Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.11.2007Dann gibt es eben Rührei
Das Bilderbuch von Christian Duda und Julia Friese erzählt von einer besonderen Fuchsfamilie
Gewöhnliche Menschen ungewöhnliche Dinge tun lassen – diese Faustregel ist noch immer ein sehr guter Rat für Geschichtenerzähler. Ganz besonders zu Herzen genommen hat sie sich der Berliner Autor und Regisseur Christian Duda. Wobei – ganz so stimmt das natürlich auch wieder nicht. Wenn man es genau nimmt, dann lässt Duda in seinem ganz wunderbaren und ein kleines bisschen schrägen Kinderbilderbuch Alle seine Entlein nicht gewöhnliche Menschen, sondern ganz gewöhnliche Tiere ungewöhnliche Dinge tun.
Der hungrige Fuchs Konrad nämlich will eines Tages an einem See im Wald eine Ente, nun ja, kennenlernen. Das misslingt jedoch. Alles was er erbeuten kann ist ein in der Eile des Schreckens zurückgelassenes Ei. Immerhin, denkt sich Konrad, dann gibt es eben Rührei. Aber so kommt es natürlich nicht. Im Gegenteil: Aus dem Ei schlüpft gerade noch rechtzeitig ein Küken. Und weil ein kleines Küken – Konrad ist nicht dumm – einen großen Fuchs auch nicht wirklich satt machen würde, beschließt er, es vorerst mit einem Brot gut sein zu lassen. Wie viel mehr das Entchen aber schon ist als ein Happen – das dämmert ihm gar nicht viel später. Das Küken hält ihn längst für seinen Vater. Mit knurrendem Magen beschließt er, es Lorenz zu nennen: „Worauf Lorenz ,LorenzLorenz‘ sagte und Konrad auch gleich mit der Erziehung begann: Du muss nicht alles doppelt sagen. Es gilt auch, wenn du es nur einmal aussprichst. Klar?‘ – ,KlarKlar‘, lautete Lorenz Antwort. – ,Muss wohl so ein Ententick sein!‘, überlegte Konrad und Lorenz sagte: ,QuackQuack.‘”
So ist mit leichter Hand ein Konflikt entworfen, dessen erstaunlicher Entwicklung man gespannt folgen muss: Fressen – oder nicht gefressen werden. Das ist die Frage. Denn der Fuchs Konrad bleibt ein Fuchs. Bei aller Liebe. Und er weiß es: „Niemand vergisst, dass er Hunger hat.”
Zum Ereignis machen das Buch jedoch die wuchtigen, lebendigen Illustrationen der in Dublin lebenden jungen Leipziger Grafikerin Julia Friese. Es sind geklebte, gerissene, gemalte Collagen dabei, genauso aber auch eilig skizzierte, kaum kolorierte Kohle-Szenen und große bunte Kreide- und Wasserfarben-Bilder. Es gibt eine Menge zu entdecken auf den Seiten dieses Buchs, überladen wirken sie trotzdem nie. Mal visualisieren die Bilder liebevoll zurückhaltend den Text, mal entführen sie den Betrachter für eine Doppelseite ganz in ihre Welt. Was für ein schönes, kluges, lustiges Buch!
JENS-CHRISTIAN RABE
CHRISTIAN DUDA, JULIA FRIESE: Alle seine Entlein. Bajazzo 2007. 60 Seiten, 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Das Bilderbuch von Christian Duda und Julia Friese erzählt von einer besonderen Fuchsfamilie
Gewöhnliche Menschen ungewöhnliche Dinge tun lassen – diese Faustregel ist noch immer ein sehr guter Rat für Geschichtenerzähler. Ganz besonders zu Herzen genommen hat sie sich der Berliner Autor und Regisseur Christian Duda. Wobei – ganz so stimmt das natürlich auch wieder nicht. Wenn man es genau nimmt, dann lässt Duda in seinem ganz wunderbaren und ein kleines bisschen schrägen Kinderbilderbuch Alle seine Entlein nicht gewöhnliche Menschen, sondern ganz gewöhnliche Tiere ungewöhnliche Dinge tun.
