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Alice Schwarzer und der Niedergang der deutschen Frauenbewegung
Die deutsche Frauenbewegung war einmal vielstimmig, aufregend und international führend. Doch inzwischen ist der deutsche Feminismus programmatisch unbedeutend, organisatorisch unsichtbar und zusammengeschrumpft auf eine Medienfigur - Alice Schwarzer. Jede gesellschaftspolitische Frage, sei es die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Frauenquote, findet seit Jahrzehnten nur eine einzige feministische Antwort, nämlich »die Antwort« von Schwarzer. Mit ihrer ideologischen Unbeweglichkeit hat sie viele Frauen der Bewegung,…mehr

Produktbeschreibung
Alice Schwarzer und der Niedergang der deutschen Frauenbewegung

Die deutsche Frauenbewegung war einmal vielstimmig, aufregend und international führend. Doch inzwischen ist der deutsche Feminismus programmatisch unbedeutend, organisatorisch unsichtbar und zusammengeschrumpft auf eine Medienfigur - Alice Schwarzer. Jede gesellschaftspolitische Frage, sei es die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Frauenquote, findet seit Jahrzehnten nur eine einzige feministische Antwort, nämlich »die Antwort« von Schwarzer. Mit ihrer ideologischen Unbeweglichkeit hat sie viele Frauen der Bewegung, die eigentlich für ihre Rechte streiten sollte, entfremdet. Kaum eine junge Frau will sich heute noch Feministin nennen, obwohl Deutschland bei der Verwirklichung der Gleichberechtigung in vielen Bereichen Schlusslicht ist. Zum 70. Geburtstag Alice Schwarzers wagt Miriam Gebhardt eine kritische Auseinandersetzung mit der Übermutter des deutschen Feminismus und zeigt, warum es für die Frauenbewegung höchste Zeit ist, sich neuen Themen und neuen Persönlichkeiten zuzuwenden.
Autorenporträt
Miriam Gebhardt ist Historikerin und Journalistin. Neben ihrer journalistischen Arbeit unter anderem fur die Suddeutsche Zeitung, die Zeit, den Stern und mehrere Frauenzeitschriften promovierte sie in Munster und habilitierte sich mit einer Arbeit uber ?Die Angst vor dem kindlichen Tyrannen. Eine Geschichte der Erziehung im 20. Jahrhundert? (2009). Sie ist Privatdozentin an der Universitat Konstanz, bei DVA erschien von ihr zuletzt die Biographie ?Rudolf Steiner. Ein moderner Prophet? (2011).
Rezensionen
»Alice im Niemandsland zeigt erfrischend und unaufgeregt neue Wege für einen deutschen Feminismus. Ob dieser mit Alice Schwarzer stattfinden kann oder ohne, ist am Ende gar nicht so wichtig. Hauptsache, es gibt irgendwann wirkliche Wahlfreiheit für Frauen. Freiheit, sich für Minirock, Muttisein und Managerjob gleichzeitig entscheiden zu können. Oder gegen all das. Am wichtigsten ist, dass sie es ohne schlechtes Gewissen tun.« Sächsische Zeitung, 10.09.2012

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2012

Das Alphatier treibt Geschichtsklitterung

Alice Schwarzer wird sich darüber nicht freuen: Miriam Gebhardt beschreibt eindrucksvoll, wie die Frauenbewegung die Frauen verloren hat.

Von Melanie Mühl

Alice Schwarzer sind die Frauen abhandengekommen, und es sieht nicht danach aus, als würde sich daran bald etwas ändern. Miriam Gebhardt glaubt sogar, dass Alice Schwarzer auf dem besten Weg sei, ihr Kapital endgültig zu verspielen. Hätten wir noch eine zweite, dritte oder vierte Alice Schwarzer, wäre dies nicht weiter besorgniserregend, aber die haben wir nicht - und deshalb ist es fatal.

