Vor gut 200 Jahren verabschiedeten sich die Männer weitgehend von der Mode; diese geriet zur - oft belächelten - Provinz der Frauen. Das Kleid vermittelte von nun an als Zeichensprache zwischen der Trägerin und ihrer Welt, es bot der Frau die Möglichkeit zur Selbstdarstellung.
Einen letzten Aufschwung erlebte die Mode im Zuge der gesellschaftlichen Umbrüche der sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Nicht ohne Wehmut erzählt Hannelore Schlaffer in eleganten, autobiographisch grundierten Essays von jenen Jahren, in denen Frauen mit dem Kleid einen politischen Auftritt wagten. Diesen besonderen Moment bettet die Autorin ein in den Rückblick darauf, wie sich ihr Interesse für die Mode entwickelte. Sie beginnt bei der Erfahrung, die sie schon als Kind mit den Kleidern der Eltern machte, und endet mit dem Problem des Modeverhaltens im Alter.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Einen letzten Aufschwung erlebte die Mode im Zuge der gesellschaftlichen Umbrüche der sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Nicht ohne Wehmut erzählt Hannelore Schlaffer in eleganten, autobiographisch grundierten Essays von jenen Jahren, in denen Frauen mit dem Kleid einen politischen Auftritt wagten. Diesen besonderen Moment bettet die Autorin ein in den Rückblick darauf, wie sich ihr Interesse für die Mode entwickelte. Sie beginnt bei der Erfahrung, die sie schon als Kind mit den Kleidern der Eltern machte, und endet mit dem Problem des Modeverhaltens im Alter.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ein sehr schönes und persönliches kleines Buch kann Rezensentin Verena Mayer mit Hannelore Schlaffers Essay "Alle meine Kleider" empfehlen. Interessiert liest die Kritikerin hier etwa nach, wie sehr Frauen durch Mode oder in ihrer modischen Entfaltung eingeschränkt wurden, bewundert aber vor allem Schlaffers persönliche Schilderungen, etwa wenn sie erzählt, wie ihre Mutter stets ihre Hutschachtel mit in den Luftschutzbunker nahm oder Schlaffer sich in den 68er Jahren sowohl politisch als auch modisch emanzipierte. Nicht zuletzt gefällt der Rezensentin die Art und Weise, wie die Literaturwissenschaftlerin so eingängig von Stoffen erzählt, dass ihre Auseinandersetzung mit Mode geradezu metaphysisch wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2015Mode muss politisch sein oder gar nicht
Ab Größe 44 wird zurückgeschossen: Hannelore Schlaffer ist wegen eines zu kurzen Rockes einst von der Schule geflogen, heute nimmt sie Anstoß an zu engen Jeans.
Hannelore Schlaffer, die nicht vergisst, wer mal gesehen hat, wie sie in ihren schwarzen Mantel gehüllt mit schwarzen, langen Haaren und schwarz umrandeten Augen durch ihr heimatliches Stuttgart mehr fegt als schreitet, Hannelore Schlaffer hat also ein kleines Buch über Mode geschrieben. Nicht zum ersten Mal: Schon 2005 und 2007 hat die ehemalige Professorin für Neue Deutsche Literatur an den Universitäten in Freiburg und München diesem sie offensichtlich schon lange beschäftigenden Thema schmale Schriften gewidmet. Und wie man nun liest, hat sich ihre Einstellung seither nicht wesentlich verändert.
Denn das nun erschienene "Alle meine Kleider - Arbeit am Auftritt" ist der neuerliche Abgesang auf ein Modeverständnis, das der 1939 geborenen Schlaffer wichtig war, aber heutzutage kaum mehr zu existieren scheint. Denn das Einkleiden ist für Schlaffer keine reine Privatangelegenheit, was für jemanden, der in den sechziger Jahren studiert hat, eine nachvollziehbare Einstellung ist. Mode, und zwar die getragene, nicht die auf den Laufstegen zu sehende, war und ist für Schlaffer nicht ohne politische Botschaft zu denken - "weil der neueste ,Look' sich immer sogleich mit dem verband, was der Geist an revolutionären Neuigkeiten vertrat".