Der hungrige Fuchs Konrad nämlich will eines Tages an einem See im Wald eine Ente, nun ja, kennenlernen. Das misslingt jedoch. Alles was er erbeuten kann ist ein in der Eile des Schreckens zurückgelassenes Ei. Immerhin, denkt sich Konrad, dann gibt es eben Rührei. Aber so kommt es natürlich nicht. Im Gegenteil: Aus dem Ei schlüpft gerade noch rechtzeitig ein Küken. Und weil ein kleines Küken – Konrad ist nicht dumm – einen großen Fuchs auch nicht wirklich satt machen würde, beschließt er, es vorerst mit einem Brot gut sein zu lassen. Wie viel mehr das Entchen aber schon ist als ein Happen – das dämmert ihm gar nicht viel später. Das Küken hält ihn längst für seinen Vater. Mit knurrendem Magen beschließt er, es Lorenz zu nennen: „Worauf Lorenz ,LorenzLorenz‘ sagte und Konrad auch gleich mit der Erziehung begann: Du muss nicht alles doppelt sagen. Es gilt auch, wenn du es nur einmal aussprichst. Klar?‘ – ,KlarKlar‘, lautete Lorenz Antwort. – ,Muss wohl so ein Ententick sein!‘, überlegte Konrad und Lorenz sagte: ,QuackQuack.‘”
So ist mit leichter Hand ein Konflikt entworfen, dessen erstaunlicher Entwicklung man gespannt folgen muss: Fressen – oder nicht gefressen werden. Das ist die Frage. Denn der Fuchs Konrad bleibt ein Fuchs. Bei aller Liebe. Und er weiß es: „Niemand vergisst, dass er Hunger hat.”
Zum Ereignis machen das Buch jedoch die wuchtigen, lebendigen Illustrationen der in Dublin lebenden jungen Leipziger Grafikerin Julia Friese. Es sind geklebte, gerissene, gemalte Collagen dabei, genauso aber auch eilig skizzierte, kaum kolorierte Kohle-Szenen und große bunte Kreide- und Wasserfarben-Bilder. Es gibt eine Menge zu entdecken auf den Seiten dieses Buchs, überladen wirken sie trotzdem nie. Mal visualisieren die Bilder liebevoll zurückhaltend den Text, mal entführen sie den Betrachter für eine Doppelseite ganz in ihre Welt. Was für ein schönes, kluges, lustiges Buch!
JENS-CHRISTIAN RABE
CHRISTIAN DUDA, JULIA FRIESE: Alle seine Entlein. Bajazzo 2007. 60 Seiten, 16,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2007Warte nur, du Entenbraten!
Ein Fuchs spielt Vater / Von Silke Schnettler
Er hat Hunger, großen Hunger. Niemals vergisst er, dass er Hunger hat. Vor allem abends, denn da erzählt ein knurrender Magen die tollsten Geschichten.
So erlebt es der Fuchs Konrad in Christian Dudas und Julia Frieses Bilderbuch "Alle seine Entlein". Was also unternimmt er? Er schnappt sich die nächstbeste Ente und frisst sie mit Haut und Federn - sollte man meinen. Doch diese Geschichte geht anders.
Als Konrad eine Ente aufstöbert, kann sie entkommen, lässt aber ein Ei zurück. Aus dem schlüpft ein kleiner Enterich. Das Küken quakt "MuttiMutti" und watschelt hinter Konrad her. Der kann die Anrede gerade noch in "PapaPapa" umbiegen und nennt seinen schmächtigen Ziehsohn folgerichtig Lorenz. Konrad will das Projekt Entenbraten verschieben, bis Lorenz Fleisch angesetzt hat, und spielt vorerst Vater - mit ständigem Bauchgrummeln.