Miriam Gebhardt ist fünfzig Jahre alt, Historikerin, Privatdozentin an der Universität Konstanz, und sie hat ein Buch geschrieben, in dem sie die Geschichte der Frauenbewegung sehr genau beleuchtet und zeigt, welche Rolle die übermächtige Alice Schwarzer darin spielte und nach wie vor spielt. Das Buch heißt "Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor". Alice Schwarzer ist seit je eine beliebte Zielscheibe, an der sich einige abgearbeitet haben, ob das in jüngster Vergangenheit Kristina Schröder mit ihren zickigen Anfeindungen gewesen ist oder vor einigen Jahren Bascha Mika. Alice Schwarzer, das muss man leider sagen, macht es ihren Gegnern oft ziemlich leicht.

Doch Miriam Gebhardt passt nicht in diese Reihe. Ihr Buch ist keine kalkulierte Abrechnung. Miriam Gebhardt tritt nicht gegen Alice Schwarzer an, sie fordert sie nicht zum Duell heraus. Das ist ihr in Zeiten, da auf dem Buchmarkt die wichtigste Währung Krawall ist, um überhaupt die Wahrnehmungsschwelle zu überschreiten, hoch anzurechnen. Miriam Gebhardt vertraut dem sachlichen Blick der Historikerin, die sich den Lauf der Geschichte vornimmt - und der bietet reichlich brisanten Stoff. Empörungsspielraum bleibt neben den Fakten genügend. Es ist diese Mischung, die dem Buch Wucht verleiht.

Als vergangenes Jahr Alice Schwarzers Autobiographie "Mein Leben" erschien, kippte Miriam Gebhardts Unmut endgültig in Verärgerung. Sie wirft Schwarzer "Geschichtsklitterung" vor. Schwarzer wolle ihr Lebenswerk richten, wegkommen vom Image des Zotteltiers, vor allem aber wolle sie noch einmal ganz deutlich klarmachen, dass die Frauenbewegung mit ihr, Alice Schwarzer, begann - und zwar 1971 mit der von ihr mit organisierten Abtreibungskampagne im Stern, als dreihunderteinundsiebzig Frauen bekannten: "Wir haben abgetrieben!"

Dabei sei es bekanntlich anders gewesen, schreibt Gebhardt: "Erstens gab es keinen punktuellen Neuanfang. Die Traditionen der ersten Frauenbewegung im neunzehnten Jahrhundert ragten in die Nachkriegszeit hinüber." Es seien zudem strukturelle Veränderungen in den sechziger Jahren gewesen, die der Frauenfrage in den Sattel geholfen hätten. "Zweitens, wer Frühlingsboten braucht, sucht sie besser in den Jahren zwischen 1963 und 1966. Das war tatsächlich die Zeit der Bewusstwerdung und Artikulation der Frauenbewegung." Drittens sei die deutsche Frauenbewegung nur in einem internationalen Kontext möglich gewesen: und viertens: "Die deutsche Frauenbewegung ist mit der Studenten- und Jugendbewegung groß geworden - ohne Alice Schwarzers Hilfe." Autobiographien sind unehrliche Dokumente, das liegt in der Natur der Sache. Mal mehr, mal weniger bewusst breitet der Verfasser einen vorteilhaften Schleier über seine Erinnerungen. Was sollte man dagegen einwenden? Doch das komplett Ambivalenzfreie, das Fehlen jeglicher Selbstkritik in Alice Schwarzers Werk hat Miriam Gebhardt dann offensichtlich doch verstört. Ihr Buch zeigt auf, wie konsequent Alice Schwarzer ihr Leben als ein Bilderbuch gestaltet, wobei der Platz neben ihr leer bleibt.