Kleider bedeuten in diesem Sinn vor allem Abgrenzung vom Establishment, Aufmerksamkeit, Überraschung und Provokation. Entsprechend ist Schlaffer, wie sie in dem neuen Essay schreibt, im Laufe ihrer frühen Jahre als Lehrerin in Süddeutschland dreimal von der Schule geflogen: einmal, weil sie linke Theorien verbreitete, ein zweites Mal, weil sie beim Morgengebet die Hände nicht faltete - und schließlich auch wegen eines sehr kurzen Rocks.
Diese Brisanz, den Gedanken hinter der Garderobe vermisst die Publizistin. Und es ist durchaus so, dass sie sich dabei nicht nur an diese Epoche wehmütig erinnert, sondern auch an die eigene Jugend. Gleich mehrere Kapitel widmet Schlaffer einzelnen Kleidungsstücken - Hüten, Falten-, Rad- und Tulpenröcken beispielsweise -, die sie noch geprägt haben, die aber mittlerweile aus dem Straßenbild verschwunden sind. Sie klagt zum Ende auch völlig zu Recht den Jugendwahn der Modeindustrie an und bedauert, dass vor allem ältere Frauen es immer schwerer hätten, sich einzukleiden - weil der Welt beispielsweise das Bewusstsein für fülligere Formen, für Eleganz und edle Stoffe verlorengegangen sei.
Der Reiz ihres Essays, seine Polemik, die sich aus der zuweilen selbstironischen Klage über persönliche Liebhabereien speist, begründet indes zugleich seine Schwächen. Denn Schlaffer betrachtet die Mode, deren einzige Konstante seit jeher die Wandelbarkeit ist, von dem festen Standpunkt der Altachtundsechzigerin aus: Sie beweint Dinge, die später Geborene gar nicht mehr kennen (etwa den Gang zur "Laufmaschenreparatur"), und sie stößt sich an anderen, die in den Augen jüngerer Leser eigentlich nur Vorteile bieten.
Ein gutes Beispiel sind die Jeans: Was muss sich diese praktische Hose nicht alles anhören! Die Jeans seien "so reizvoll wie Sichtbeton", ein "Instrument der masochistischen Selbstdarstellung", das (nach dem Korsett) eine "neue Epoche der Einschnürung" eingeläutet habe: Hatte Hannelore Schlaffer früher noch viel Sympathie gerade für das Tragen von aufreizender Kleidung gezeigt, ja, mehr noch, hatte sie die kurzen Röcke und die Maßregelungen durch die jeweiligen Schuldirektionen in den Sechzigern noch als eine Stärkung ihres Selbstbewusstseins erfahren, beklagt sie nun, dass sich der weibliche Unterleib in hautengen Jeans "provozierender denn je" darstelle. "Etwas Hermaphroditisches zog in die Mode ein - sollte das die Päderastie nicht gar befördert haben? Kleine und große Mädchen laufen seither als Knaben herum."
Abgesehen davon, dass eine solch kühne These sicher bedeutet, der Mode Mächte anzudichten, die sie nicht hat, die Kleider zu über-, ihre Träger und Betrachter aber zu unterschätzen, steht Schlaffer hier auch im Widerspruch zu ihren eigenen Vorbildern. Zu denen gehört neben Kaiserin Elisabeth (weil sie zwar Kaiserin war, "aber auf der Flucht") nämlich auch Schiller. Warum? Weil Schillers Frauenfiguren, so schreibt Schlaffer, wie Männer seien (allen voran Jeanne d'Arc), weil es in seinen Dramen keinen "Unterschied des Geschlechts" gebe und er so "gerade in der Vernichtung des Körpers" zum Vorbild für Schlaffers eigene Körpergestaltung wurde. Und ausgerechnet diese (angebliche) Vernichtung wirft sie den Frauen nun vor? Sie unterstellt den Jeans mit der Förderung der Päderastie außerdem sittliche Folgen, die der Ablehnung ihrer früheren Vorgesetzten gegenüber kurzen Röcken strukturell ähnlich sind - das Problem liegt also weder in Jeans noch in Röcken, sondern im Auge des Betrachters.
