von Regierung und Parlament des wiedervereinigten Deutschlands.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit großem Interesse liest der Politologe Frank Decker diese Biografie eines weithin vergessenen CDU-Politikers, der zu Unrecht nur als Scharfmacher in Erinnerung sei. Er betont allerdings auch, dass es sich nicht um eine klassische Biografie handele, sondern dass es den Autoren darum gehe, ein als tendenziös empfundenes Bild Dreggers gerade zu rücken. Polemisch trat er sehr wohl auf, erzählt Decker, aber die Autoren zeigten auch, dass er ein fairer Politiker war, der sowohl in der CDU-Fraktion des Bundestags, die er lange leitete, als auch gegenüber politischen Gegnern die Meinungsfreiheit achtete. Kohl habe er nicht nahe gestanden, auch wenn sich die beiden Politiker im Lauf der Zeit schätzen lernten. Das bundespolitische Wirken Dreggers, der auch lange Oberbürgermeister von Fulda war, stehe im Vordergrund des Bandes, der Dreggers Verdienste etwa in seinem Eintreten für Berlin als Hauptstadt würdigt. Ein paar Kritikpunkte hat Decker aber auch: etwa, dass Dreggers verschwiegene NSDAP-Parteimitgliedschaft kaum problematisiert werde - sie wurde erst nach Dreggers Tod bekannt. Insgesamt lobt er aber diesen Beitrag zur Zeitgeschichte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.03.2023DAS POLITISCHE BUCH
Ein Rätsel
im Kampfanzug
Wolfram Pyta und Nils Havemann zeichnen
CDU-Hardliner Alfred Dregger als Nationalliberalen
VON RALF HUSEMANN
Den Autoren war bewusst, dass es nicht eben einfach werden würde, ihrem „Desiderat“, also ihrem Wunschobjekt, gerecht zu werden, ohne etwas beschönigen zu wollen. „Denn wer will sich schon ernsthaft mit einem Reaktionär und Nationalisten abgeben“, fragen sie betont provokant, aber nicht wirklich ernst gemeint, in der Einleitung ihres fast 600 Seiten dicken Wälzers. Es geht um „die“ Reizfigur der deutschen Nachkriegsgeschichte, es geht um Alfred Dregger (1920-2002).
Das Besondere an ihm: Obwohl ein sehr bekannter Politiker, hielt sich seine Karriere in Grenzen: Oberbürgermeister von Fulda, viermal erfolgloser CDU-Spitzenkandidat für das Ministerpräsidentenamt in Hessen, immerhin CDU-Landesvorsitzender in Hessen und schließlich Fraktionschef der Unionsparteien im Bundestag. Das war es aber auch schon, nie Minister, nicht einmal Staatssekretär. Die Autoren Wolfram Pyta und Nils Havemann wirken angesichts ihres Protagonisten so hin- und hergerissen zwischen Befremden und offener Bewunderung, wie es wohl auch die deutsche Öffentlichkeit lange Zeit war.
Der an der Uni Stuttgart lehrende Geschichtsprofessor Pyta machte 2019 von sich reden, als er als einziger von vier Gutachtern bestritt, dass Kronprinz Wilhelm von Preußen, Sohn des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II., der Nazi-Diktatur „erheblichen Vorschub geleistet“ habe. Unter anderem hatte Pyta die originelle These aufgestellt, dass der Kronprinz wegen seiner Unpopularität Hitler mit seiner Unterstützung eher geschadet habe. Dazu der Freiburger Historiker Ulrich Herbert: „Darauf muss man erst mal kommen.“
Der 62-jährige Pyta schrieb zudem eine bemerkenswerte Biografie über Paul von Hindenburg – offenbar hat er ein Faible für auffällige Personen der Zeitgeschichte. Der fünf Jahre jüngere Politikwissenschaftler Havemann wurde durch eine Studie zum Thema „Fußball unterm Hakenkreuz“ bekannt.
Zurück zu Dregger: Auf der einen Seite geht es den beiden Autoren darum, ein „Feindbild“ zu korrigieren: Ein „Spätberufener“, der erst mit Mitte 30 in die CDU eintrat, der fälschlicherweise von seinen Gegnern zum „Prototypen eines Reaktionärs“, der den Rechtsstaat demontieren wolle, zum unberechenbaren „Law-and-Order-Mann“, zum „Django“ oder zum Mitglied der „Stahlhelmfraktion“ verzerrt worden sei. Stattdessen werden Superlative über den Protagonisten, vor allem in seiner Eigenschaft als Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (1982- 1991), ausgegossen: Der „unbeugsame Mahner“ für die Freiheit und die Einheit der Nation sei „wortgewaltig“, zugleich „sprachsensibel“ und ein „bundespolitischer Trendsetter“ gewesen, zwar „kein Ideenschmied“, aber dennoch mit „eigenem Gestaltungswillen“ und – dieses Lob zieht sich durch das ganze Buch – ein Mensch mit „natürlicher Führungsbegabung“.
