In seinem neuen Buch "Alle Wege führen nach Wien" läßt der Wiener Autor Dietmar Grieser den Leser in seine Werkstatt blicken, und da ihn sein Beruf in Jahren unermüdlicher Spurensicherung mehrmals um den Erdball geführt hat, kann er, wenn er von seinen Erfahrungen, seinen Begegnungen und Abenteuern erzählt, tatsächlich aus dem vollen schöpfen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.01.2000Europa
"Alle Wege führen nach Wien. Abenteuer eines Literaturtouristen" von Dietmar Grieser. Insel Taschenbuch 2543. Insel Verlag, Frankfurt und Leipzig 1999. 256 Seiten. Broschiert, 16,80 Mark.
Niemand sollte ihn gering schätzen. Der Sachbuchautor Dietmar Grieser verdankt seinen Erfolg als literarischer Schauplatzforscher Talent und harter Arbeit. Er hat eine fast untrügliche Spürnase, recherchiert genau und schreibt ein kultiviertes Deutsch. Kurzum: Er ist der ideale Bildungsreiseschriftsteller. Kein Wunder, dass ihm eine große Verehrerschar anhängt. Für dieses Publikum hat er einen Band in eigener Sache geschrieben, einen Werkstattbericht. Der einleitende Anekdoten-Kranz über Stunden des Triumphs und Schrecksekunden kleiner Niederlagen bei Leseabenden dürfte in der Tat vor allem seine Fans interessieren. Und in den Tagebuchaufzeichnungen zum Schluss - über eine Tournee durch England, Schottland und Irland - schwingt schon ein Ton von Thomas-Mann'scher Hochherrschaftlichkeit mit. Aufschlussreicher für den Leser außerhalb der Grieser-Gemeinde wirken die autobiographischen Ansätze dieses überzeugten Wahlwieners. Trotz erheblicher Diskretion des Verfassers zeichnen sich die Konturen eines keineswegs unsympathischen Psychogramms ab. Dass Hugo von Hofmannsthal "Töchter" nachgesagt werden, er hatte nur eine, kann ein Druckfehler sein. Indes macht, in ganz anderem Zusammenhang, die Formulierung "über Sprach- und Rassegrenzen hinweg" stutzig. Das ist nicht Griesers Stil, eher derjenige des von ihm ausführlich gerühmten Lehrers und Feuilletonkundlers Wilmont Haacke. Der war nämlich im Dritten Reich ein charmanter Antisemit. Darüber aber erfährt man im dankbaren Rückblick des Schülers naturgemäß kein Sterbenswörtchen. Dass der begnadete Spurensucher Dietmar Grieser ausgerechnet davon nichts gewusst hat, ist unwahrscheinlich. (u. we.)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Alle Wege führen nach Wien. Abenteuer eines Literaturtouristen" von Dietmar Grieser. Insel Taschenbuch 2543. Insel Verlag, Frankfurt und Leipzig 1999. 256 Seiten. Broschiert, 16,80 Mark.
Niemand sollte ihn gering schätzen. Der Sachbuchautor Dietmar Grieser verdankt seinen Erfolg als literarischer Schauplatzforscher Talent und harter Arbeit. Er hat eine fast untrügliche Spürnase, recherchiert genau und schreibt ein kultiviertes Deutsch. Kurzum: Er ist der ideale Bildungsreiseschriftsteller. Kein Wunder, dass ihm eine große Verehrerschar anhängt. Für dieses Publikum hat er einen Band in eigener Sache geschrieben, einen Werkstattbericht. Der einleitende Anekdoten-Kranz über Stunden des Triumphs und Schrecksekunden kleiner Niederlagen bei Leseabenden dürfte in der Tat vor allem seine Fans interessieren. Und in den Tagebuchaufzeichnungen zum Schluss - über eine Tournee durch England, Schottland und Irland - schwingt schon ein Ton von Thomas-Mann'scher Hochherrschaftlichkeit mit. Aufschlussreicher für den Leser außerhalb der Grieser-Gemeinde wirken die autobiographischen Ansätze dieses überzeugten Wahlwieners. Trotz erheblicher Diskretion des Verfassers zeichnen sich die Konturen eines keineswegs unsympathischen Psychogramms ab. Dass Hugo von Hofmannsthal "Töchter" nachgesagt werden, er hatte nur eine, kann ein Druckfehler sein. Indes macht, in ganz anderem Zusammenhang, die Formulierung "über Sprach- und Rassegrenzen hinweg" stutzig. Das ist nicht Griesers Stil, eher derjenige des von ihm ausführlich gerühmten Lehrers und Feuilletonkundlers Wilmont Haacke. Der war nämlich im Dritten Reich ein charmanter Antisemit. Darüber aber erfährt man im dankbaren Rückblick des Schülers naturgemäß kein Sterbenswörtchen. Dass der begnadete Spurensucher Dietmar Grieser ausgerechnet davon nichts gewusst hat, ist unwahrscheinlich. (u. we.)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main