Und hier fällt auf, dass Hannelore Schlaffer im Laufe ihres Essays eben einen Rollenwechsel vollzieht: von einer Frau, die einst gerne Anstoß erregte, zu einer, die Anstoß nimmt. Sie scheint das selbst zu spüren. Am Ende beschreibt sie das Befremden, das sie in einem dieser Billigmodeläden überfällt, als gemeine Hilflosigkeit einer älteren Frau angesichts einer Mode, die ihre nicht mehr ist. Schlaffers Buch ist deswegen nicht nur eines über Kleider, sondern auch über die Zeit und das Alter. Und als solches ist es gerade in seiner Empörung und seiner Widersprüchlichkeit angenehm ehrlich, traurig und gut.
LENA BOPP
Hannelore Schlaffer:
"Alle meine Kleider". Arbeit am Auftritt.
Verlag zu Klampen,
Springe 2015. 166 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ab Größe 44 wird zurückgeschossen: Hannelore Schlaffer ist wegen eines zu kurzen Rockes einst von der Schule geflogen, heute nimmt sie Anstoß an zu engen Jeans.
Hannelore Schlaffer, die nicht vergisst, wer mal gesehen hat, wie sie in ihren schwarzen Mantel gehüllt mit schwarzen, langen Haaren und schwarz umrandeten Augen durch ihr heimatliches Stuttgart mehr fegt als schreitet, Hannelore Schlaffer hat also ein kleines Buch über Mode geschrieben. Nicht zum ersten Mal: Schon 2005 und 2007 hat die ehemalige Professorin für Neue Deutsche Literatur an den Universitäten in Freiburg und München diesem sie offensichtlich schon lange beschäftigenden Thema schmale Schriften gewidmet. Und wie man nun liest, hat sich ihre Einstellung seither nicht wesentlich verändert.
Denn das nun erschienene "Alle meine Kleider - Arbeit am Auftritt" ist der neuerliche Abgesang auf ein Modeverständnis, das der 1939 geborenen Schlaffer wichtig war, aber heutzutage kaum mehr zu existieren scheint. Denn das Einkleiden ist für Schlaffer keine reine Privatangelegenheit, was für jemanden, der in den sechziger Jahren studiert hat, eine nachvollziehbare Einstellung ist. Mode, und zwar die getragene, nicht die auf den Laufstegen zu sehende, war und ist für Schlaffer nicht ohne politische Botschaft zu denken - "weil der neueste ,Look' sich immer sogleich mit dem verband, was der Geist an revolutionären Neuigkeiten vertrat".
Kleider bedeuten in diesem Sinn vor allem Abgrenzung vom Establishment, Aufmerksamkeit, Überraschung und Provokation. Entsprechend ist Schlaffer, wie sie in dem neuen Essay schreibt, im Laufe ihrer frühen Jahre als Lehrerin in Süddeutschland dreimal von der Schule geflogen: einmal, weil sie linke Theorien verbreitete, ein zweites Mal, weil sie beim Morgengebet die Hände nicht faltete - und schließlich auch wegen eines sehr kurzen Rocks.
