Kennen Sie Ihren Vater? Wissen Sie, wer er wirklich ist? Kennen Sie seine Vergangenheit? Die vierzigjährige Lehrerin Ilaria hätte diese Fragen wohl mit »ja« beantwortet, und auch ihre Familie glaubte sie zu kennen - bis eines Tages ein junger Afrikaner auf dem Treppenabsatz vor ihrer Wohnung in Rom sitzt und behauptet, mit ihr verwandt zu sein. In seinem Ausweis steht: Attilio Profeti, das ist der Name ihres Vaters ... Der aber ist zu alt, um noch Auskunft zu geben. Hier beginnt Ilarias Entdeckungsreise, von hier aus entfaltet Francesca Melandri eine schier unglaubliche Familiengeschichte über drei Generationen und ein schonungsloses Porträt der italienischen Gesellschaft.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.05.2020NEUE TASCHENBÜCHER
Böses
Capriccio
Eines Tages sitzt ein schmächtiger Äthiopier vor Ilarias Tür und fragt nach ihrem Vater, der sei sein Großvater. Ilaria ist eine nüchterne, moderne Frau, die in Rom recht und schlecht ihren Weg geht. Man ist sofort mit ihr in ihrem Leben, da hat sie gerade genug andere Sorgen als einen hergelaufenen Asylanten. Aber irgendwie lässt sie sich ein auf den Fremden, hört ihm zu und erkundet den Hintergrund seiner, aber, wie sie merkt, eben auch ihrer eigenen Familiengeschichte über drei Generationen, angefangen mit dem menschenverachtenden Krieg Italiens gegen unterlegene Abessinier über die Verbrämung von Verbrechen zu großen Taten bis zum Italien ihrer Zeit, in der unter Berlusconi die letzten Elemente politischen Anstands verloren gehen. Im Zentrum steht der selbstgefällige Vater, der sich in die Demenz flüchtet, bevor ihn die Tochter nach seinen Übeltaten befragen kann. Francesca Melandri ist eine Meisterin darin, eine – auch dank der Übersetzung – fesselnde Handlung mit heiklen politischen Themen zu verbinden: abgeklärt, historisch verlässlich, erschütternd. Und zum Schluss komisch: Da überrascht sie im Stil der Commedia dell’arte. RUDOLF VON BITTER
Francesca Melandri:
Alle, außer mir.
Aus dem Italienischen von Esther Hansen.
btb, München 2020.
608 Seiten, 12 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Böses
Capriccio
Eines Tages sitzt ein schmächtiger Äthiopier vor Ilarias Tür und fragt nach ihrem Vater, der sei sein Großvater. Ilaria ist eine nüchterne, moderne Frau, die in Rom recht und schlecht ihren Weg geht. Man ist sofort mit ihr in ihrem Leben, da hat sie gerade genug andere Sorgen als einen hergelaufenen Asylanten. Aber irgendwie lässt sie sich ein auf den Fremden, hört ihm zu und erkundet den Hintergrund seiner, aber, wie sie merkt, eben auch ihrer eigenen Familiengeschichte über drei Generationen, angefangen mit dem menschenverachtenden Krieg Italiens gegen unterlegene Abessinier über die Verbrämung von Verbrechen zu großen Taten bis zum Italien ihrer Zeit, in der unter Berlusconi die letzten Elemente politischen Anstands verloren gehen. Im Zentrum steht der selbstgefällige Vater, der sich in die Demenz flüchtet, bevor ihn die Tochter nach seinen Übeltaten befragen kann. Francesca Melandri ist eine Meisterin darin, eine – auch dank der Übersetzung – fesselnde Handlung mit heiklen politischen Themen zu verbinden: abgeklärt, historisch verlässlich, erschütternd. Und zum Schluss komisch: Da überrascht sie im Stil der Commedia dell’arte. RUDOLF VON BITTER
Francesca Melandri:
Alle, außer mir.
Aus dem Italienischen von Esther Hansen.
btb, München 2020.
608 Seiten, 12 Euro.
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