Letzteres befremdet insofern, weil Dregger nach Überzeugung der Autoren den Führungsstil, den er als Frontsoldat gelernt habe, auch als Fraktionschef habe pflegen können. Zwar sei eine Fraktion „keine militärische Kampfeinheit“, heißt es, aber das „Konzept der Kameradschaft“ sei übertragbar. So werde eine funktionierende Gemeinschaft gebildet, die aber „notwendige Hierarchien“ nicht aufhebe. Die gerne militärische Floskeln („antisozialistische Kampfbrigade“) benutzenden Autoren sehen Dregger im „Kampfanzug“, der ihm auf den Leib geschnitten gewesen sei. In auffallendem und nicht sehr glaubwürdigem Kontrast hierzu heißt es, dass er gleichwohl „jede schroffe Freund-Feind-Konfrontation“ abgelehnt habe.
So wohlwollend das Kontinuum vom Hauptmann und Bataillons-Kommandeur Dregger zum fairen und freiheitsliebenden Unionspolitiker betrachtet wird, so schroff können die Autoren aber auch auf Distanz gehen. Begriffe wie „Sicherheit“, „Freiheit“ oder „Frieden“ müssten „losgelöst von jedem Kontext als bloße Schlagwörter erscheinen“. Wie flexibel für Dregger die immer wieder pathetisch beschworene „Freiheit“ war, offenbarte er, als er 1977 und 1979 dem Apartheid-Staat Südafrika sowie Chile und Argentinien, wo die verbrecherischen Militärdiktaturen viele Tausend Menschen ermordeten, seine Aufwartung machte. Die Autoren versuchen Dreggers Unsensibilität damit zu erklären, dass für ihn die Menschenrechtsfrage außerhalb von Europa nur eine untergeordnete Rolle einnahm, wobei sie einräumen, dass er auch die repressiven Systeme in Griechenland, Spanien und Portugal „mit außerordentlicher Milde“ betrachtet habe. Für Dregger ging es immer darum, einen „ideologischen Angriffskrieg des Weltkommunismus“ abzuwehren. Wobei der bedrohliche Sozialismus für ihn schon bei der paritätischen Mitbestimmung in Wirtschaftsunternehmen begann.
Ausführlich würdigen die Autoren anhand der von 1972 bis 1994 vollständig aufgezeichneten Fraktionssitzungen das Geschick und immer wieder die „Führungsbegabung“ Dreggers. Als ein Highlight gilt ihnen dabei, dass der „Kanzlerkandidatenmacher“ zum Zeitpunkt, als Helmut Kohl noch Fraktionschef war, es schaffte, Franz Josef Strauß als Nummer eins für die Bundestagswahl 1980 durchzusetzen. Das war ein Prestigeerfolg für Dregger, aber nicht für die Unionsparteien, die zwar erneut stärkste politische Kraft wurden, aber weiter einen Kanzler Helmut Schmidt hinnehmen mussten. Auch dass sich Dregger nach der deutschen Vereinigung vehement für Berlin als künftige Hauptstadt (mit einigen Zugeständnissen an Bonn) einsetzte, wird ihm hoch angerechnet. Wobei bei allem Lob für Dreggers geschickte Regie der knappe Abstimmungssieg für Berlin (338 gegen 320 Stimmen) doch vor allem einem anderen zugeschrieben werden muss: „Es war Schäuble, der die gemeinsam gesäte politische Ernte einfahren konnte.“
Schwerpunkt und „Herzstück“ des Buches ist für die beiden Autoren die Fraktionsarbeit. So unstreitig wichtig diese für eine funktionierende parlamentarische Demokratie auch ist, so interessiert bei der Person Dregger (seit 1940 NSDAP-Mitglied, was er bis zu seinem Tod leugnete) deutlich mehr, wie er seine Zeit als Frontoffizier sah. Er wurde nie müde, die „Ehre“ der deutschen Wehrmachtssoldaten zu beschwören – was, wie Pyta und Havemann leicht fassungslos feststellen, „immerhin implizierte, dass sie keine Kriegsverbrechen begangen und sich nicht an der Zivilbevölkerung vergriffen hatten“. In seinen zahlreichen Feldpostbriefen teilt Dregger mit, dass er ein „begeisterter Soldat“ sei, es gebe „nichts Schöneres als Kompaniechef zu sein“, er spricht vom „ritterlichen Charakter“ und dem „Anstand“ der Truppe, erwähnt aber, wie auch die Autoren monieren, die massenhaften Morde an den Juden „mit keinem Wort“. Dregger müsse, als er bei seinen Fahrten nach Hause auch Polen und Weißrussland durchquerte, „mit Blind- und Taubheit geschlagen gewesen sein, wenn ihm solche Geschehnisse vollkommen entgangen wären“. Zudem seien etwa in der 6. Infanteriedivision, der Dregger angehörte, Erschießungen sowjetischer „politischer Kommissare“ schon im Sommer 1941 „aktenkundig“ geworden.
Es gäbe noch viele gruselige, auch von den Autoren hervorgehobene, Zitate, die aber deren überraschender Hauptthese widersprechen, Dregger sei kein Rechtsradikaler, ja nicht einmal ein Konservativer, sondern vielmehr ein „Nationalliberaler“ gewesen. Nicht umsonst beriefen sich aber immer wieder rechtsextremistische Kreise auf Dregger, wenn er etwa den deutschen Vernichtungskrieg zu einem Kampf zur „Verteidigung Deutschlands“ stilisierte oder sich gar über „die zynische Einseitigkeit unserer Nationalmasochisten“ echauffierte.
