Der Journalist Marcel Pott, der viele Jahre im Nahen Osten gelebt hat, schildert mit Sachkenntnis und Einfühlungsvermögen die komplexen Ursachen der Krise, in der die arabische Welt steckt. Er weist darauf hin, dass die Politik der USA und Israels dazu beiträgt, dass diese Krise sich immer mehr zuspitzt - auch zu Lasten der Europäer - und plädiert deshalb für eine eigenständige europäische Nahostpolitik.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.09.1999Allzu weit gespannter Bogen
Die arabische Welt und die spirituelle Revanche der Muslime
Marcel Pott: Allahs falsche Propheten. Die arabische Welt in der Krise. Gustav Lübbe Verlag, 1999. 351 Seiten, 16 Seiten Abbildungen, 42,- Mark.
Im Hintergrund sind die Minarette einer Moschee zu erkennen. Den größten Teil des Buchumschlags nimmt auf dem Foto der Autor selbst ein. Auch die erste Aufnahme im Bilderteil zeigt Marcel Pott als Kriegsberichterstatter. Neun Jahre war Pott bis 1992 Nahostkorrespondent der ARD, und die Region ließ ihn auch danach nicht los. Während eines Sabbatjahrs hat er in Jordanien eine persönliche Annäherung an die Region geschrieben, die er im Gegensatz zu vielen anderen Autoren nicht verloren geben will. Herausgekommen ist ein Rundumschlag, der sich nicht recht entscheiden kann, was er sein will: eine Reportage mit spannenden Anekdoten aus dem Journalistenleben, ein Sachbuch oder eine Analyse der künftigen Entwicklung des Islam.
Abenteuerlich lesen sich die Erinnerungen aus Potts Zeit als Korrespondent. Aus Ost-Beirut, wo er während des libanesischen Bürgerkrieges als einer der letzten westlichen Reporter ausgeharrt hatte, wurde er zum Beispiel unter dem Schutz schwer bewaffneter Miliz-Kämpfer gerettet. Überflüssig für die meisten Leser dürften indes die Passagen sein, in denen er die Leistungen der deutschen Botschafter in arabischen Ländern bewertet. Auch thematisch ist der Bogen etwas zu weit gespannt. Denn es geht nicht nur um "die arabische Welt in der Krise", wie es der Untertitel nahelegt, sondern auch um Iran, Algerien und die muslimische Minderheit in Deutschland. Dabei gerät das, was das Buch lesenswert macht, in den Hintergrund. Denn kundig, in verständlicher Sprache und einfühlsam stellt Pott das Ringen um die eigene Identität dar, das das Leben vieler Menschen in der Region prägt.
Neu sind diese Beobachtungen nicht, aber vor allem dort, wo der Autor sich zurücknimmt, und arabische Intellektuelle und Geschäftsleute selbst zu Wort kommen lässt, wird die Enttäuschung über "Allahs falsche Propheten" anschaulich. Es ist kein Zufall, dass Pott diese selbstkritischen Araber im Flugzeug oder im Internet-Café und nicht in den Armenvierteln der Großstädte trifft. Auf diese kleine "aufgeklärte" Minderheit setzt er seine Hoffnung. Ohne polemisch zu werden, erklärt er aber auch, wie die im Nahen Osten weit verbreiteten Verschwörungstheorien und der grassierende Antiamerikanismus zustande kommen. Er tut das nicht, ohne auf die wechselseitige Dynamik aufmerksam zu machen: Der Westen hat seiner Ansicht nach dazu beigetragen, die Islamisten zu stärken, indem er arabische Potentaten stützt, die nicht zum Wohle ihrer Bevölkerung regieren. Angesichts der korrupten und autoritären Regime, die die politische Landschaft des Nahen Ostens dominieren, ist für ihn "abgesehen von den Islamisten keine Reformalternative in Sicht".
Um sich vor einem Ansturm arabischer Einwanderer zu schützen, müssten die Europäer möglicherweise islamistische Regierungen unterstützen. Doch die Weltanschauung dieser Politiker ist nicht starr und endgültig: Eine Reform des Islam aus eigener Kraft ist nach Potts Einschätzung nötig und möglich. Ein erster Schritt dazu ist die Emanzipation vom beherrschenden Einfluss der orthodoxen Islamgelehrten, den Ulema. Reformdenker, zu denen Pott etwa den iranischen Wissenschaftler Sorush zählt, gibt es bereits. Den Weg, den der iranische Präsident Chatami mit seiner Reformpolitik beschreitet, hält er für beispielhaft. Die Rückschläge, die der Präsident bisher hinnehmen musste, zeigen jedoch, wie schwierig dieses Vorhaben ist. Pott hofft dennoch auf ein "Happy-End" im Verhältnis zwischen islamischen und westlichen Ländern: "Das Abendland hilft dem Islam, sich mit der Moderne auf seine Art zu versöhnen. Und die Muslime revanchieren sich auf spirituelle Art." Zumindest in der Geschichte hat das schon funktioniert, während der von anderen befürchtete Zusammenprall der Kulturen bisher ausgeblieben ist.
