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Der französische Politologe Gilles Kepel legt ein Buch über den Islam vor, in dem er die Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten einer Koexistenz zwischen den islamischen Gemeinschaften und demokratischen Gesellschaftsformen untersucht. Ein aktuelles Thema, da die Islamisierung auch in der westlichen Welt ungebrochen weitergeht. Als Beispiele schildert der Autor die Verhältnisse in den USA, in Frankreich und Großbritannien, wo es bereits substantielle islamische Minderheiten gibt. Kepels Studie macht deutlich, daß die Re-Islamisierung für viele Menschen eine Möglichkeit bedeutet, mit den sozialen Widersprüchen der modernen Gesellschaft fertig zu werden.…mehr

Produktbeschreibung
Der französische Politologe Gilles Kepel legt ein Buch über den Islam vor, in dem er die Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten einer Koexistenz zwischen den islamischen Gemeinschaften und demokratischen Gesellschaftsformen untersucht. Ein aktuelles Thema, da die Islamisierung auch in der westlichen Welt ungebrochen weitergeht. Als Beispiele schildert der Autor die Verhältnisse in den USA, in Frankreich und Großbritannien, wo es bereits substantielle islamische Minderheiten gibt. Kepels Studie macht deutlich, daß die Re-Islamisierung für viele Menschen eine Möglichkeit bedeutet, mit den sozialen Widersprüchen der modernen Gesellschaft fertig zu werden.
Autorenporträt
Gilles Kepel, geboren 1955, studierte Soziologie und Arabistik, ist Professor für Politische Studien am Institut d'Etudes Politique in Paris und hatte zahlreiche Gastprofessuren inne. Er gilt als einer der renommiertesten Forscher zum Thema des islamischen Fundamentalismus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.1996

Zwischen Abgrenzung und Militanz
Gilles Kepel über islamische Gemeinschaften im Westen

Gilles Kepel: Allah im Westen. Die Demokratie und die islamische Herausforderung. Aus dem Französischen von Inge Leipold. Piper Verlag, München 1996. 400 Seiten, 48,- Mark.

Muslime essen kein Schweinefleisch - der Prophet Mohammed, so die Überzeugung des säkularisierten westlichen Menschen, der die Sprache der Religion verlernt hat und "vernünftige" Begründungen braucht, habe dies "wegen der Trichinen" angeordnet. Die Religionswissenschaft erklärt es anders: Speisevorschriften stehen am Beginn einer neuen Religion und sollen abgrenzen, gar ausgrenzen. Der Philosoph Pythagoras, der auch ein Religionsstifter war, hielt Bohnen für unrein; er wollte sich und seine Gemeinschaft der Eingeweihten vom profanen Volk absetzen.

Die Nation der "Black Muslims" in den Vereinigten Staaten, die Islamische Nation von Louis Farrakhan, entstand ebenfalls durch Abgrenzung und eigene Speisevorschriften. Gilles Kepel, einer der bekanntesten Erforscher des islamischen Fundamentalismus wie des religiösen Fundamentalismus überhaupt, Arabist und Politologe, versucht in seinem neuen, jetzt auf deutsch erschienenen Buch "Allah im Westen" erstmals eine Deutung dreier islamischer Gemeinschaften, die sich in Amerika, Großbritannien und Frankreich mit je unterschiedlicher Geschichte entwickelt haben.

Die Geschichte des amerikanischen Islams beginnt in Detroit im Jahre 1930. Ein Mann, der Ford Wallace hieß, begann dort während der Weltwirtschaftskrise unter dem Namen "Fard" den arbeitslosen Schwarzen zu predigen, ihre wahre Religion, deren sie von den Sklavenhaltern beraubt worden seien, sei der Islam. Dieser Prophet der Black Muslims ist bis heute eine schillernde Persönlichkeit geblieben, die viele Rätsel aufwirft. Er forderte die Schwarzen auf, nicht länger die Nahrung der Weißen zu sich zu nehmen, überhaupt gesünder zu leben, einmal am Tag zu essen, "um zu leben, nicht um zu essen". Er predigte eine krause Mischung aus biblischen und verwässerten islamischen Lehren, die mit dem orthodoxen Islam kaum noch etwas zu tun hatten. Doch er erreichte, daß Schwarze in den Gettos sich disziplinierten und den Kampf gegen soziales Elend und Drogensucht aufnahmen.