Diese Brisanz, den Gedanken hinter der Garderobe vermisst die Publizistin. Und es ist durchaus so, dass sie sich dabei nicht nur an diese Epoche wehmütig erinnert, sondern auch an die eigene Jugend. Gleich mehrere Kapitel widmet Schlaffer einzelnen Kleidungsstücken - Hüten, Falten-, Rad- und Tulpenröcken beispielsweise -, die sie noch geprägt haben, die aber mittlerweile aus dem Straßenbild verschwunden sind. Sie klagt zum Ende auch völlig zu Recht den Jugendwahn der Modeindustrie an und bedauert, dass vor allem ältere Frauen es immer schwerer hätten, sich einzukleiden - weil der Welt beispielsweise das Bewusstsein für fülligere Formen, für Eleganz und edle Stoffe verlorengegangen sei.
Der Reiz ihres Essays, seine Polemik, die sich aus der zuweilen selbstironischen Klage über persönliche Liebhabereien speist, begründet indes zugleich seine Schwächen. Denn Schlaffer betrachtet die Mode, deren einzige Konstante seit jeher die Wandelbarkeit ist, von dem festen Standpunkt der Altachtundsechzigerin aus: Sie beweint Dinge, die später Geborene gar nicht mehr kennen (etwa den Gang zur "Laufmaschenreparatur"), und sie stößt sich an anderen, die in den Augen jüngerer Leser eigentlich nur Vorteile bieten.
Ein gutes Beispiel sind die Jeans: Was muss sich diese praktische Hose nicht alles anhören! Die Jeans seien "so reizvoll wie Sichtbeton", ein "Instrument der masochistischen Selbstdarstellung", das (nach dem Korsett) eine "neue Epoche der Einschnürung" eingeläutet habe: Hatte Hannelore Schlaffer früher noch viel Sympathie gerade für das Tragen von aufreizender Kleidung gezeigt, ja, mehr noch, hatte sie die kurzen Röcke und die Maßregelungen durch die jeweiligen Schuldirektionen in den Sechzigern noch als eine Stärkung ihres Selbstbewusstseins erfahren, beklagt sie nun, dass sich der weibliche Unterleib in hautengen Jeans "provozierender denn je" darstelle. "Etwas Hermaphroditisches zog in die Mode ein - sollte das die Päderastie nicht gar befördert haben? Kleine und große Mädchen laufen seither als Knaben herum."
Abgesehen davon, dass eine solch kühne These sicher bedeutet, der Mode Mächte anzudichten, die sie nicht hat, die Kleider zu über-, ihre Träger und Betrachter aber zu unterschätzen, steht Schlaffer hier auch im Widerspruch zu ihren eigenen Vorbildern. Zu denen gehört neben Kaiserin Elisabeth (weil sie zwar Kaiserin war, "aber auf der Flucht") nämlich auch Schiller. Warum? Weil Schillers Frauenfiguren, so schreibt Schlaffer, wie Männer seien (allen voran Jeanne d'Arc), weil es in seinen Dramen keinen "Unterschied des Geschlechts" gebe und er so "gerade in der Vernichtung des Körpers" zum Vorbild für Schlaffers eigene Körpergestaltung wurde. Und ausgerechnet diese (angebliche) Vernichtung wirft sie den Frauen nun vor? Sie unterstellt den Jeans mit der Förderung der Päderastie außerdem sittliche Folgen, die der Ablehnung ihrer früheren Vorgesetzten gegenüber kurzen Röcken strukturell ähnlich sind - das Problem liegt also weder in Jeans noch in Röcken, sondern im Auge des Betrachters.
Und hier fällt auf, dass Hannelore Schlaffer im Laufe ihres Essays eben einen Rollenwechsel vollzieht: von einer Frau, die einst gerne Anstoß erregte, zu einer, die Anstoß nimmt. Sie scheint das selbst zu spüren. Am Ende beschreibt sie das Befremden, das sie in einem dieser Billigmodeläden überfällt, als gemeine Hilflosigkeit einer älteren Frau angesichts einer Mode, die ihre nicht mehr ist. Schlaffers Buch ist deswegen nicht nur eines über Kleider, sondern auch über die Zeit und das Alter. Und als solches ist es gerade in seiner Empörung und seiner Widersprüchlichkeit angenehm ehrlich, traurig und gut.
