"Alle Farben weiß" ist das erste Buch, das ich von Christa Ludwig lese. Mein erster Eindruck, als ich das Buch auspacke: Oh, ist das aber schmal. Tatsächlich bringt Frau Ludwig hier eine Geschichte auf nur 153 Seiten zu Papier. Und diese Geschichte bietet einiges, das mir beim ersten Durchlesen
zunächst auch irgendwie widerstrebt hat: Sie ist zu kurz, sie endet zu abrupt, sie endet zu unbequem und…mehr"Alle Farben weiß" ist das erste Buch, das ich von Christa Ludwig lese. Mein erster Eindruck, als ich das Buch auspacke: Oh, ist das aber schmal. Tatsächlich bringt Frau Ludwig hier eine Geschichte auf nur 153 Seiten zu Papier. Und diese Geschichte bietet einiges, das mir beim ersten Durchlesen zunächst auch irgendwie widerstrebt hat: Sie ist zu kurz, sie endet zu abrupt, sie endet zu unbequem und man hätte irgendwie sehr viel mehr daraus machen können.
Hat Frau Ludwig aber nicht, und als ich diesen Punkt für mich erstmal einige Stunden habe sacken lassen, nachdem ich den Buchdeckel wieder zugeklappt hatte, stellte ich fest, dass das eigentlich völlig ok für mich ist. Denn was ich diesem schmalen Büchlein wirklich nicht so zugetraut hätte, ist dann doch irgendwie passiert. Es hat etwas, das in mir nachhallt. Auch Tage später noch nach dem Lesen denke ich manchmal an Selina, an ihre Arbeit, an ihre Gedanken.
Selina, die es mir als Leserin schon gar nicht so leicht macht, Sympathien für sie zu entwickeln. Ich fand sie zu oberflächlich, zu schnell festgelegt und festgefahren, zu absolut in ihren Gedanken. Ihren großen Traum, Künstlerin zu werden, hat sie nicht umsetzen können, deswegen bleibt ihr nur die Stufe darunter auf der Karriereleiter, die der Restauratorin nämlich. Da war ich das erste Mal im Buch überrascht, weil ich ihre Gedankengänge und ihren Widerwillen diesbezüglich so gut nachvollziehen konnte. Das Akzeptieren-Müssen, dass man nicht alles bekommt, was man will, ist ein Thema, das sich durchs Buch zieht.
Selina wird mit einer Aufgabe betraut, die sie zunächst nur als Zeitvertreib und Verdienstmöglichkeit ansieht, eine Zwischenstation, bevor ihr eigentlicher Job beginnt. Dann aber wird diese Aufgabe, das Freilegen eines übermalten Bildes in einer Kirche nämlich, zu einem Projekt, das all ihre Aufmerksamkeit fordern wird. Und das sie verändern wird.
Denn es geht ums Abkratzen von Schichten. Das auf Bildern, um Übermaltes, längst Vergessenes wieder freizulegen und sichtbar zu machen. Aber auch um das Freikratzen und Freischaufeln von verborgenen Schichten bei Menschen, im Leben, von überlagerten Meinungen, Wünschen und Gedanken.
Manchmal weiß man selbst gar nicht genau, welche Schichten man besitzt, was da vielleicht im eigenen Kern noch ganz versteckt ist. Manchmal merkt man auch erst nach einem mühevollen Freikratzen und Abtragen von Schichten, dass man mit vorgefassten Meinungen und Vorurteilen herumläuft. Und so hat mich "Alle Farben weiß" trotz seiner Kürze nicht nur zum Staunen, sondern auch zum Nachdenken gebracht.