Kepel deutet diese neue amerikanische Religion, die viele bedenkliche, ja abstoßende Erscheinungen wie einen rassistischen Haß auf die "weißen Teufel und Schweine" und auch einen handfesten Antisemitismus enthält, als eine Antwort der Getto-Schwarzen auf ihre gesellschaftliche Marginalisierung im Amerika der Weißen. Unter den Nachfolgern "Fards", Elija Muhammad, Malcolm X und schließlich Louis Farrakhan, der unlängst seine Islamische Nation zu einem Marsch auf Washington aufgerufen hatte, hat zunächst eine Militarisierung, dann eine gewisse Verbürgerlichung stattgefunden. Farrakhan zeigt sich heute im dunklen Anzug mit Fliege. In Großbritannien, wo hauptsächlich indo-pakistanische Muslime leben, wurde die Gemeinde von Bradford zum Problem, als sie Salman Rushdies Roman "Die Satanischen Verse" als blasphemisch verdammte, das Buch öffentlich verbrannte und auf diese Weise zum Vorreiter einer Protestwelle wurde, die in der sogenannten "Todes-Fatwa" des Ajatollah Chomeini gegen den Schriftsteller gipfelte. Als die Muslime von Bradford sich von der Fatwa distanzierten, gründeten radikale Muslime, angeführt von britischen Konvertiten, ein - nicht gewähltes - muslimisches Parlament, in dem allein sie fortan ihre legitime Vertretung als Muslime Großbritanniens sehen wollten.

Dieser Schritt macht das ganze Dilemma deutlich. Es gibt Muslime, die sich schwertun mit der Einsicht, daß Großbritannien nur ein einziges Parlament haben kann: das zu Westminster. Damit fügen sie dem von der Regierung praktizierten Modell eines "multikulturellen England", das gleichwohl der Staat aller ist, schweren Schaden zu. Die Ansprüche der eigenen, fundamentalistisch interpretierten Religion, der dezidierte Wille zur Nichtanpassung an die "korrupte Kloake der westlichen Kultur" schaffen unter diesen Radikalen Ansprüche und Verhältnisse, die ihrerseits die Mehrheit der Briten herausfordern. Auch hier zeigt sich nach Auffassung Kepels die religiös-gesellschaftliche Abgrenzung als Reaktion auf gesellschaftliche Abweisung durch das "Wirtsvolk". Davon handelt übrigens Salman Rushdies Roman "Die Satanischen Verse" in erster Linie. Die Muslime Indiens sind immer eine Minderheit auf dem Subkontinent gewesen, auch zu Zeiten des britischen Raj, in Großbritannien sind sie es wieder. Kepel sieht sie durch diese Geschichte besonders stark geprägt.

Auch in Frankreich, der Heimat des Autors, ist der Islam im Vormarsch. Er ist längst zu "Frankreichs zweiter Religion" geworden. Seit 1989 kann er als "aktivistische Massenbewegung" eingestuft werden. Arbeitslosigkeit und erodierende soziale Verhältnisse haben dazu geführt, daß sich die Muslime in den Banlieus von Paris und anderen großen Städten ihrer muslimischen Identität stärker als bisher versichern und politisch akzentuieren wollen. Durch die bürgerkriegsähnlichen Verhältnisse in Algerien - und zeitweise auch in Tunesien - hat sich diese Entwicklung verschärft, denn Frankreich kann in diesen Auseinandersetzungen ehemaliger Kolonien und Protektorate nicht abseits stehen, schon wegen der Migranten nicht, die ihr Land verlassen haben und in Frankreich Zuflucht suchen, aus welchen Gründen auch immer. Die "Schleierpolemiken" (ist das Tragen eines Kopftuches in der staatlichen Schule erlaubt?) machten deutlich, welches Konfliktpotential zwischen dem streng laizistischen französischen Staat und den Muslimen besteht. Hinzu kommt der Gegensatz zwischen den untereinander rivalisierenden muslimischen Gemeinden und Le Pens xenophober Rechts-Front. Kepel sagt voraus, daß die Entwicklung ähnlich verlaufen wird wie in Großbritannien, obwohl Paris am strikten Laizismus festhalten möchte. Als Deutscher liest man das Buch mit großem Interesse, leben doch im eigenen Lande mittlerweile zweieinhalb Millionen Muslime. Wollen sie sich assimilieren oder nicht? Kann man gleichzeitig dem Grundgesetz gehorchen und der Scharia? Das sind Fragen, die in Deutschland weniger nüchtern diskutiert werden, als Kepel dies in seinem Buch tut.

WOLFGANG GÜNTER LERCH

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