In der Bundestagsdebatte vom 13. März 1997, die Pyta/Havemann eine der „Sternstunden des Parlamentarismus“ preisen, wurde über die damals heftig diskutierte „Wehrmachtsausstellung“, aber auch über die Tiraden des Kollegen Dregger debattiert. Das Plenum bedachte ihn mit Beifall, als er plötzlich überraschend ein kleines bisschen Einsicht zeigte: „Ich will (. . .) bekunden, dass die Kritik, die an mir geübt worden ist, von mir geprüft werden wird, dass ich sie nicht schlankweg zurückweisen werde.“ Obwohl Dregger, inzwischen fast 78, noch einmal bei der Bundestagswahl 1998 antreten wollte, machte seine Partei nicht mehr mit. Sein Nachfolger im Bundestag wurde allerdings ein gewisser Martin Hohmann. Das war keine gute Wahl, weil der sich mit einer verschwurbelten Logik 2003 unfreiwillig als Antisemit outete und deshalb aus der Fraktion ausgeschlossen wurde. So einen Nachfolger hatte selbst Dregger nicht verdient.
Die „Ehre“ der Wehrmacht
hielt der Hesse zeitlebens hoch.
Erst spät kam er ins Nachdenken
Die Autoren schwanken
zwischen Befremden
und offener Bewunderung
Von der Stahlhelmfraktion: Alfred Dregger, hier 1998 in seinem Büro, galt als einer der Rechtsaußen in der CDU.
Imago
Wolfram Pyta,
Nils Havemann:
Alfred Dregger.
Zeitpolitiker der Wiedervereinigung und Anwalt des Parlamentarismus. Böhlau-Verlag, Köln 2022. 584 Seiten, 59 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ein Rätsel
im Kampfanzug
Wolfram Pyta und Nils Havemann zeichnen
CDU-Hardliner Alfred Dregger als Nationalliberalen
VON RALF HUSEMANN
Den Autoren war bewusst, dass es nicht eben einfach werden würde, ihrem „Desiderat“, also ihrem Wunschobjekt, gerecht zu werden, ohne etwas beschönigen zu wollen. „Denn wer will sich schon ernsthaft mit einem Reaktionär und Nationalisten abgeben“, fragen sie betont provokant, aber nicht wirklich ernst gemeint, in der Einleitung ihres fast 600 Seiten dicken Wälzers. Es geht um „die“ Reizfigur der deutschen Nachkriegsgeschichte, es geht um Alfred Dregger (1920-2002).
Das Besondere an ihm: Obwohl ein sehr bekannter Politiker, hielt sich seine Karriere in Grenzen: Oberbürgermeister von Fulda, viermal erfolgloser CDU-Spitzenkandidat für das Ministerpräsidentenamt in Hessen, immerhin CDU-Landesvorsitzender in Hessen und schließlich Fraktionschef der Unionsparteien im Bundestag. Das war es aber auch schon, nie Minister, nicht einmal Staatssekretär. Die Autoren Wolfram Pyta und Nils Havemann wirken angesichts ihres Protagonisten so hin- und hergerissen zwischen Befremden und offener Bewunderung, wie es wohl auch die deutsche Öffentlichkeit lange Zeit war.
Der an der Uni Stuttgart lehrende Geschichtsprofessor Pyta machte 2019 von sich reden, als er als einziger von vier Gutachtern bestritt, dass Kronprinz Wilhelm von Preußen, Sohn des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II., der Nazi-Diktatur „erheblichen Vorschub geleistet“ habe. Unter anderem hatte Pyta die originelle These aufgestellt, dass der Kronprinz wegen seiner Unpopularität Hitler mit seiner Unterstützung eher geschadet habe. Dazu der Freiburger Historiker Ulrich Herbert: „Darauf muss man erst mal kommen.“
Der 62-jährige Pyta schrieb zudem eine bemerkenswerte Biografie über Paul von Hindenburg – offenbar hat er ein Faible für auffällige Personen der Zeitgeschichte. Der fünf Jahre jüngere Politikwissenschaftler Havemann wurde durch eine Studie zum Thema „Fußball unterm Hakenkreuz“ bekannt.
Zurück zu Dregger: Auf der einen Seite geht es den beiden Autoren darum, ein „Feindbild“ zu korrigieren: Ein „Spätberufener“, der erst mit Mitte 30 in die CDU eintrat, der fälschlicherweise von seinen Gegnern zum „Prototypen eines Reaktionärs“, der den Rechtsstaat demontieren wolle, zum unberechenbaren „Law-and-Order-Mann“, zum „Django“ oder zum Mitglied der „Stahlhelmfraktion“ verzerrt worden sei. Stattdessen werden Superlative über den Protagonisten, vor allem in seiner Eigenschaft als Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (1982- 1991), ausgegossen: Der „unbeugsame Mahner“ für die Freiheit und die Einheit der Nation sei „wortgewaltig“, zugleich „sprachsensibel“ und ein „bundespolitischer Trendsetter“ gewesen, zwar „kein Ideenschmied“, aber dennoch mit „eigenem Gestaltungswillen“ und – dieses Lob zieht sich durch das ganze Buch – ein Mensch mit „natürlicher Führungsbegabung“.