Und damit sind wir bei einem ganz entscheidenden Punkt: Miriam Gebhardt - die Alice Schwarzer übrigens in keiner Zeile ihre Verdienste abspricht - stellt die berechtigte Frage, von welchem Zeitpunkt an das Schwarzweißdenken der Feministin der Frauenbewegung ernsthaften Schaden zufügt hat: "Das Frauenbild ohne Grautöne bei Alice Schwarzer ist meines Erachtens auch der Hauptgrund, warum die deutsche Frauenbewegung unterwegs die Frauen verloren hat." Ein weiterer Punkt, den Gebhardt anführt: Schwarzers Omnipräsenz, für die sie selbst alles Erdenkliche getan hat, indem sie sich hierzulande über Jahrzehnte zur einzig relevanten Figur stilisiert habe.

Zu einer Figur, die für die meisten jungen Frauen aus der Zeit gefallen ist. Dabei ist es ja nicht so, dass es außer der Kopftuchdebatte oder der Pornographie und Prostitutionsthematik nichts gäbe, für das es sich lohnen würde zu kämpfen. Was, fragt Miriam Gebhardt, sei mit der Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Oder den prekären Lebensbedingungen vieler Alleinerziehender? Oder der um ein Drittel niedrigeren Frauenrente? Oder dem Schönheitswahn? Dem völlig aus der Balance geratenen Körperempfinden vieler Mädchen und junger Frauen, von denen sich einige ernsthaft fragen, wie ihr Unterleib nach einer Entbindung aussieht. Die Patriarchats-Theorie bietet zu diesen Fragen tatsächlich keine Lösungsansätze.

Alice Schwarzer könne eben nicht auf allen Problemfeldern tätig sein, ließe sich einwenden. Das ist die eine Seite. Die andere ist, dass wir, wie gesagt, nur eine Alice Schwarzer haben, weshalb ihre "Nach-mir-die-Sintflut-Rhetorik" kontraproduktiv sei - ebenso, wie auch ihre Kolumne zum Kachelmann-Prozess in der "Bild" kontraproduktiv gewesen sei. Alice Schwarzer hat eine Verantwortung, und es das Verdienst von Miriam Gebhardts Buch, dass es dem Leser klarmacht, wie groß diese Verantwortung ist.

Das Einzige, was man der Autorin vorwerfen kann, ist, dass sie die jungen Frauen, die "Alphamädchen" oder wie auch immer sie sich nennen mögen, weitestgehend aus ihrer Pflicht entlässt, als hätte Alice Schwarzer sie gnadenlos niedergewalzt - aber das hat sie nicht. Und selbst wenn, liegt es letztendlich an jedem Einzelnen, sich zur Wehr zu setzen, Stellung zu beziehen. Foren sind dafür reichlich vorhanden. Gerade Zeiten, die von permanenten Umbrüchen geprägt sind, eignen sich ja hervorragend, um vernachlässigte Fäden wiederaufzunehmen und weiterzuspinnen. In diesem Sinne kann man Miriam Gebhardts Buch als Gesprächsaufforderung lesen. An Frauen und Männer.

Miriam Gebhardt: "Alice im Niemandsland". Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor.

Deutsche Verlags-Anstalt, München 2012. 352 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Barbara Gärtner ist genervt von der wohlfeilen Kritik an Alice Schwarzer, und auch Miriam Gebhardts "kalkuliert krawallige" Abrechnung zu Schwarzers siebzigstem Geburtstag entlockt ihr kaum Sympathien. Mag ja sein, dass Schwarzer nicht die perfekte Feministin ist, dass sie den Schweinwerfer sucht, rechthaberisch ist und noch immer die Kämpfe der siebziger Jahre austrägt. Aber vielleicht, gibt Gärtner zu Bedenken, liegt dies auch daran, dass die Schlachten noch immer nicht gewonnen sind. Schwarzer vorzuwerfen, dass es außer ihr keine Feministin zu solcher Prominenz gebracht hat, dass es keine Nachfolgerinnen oder würdige Rivalinnen gibt, grenze an Lächerlichkeit. Gerhardt leiste sich einige "Grobe Fouls" gegen Schwarzer meint die Rezensentin, die allerdings positiv honoriert, wie die Historikerin Gebhardt die Frauenbewegung geschichtlich einordnet. Hier schreibe sie fundiert und unterhaltsam.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2012

