Sie kennen Emmi Rothner und Leo Leike? Dann haben Sie also "Gut gegen Nordwind" gelesen, jene ungewöhnliche Liebesgeschichte, in der sich zwei Menschen, die einander nie gesehen haben, per E-Mail rettungslos verlieben. Zweitens: Für Sie ist die Geschichte von Emmi und Leo und ihrer unerfüllten Liebe abgeschlossen. Mag sein. Aber nicht für Emmi und Leo! Drittens: Sie sind der Ansicht, dass die Liebenden zumindest eine einzige wirkliche Begegnung verdient hätten und der Roman eine zweite Chance auf ein anderes Ende? Bitte, hier haben Sie's! Viertens: Sie haben keine Ahnung, wovon hier die Rede ist? Kein Problem. In diesem Buch erfahren Sie alles: von Leos Rückkehr aus Boston, von Emmis Eheproblemen und von der siebenten Welle, die immer für Überraschungen gut ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2009Sie mailen wieder!
Daniel Glattauer entlässt sein E-Paar ins Leben
Von Sandra Kegel
Er hatte es vorausgesehen und konnte der Versuchung doch nicht widerstehen. Immer wieder ist Daniel Glattauer nach dem Erfolg seines Romans "Gut gegen Nordwind" (2006) gefragt worden, ob er nicht eine Fortsetzung schreiben wolle, um Leo Leike und Emmi Rothner eine letzte Chance zu geben. Die beiden, die sich durch einen Tippfehler in der Adresszeile zufällig per E-Mail kennenlernten und dann über Monate hinweg in Hunderten Outlook-Botschaften eine glühende Konversation führten, hatten den Schritt aus dem virtuellen Schützengraben ins wirkliche Leben bis zur letzten Seite gescheut. "Natürlich" werde es keine Fortsetzung geben, beteuerte der achtundvierzigjährige Wiener Autor ein ums andere Mal: Weil das Ende an Endgültigkeit nicht zu überbieten sei und eine Idee nicht besser werde, wenn man sie ein zweites Mal hat.
Wahr gesprochen, zumal wenn eine Idee beim ersten Mal so trefflich aufging: In "Gut gegen Nordwind" hat Glattauer den klassischen Briefroman eins zu eins in eine E-Mail-Korrespondenz übertragen, samt Betreffzeile und "AW"- und "RE"-Hinweisen, meist so knapp formuliert, wie Mails eben sind, aber wenn es richtig ernst wurde, auch mal über viele Seiten hinweg. Zeitangaben wie "Acht Sekunden später" oder "zwei Tage später" gaben den Takt vor. Rückblickend ist es erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, bis sich ein Autor dem E-Mail-Roman zuwandte - schließlich verbringt der durchschnittliche Europäer heute immerhin zwei Stunden täglich mit Lesen und Schreiben von E-Mails.
Emmi Rothner und Leo Leike überbieten in ihrer so wortreichen wie handlungsarmen Liebesgeschichte die Statistik freilich um einiges. Viel erfährt man trotzdem nicht über sie, auch nicht in der Fortsetzung "Alle sieben Wellen", die Glattauer jetzt wider besseres Wissen vorgelegt hat: Sie ist mit einem Musikprofessor verheiratet, der zwei Kinder in die Ehe brachte, und arbeitet als Web-Designerin. Er ist ein Universitätsassistent für Sprachpsychologie, dessen Beziehungen allzu schnell in die Brüche gehen. Da die E-Mails der beiden den Blick fast ausschließlich auf die Innenwelten richten, ist es nicht weiter von Belang, wie sie leben, was ihnen bei der Arbeit widerfährt, bei Familienfesten, eben im Alltag. Zumal Emmi und Leo ihr Leben genaugenommen voreinander verbergen wollen und ihre virtuelle Deckung fast nie verlassen. Was sich in den temporeichen Wortwechseln indes beobachten lässt, ist die allmähliche Verfertigung der Gefühle beim Schreiben. Der Schlagabtausch intellektueller Eitelkeiten, aber auch Selbstzweifel, Eifersucht und Einsamkeit - das liest sich auch im Leo-Emmi-Aufguss noch leicht, ohne flach zu sein. Trotzdem hat der Autor seine Idee verspielt.