Letzteres befremdet insofern, weil Dregger nach Überzeugung der Autoren den Führungsstil, den er als Frontsoldat gelernt habe, auch als Fraktionschef habe pflegen können. Zwar sei eine Fraktion „keine militärische Kampfeinheit“, heißt es, aber das „Konzept der Kameradschaft“ sei übertragbar. So werde eine funktionierende Gemeinschaft gebildet, die aber „notwendige Hierarchien“ nicht aufhebe. Die gerne militärische Floskeln („antisozialistische Kampfbrigade“) benutzenden Autoren sehen Dregger im „Kampfanzug“, der ihm auf den Leib geschnitten gewesen sei. In auffallendem und nicht sehr glaubwürdigem Kontrast hierzu heißt es, dass er gleichwohl „jede schroffe Freund-Feind-Konfrontation“ abgelehnt habe.
So wohlwollend das Kontinuum vom Hauptmann und Bataillons-Kommandeur Dregger zum fairen und freiheitsliebenden Unionspolitiker betrachtet wird, so schroff können die Autoren aber auch auf Distanz gehen. Begriffe wie „Sicherheit“, „Freiheit“ oder „Frieden“ müssten „losgelöst von jedem Kontext als bloße Schlagwörter erscheinen“. Wie flexibel für Dregger die immer wieder pathetisch beschworene „Freiheit“ war, offenbarte er, als er 1977 und 1979 dem Apartheid-Staat Südafrika sowie Chile und Argentinien, wo die verbrecherischen Militärdiktaturen viele Tausend Menschen ermordeten, seine Aufwartung machte. Die Autoren versuchen Dreggers Unsensibilität damit zu erklären, dass für ihn die Menschenrechtsfrage außerhalb von Europa nur eine untergeordnete Rolle einnahm, wobei sie einräumen, dass er auch die repressiven Systeme in Griechenland, Spanien und Portugal „mit außerordentlicher Milde“ betrachtet habe. Für Dregger ging es immer darum, einen „ideologischen Angriffskrieg des Weltkommunismus“ abzuwehren. Wobei der bedrohliche Sozialismus für ihn schon bei der paritätischen Mitbestimmung in Wirtschaftsunternehmen begann.
Ausführlich würdigen die Autoren anhand der von 1972 bis 1994 vollständig aufgezeichneten Fraktionssitzungen das Geschick und immer wieder die „Führungsbegabung“ Dreggers. Als ein Highlight gilt ihnen dabei, dass der „Kanzlerkandidatenmacher“ zum Zeitpunkt, als Helmut Kohl noch Fraktionschef war, es schaffte, Franz Josef Strauß als Nummer eins für die Bundestagswahl 1980 durchzusetzen. Das war ein Prestigeerfolg für Dregger, aber nicht für die Unionsparteien, die zwar erneut stärkste politische Kraft wurden, aber weiter einen Kanzler Helmut Schmidt hinnehmen mussten. Auch dass sich Dregger nach der deutschen Vereinigung vehement für Berlin als künftige Hauptstadt (mit einigen Zugeständnissen an Bonn) einsetzte, wird ihm hoch angerechnet. Wobei bei allem Lob für Dreggers geschickte Regie der knappe Abstimmungssieg für Berlin (338 gegen 320 Stimmen) doch vor allem einem anderen zugeschrieben werden muss: „Es war Schäuble, der die gemeinsam gesäte politische Ernte einfahren konnte.“
Schwerpunkt und „Herzstück“ des Buches ist für die beiden Autoren die Fraktionsarbeit. So unstreitig wichtig diese für eine funktionierende parlamentarische Demokratie auch ist, so interessiert bei der Person Dregger (seit 1940 NSDAP-Mitglied, was er bis zu seinem Tod leugnete) deutlich mehr, wie er seine Zeit als Frontoffizier sah. Er wurde nie müde, die „Ehre“ der deutschen Wehrmachtssoldaten zu beschwören – was, wie Pyta und Havemann leicht fassungslos feststellen, „immerhin implizierte, dass sie keine Kriegsverbrechen begangen und sich nicht an der Zivilbevölkerung vergriffen hatten“. In seinen zahlreichen Feldpostbriefen teilt Dregger mit, dass er ein „begeisterter Soldat“ sei, es gebe „nichts Schöneres als Kompaniechef zu sein“, er spricht vom „ritterlichen Charakter“ und dem „Anstand“ der Truppe, erwähnt aber, wie auch die Autoren monieren, die massenhaften Morde an den Juden „mit keinem Wort“. Dregger müsse, als er bei seinen Fahrten nach Hause auch Polen und Weißrussland durchquerte, „mit Blind- und Taubheit geschlagen gewesen sein, wenn ihm solche Geschehnisse vollkommen entgangen wären“. Zudem seien etwa in der 6. Infanteriedivision, der Dregger angehörte, Erschießungen sowjetischer „politischer Kommissare“ schon im Sommer 1941 „aktenkundig“ geworden.