Die Frauenbewegung nach Gutsherrinnenart
Miriam Gebhardt setzt sich kritisch mit Alice Schwarzer auseinander. Zu kritisch vielleicht. Dass es immer noch nicht ohne sie geht, liegt aber nicht nur an ihr
Alice Schwarzer ist der Helmut Kohl der Frauenbewegung. Irgendwie immer schon da. Und sie geht einfach nicht weg. Kohl war einst die CDU, wohl so, wie Schwarzer heute den Feminismus verkörpert: eine Person, eine Meinung, eine Richtung. Doch irgendwann wollte bei beiden keiner mehr hinterhermarschieren. Als Kohl sich zurückzog, lag seine Partei in Trümmern. Und wer folgt noch Schwarzer? Längst keine forsch-fidele Frauen-Demo mehr. Trotzdem: Wer in Deutschland über Emanzipation spricht, muss offenbar zuerst Schwarzer-Stellung beziehen – meist ist es die Ach-nö-Opposition. Furchtbar langweilig ist das, denn nichts ist leichter, als sich von Schwarzer zu separieren, sie gar lächerlich zu machen. Dafür braucht es weder Mut noch eine originelle Meinung, diese Abgrenzungshuberei ist nur mühsam. Wen wundert da noch, dass längst keine Bewegung mehr in diese Bewegung kommt?
  Auch Miriam Gebhardt fängt wieder bei A wie Alice an. „Die deutsche Frauenbewegung ist zum Ein-Punkt-Programm geschrumpft, und das heißt Alice Schwarzer“, klagt sie und schreibt dies in einem Buch, das sie ausschließlich der Bedeutung und Wirkung dieser Feministin widmet. So huldigt auch sie der Schwarzer-Alleinherrschaft, die sie ja eigentlich kritisieren will. „Seit ich denken kann, ist das Thema von ihr mit Beschlag belegt“, beginnt die Autorin, inzwischen fünfzig Jahre alt, ihren Band „Alice im Niemandsland“.
  „Alice Schwarzer und das Fernsehpublikum, das ist wie ein altes Ehepaar. Jeder weiß, was als nächstes kommt. Ihre Rolle ist die des alten Bären am Nasenring in der Fußgängerzone, dem zuliebe die Kinder so tun, als würden sie noch erschrecken.“ Das klingt kalkuliert krawallig.
  Der Zeitpunkt für eine Abrechnung scheint günstig: Schwarzer feiert in diesen Tagen ihren siebzigsten Geburtstag. Auch die Schwarzer-Verneiner bemühen sich da, sie wieder freundlich zu busseln und sie als Erfinderin und Hauptdarstellerin der Frauenbewegung hochleben zu lassen. Gelästert wird später. Dass Miriam Gebhardt kurz vor dem Geburtstagsständchen mit ihrer Abrechnung ins versöhnliche Gratulieren gegrätscht ist, ist recht schlau. Denn jedem Hymnenschreiber kommt ihr Buch zupass; man kann Gebhardt stellvertretend für all jene Feministinnen erwähnen, die sich von Alice Schwarzer eben gerade nicht repräsentiert fühlen.
  Gebhardt nimmt historisch langen Anlauf, um die Feierstunde ordentlich zu verderben. „Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor“ nennt sie das Buch im Untertitel. Schon den Gründungsmythos der neuen Frauenbewegung entreißt sie Schwarzer. Statt der von ihr initiierten Abtreibungskampagne im Sommer 1971, insbesondere von Schwarzer selbst zum Anfang erkoren, erinnert Gebhardt an die „Frühlingsboten“ in den Jahren zwischen 1963 und 1966 und an jene Tomate, welche die Studentin Sigrid Damm-Rüger auf einer SDS-Delegiertenkonferenz am 12. September 1968 in Frankfurt warf. Es ist alles schon da gewesen. Kein Fortschritt, nirgends.
