Der Anwalt Hartmut Wilke ist gewohnt zu bekommen, was er möchte. Zum Beispiel Ines, seine um zwanzig Jahre jüngere Freundin. Doch seit einiger Zeit laufen die Dinge nicht mehr so gut für ihn. Die Regeln, nach denen er zu spielen gewohnt war, scheinen nicht mehr zu gelten. Beruflich strauchelt er, und in seinem unerbittlichen Scheidungskrieg hat er den letzten Rückhalt nicht nur seiner Frau, sondern auch seiner Kinder verloren. Da erreicht ihn überraschend eine Postkarte seines ältesten Sohns. Erik, der Wilkes Ansprüchen nie gerecht werden konnte, betreibt eine Strandbar auf Kiani Island im Indischen Ozean und lädt ihn dorthin ein. Wilke möchte sich mit ihm aussöhnen und macht sich mit Ines auf die Reise. Aber ganz anders als erwartet, wird der Aufenthalt dort zu einem endgültigen Wendepunkt in Wilkes Leben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.06.2017Ziemlich wenig für so viel Geld
Wenn erfolgreiche Männer straucheln: Georg M. Oswalds Roman "Alle, die du liebst" inszeniert das Vater-Sohn-Drama als Kampf der Kulturen.
Der Patriarch wankt. Die Familie des Anwalts Hartmut Wilke ist zerbrochen, seine Ehe geschieden, weil er seiner attraktiven "Assistentin" nicht widerstehen konnte. Aber nicht nur die rachsüchtige Exfrau, sondern auch die Staatsanwaltschaft ist dem Noch-Millionär wegen suspekter Firmenkonstruktionen auf den Fersen.
Wenn es eng wird, kommt oft ein Bedürfnis nach Versöhnung und Harmonie auf. Wie wäre es, das beschädigte Verhältnis zum Sohn Erik ein wenig in Ordnung zu bringen? Mit "Assistentin" Ines reist Wilke nach Mombasa; auf einer Insel vor der kenianischen Küste versucht Erik als Geschäftsmann gerade Fuß zu fassen. Der vernachlässigte Sohn sehnt sich nach väterlicher Zuwendung - und meint damit inzwischen vor allem Geld. Hartmut Wilke hat dem Aussteiger, der offenbar nie richtig eingestiegen ist ins Berufsleben, mit fünfzigtausend Euro eine Strandbar finanziert, ein improvisiert wirkendes Gebilde unter Palmen, das nun in Augenschein genommen wird. Der Vater bemüht sich, den altgewohnten Ton des Vorwurfs zu vermeiden, aber sein Kommentar klingt vernichtend: "Ziemlich wenig Bar für so viel Geld."
Wohlhabende und erfolgreiche Männer ins Straucheln zu bringen - das ist eine literarische Passion des Münchner Schriftstellers, Anwalts und zwischenzeitlichen Verlagsleiters Georg M. Oswald. Die trockene bundesrepublikanische Wirklichkeit wird in "Alle, die du liebst" allerdings schnell zugunsten des feuchtschwülen Tropenklimas verlassen, in dem sich die westliche Rationalität auflöst wie ein Kondensstreifen im blauen Himmel. Schon am Flughafen geht es los mit Schikanen zum Zweck der Bestechung. Eriks Geschäftspartner in Kiani Beach, der zwielichtige Mister Jack, gilt als Finanzgenie - und ist zugleich ein in Deutschland gesuchter Steuerbetrüger, was Wilke, Stichwort Staatsanwaltschaft, immerhin eine Perspektive eröffnet.
Trotzdem: "Egal, was der Mann von sich gab, ich hatte bei ihm immer das Gefühl, er lüge." Zu den Autoritäten des Ortes gehört außerdem der "Polizeigeneral" (so lässt sich der Mann jedenfalls nennen), der sogleich das Smartphone von Wilkes junger Freundin in Verwahrung nimmt und es nicht wieder hergeben will: Hier seien Menschen schon wegen Geringerem umgebracht worden, meint er. Mühsam bezwingt Wilke seine Wut, als Erik und Mister Jack ihm versichern, dass es nun vor allem darauf ankomme, den "Polizeigeneral" nicht in seiner Amtswürde zu verletzen. Wenig später sehen Wilke und Ines zufällig, wie der Würdige mit dem Gerät Fotos macht, als ein Mann vor ihrem Hotel von einem Mob beinahe zu Tode geprügelt wird.