Es gäbe noch viele gruselige, auch von den Autoren hervorgehobene, Zitate, die aber deren überraschender Hauptthese widersprechen, Dregger sei kein Rechtsradikaler, ja nicht einmal ein Konservativer, sondern vielmehr ein „Nationalliberaler“ gewesen. Nicht umsonst beriefen sich aber immer wieder rechtsextremistische Kreise auf Dregger, wenn er etwa den deutschen Vernichtungskrieg zu einem Kampf zur „Verteidigung Deutschlands“ stilisierte oder sich gar über „die zynische Einseitigkeit unserer Nationalmasochisten“ echauffierte.
In der Bundestagsdebatte vom 13. März 1997, die Pyta/Havemann eine der „Sternstunden des Parlamentarismus“ preisen, wurde über die damals heftig diskutierte „Wehrmachtsausstellung“, aber auch über die Tiraden des Kollegen Dregger debattiert. Das Plenum bedachte ihn mit Beifall, als er plötzlich überraschend ein kleines bisschen Einsicht zeigte: „Ich will (. . .) bekunden, dass die Kritik, die an mir geübt worden ist, von mir geprüft werden wird, dass ich sie nicht schlankweg zurückweisen werde.“ Obwohl Dregger, inzwischen fast 78, noch einmal bei der Bundestagswahl 1998 antreten wollte, machte seine Partei nicht mehr mit. Sein Nachfolger im Bundestag wurde allerdings ein gewisser Martin Hohmann. Das war keine gute Wahl, weil der sich mit einer verschwurbelten Logik 2003 unfreiwillig als Antisemit outete und deshalb aus der Fraktion ausgeschlossen wurde. So einen Nachfolger hatte selbst Dregger nicht verdient.
Die „Ehre“ der Wehrmacht
hielt der Hesse zeitlebens hoch.
Erst spät kam er ins Nachdenken
Die Autoren schwanken
zwischen Befremden
und offener Bewunderung
Von der Stahlhelmfraktion: Alfred Dregger, hier 1998 in seinem Büro, galt als einer der Rechtsaußen in der CDU.
Imago
Wolfram Pyta,
Nils Havemann:
Alfred Dregger.
Zeitpolitiker der Wiedervereinigung und Anwalt des Parlamentarismus. Böhlau-Verlag, Köln 2022. 584 Seiten, 59 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2023Polarisierer und Integrator
Exponent der "Stahlhelmer" in der Union: Aber Alfred Dregger war mehr als nur der Rechtsaußen.
Von Frank Decker
Wer heutige Studierende der Politikwissenschaft oder Geschichte nach Alfred Dregger fragt, sollte keine Antwort erwarten. Der CDU-Politiker ist weithin in Vergessenheit geraten, obwohl er in den Siebziger- und Achtzigerjahren zu den prägenden Personen der deutschen Politik gehörte. Im Internet und auf Youtube findet sich nur wenig Material über ihn. Die ältere Generation, die mit seinem Namen noch etwas anzufangen weiß, erinnert sich an Dregger wiederum überwiegend als Reizfigur oder sogar Feindbild, zu dem er als Exponent des rechten Flügels der CDU in den hoch polarisierten Siebzigerjahren fast zwangsläufig avancieren musste. Die Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta und Nils Havemann halten dieses Bild für korrektur- oder zumindest ergänzungsbedürftig. Dass Dregger aus dem historischen Bewusstsein verschwunden ist, liegt vor allem daran, dass er nie ein Staatsamt bekleidet hat. Beim Versuch, Ministerpräsident in Hessen zu werden, scheiterte er vier Mal, wobei der fast schon sicher geglaubte Sieg im letzten Anlauf 1982 ausgerechnet durch die gleichzeitig stattfindende Wende in Bonn vereitelt wurde. Für Dregger bedeutete das keinen Karriereknick, da sich ihm nun - befreit von der hessischen Bürde - mit dem Vorsitz der Bundestagsfraktion ein neues Tätigkeitsfeld eröffnete. Dregger wäre kaum auf diesen Posten gelangt, wenn er nicht zielstrebig danach gegriffen hätte. Helmut Kohls Wunschkandidat war er jedenfalls nicht. Auch später blieb das Verhältnis der beiden distanziert, erst im Zuge der Wiedervereinigung kam man sich auch persönlich näher. Dregger legte Wert auf die Eigenständigkeit der Fraktion, ohne es an Loyalität gegenüber Kanzler und Regierung fehlen zu lassen. Und in der Fraktion stand er - im Gegensatz zu dem eigenen, nach außen hin kultivierten schneidigen Habitus - für einen kollegialen, kameradschaftlichen Führungsstil, der Diskussion und Widerspruch nicht nur Raum ließ, sondern sie geradezu einforderte. Der Unterschied zu seinem zeitweiligen SPD-Pendant, dem legendären "Zuchtmeister" Herbert Wehner, könnte nicht größer sein. Pyta und Havemann rücken auch das öffentliche Bild des rechten Flügelmanns Dregger zurecht, den politische Gegner mit gezielter Boshaftigkeit als "Stahlhelmer" abstempelten. Geprägt wurde es von der Herkunft aus einem stark national geprägten katholischen Elternhaus, Dreggers Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg, wo er an der Ostfront gekämpft und es zum Hauptmann gebracht hatte, und vom Schicksal seines fünf Jahre jüngeren, im Krieg gefallenen Bruders. Bis zu seinem Lebensende sollte Dregger an der Legende der sauberen Wehrmacht festhalten und für die "Ehre" der Soldaten eintreten. Seine Mitgliedschaft in der NSDAP seit 1940 beschwieg er; sie wurde erst nach seinem Tod 2002 publik. Dreggers nationale Orientierung machte sich vor allem in der Deutschlandpolitik bemerkbar, wo er dem seit den Achtzigerjahren auch in der CDU