"Gut gegen Nordwind" war der Versuch, in unserer sterilen, allzu prosaischen Welt von der altmodischen Sehnsucht zu erzählen. Die erzählerische Dramaturgie setzte dafür die Abwesenheit des Umworbenen voraus; das Verzehren nach dem Anderen war Grundmovens des Geschehens. Die Frage, ob sie sich am Ende nun kriegen oder nicht, war nicht entscheidend. Die Spannung entstand vielmehr durch das Versteckspiel der beiden, die zueinander wollten und es sich doch nicht gestatteten, dadurch, wie der virtuelle Prozess Begehren und Begehrlichkeiten weckt. In ihren elektronischen Botschaften, die gerade dann von beißendem Witz sind, wenn es ihnen besonders ernst ist, trugen Leo und Emmi in Wahrheit die Masken von Liebenden und spielten, nicht ohne Spaß an der Sache, mit den Versatzstücken großer Gefühle.
In "Alle sieben Wellen" ist dieser Zauber verflogen, schon weil Emmi und Leo, die sich nach einigen Monaten Kontaktsperre nun wieder schreiben, auch verabreden - und dieses Treffen tatsächlich zustande kommt. Zwar sind ihre E-Mails noch immer von lakonischer Schlagfertigkeit, aber der Reiz ihres Universums, das allein in der Imagination existierte, ist verblasst. Jetzt blicken wir in die ganz normalen Abgründe, die sich auftun, wenn eine verheiratete Frau darüber nachdenkt, ihre Familie für einen anderen zu verlassen, und ein Liebender die Konsequenzen dieses Handelns fürchtet. "Gut gegen Nordwind" hatte in der Hörbuchfassung mit Andrea Sawatzki und Christian Berkel kongeniale Vorleser gefunden, weil das Hören der Wortschlachten noch stärker elektrisierte als das Lesen. Auch "Alle sieben Wellen" gibt es schon von ihnen gesprochen, aber diesmal stehen die Schauspieler, ganz wie Emmi und Leo, auf verlorenem Posten.
Daniel Glattauer: "Alle sieben Wellen". Roman. Deuticke Verlag, Wien 2009. 224 S., geb. 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Daniel Glattauer entlässt sein E-Paar ins Leben
Von Sandra Kegel
Er hatte es vorausgesehen und konnte der Versuchung doch nicht widerstehen. Immer wieder ist Daniel Glattauer nach dem Erfolg seines Romans "Gut gegen Nordwind" (2006) gefragt worden, ob er nicht eine Fortsetzung schreiben wolle, um Leo Leike und Emmi Rothner eine letzte Chance zu geben. Die beiden, die sich durch einen Tippfehler in der Adresszeile zufällig per E-Mail kennenlernten und dann über Monate hinweg in Hunderten Outlook-Botschaften eine glühende Konversation führten, hatten den Schritt aus dem virtuellen Schützengraben ins wirkliche Leben bis zur letzten Seite gescheut. "Natürlich" werde es keine Fortsetzung geben, beteuerte der achtundvierzigjährige Wiener Autor ein ums andere Mal: Weil das Ende an Endgültigkeit nicht zu überbieten sei und eine Idee nicht besser werde, wenn man sie ein zweites Mal hat.
Wahr gesprochen, zumal wenn eine Idee beim ersten Mal so trefflich aufging: In "Gut gegen Nordwind" hat Glattauer den klassischen Briefroman eins zu eins in eine E-Mail-Korrespondenz übertragen, samt Betreffzeile und "AW"- und "RE"-Hinweisen, meist so knapp formuliert, wie Mails eben sind, aber wenn es richtig ernst wurde, auch mal über viele Seiten hinweg. Zeitangaben wie "Acht Sekunden später" oder "zwei Tage später" gaben den Takt vor. Rückblickend ist es erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, bis sich ein Autor dem E-Mail-Roman zuwandte - schließlich verbringt der durchschnittliche Europäer heute immerhin zwei Stunden täglich mit Lesen und Schreiben von E-Mails.