LENA BOPP
Hannelore Schlaffer:
"Alle meine Kleider". Arbeit am Auftritt.
Verlag zu Klampen,
Springe 2015. 166 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2015Eine Schublade voller Seidenschals
Vom Rascheln der Kleider, von der Kürze der Röcke und dem Elend der Jeans:
In ihrem Essay über Mode zeigt Hannelore Schlaffer, wie sich Schönheit und Revolte, Chic und Intellektualität kombinieren lassen
VON VERENA MAYER
Wenn man als intellektuelle Frau über Mode nachdenkt, kann man eigentlich nur verlieren. Von den Männern wird man nicht für voll genommen, den Frauen kann man es ohnehin nicht recht machen. Die einen sehen sofort den Mangel an Expertise (Die weiß nicht, wie der Chef-Designer von Dior heißt!), die anderen wittern Verrat an der Sache der Frauen. Sich mit Mode zu beschäftigen, heißt ja immer, den Körper mitzudenken, auf den die Gesellschaft Frauen nun mal gerne reduziert. Umso erfreulicher, dass es Hannelore Schlaffer trotzdem gewagt hat und ihren neuesten Essayband der Mode widmet. Schlaffer, geboren 1939, war lange Professorin für Literatur, eine ihrer letzten Arbeiten handelte von der Ehe unter Intellektuellen. Zwischen Sartre und Simone de Beauvoir etwa, letztere war übrigens immer sensationell gut angezogen, obwohl sie ihre Klamotten angeblich zwischen zwei Vorlesungen auf dem Flohmarkt kaufte. Chic und Intellektualität galten lange also ebenso schwer zu kombinieren wie Dunkelblau und Schwarz.
In den ersten Kapiteln ihres dichten Textes geht es um die Beschränkungen, denen Frauen durch Mode unterlagen. Das konnten Korsette sein oder Kleiderverbote, wobei man mit Interesse liest, wie alt die Diskussion um freizügige Kleidung an Schulen schon ist, die diesen Sommer erst in der Forderung nach einem Verbot von Hotpants gipfelte. Als Hannelore Schlaffer während ihres Referendariats einen engen Rock trug, rief die Schulleiterin: „Was aus Ihnen mal wird, das möchte ich wissen!“ Sich mit Äußerlichkeiten zu befassen, galt nur für Frauen als statthaft, die einen Mann hatten, also sexuell attraktiv sein sollten. Frauen, die studierten oder gar arbeiteten, hatten diesen Status durch äußere Reizlosigkeit zu unterstreichen.
„Alle meine Kleider“ ist, wie der Titel schon sagt, eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit Mode. Hannelore Schlaffer erzählt die Kulturgeschichte von Kleidung eng an ihrer Biografie entlang. Wie es war, im Nationalsozialismus aufzuwachsen, der den männlichen wie weiblichen Körper uniformierte. Schlaffers Mutter nahm in den Bombenächten immer ihre Hutschachtel mit in den Luftschutzkeller, eine kleine Flucht in das Schöne, Überflüssige. Ihr politisches und modisches Coming-Out erlebte Schlaffer während der Studentenbewegung, als sich „Schönheit mit der Revolte verbündete“ und es in jeder Hinsicht erstrebenswert war, die neuesten Moden zu kennen. Sein und Design bestimmten das Bewusstsein.