So schlank und schlicht der 1963 geborene Georg M. Oswald erzählt, sein Roman geht aufs Ganze und inszeniert das Vater-Sohn-Drama als Clash der Kulturen. "Alle, die du liebst" hat die Reize eines anrüchigen Exotismus. Afrika so zu schildern, als wäre es eine westliche Albtraumphantasie - das hat Tradition, von Joseph Conrads Kongo-Erzählung "Herz der Finsternis" bis zu den Reisereportagen von Paul Theroux. Sind es Klischees, oder ist es die bittere, abgeschmackte Wirklichkeit? Oft schwer zu entscheiden. Wilke jedenfalls kollidiert immer wieder mit einer Anderswelt, in der seine "westlichen" Argumente nichts gelten und stattdessen Loyalitäten, pompöse Ehrbegriffe und satte Schmiergelder alles sind.
Er hätte es wissen können. Der (erfundenen) Provinz Kiani galten nicht ohne Grund Reisewarnungen: Überfälle auf Touristen, Entführungen und islamistische Attentate. Erik und Mister Jack aber versichern, man sei hier "absolut safe", wenn man sich nur "richtig" verhalte. Dieses richtige Verhalten aber ist genau das Problem: selbstverständlich für die Ortsansässigen, unergründlich für die Zugereisten. Dass man es "nicht richtig" gemacht hat, erfährt man spätestens, wenn einem der Gewehrlauf im Nacken sitzt oder bedrohlich die Machete geschwungen wird. Das passiert schließlich auch Wilke. Es kommt zu Schießereien; die panische Flucht misslingt, ein Netz aus Verdächtigungen und Unterstellungen schließt sich um ihn. Der Familienroman wird zum Thriller.
So gefestigt und trocken realistisch der Ton des Romans daherkommt, sein Reiz besteht gerade in den vielen Unwägbarkeiten. Die Geschichte ist in der Ich-Form erzählt, aber wie weit ist der Perspektive Hartmut Wilkes zu trauen, dem es bei aller selbstkritischen Intelligenz doch immer auch um die Rechtfertigung seiner familiären und beruflichen Verfehlungen geht? Weil der objektiv-allwissende Erzählerbericht vermieden wird, bleiben vor allem die Hintergründe der Geschehnisse auf Kiani Island rätselhaft - und ein Einfallstor für Wilkes Paranoia. Gibt es den ominösen Warlord Gobane überhaupt, der die Region in Angst und Schrecken versetzt und Wilke nun um sein gesamtes Vermögen bringt? Oder betreibt die merkwürdige Miliz, die ihn und Ines in Geiselhaft nimmt und mit dem Tod bedroht, nur einen martialischen Mummenschanz, der mit Erik, Mister Jack und dem "Polizeigeneral" abgesprochen ist, um Wilke gründlich abzuschröpfen?
Alles bleibt hier kunstvoll in der Schwebe, alles ist Verdacht, nichts Gewissheit. Aus den Gesprächen, die der undurchschaubare Erik mit seinem Vater führt, könnte man auf eine verhaltene Form von Sohnesliebe ebenso schließen wie auf kriminelle Hinterabsichten. Oswald schildert eine Welt, in der alle Zeichen - womöglich - trügen und die Realität vom Schmierentheater kaum noch zu unterscheiden ist. Dass kurze, kühle Sätze die unverfälschte "realistische" Sicht der Dinge verbürgen - diese fragwürdige Devise amerikanisierender Lakoniker gilt in dem so spannenden wie abgründigen Vater-Sohn-Drama jedenfalls nicht.
WOLFGANG SCHNEIDER.
Georg M. Oswald: "Alle, die du liebst". Roman.