"Alle seine Entlein" ist eine kluge Etüde über die Frage, ob wir jedem unserer Impulse folgen müssen oder in welchem Maße wir frei entscheiden können, wenn uns der Magen knurrt. Konrads Trieb ist mal mehr, mal weniger präsent, aber nie weg.
Und der Autor Christian Duda sorgt dafür, dass wir nie vergessen, was der Fuchs eigentlich vorhat: wenn Konrad sich missmutig Gänseschmalz-Brote schmiert, wenn sein Magen ein Liedchen brummt, wenn vor seinem inneren Auge ein Gänsebraten-Rezept auftaucht. Auch auf den Bildern ist der Hunger immer wieder zu sehen, als weißes Oval, dort, wo der Fuchs seinen Magen hat. Oder, wenn er es kaum noch aushält, als großes schwarzes Loch. Im Film wäre man hier an Alfred Hitchcocks berühmten Satz erinnert, dass die wahre Spannung nicht in der Detonation einer Kofferbombe wurzelt, sondern in dem Umstand, dass jemand einen Koffer mit sich trägt und wir wissen, dass in ihm eine Bombe tickt. Und? Wann passiert es endlich?
Selten liest man ein Buch, in dem die Bilder den Text nicht einfach illustrieren, sondern beide miteinander Pingpong spielen. Die Erzählung beginnt gemütlich: "In einem Wald saß am Ufer eines Sees eine Ente." Zu sehen ist sie aber erst auf der nächsten Doppelseite. Wir erfahren, dass die Ente brütet, und bekommen Konrad vorgestellt. Beim nächsten Umblättern dann der Schock: Auf einer Doppelseite ohne Text fällt ein blutroter Fuchs über eine Ente her. Federn fliegen, sie entkommt dem Riesenmaul nur knapp. Julia Frieses Bild hat eine enorme Dynamik, weil sie die Bewegungsfolgen eingefangen hat, als würde man eine Trickfilm-Bildreihe übereinanderlegen. Wir sehen, wie der Fuchs sich ranpirscht, zuschlägt, wie die Ente brütet, panisch aufquakt und wegflattert. Die Illustratorin kratzt, drückt Pinsel und Bleistift mit viel Kraft aufs Papier, collagiert, überklebt, radiert Vorzeichnungen nicht aus und verleiht den Bildern so eine enorme Energie. Alles wirkt ein bisschen grob, dreckig - und auch das flauschige kleine Küken, das aus dem Ei schlüpft, ist niemals kitschig.
Dies gilt auch für das überraschende Ende. Obwohl man schon sehr hartherzig sein muss, um davon nicht gerührt zu werden.
Christian Duda, Julia Friese: Alle seine Entlein. Bajazzo Verlag, Zürich 2007. 60 S., Abb., geb., 16,90 [Euro]. Ab 5 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Fuchs spielt Vater / Von Silke Schnettler
Er hat Hunger, großen Hunger. Niemals vergisst er, dass er Hunger hat. Vor allem abends, denn da erzählt ein knurrender Magen die tollsten Geschichten.
So erlebt es der Fuchs Konrad in Christian Dudas und Julia Frieses Bilderbuch "Alle seine Entlein". Was also unternimmt er? Er schnappt sich die nächstbeste Ente und frisst sie mit Haut und Federn - sollte man meinen. Doch diese Geschichte geht anders.
Als Konrad eine Ente aufstöbert, kann sie entkommen, lässt aber ein Ei zurück. Aus dem schlüpft ein kleiner Enterich. Das Küken quakt "MuttiMutti" und watschelt hinter Konrad her. Der kann die Anrede gerade noch in "PapaPapa" umbiegen und nennt seinen schmächtigen Ziehsohn folgerichtig Lorenz. Konrad will das Projekt Entenbraten verschieben, bis Lorenz Fleisch angesetzt hat, und spielt vorerst Vater - mit ständigem Bauchgrummeln.