Die Schilderungen von damals gehören zu den originellsten Teilen des Bändchens. Man muss sofort an eine andere modeverrückte Intellektuelle denken, die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, deren Sinn für Stil ebenfalls aus dieser Zeit stammt. Nicht nur, dass man Jelinek auf alten Fotos oft mit Hut und Fellmantel sieht, eine Art Venus im Pelz zwischen den 68er-Schluffis. Jelinek setzte sich immer auch literarisch mit Kleidung auseinander, einmal beschrieb sie alle ihre Schuhe und deren Geschichte. Eine Aufzählung mit doppeltem Boden, Schuhberge haben längst nichts Unschuldiges mehr. Hannelore Schlaffer streift die Literatur nur am Rande, sie trifft lieber Geschmacksurteile. Jeans findet sie unmöglich, einschnürend und „so reizvoll wie Sichtbeton, für den sich allerdings auch mancher Architekt begeistern kann“. Dafür mag sie Spitzenunterwäsche und schwingende Röcke und überhaupt alles in der Mode, das Deutungen zulässt, sowohl seitens der Trägerin als auch im Auge des Betrachters. Kleider, die genauso gut Verkleidung sein können. Immer wieder verteidigt sie das Spiel mit Äußerlichkeiten gegen jene, die darin nur Oberflächlichkeit sehen. Mode sei für Frauen immer eine Form gewesen, etwas darzustellen – in restriktiven Zeiten war es ihre einzige Möglichkeit, sich mitzuteilen. Man denke nur an die Botschaften, die Frauen im 18. Jahrhundert mit Fächern übermittelten.
Vor allem aber huldigt Schlaffer den Stoffen. Sie beschreibt das Rascheln von Kleidern und das Glück, Stoff zu berühren und darunter die Konturen eines Körpers wahrzunehmen. Es geht um Mütter, die ihre Kinder mit Selbstgenähtem oder -gekauften im wahrsten Sinn des Wortes umgarnen, und um den Trost, den eine Schublade voller Seidenschals in einer Welt aus Polyester spenden kann. Seitenweise kann Schlaffer von Stoffen erzählen, und spätestens hier wird die Auseinandersetzung mit der Mode metaphysisch. Denn Mode besteht aus Stoff, und Stoff ist Inhalt – und stofflich ist auch die ganze Welt.
Das Spiel mit Äußerlichkeiten
wird verteidigt gegen alle, die
darin nur Oberflächlichkeit sehen
Hannelore Schlaffer:
Alle meine Kleider.
Arbeit am Auftritt. Essay.
Zu Klampen, Springe 2015. 167 Seiten, 18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Vom Rascheln der Kleider, von der Kürze der Röcke und dem Elend der Jeans:
In ihrem Essay über Mode zeigt Hannelore Schlaffer, wie sich Schönheit und Revolte, Chic und Intellektualität kombinieren lassen
VON VERENA MAYER
Wenn man als intellektuelle Frau über Mode nachdenkt, kann man eigentlich nur verlieren. Von den Männern wird man nicht für voll genommen, den Frauen kann man es ohnehin nicht recht machen. Die einen sehen sofort den Mangel an Expertise (Die weiß nicht, wie der Chef-Designer von Dior heißt!), die anderen wittern Verrat an der Sache der Frauen. Sich mit Mode zu beschäftigen, heißt ja immer, den Körper mitzudenken, auf den die Gesellschaft Frauen nun mal gerne reduziert. Umso erfreulicher, dass es Hannelore Schlaffer trotzdem gewagt hat und ihren neuesten Essayband der Mode widmet. Schlaffer, geboren 1939, war lange Professorin für Literatur, eine ihrer letzten Arbeiten handelte von der Ehe unter Intellektuellen. Zwischen Sartre und Simone de Beauvoir etwa, letztere war übrigens immer sensationell gut angezogen, obwohl sie ihre Klamotten angeblich zwischen zwei Vorlesungen auf dem Flohmarkt kaufte. Chic und Intellektualität galten lange also ebenso schwer zu kombinieren wie Dunkelblau und Schwarz.
