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Verschlüsselte Bootschaften von der Front, Briefe aus dem Gefängnis, erschütternde Bekenntnisse vom Krankenlager: Lebenszeugnisse eines Dichters, der mit seinem Stück Draußen vor der Tür zum wichtigsten Autor der deutschen Nachkriegsliteratur wurde.

Produktbeschreibung
Verschlüsselte Bootschaften von der Front, Briefe aus dem Gefängnis, erschütternde Bekenntnisse vom Krankenlager: Lebenszeugnisse eines Dichters, der mit seinem Stück Draußen vor der Tür zum wichtigsten Autor der deutschen Nachkriegsliteratur wurde.
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Autorenporträt
Geboren am 20.5.1921. Borchert war zunächst Buchhändler und Schauspieler. 1941 wurde er als Soldat an die Ostfront verlegt; zwei Mal wurde er wegen "Zersetzung" zu Haftstrafen verurteilt. Als er 1945 nach Hamburg zurückkam, war er bereits schwerkrank. Am 20. 11. 1947 starb er, gerade 26 Jahre alt, in Basel. Wie kein anderer artikulierte er in seinen von Melancholie durchzogenen Gedichten und Erzählungen die Bitterkeit und Trauer einer "verratenen Generation". Die Erzählung "Die Hundeblume" machte ihn mit einem Schlag berühmt: In ihr ist das traumatische Erlebnis der Gefangenschaft auf eine immer neu variierte Situation reduziert: den täglichen Hofgang der Gefangenen. Seinen größten Erfolg erzielte er mit seinem in ungeheurer Intensität gehaltenen Drama "Draußen vor der Tür", das, zunächst als Hörspiel gesendet, einen Tag nach seinem Tod in den Hamburger Kammerspielen uraufgeführt wurde. Wolfgang Borchert gilt als Repräsentant der sog. "Trümmerliteratur" und Wegbereiter der Nachkriegsli
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.1996

Ich laufe schon mal voraus
Zwischen Chaos und Kosmos: Neues von Wolfgang Borchert

Er vereinigte alles, woraus sich nach dem Zweiten Weltkrieg der Inbegriff des jungen Kriegs- und Nachkriegsdichters bilden konnte. Er war das Opfer ruinösen Frontdienstes und nationalsozialistischer Unrechtsjustiz, ihm blieben nur ein paar Jahre eruptiven Schaffens, er rang seine Dichtung einem fiebergeschüttelten Körper ab und starb im Alter von nur sechsundzwanzig Jahren. Wolfgang Borchert tritt in die deutsche Literatur ein wie ein Meteor, leuchtet auf und erlischt wieder - darin Georg Büchner vergleichbar. Und nicht von ungefähr hat man in Borcherts Figur des Unteroffiziers Beckmann ein zeitgenössisches Seitenstück zu Woyzeck sehen wollen.

Dies ist die kurze Berufs- und die lange Leidensgeschichte Borcherts: Buchhandelslehre in Hamburg, Schauspielunterricht und ein paar Monate Landes- und Wanderbühne, seit Oktober 1941 an der Ostfront, erkrankt und verwundet, wegen Äußerungen "gegen Staat und Partei" zweimal zu Gefängnis und Frontbewährung verurteilt, im Mai 1945 Rückkehr nach Hamburg, infolge kriegsbedingter chronischer Leberleiden ständig auf dem Krankenlager, während der Fahrt in ein Sanatorium im schweizerischen Tessin Zusammenbruch, Tod am 20. November 1947 in einem Basler Spital; am Tag darauf in den Hamburger Kammerspielen Uraufführung des Stücks "Draußen vor der Tür", das schon als Hörspiel im Radio gesendet worden war. Dieser biographische Abschnitt zwischen 1939 und 1947 ist der Zeit- und Bezugsrahmen des Briefwechsels (in Auswahl), den jetzt Gordon J. A. Burgess und Michael Töteberg herausgegeben und kommentiert haben. Unter den Briefpartnern sind außer den Eltern Freunde, Redakteure und Lektoren, der Anwalt Carl Hager, der ihn in den Prozessen wegen "Wehrkraftzersetzung" verteidigte, der Verleger Henry Goverts, der den Schweizer Sanatoriumsaufenthalt in die Wege leitete, obwohl Borcherts Schriften von Rowohlt verlegt wurden, der Literaturwissenschaftler Karl Ludwig Schneider, Gustaf Gründgens' Dramaturg Rolf Badenhausen, der Maler Emil Nolde und der aus dem Exil zurückgekehrte Schriftsteller Carl Zuckmayer, der nach der "erschütternden" Lektüre des Borchertschen Stückes und des Erzählungsbandes "Die Hundeblume" mit seiner rückhaltlosen Anerkennung den frischen Ruhm des jungen Autors absegnete.