zunehmend spürbaren Zeitgeist, sich mit der Teilung abzufinden, entschieden entgegentrat, ohne der Notwendigkeit pragmatischer Annäherungsschritte - etwa des 1983 gewährten Milliardenkredits an die DDR - zu widerstreiten. Die Autoren beschreiben Dreggers Gesinnung nicht als "konservativ" oder gar "nationalkonservativ", sondern als "nationalliberal". Das liberale Element entfaltete sich vornehmlich in der Sozial- und Wirtschaftspolitik, wo Dregger in der Tradition Ludwig Erhards entschieden marktwirtschaftliche Lösungen verfocht. Auf seine Initiative hin wurde der Vorstoß der Parteiführung für ein paritätisches Mitbestimmungsgesetz auf dem Düsseldorfer Parteitag 1971 gekippt. Liberal war Dregger aber auch insofern, als er die Meinung seiner politischen Gegner respektierte und die Spielregeln der Demokratie und des Parlamentarismus selbst dort hochhielt, wo es aus Opportunitätsgründen nicht zwingend geboten war. Aus Westfalen stammend, hatte der 1920 geborene Dregger erst spät zur Parteipolitik gefunden. Nach Jurastudium in Marburg und Tätigkeiten beim Bundesverband der Deutschen Industrie und Deutschen Städtetag verdankte sich seine Berufung zum Oberbürgermeister in Fulda einer Empfehlung - Dregger selbst hatte nach dem Amt, das er von 1956 bis 1970 bekleiden würde, nicht gedrängt. Erst kurz vor seiner Bewerbung trat er der CDU bei. Die osthessische Bischofsstadt war für den Katholiken anschlussfähig, auch wenn ihm der Stallgeruch des politischen Katholizismus fehlte. Dregger nutzte seine erfolgreiche kommunalpolitische Tätigkeit als Sprungbrett für die Landespolitik. Die von ihm betriebene Modernisierung des Landesverbandes, der die CDU im "roten Hessen" zur stärksten Partei machen sollte, nahm die spätere Modernisierung der Bundespartei vorweg. 1972 wurde Dregger zum ersten Mal in den Bundestag gewählt, in dem er bis 1998 insgesamt sieben Legislaturperioden verweilte. Das Hauptaugenmerk der Darstellung liegt auf der bundespolitischen Tätigkeit und hier vor allem auf dem kommunikativen Wirken Dreggers, das mit "seinem angriffslustigen, aber die Integrität des politischen Gegners achtenden Politikstil einen Kontrapunkt zu konservativer Bedächtigkeit und eingefahrener Honoratiorenpolitik setzte". Dregger war, darin Helmut Kohl nicht unähnlich, ein Generalist, der sich nicht in Detailfragen verhedderte, sondern seine Debattenbeiträge auf der parlamentarischen Bühne und in den Parteigremien nutzte, um durch die Prägung von Begriffen und Diskursen grundsätzliche Themen voranzubringen. In Dreggers Fall waren das neben der deutschen Einigung vor allem die Sicherheitspolitik, wo ihn nach der 1987 vertraglich besiegelten Abrüstung der Mittelstreckenraketen die Sorge trieb, die Bundesrepublik könne vom nuklearen Schutzschirm der USA abgekoppelt werden. Dregger setzte sich deshalb für die Einbeziehung auch der Atomwaffen mit kürzerer Reichweite in die Abrüstungsverhandlungen ein, die Deutschland im Ernstfall zum exklusiven Schlachtfeld eines Atomkriegs gemacht hätten. Dass Dreggers Fraktionsvorsitz nur wenig später ernsthaft zur Disposition stand, ist vor diesem Hintergrund nicht ohne Ironie, verdankte es sich doch einer politischen Petitesse: der im Rahmen einer großen Steuerreform auf Drängen von Franz Josef Strauß verabredeten Steuerbefreiung für Flugbenzin. Als die Fraktion dagegen rebellierte, schien es Kohl opportun, die Ablösung Dreggers zu betreiben, der jedoch auf den Rückhalt seiner Kollegen weiter zählen konnte. 1991 erneut zum Fraktionsvorsitzenden gewählt, war Dregger bereit, das Amt binnen eines Jahres an Wolfgang Schäuble abzugeben. Sein Bemühen um eine Konsenslösung in der Hauptstadtfrage, die der Entscheidung für Berlin den Weg ebnete, stand in dieser Zeit im Vordergrund. Es wird in dem Buch mit bisher nicht gekannten Details rekonstruiert. Das Aufhören fiel Dregger schwer. Seine Absicht, sich als Direktkandidat für den Bundestag in Fulda erneut aufstellen zu lassen, wurde 1998 von der örtlichen CDU-Basis durchkreuzt. Die Autoren bringen dem wenig Verständnis entgegen, so, wie sie umgekehrt manches von dem, was man Dregger vorhalten könnte, entweder in zu mildem Licht darstellen oder übergehen - etwa seine verschwiegene NSDAP-Parteimitgliedschaft oder das Nein zu den Ostverträgen. Das fällt als Makel freilich wenig ins Gewicht, ging es ihnen doch gerade nicht darum, wie bei einer klassischen Biographie annähernde Vollständigkeit anzustreben, sondern das unausgewogene Bild von Dregger, das bis heute in der historisch interessierten Öffentlichkeit besteht, neu zu zeichnen. Das gut geschriebene Buch, das einen wertvollen Beitrag zur Zeitgeschichts- und Parlamentsforschung der Bundesrepublik leistet, löst diesen Anspruch ein. Wolfram Pyta / Nils Havemann: Alfred Dregger. Zeitpolitiker der Wiedervereinigung und Anwalt des Parlamentarismus. Böhlau Verlag, Berlin / Köln 2023. 582 S., 59,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Exponent der "Stahlhelmer" in der Union: Aber Alfred Dregger war mehr als nur der Rechtsaußen.