  So ist die fulminante Wut, mit der die Frauen um 1968 Selbstbestimmung forderten, auch nur ein Moment im Emanzipationsprozess, der bereits um 1918 begann, als die frühen Feministinnen für gleiche Staatsbürgerrechte kämpften. „Ich würde so weit gehen zu behaupten, es gab nach 1968 nichts, was es nicht auch schon um 1900 gegeben hat“, schreibt Gebhardt. „Die Schwierigkeiten der Frauen lagen schon damals auf dem Tisch, und die Lösungsvorschläge glichen denen der Nachfolgerinnen weitgehend.“
  Miriam Gebhardt ist Journalistin und Historikerin, an der Universität Konstanz lehrt sie Geschichte. Beides hat wohltuenden Einfluss: Ihr Buch ist unterhaltsam geschrieben und trotzdem vor allem an jenen Stellen fundiert, an denen sie die Frauenbewegung historisch einordnet. Denn gerade die Geschichtsblindheit ist es, mit der jede neue Frauenoffensive nervt.
  Problemtisch ist ja nicht nur der naive Wagemut der Nachgeborenen, mit denen jede glaubt, noch einmal ganz von vorne anfangen zu müssen. Problematisch sind auch die unangenehmen Kontinuitäten etwa zwischen der zweiten Frauenbewegung in den Siebzigern und dem Frauenbild im „Dritten Reich“: hier wie dort mochte man es natürlich, lippenstiftfrei und High-Heel-los. Auf ihr eigentliches Thema Schwarzer kommt Gebhardt, von sporadischen groben Fouls gegen die Groß-Feministin abgesehen, erst nach ungefähr der Hälfte des knapp 350 Seiten dicken Buches zu sprechen. Davor gibt sie einen lockeren Einblick in die Geschichte der Frauenbewegung, sie schaut nach Frankreich und zu den, wie sie schreibt, „tollen“ Frauen in den USA – die machen sich schick und mischen trotzdem überall mit: in den Frauenmagazinen und in den Theoriediskussionen –, bis sie zu dem Ergebnis kommt, dass die deutsche Frauenbewegung international unbedeutend ist. Schuld daran ist, genau, Alice Schwarzer. Das alles ist weit weniger markig, als es der Titel glauben lassen will. Artikuliert sie ihre eigene Bewertungen, dann meist mit behutsam-defensiven Frage-ich-mich-doch-Formulierungen. Und wie eine didaktisch gut geschulte Lehrerin wiederholt sie in nahezu jedem Kapitel ihres „historischen Debattenbuches“ die beiden maßgeblichen normativen Richtungen im Feminismus – Gleichheitsfeminismus und Differenzfeminismus – salopp-simplifizierend als „Ändere dich gefälligst“-Feminismus und „Werde die, die du bist“-Feminismus, als wäre dies das Lernziel des Proseminars.
  Oft ist die öffentliche Kritik an Schwarzer diffus. Zu mächtig, zu rechthaberisch, zu fernsehpräsent und dann noch das ewige Opferding – auch Gebhardt schreibt, Schwarzer praktiziere Frauenbewegung nach „Gutsherrinnenart“. Doch glücklicherweise belässt es die Autorin nicht bei den üblichen Anfeindungen, sondern leitet Schwarzers Positionen aus ihrer feministische Sozialisation ab – Simone de Beauvoir nennt sie dabei etwas unsauber „Über-Ich“ und „Übermutter“. Bisweilen küchenpsychologisch begutachtet sie Schwarzers Agenda und Aktionen von der Abtreibungsmobilisierung, über Orgasmus-Lügen im Buch „Der kleine Unterschied“, der Emma-Gründung, „PorNo“- oder Kopftuchdiskussion. Schwarzer, so Gebhardts Vorwurf, stecke hoffnungslos in den Siebzigern fest. Die jungen Frauen heute interessieren sich für anderes, Karriere plus Kind zum Beispiel, und eben nicht für die muffigen Themen aus den glorreichen Tagen der Bewegung: Patriarchatstheorie, Sexualpolitik, Frau-gut-Mann-böse. Vor allem wollen die Mädchen heutzutage nicht mehr belehrt und erzogen werden. Das stimmt alles bestimmt.