Emmi Rothner und Leo Leike überbieten in ihrer so wortreichen wie handlungsarmen Liebesgeschichte die Statistik freilich um einiges. Viel erfährt man trotzdem nicht über sie, auch nicht in der Fortsetzung "Alle sieben Wellen", die Glattauer jetzt wider besseres Wissen vorgelegt hat: Sie ist mit einem Musikprofessor verheiratet, der zwei Kinder in die Ehe brachte, und arbeitet als Web-Designerin. Er ist ein Universitätsassistent für Sprachpsychologie, dessen Beziehungen allzu schnell in die Brüche gehen. Da die E-Mails der beiden den Blick fast ausschließlich auf die Innenwelten richten, ist es nicht weiter von Belang, wie sie leben, was ihnen bei der Arbeit widerfährt, bei Familienfesten, eben im Alltag. Zumal Emmi und Leo ihr Leben genaugenommen voreinander verbergen wollen und ihre virtuelle Deckung fast nie verlassen. Was sich in den temporeichen Wortwechseln indes beobachten lässt, ist die allmähliche Verfertigung der Gefühle beim Schreiben. Der Schlagabtausch intellektueller Eitelkeiten, aber auch Selbstzweifel, Eifersucht und Einsamkeit - das liest sich auch im Leo-Emmi-Aufguss noch leicht, ohne flach zu sein. Trotzdem hat der Autor seine Idee verspielt.
"Gut gegen Nordwind" war der Versuch, in unserer sterilen, allzu prosaischen Welt von der altmodischen Sehnsucht zu erzählen. Die erzählerische Dramaturgie setzte dafür die Abwesenheit des Umworbenen voraus; das Verzehren nach dem Anderen war Grundmovens des Geschehens. Die Frage, ob sie sich am Ende nun kriegen oder nicht, war nicht entscheidend. Die Spannung entstand vielmehr durch das Versteckspiel der beiden, die zueinander wollten und es sich doch nicht gestatteten, dadurch, wie der virtuelle Prozess Begehren und Begehrlichkeiten weckt. In ihren elektronischen Botschaften, die gerade dann von beißendem Witz sind, wenn es ihnen besonders ernst ist, trugen Leo und Emmi in Wahrheit die Masken von Liebenden und spielten, nicht ohne Spaß an der Sache, mit den Versatzstücken großer Gefühle.
In "Alle sieben Wellen" ist dieser Zauber verflogen, schon weil Emmi und Leo, die sich nach einigen Monaten Kontaktsperre nun wieder schreiben, auch verabreden - und dieses Treffen tatsächlich zustande kommt. Zwar sind ihre E-Mails noch immer von lakonischer Schlagfertigkeit, aber der Reiz ihres Universums, das allein in der Imagination existierte, ist verblasst. Jetzt blicken wir in die ganz normalen Abgründe, die sich auftun, wenn eine verheiratete Frau darüber nachdenkt, ihre Familie für einen anderen zu verlassen, und ein Liebender die Konsequenzen dieses Handelns fürchtet. "Gut gegen Nordwind" hatte in der Hörbuchfassung mit Andrea Sawatzki und Christian Berkel kongeniale Vorleser gefunden, weil das Hören der Wortschlachten noch stärker elektrisierte als das Lesen. Auch "Alle sieben Wellen" gibt es schon von ihnen gesprochen, aber diesmal stehen die Schauspieler, ganz wie Emmi und Leo, auf verlorenem Posten.