Von Frank Decker
Wer heutige Studierende der Politikwissenschaft oder Geschichte nach Alfred Dregger fragt, sollte keine Antwort erwarten. Der CDU-Politiker ist weithin in Vergessenheit geraten, obwohl er in den Siebziger- und Achtzigerjahren zu den prägenden Personen der deutschen Politik gehörte. Im Internet und auf Youtube findet sich nur wenig Material über ihn. Die ältere Generation, die mit seinem Namen noch etwas anzufangen weiß, erinnert sich an Dregger wiederum überwiegend als Reizfigur oder sogar Feindbild, zu dem er als Exponent des rechten Flügels der CDU in den hoch polarisierten Siebzigerjahren fast zwangsläufig avancieren musste. Die Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta und Nils Havemann halten dieses Bild für korrektur- oder zumindest ergänzungsbedürftig. Dass Dregger aus dem historischen Bewusstsein verschwunden ist, liegt vor allem daran, dass er nie ein Staatsamt bekleidet hat. Beim Versuch, Ministerpräsident in Hessen zu werden, scheiterte er vier Mal, wobei der fast schon sicher geglaubte Sieg im letzten Anlauf 1982 ausgerechnet durch die gleichzeitig stattfindende Wende in Bonn vereitelt wurde. Für Dregger bedeutete das keinen Karriereknick, da sich ihm nun - befreit von der hessischen Bürde - mit dem Vorsitz der Bundestagsfraktion ein neues Tätigkeitsfeld eröffnete. Dregger wäre kaum auf diesen Posten gelangt, wenn er nicht zielstrebig danach gegriffen hätte. Helmut Kohls Wunschkandidat war er jedenfalls nicht. Auch später blieb das Verhältnis der beiden distanziert, erst im Zuge der Wiedervereinigung kam man sich auch persönlich näher. Dregger legte Wert auf die Eigenständigkeit der Fraktion, ohne es an Loyalität gegenüber Kanzler und Regierung fehlen zu lassen. Und in der Fraktion stand er - im Gegensatz zu dem eigenen, nach außen hin kultivierten schneidigen Habitus - für einen kollegialen, kameradschaftlichen Führungsstil, der Diskussion und Widerspruch nicht nur Raum ließ, sondern sie geradezu einforderte. Der Unterschied zu seinem zeitweiligen SPD-Pendant, dem legendären "Zuchtmeister" Herbert Wehner, könnte nicht größer sein. Pyta und Havemann rücken auch das öffentliche Bild des rechten Flügelmanns Dregger zurecht, den politische Gegner mit gezielter Boshaftigkeit als "Stahlhelmer" abstempelten. Geprägt wurde es von der Herkunft aus einem stark national geprägten katholischen Elternhaus, Dreggers Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg, wo er an der Ostfront gekämpft und es zum Hauptmann gebracht hatte, und vom Schicksal seines fünf Jahre jüngeren, im Krieg gefallenen Bruders. Bis zu seinem Lebensende sollte Dregger an der Legende der sauberen Wehrmacht festhalten und für die "Ehre" der Soldaten eintreten. Seine Mitgliedschaft in der NSDAP seit 1940 beschwieg er; sie wurde erst nach seinem Tod 2002 publik. Dreggers nationale Orientierung machte sich vor allem in der Deutschlandpolitik bemerkbar, wo er dem seit den Achtzigerjahren auch in der CDU zunehmend spürbaren Zeitgeist, sich mit der Teilung abzufinden, entschieden entgegentrat, ohne der Notwendigkeit pragmatischer Annäherungsschritte - etwa des 1983 gewährten Milliardenkredits an die DDR - zu widerstreiten. Die Autoren beschreiben Dreggers Gesinnung nicht als "konservativ" oder gar "nationalkonservativ", sondern als "nationalliberal". Das liberale Element entfaltete sich vornehmlich in der Sozial- und Wirtschaftspolitik, wo Dregger in der Tradition Ludwig Erhards entschieden marktwirtschaftliche Lösungen verfocht. Auf seine Initiative hin wurde der Vorstoß der Parteiführung für ein paritätisches Mitbestimmungsgesetz auf dem Düsseldorfer Parteitag 1971 gekippt. Liberal war Dregger aber auch insofern, als er die Meinung seiner politischen Gegner respektierte und die Spielregeln der Demokratie und des Parlamentarismus selbst dort hochhielt, wo es aus Opportunitätsgründen nicht zwingend geboten war. Aus Westfalen stammend, hatte der 1920 geborene Dregger erst spät