Piper Verlag, München 2017. 208 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn erfolgreiche Männer straucheln: Georg M. Oswalds Roman "Alle, die du liebst" inszeniert das Vater-Sohn-Drama als Kampf der Kulturen.
Der Patriarch wankt. Die Familie des Anwalts Hartmut Wilke ist zerbrochen, seine Ehe geschieden, weil er seiner attraktiven "Assistentin" nicht widerstehen konnte. Aber nicht nur die rachsüchtige Exfrau, sondern auch die Staatsanwaltschaft ist dem Noch-Millionär wegen suspekter Firmenkonstruktionen auf den Fersen.
Wenn es eng wird, kommt oft ein Bedürfnis nach Versöhnung und Harmonie auf. Wie wäre es, das beschädigte Verhältnis zum Sohn Erik ein wenig in Ordnung zu bringen? Mit "Assistentin" Ines reist Wilke nach Mombasa; auf einer Insel vor der kenianischen Küste versucht Erik als Geschäftsmann gerade Fuß zu fassen. Der vernachlässigte Sohn sehnt sich nach väterlicher Zuwendung - und meint damit inzwischen vor allem Geld. Hartmut Wilke hat dem Aussteiger, der offenbar nie richtig eingestiegen ist ins Berufsleben, mit fünfzigtausend Euro eine Strandbar finanziert, ein improvisiert wirkendes Gebilde unter Palmen, das nun in Augenschein genommen wird. Der Vater bemüht sich, den altgewohnten Ton des Vorwurfs zu vermeiden, aber sein Kommentar klingt vernichtend: "Ziemlich wenig Bar für so viel Geld."
Wohlhabende und erfolgreiche Männer ins Straucheln zu bringen - das ist eine literarische Passion des Münchner Schriftstellers, Anwalts und zwischenzeitlichen Verlagsleiters Georg M. Oswald. Die trockene bundesrepublikanische Wirklichkeit wird in "Alle, die du liebst" allerdings schnell zugunsten des feuchtschwülen Tropenklimas verlassen, in dem sich die westliche Rationalität auflöst wie ein Kondensstreifen im blauen Himmel. Schon am Flughafen geht es los mit Schikanen zum Zweck der Bestechung. Eriks Geschäftspartner in Kiani Beach, der zwielichtige Mister Jack, gilt als Finanzgenie - und ist zugleich ein in Deutschland gesuchter Steuerbetrüger, was Wilke, Stichwort Staatsanwaltschaft, immerhin eine Perspektive eröffnet.
Trotzdem: "Egal, was der Mann von sich gab, ich hatte bei ihm immer das Gefühl, er lüge." Zu den Autoritäten des Ortes gehört außerdem der "Polizeigeneral" (so lässt sich der Mann jedenfalls nennen), der sogleich das Smartphone von Wilkes junger Freundin in Verwahrung nimmt und es nicht wieder hergeben will: Hier seien Menschen schon wegen Geringerem umgebracht worden, meint er. Mühsam bezwingt Wilke seine Wut, als Erik und Mister Jack ihm versichern, dass es nun vor allem darauf ankomme, den "Polizeigeneral" nicht in seiner Amtswürde zu verletzen. Wenig später sehen Wilke und Ines zufällig, wie der Würdige mit dem Gerät Fotos macht, als ein Mann vor ihrem Hotel von einem Mob beinahe zu Tode geprügelt wird.
So schlank und schlicht der 1963 geborene Georg M. Oswald erzählt, sein Roman geht aufs Ganze und inszeniert das Vater-Sohn-Drama als Clash der Kulturen. "Alle, die du liebst" hat die Reize eines anrüchigen Exotismus. Afrika so zu schildern, als wäre es eine westliche Albtraumphantasie - das hat Tradition, von Joseph Conrads Kongo-Erzählung "Herz der Finsternis" bis zu den Reisereportagen von Paul Theroux. Sind es Klischees, oder ist es die bittere, abgeschmackte Wirklichkeit? Oft schwer zu entscheiden. Wilke jedenfalls kollidiert immer wieder mit einer Anderswelt, in der seine "westlichen" Argumente nichts gelten und stattdessen Loyalitäten, pompöse Ehrbegriffe und satte Schmiergelder alles sind.