In den ersten Kapiteln ihres dichten Textes geht es um die Beschränkungen, denen Frauen durch Mode unterlagen. Das konnten Korsette sein oder Kleiderverbote, wobei man mit Interesse liest, wie alt die Diskussion um freizügige Kleidung an Schulen schon ist, die diesen Sommer erst in der Forderung nach einem Verbot von Hotpants gipfelte. Als Hannelore Schlaffer während ihres Referendariats einen engen Rock trug, rief die Schulleiterin: „Was aus Ihnen mal wird, das möchte ich wissen!“ Sich mit Äußerlichkeiten zu befassen, galt nur für Frauen als statthaft, die einen Mann hatten, also sexuell attraktiv sein sollten. Frauen, die studierten oder gar arbeiteten, hatten diesen Status durch äußere Reizlosigkeit zu unterstreichen.
„Alle meine Kleider“ ist, wie der Titel schon sagt, eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit Mode. Hannelore Schlaffer erzählt die Kulturgeschichte von Kleidung eng an ihrer Biografie entlang. Wie es war, im Nationalsozialismus aufzuwachsen, der den männlichen wie weiblichen Körper uniformierte. Schlaffers Mutter nahm in den Bombenächten immer ihre Hutschachtel mit in den Luftschutzkeller, eine kleine Flucht in das Schöne, Überflüssige. Ihr politisches und modisches Coming-Out erlebte Schlaffer während der Studentenbewegung, als sich „Schönheit mit der Revolte verbündete“ und es in jeder Hinsicht erstrebenswert war, die neuesten Moden zu kennen. Sein und Design bestimmten das Bewusstsein.
Die Schilderungen von damals gehören zu den originellsten Teilen des Bändchens. Man muss sofort an eine andere modeverrückte Intellektuelle denken, die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, deren Sinn für Stil ebenfalls aus dieser Zeit stammt. Nicht nur, dass man Jelinek auf alten Fotos oft mit Hut und Fellmantel sieht, eine Art Venus im Pelz zwischen den 68er-Schluffis. Jelinek setzte sich immer auch literarisch mit Kleidung auseinander, einmal beschrieb sie alle ihre Schuhe und deren Geschichte. Eine Aufzählung mit doppeltem Boden, Schuhberge haben längst nichts Unschuldiges mehr. Hannelore Schlaffer streift die Literatur nur am Rande, sie trifft lieber Geschmacksurteile. Jeans findet sie unmöglich, einschnürend und „so reizvoll wie Sichtbeton, für den sich allerdings auch mancher Architekt begeistern kann“. Dafür mag sie Spitzenunterwäsche und schwingende Röcke und überhaupt alles in der Mode, das Deutungen zulässt, sowohl seitens der Trägerin als auch im Auge des Betrachters. Kleider, die genauso gut Verkleidung sein können. Immer wieder verteidigt sie das Spiel mit Äußerlichkeiten gegen jene, die darin nur Oberflächlichkeit sehen. Mode sei für Frauen immer eine Form gewesen, etwas darzustellen – in restriktiven Zeiten war es ihre einzige Möglichkeit, sich mitzuteilen. Man denke nur an die Botschaften, die Frauen im 18. Jahrhundert mit Fächern übermittelten.
Vor allem aber huldigt Schlaffer den Stoffen. Sie beschreibt das Rascheln von Kleidern und das Glück, Stoff zu berühren und darunter die Konturen eines Körpers wahrzunehmen. Es geht um Mütter, die ihre Kinder mit Selbstgenähtem oder -gekauften im wahrsten Sinn des Wortes umgarnen, und um den Trost, den eine Schublade voller Seidenschals in einer Welt aus Polyester spenden kann. Seitenweise kann Schlaffer von Stoffen erzählen, und spätestens hier wird die Auseinandersetzung mit der Mode metaphysisch. Denn Mode besteht aus Stoff, und Stoff ist Inhalt – und stofflich ist auch die ganze Welt.
Das Spiel mit Äußerlichkeiten
wird verteidigt gegen alle, die
darin nur Oberflächlichkeit sehen
Hannelore Schlaffer:
Alle meine Kleider.
Arbeit am Auftritt. Essay.
Zu Klampen, Springe 2015. 167 Seiten, 18 Euro.
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