zur Parteipolitik gefunden. Nach Jurastudium in Marburg und Tätigkeiten beim Bundesverband der Deutschen Industrie und Deutschen Städtetag verdankte sich seine Berufung zum Oberbürgermeister in Fulda einer Empfehlung - Dregger selbst hatte nach dem Amt, das er von 1956 bis 1970 bekleiden würde, nicht gedrängt. Erst kurz vor seiner Bewerbung trat er der CDU bei. Die osthessische Bischofsstadt war für den Katholiken anschlussfähig, auch wenn ihm der Stallgeruch des politischen Katholizismus fehlte. Dregger nutzte seine erfolgreiche kommunalpolitische Tätigkeit als Sprungbrett für die Landespolitik. Die von ihm betriebene Modernisierung des Landesverbandes, der die CDU im "roten Hessen" zur stärksten Partei machen sollte, nahm die spätere Modernisierung der Bundespartei vorweg. 1972 wurde Dregger zum ersten Mal in den Bundestag gewählt, in dem er bis 1998 insgesamt sieben Legislaturperioden verweilte. Das Hauptaugenmerk der Darstellung liegt auf der bundespolitischen Tätigkeit und hier vor allem auf dem kommunikativen Wirken Dreggers, das mit "seinem angriffslustigen, aber die Integrität des politischen Gegners achtenden Politikstil einen Kontrapunkt zu konservativer Bedächtigkeit und eingefahrener Honoratiorenpolitik setzte". Dregger war, darin Helmut Kohl nicht unähnlich, ein Generalist, der sich nicht in Detailfragen verhedderte, sondern seine Debattenbeiträge auf der parlamentarischen Bühne und in den Parteigremien nutzte, um durch die Prägung von Begriffen und Diskursen grundsätzliche Themen voranzubringen. In Dreggers Fall waren das neben der deutschen Einigung vor allem die Sicherheitspolitik, wo ihn nach der 1987 vertraglich besiegelten Abrüstung der Mittelstreckenraketen die Sorge trieb, die Bundesrepublik könne vom nuklearen Schutzschirm der USA abgekoppelt werden. Dregger setzte sich deshalb für die Einbeziehung auch der Atomwaffen mit kürzerer Reichweite in die Abrüstungsverhandlungen ein, die Deutschland im Ernstfall zum exklusiven Schlachtfeld eines Atomkriegs gemacht hätten. Dass Dreggers Fraktionsvorsitz nur wenig später ernsthaft zur Disposition stand, ist vor diesem Hintergrund nicht ohne Ironie, verdankte es sich doch einer politischen Petitesse: der im Rahmen einer großen Steuerreform auf Drängen von Franz Josef Strauß verabredeten Steuerbefreiung für Flugbenzin. Als die Fraktion dagegen rebellierte, schien es Kohl opportun, die Ablösung Dreggers zu betreiben, der jedoch auf den Rückhalt seiner Kollegen weiter zählen konnte. 1991 erneut zum Fraktionsvorsitzenden gewählt, war Dregger bereit, das Amt binnen eines Jahres an Wolfgang Schäuble abzugeben. Sein Bemühen um eine Konsenslösung in der Hauptstadtfrage, die der Entscheidung für Berlin den Weg ebnete, stand in dieser Zeit im Vordergrund. Es wird in dem Buch mit bisher nicht gekannten Details rekonstruiert. Das Aufhören fiel Dregger schwer. Seine Absicht, sich als Direktkandidat für den Bundestag in Fulda erneut aufstellen zu lassen, wurde 1998 von der örtlichen CDU-Basis durchkreuzt. Die Autoren bringen dem wenig Verständnis entgegen, so, wie sie umgekehrt manches von dem, was man Dregger vorhalten könnte, entweder in zu mildem Licht darstellen oder übergehen - etwa seine verschwiegene NSDAP-Parteimitgliedschaft oder das Nein zu den Ostverträgen. Das fällt als Makel freilich wenig ins Gewicht, ging es ihnen doch gerade nicht darum, wie bei einer klassischen Biographie annähernde Vollständigkeit anzustreben, sondern das unausgewogene Bild von Dregger, das bis heute in der historisch interessierten Öffentlichkeit besteht, neu zu zeichnen. Das gut geschriebene Buch, das einen wertvollen Beitrag zur Zeitgeschichts- und Parlamentsforschung der Bundesrepublik leistet, löst diesen Anspruch ein. Wolfram Pyta / Nils Havemann: Alfred Dregger. Zeitpolitiker der Wiedervereinigung und Anwalt des Parlamentarismus. Böhlau Verlag, Berlin / Köln 2023. 582 S., 59,- Euro.
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