Er hätte es wissen können. Der (erfundenen) Provinz Kiani galten nicht ohne Grund Reisewarnungen: Überfälle auf Touristen, Entführungen und islamistische Attentate. Erik und Mister Jack aber versichern, man sei hier "absolut safe", wenn man sich nur "richtig" verhalte. Dieses richtige Verhalten aber ist genau das Problem: selbstverständlich für die Ortsansässigen, unergründlich für die Zugereisten. Dass man es "nicht richtig" gemacht hat, erfährt man spätestens, wenn einem der Gewehrlauf im Nacken sitzt oder bedrohlich die Machete geschwungen wird. Das passiert schließlich auch Wilke. Es kommt zu Schießereien; die panische Flucht misslingt, ein Netz aus Verdächtigungen und Unterstellungen schließt sich um ihn. Der Familienroman wird zum Thriller.
So gefestigt und trocken realistisch der Ton des Romans daherkommt, sein Reiz besteht gerade in den vielen Unwägbarkeiten. Die Geschichte ist in der Ich-Form erzählt, aber wie weit ist der Perspektive Hartmut Wilkes zu trauen, dem es bei aller selbstkritischen Intelligenz doch immer auch um die Rechtfertigung seiner familiären und beruflichen Verfehlungen geht? Weil der objektiv-allwissende Erzählerbericht vermieden wird, bleiben vor allem die Hintergründe der Geschehnisse auf Kiani Island rätselhaft - und ein Einfallstor für Wilkes Paranoia. Gibt es den ominösen Warlord Gobane überhaupt, der die Region in Angst und Schrecken versetzt und Wilke nun um sein gesamtes Vermögen bringt? Oder betreibt die merkwürdige Miliz, die ihn und Ines in Geiselhaft nimmt und mit dem Tod bedroht, nur einen martialischen Mummenschanz, der mit Erik, Mister Jack und dem "Polizeigeneral" abgesprochen ist, um Wilke gründlich abzuschröpfen?
Alles bleibt hier kunstvoll in der Schwebe, alles ist Verdacht, nichts Gewissheit. Aus den Gesprächen, die der undurchschaubare Erik mit seinem Vater führt, könnte man auf eine verhaltene Form von Sohnesliebe ebenso schließen wie auf kriminelle Hinterabsichten. Oswald schildert eine Welt, in der alle Zeichen - womöglich - trügen und die Realität vom Schmierentheater kaum noch zu unterscheiden ist. Dass kurze, kühle Sätze die unverfälschte "realistische" Sicht der Dinge verbürgen - diese fragwürdige Devise amerikanisierender Lakoniker gilt in dem so spannenden wie abgründigen Vater-Sohn-Drama jedenfalls nicht.
WOLFGANG SCHNEIDER.
Georg M. Oswald: "Alle, die du liebst". Roman.
Piper Verlag, München 2017. 208 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Georg M. Oswald spielt geschickt mit Spannung, unerwarteten Wendungen, den Hoffnungen des Lesers und dem Reiz, seinen Protagonisten in ein immer grösser werdendes Desaster fallen zu lassen, ohne je die Bodenhaftung zur Realität zu verlieren. Spannungsliteratur mit Niveau!« literaturblatt.ch 20171108
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Cornelia Geissler lobt Georg M. Oswalds dramaturgisches Geschick, das dafür sorgt, dass die Rezensentin sogar dem unsympathischen Protagonisten im Text "mit Hingabe" folgt. Wie der gut situierte Held auf der Suche nach dem Sohn in Afrika unsicheres Terrain betritt und einen Kulturschock erlebt, der ihn alles kosten könnte, was ihm lieb und teuer ist, scheint Geissler spannend erzählt. Die Mischung aus Vater-Sohn-Geschichte und Abenteuer gelingt laut Rezensentin gut, nicht zuletzt, da Oswald sich gut in Menschen hineindenken kann, wie Geissler findet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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