Daniel Glattauer: "Alle sieben Wellen". Roman. Deuticke Verlag, Wien 2009. 224 S., geb. 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Ausufernde Dialoge wie bei Rosamunde Pilcher, deren Dramaturgie allerdings bei Samuel Beckett abgeschaut sei, haben Rezensentin Judith Luig die Lektüre dieses, (aus Sicht eines Mannes geschriebenen) Liebesromans nicht immer leicht gemacht. Wie sie schreibt, knüpft Daniel Glattauer hier an sein bestsellendes Buch "Gut gegen Nordwind" an. Allzu hohe Ansprüche scheinen hier, trotz des Stichworts "Beckett", allerdings nicht erfüllt zu werden: eine "durch Klischees und leicht durchschaubare Effekte" geprägte Sprache, wenig ausformulierte Gedanken und erst recht keine spezielle Einführung der Protagonisten, die wohl als bekannt vorausgesetzt würden. Trotzdem wird die Geschichte aus Sicht der Rezensentin an der Stelle interessant, als das Paar, das sich im Wesentlichen durch Email-Kommunikation näher gekommen ist, nun eine reale Begegnung plant. Aber nur dort, wo der Roman die Untiefen der digitalen Kommunikation auslote, sei er spannend, sonst auf Grund seines konservativen Rollenbildes eher unter "Opium des Patriarchats" zu verbuchen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Reicht es, wenn ich an dieser Stelle statt einer Bewertung einfach mindestens ein Dutzend Ausrufezeichen mache? Reicht es, wenn ich, bei allem was mir lieb ist, versichere, dass dieser neue E-Mail-Roman von Daniel Glattauer genauso schön ist wie sein erster? Das muss einfach reichen." Christine Westermann, frauTV, 28.01.09
"Der Sound ist wieder da und entwickelt seinen vertrauten Sog... Glattauers Dialogtechnik ist frappierend, raffiniert der Einsatz dessen, was beim Theater Bühnenanweisungen sind....Das ist gekonnte Prosa auf der Höhe der Zeit." Martin Ebel, Tages-Anzeiger, 10.02.09
"Es ist ein großes Vergnügen, die Entwicklung dieser wunderbaren Romanze zu verfolgen, übrigens auch ein sprachliches, selten treten banale Satzzeichen so beredt in einem Text auf. Dieses seltsame Paar führt einen ebenso feinsinningen wie herzerwärmenden Dialog, der seine Leser bis zum romantischen Ende fasziniert und berührt." Jeannette Stickler, Mannheimer Morgen, 25.03.09
"Glattauer gelingt ein Rausch, der an Intensität seinesgleichen sucht." Julia Schaaf, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.04.09
"Glattauer lässt die Verspieltheit des Anfangs in den Hintergrund treten. Jetzt wird mehr gehadert. Gleichzeitig wenden beide nach wie vor viel Fantasie, Witz und Energie auf, um einander zur Fortsetzung zu verführen. Daniel Glattauer lässt sie ernster sein, ohne dem Buch seine Leichtigkeit zu nehmen... Und er gewinnt dem neuen Ton dieselbe Sogwirkung an." Julia Kospach, Der Bund, 07.03.09
"Der Sound ist wieder da und entwickelt seinen vertrauten Sog... Glattauers Dialogtechnik ist frappierend, raffiniert der Einsatz dessen, was beim Theater Bühnenanweisungen sind....Das ist gekonnte Prosa auf der Höhe der Zeit." Martin Ebel, Tages-Anzeiger, 10.02.09
"Es ist ein großes Vergnügen, die Entwicklung dieser wunderbaren Romanze zu verfolgen, übrigens auch ein sprachliches, selten treten banale Satzzeichen so beredt in einem Text auf. Dieses seltsame Paar führt einen ebenso feinsinningen wie herzerwärmenden Dialog, der seine Leser bis zum romantischen Ende fasziniert und berührt." Jeannette Stickler, Mannheimer Morgen, 25.03.09
"Glattauer gelingt ein Rausch, der an Intensität seinesgleichen sucht." Julia Schaaf, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.04.09
"Glattauer lässt die Verspieltheit des Anfangs in den Hintergrund treten. Jetzt wird mehr gehadert. Gleichzeitig wenden beide nach wie vor viel Fantasie, Witz und Energie auf, um einander zur Fortsetzung zu verführen. Daniel Glattauer lässt sie ernster sein, ohne dem Buch seine Leichtigkeit zu nehmen... Und er gewinnt dem neuen Ton dieselbe Sogwirkung an." Julia Kospach, Der Bund, 07.03.09