  Dass Schwarzer ein bisschen gestrig erscheint, hat allerdings auch damit zu tun, dass ihre Forderungen von gestern eben heute noch nicht erfüllt sind: So haben sich weder die Ansprüche der Abtreibungskampagne, der freie Zugang zu Verhütungsmittel und Abtreibung auf Krankenkassenkosten, erfüllt – dabei wurden die schon vor 40 Jahren formuliert –, noch machen Frauen inzwischen große Karrieren. Kinder bekommen sie aber auch nicht.
  Gebhardt hat schon recht damit, dass junge Frauen sich heute nicht mehr kategorisch als Opfer betrachten wollen und sie mit der notorischen Gut-Böse-Matrix nichts anfangen können. Ihren Schlussfolgerungen möchte man aber doch widersprechen: Ist es wirklich so, dass die jungen Feministinnen den Sex nicht mehr politisch praktizieren? Die Busen-Aktivistinnen von Femen sind der Exportschlager der Ukraine. Lena Dunham wird als Feministin gefeiert, weil sie explizit unappetitliche Sexszenen in ihrer Fernsehserie „Girls“ inszeniert. Und für die Bloggerin Laurie Penny zeigt sich Repression am Umgang mit Körper.
  Und ist Alice Schwarzer wirklich an allem schuld? Mag sein, dass sie eher ein Mensch der Aktion als der Reflexion ist. Doch kann man ihr wirklich vorwerfen, dass sie die kultivierten Gender-Diskurse der Universitäten nicht in der Fernsehshow „Was bin ich?“ erörtert? Theoriedebatten sind wichtig und richtig, nur ist vielleicht Schwarzer die Falsche dafür. Man kann ihr sicherlich vieles ankreiden, aber eine Person, die so offensichtlich zum Scheinwerfer strebt, dafür zu rügen, dass sie nicht endlich mal ein paar Schüchterne in den Lichtkegel schubst, das erinnert an die naive Forderung, die deutschen Unternehmen in China sollen bitteschön auf die Menschenrechte pochen.
  „Alice Schwarzer ist es in den vierzig Jahren, die sie dem deutschen Feminismus ein Mediengesicht gegeben hat, weder gelungen, Schwestern im Kampfe zu finden, noch würdige Rivalinnen. Sie hat keine Nachfolgerin, geschweige denn eine Enkelin“, schreibt Miriam Gebhardt. Was soll die arme Frau denn noch alles!? Sie ist eine Stimme des deutschen Feminismus, und dass sie seit Jahrzehnten einen Solopart singt, liegt sicher auch an ihr, aber eben nicht nur. Vielleicht sollten sich die Feministinnen endlich mal von der Über-Mutti verabschieden. Nach Papa Kohl ging es in der CDU ja auch weiter. Mit einer Frau. Die nur manche Mutti nennen.
BARBARA GÄRTNER
Miriam Gebhardt: Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor. DVA, München 2012. 352 Seiten, 19,99 Euro.
Zum 70. Geburtstag Schwarzers
wollen auch ihre Feinde
freundlich busseln
Schwarzer hat keine
Nachfolgerin hervorgebracht.
Was soll sie denn noch alles?
1975, „Jahr der Frau“: Demonstrantinnen vor der Bonner Beethovenhalle. Alice Schwarzer, so ein Vorwurf, sei in den Siebzigern stecken geblieben.
FOTO: J.H. DARCHINGER
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»Gebhardts Buch liest sich flüssig, interessant und kompetent.« Neue Zürcher Zeitung (CH), 15.11.2012