"Alle seine Entlein" ist eine kluge Etüde über die Frage, ob wir jedem unserer Impulse folgen müssen oder in welchem Maße wir frei entscheiden können, wenn uns der Magen knurrt. Konrads Trieb ist mal mehr, mal weniger präsent, aber nie weg.
Und der Autor Christian Duda sorgt dafür, dass wir nie vergessen, was der Fuchs eigentlich vorhat: wenn Konrad sich missmutig Gänseschmalz-Brote schmiert, wenn sein Magen ein Liedchen brummt, wenn vor seinem inneren Auge ein Gänsebraten-Rezept auftaucht. Auch auf den Bildern ist der Hunger immer wieder zu sehen, als weißes Oval, dort, wo der Fuchs seinen Magen hat. Oder, wenn er es kaum noch aushält, als großes schwarzes Loch. Im Film wäre man hier an Alfred Hitchcocks berühmten Satz erinnert, dass die wahre Spannung nicht in der Detonation einer Kofferbombe wurzelt, sondern in dem Umstand, dass jemand einen Koffer mit sich trägt und wir wissen, dass in ihm eine Bombe tickt. Und? Wann passiert es endlich?
Selten liest man ein Buch, in dem die Bilder den Text nicht einfach illustrieren, sondern beide miteinander Pingpong spielen. Die Erzählung beginnt gemütlich: "In einem Wald saß am Ufer eines Sees eine Ente." Zu sehen ist sie aber erst auf der nächsten Doppelseite. Wir erfahren, dass die Ente brütet, und bekommen Konrad vorgestellt. Beim nächsten Umblättern dann der Schock: Auf einer Doppelseite ohne Text fällt ein blutroter Fuchs über eine Ente her. Federn fliegen, sie entkommt dem Riesenmaul nur knapp. Julia Frieses Bild hat eine enorme Dynamik, weil sie die Bewegungsfolgen eingefangen hat, als würde man eine Trickfilm-Bildreihe übereinanderlegen. Wir sehen, wie der Fuchs sich ranpirscht, zuschlägt, wie die Ente brütet, panisch aufquakt und wegflattert. Die Illustratorin kratzt, drückt Pinsel und Bleistift mit viel Kraft aufs Papier, collagiert, überklebt, radiert Vorzeichnungen nicht aus und verleiht den Bildern so eine enorme Energie. Alles wirkt ein bisschen grob, dreckig - und auch das flauschige kleine Küken, das aus dem Ei schlüpft, ist niemals kitschig.
Dies gilt auch für das überraschende Ende. Obwohl man schon sehr hartherzig sein muss, um davon nicht gerührt zu werden.
Christian Duda, Julia Friese: Alle seine Entlein. Bajazzo Verlag, Zürich 2007. 60 S., Abb., geb., 16,90 [Euro]. Ab 5 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Inwieweit muss man den eigenen Instinkten folgen, diese Frage beantwortet "Alle seine Entlein" auf ansprechende und "kluge" Art, wenn man Silke Schnettler glauben darf. Ein Fuchs zieht ein Entenküken auf, und zwar in der Absicht, es später zu fressen. Den besonderen Vorzug des aus dieser Idee entstandenen Buches entdeckt Schnettler in der vorbildlichen Ergänzung von Wort und Bild. Wobei sie nur auf die Illustrationen Julia Frieses genauer eingeht, die nie klinisch, sondern immer "ein bisschen grob" wirken. Aus ihnen ströme eine "enorme Energie", befördert durch verschiedene Maltechniken, Collagen, Überklebungen, Halbfertiges und Überbetontes. Selbst beim Entenjungen schaffe es Friese so, nie ins Süßliche abzugleiten. Eine Empfehlung, ohne Einschränkungen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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