HANS-CHRISTIAN RÖSSLER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die arabische Welt und die spirituelle Revanche der Muslime
Marcel Pott: Allahs falsche Propheten. Die arabische Welt in der Krise. Gustav Lübbe Verlag, 1999. 351 Seiten, 16 Seiten Abbildungen, 42,- Mark.
Im Hintergrund sind die Minarette einer Moschee zu erkennen. Den größten Teil des Buchumschlags nimmt auf dem Foto der Autor selbst ein. Auch die erste Aufnahme im Bilderteil zeigt Marcel Pott als Kriegsberichterstatter. Neun Jahre war Pott bis 1992 Nahostkorrespondent der ARD, und die Region ließ ihn auch danach nicht los. Während eines Sabbatjahrs hat er in Jordanien eine persönliche Annäherung an die Region geschrieben, die er im Gegensatz zu vielen anderen Autoren nicht verloren geben will. Herausgekommen ist ein Rundumschlag, der sich nicht recht entscheiden kann, was er sein will: eine Reportage mit spannenden Anekdoten aus dem Journalistenleben, ein Sachbuch oder eine Analyse der künftigen Entwicklung des Islam.
Abenteuerlich lesen sich die Erinnerungen aus Potts Zeit als Korrespondent. Aus Ost-Beirut, wo er während des libanesischen Bürgerkrieges als einer der letzten westlichen Reporter ausgeharrt hatte, wurde er zum Beispiel unter dem Schutz schwer bewaffneter Miliz-Kämpfer gerettet. Überflüssig für die meisten Leser dürften indes die Passagen sein, in denen er die Leistungen der deutschen Botschafter in arabischen Ländern bewertet. Auch thematisch ist der Bogen etwas zu weit gespannt. Denn es geht nicht nur um "die arabische Welt in der Krise", wie es der Untertitel nahelegt, sondern auch um Iran, Algerien und die muslimische Minderheit in Deutschland. Dabei gerät das, was das Buch lesenswert macht, in den Hintergrund. Denn kundig, in verständlicher Sprache und einfühlsam stellt Pott das Ringen um die eigene Identität dar, das das Leben vieler Menschen in der Region prägt.
Neu sind diese Beobachtungen nicht, aber vor allem dort, wo der Autor sich zurücknimmt, und arabische Intellektuelle und Geschäftsleute selbst zu Wort kommen lässt, wird die Enttäuschung über "Allahs falsche Propheten" anschaulich. Es ist kein Zufall, dass Pott diese selbstkritischen Araber im Flugzeug oder im Internet-Café und nicht in den Armenvierteln der Großstädte trifft. Auf diese kleine "aufgeklärte" Minderheit setzt er seine Hoffnung. Ohne polemisch zu werden, erklärt er aber auch, wie die im Nahen Osten weit verbreiteten Verschwörungstheorien und der grassierende Antiamerikanismus zustande kommen. Er tut das nicht, ohne auf die wechselseitige Dynamik aufmerksam zu machen: Der Westen hat seiner Ansicht nach dazu beigetragen, die Islamisten zu stärken, indem er arabische Potentaten stützt, die nicht zum Wohle ihrer Bevölkerung regieren. Angesichts der korrupten und autoritären Regime, die die politische Landschaft des Nahen Ostens dominieren, ist für ihn "abgesehen von den Islamisten keine Reformalternative in Sicht".
Um sich vor einem Ansturm arabischer Einwanderer zu schützen, müssten die Europäer möglicherweise islamistische Regierungen unterstützen. Doch die Weltanschauung dieser Politiker ist nicht starr und endgültig: Eine Reform des Islam aus eigener Kraft ist nach Potts Einschätzung nötig und möglich. Ein erster Schritt dazu ist die Emanzipation vom beherrschenden Einfluss der orthodoxen Islamgelehrten, den Ulema. Reformdenker, zu denen Pott etwa den iranischen Wissenschaftler Sorush zählt, gibt es bereits. Den Weg, den der iranische Präsident Chatami mit seiner Reformpolitik beschreitet, hält er für beispielhaft. Die Rückschläge, die der Präsident bisher hinnehmen musste, zeigen jedoch, wie schwierig dieses Vorhaben ist. Pott hofft dennoch auf ein "Happy-End" im Verhältnis zwischen islamischen und westlichen Ländern: "Das Abendland hilft dem Islam, sich mit der Moderne auf seine Art zu versöhnen. Und die Muslime revanchieren sich auf spirituelle Art." Zumindest in der Geschichte hat das schon funktioniert, während der von anderen befürchtete Zusammenprall der Kulturen bisher ausgeblieben ist.
HANS-CHRISTIAN RÖSSLER
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