An der Quelle sitzt der Buchhandels-Eleve, der vor allem ein Lyriker werden will und die Vorgänger mustert. Er verbeugt sich vor Hölderlin, Rilke und Trakl, huldvoll gelten läßt er Rudolf Alexander Schröder und den verbotenen Gottfried Benn, einen Fußtritt bekommen Stefan George und Hofmannsthal: "senile, schöneworteredende, . . . geschwollene Süßholzraspler!!!" Seinerseits nicht ohne Geschwollenheit verkündet er, "Expressionist" zu sein, der "Wirkliches durch Seelisches, Ideenhaftes ersetzen", aus "Chaos" einen "Kosmos" bilden will. Als Borchert dem Chaos wirklich begegnet, verschwindet der missionarische Ton. Im Lazarett von Smolensk fühlt er sich "wie eine Schnecke", die nur noch "ihre Fühler in die Welt hinausstreckt". Erst nach dem Krieg bricht die mächtige "Expression" hervor, aber nun in der Klage um den heillos zerstörten "Kosmos".

Zeitgeschichtliche und dokumentarische Kernstücke des Bandes sind die Materialien zu den Prozessen gegen Borchert, so die inkriminierten Äußerungen von 1942, wonach die Kameraden "für nichts und wieder nichts" gefallen seien, Kasernen "als Zwingburgen des Dritten Reiches" dienten und er selbst sich als "wesenloser Kuli der braunen Soldateska" fühle. Die Anklageverfügung des Prozesses von 1943 zitiert den Kasernenstuben-Scherz, dessentwegen Borchert denunziert worden war, die Goebbels-Parodie: "Das deutsche Volk kann ruhig sein, Lügen haben kurze Beine, aber es ist meinem Orthopäden gelungen, mein rechtes Bein auf die rechte Länge zu bringen; Volksgenossen und Volksgenossinnen, unsere Führung hat euch luftige und helle Wohnungen versprochen, wir haben unser Versprechen gehalten, die Wohnungen habt ihr jetzt; der deutsche Soldat wird kämpfen bis zur letzten Patrone, dann wird er das große Laufen kriegen, ihr werdet erlauben, daß ich schon jetzt vorauslaufe, da ich am Gehen behindert bin."

Wohl aus Vorsicht gegenüber der Zensur beschränkt sich Borchert während der Kriegszeit im wesentlichen auf private Mitteilungen. So lesen sich diese Briefe nicht wie die Korrespondenz eines Widerstandskämpfers. Überraschend ist die Entschiedenheit, mit der er sich nach dem Kriege in einem Brief an den Anwalt gegen die Gleichstellung mit Fahnenflüchtigen wehrt, die "auch aus einer anderen Armee getürmt wären". Trotz der Erzählung "Dann gibt es nur eins!" versteht sich Borchert also nicht als radikaler Pazifist. Andererseits muß ihn nach dem Krieg der andauernde Argwohn gegen politische Häftlinge des Dritten Reiches kränken.

Die Briefe der Nachkriegszeit zeigen eine deutlich abfallende Stimmungskurve. Tummeln sich in den Briefen aus dem Jahre 1946 noch ein albernder Ton, Ironie und Selbstironie, ja Galgenhumor, so gelingt es Borchert im folgenden Jahr nicht mehr, die Augen vor den "traurigen Tatsachen" zu verschließen. Zermürbend sind die immer neuen Verzögerungen des Aufbruchs zum lebensrettenden Sanatoriumsaufenthalt: bürokratische Hindernisse bei den Besatzungsbehörden und Bedenken der Schweizer Gesundheitsbehörden, die befürchten, daß Borchert einmal "dem Staat zur Last" fallen könnte. Der positive Bescheid kommt zu spät. Es ist "eine trostlose unendliche Wüste, durch die ich krieche".

Dem körperlichen Verfall trotzen Geist und Lebenswille. Doch verführen Erfolgsberichte Borchert nicht zur Selbstüberschätzung; kein Geniebewußtsein kompensiert das Elend des Schwerkranken. Gerade die gemäßigte künstlerische Eigenliebe macht diese Zeugnisse eines Geschlagenen so sympathisch, so bewegend. Die Briefsammlung erweitert unser Bild von Wolfgang Borchert erheblich, korrigiert es in Details. Ihr gegenüber bleiben die neu entdeckten Gedichte und Prosatexte eine Zugabe. WALTER HINCK

Wolfgang Borchert: "Allein mit meinem Schatten und dem Mond". Briefe, Gedichte und Dokumente. Herausgegeben von Gordon J. A. Burgess und Michael Töteberg unter Mitarbeit von Irmgard Schindler. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1996. 320 S., br., 14,90 DM.

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