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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2007

Die Reise des jungen Johannes
Der erfahrene Weltumsegler und Autor Wilfried Erdmann beschreibt das Buch von Johannes Erdmann, der sich den Traum einer Ozeanüberquerung erfüllte

VON WILFRIED ERDMANN

Allein über den Atlantik: Solche Geschichten meint man mehr als genug zu kennen. Mitnichten! Angefangen mit den wahren Pionieren wie Slocum, Gerbault, Lindemann über den großen Francis Chichester, der das Alleinsegeln hierzulande populär machte, bis hin zu den Törns von Normalos, Hasardeuren und Regattaseglern: Ob in Berichten oder Reportagen, in Filmen oder besonders in Büchern - Stories zum Thema Alleinsegeln gibt es im Überfluss. Wozu ein weiteres Buch lesen, zumal einen Schmöker von rund 300 Seiten, geschrieben von einem Jungen aus Wolfsburg, der Stadt, in der normalerweise VW alles richtet?

Dass diese Bequemlichkeit nicht die ideale Atmosphäre fürs Leben ist, hat Johannes Erdmann früh erkannt - sich davongemacht und alles aufgeschrieben. Es ist eine Freude, sein Buch zu lesen und die Bilder zu betrachten. Sein Kurs führte ihn von Portugal via Kanarische Inseln, Antillen, Bahamas in die amerikanischen Südstaaten.

Welch ein Wunder: Der Grünschnabel von 19 Jahren macht Abitur, setzt sich in ein Segelboot, törnt über den Atlantik und bringt anschließend ein kluges und humorvoll geschriebenes Buch zuwege. Großartig seine Disziplin, seine Contenance. Es ist keine Abenteuergeschichte im engen, sondern eine im weitesten Sinne. Er hat seine Liebe zum Meer festgehalten, mit seinem Boot als Mittelpunkt.

Zu den spannendsten Kapiteln gehören die Anfänge. Als Elfjähriger findet Johannes bei seinem Onkel im Keller stapelweise Segelfachzeitschriften. Die Reiseberichte aus nah und fern, Bootskonstruktionen, Berichte über ein Leben an Bord nehmen ihn gefangen. Fortan kennt er nur einen Gedanken: Boote, Segeln, allein übers Meer. Über eine Jolle und diverse Kleinkreuzer gelangt er zu diesem Kielboot, das er "Maverick" nennt: 8,30 Meter lang, 35 Jahre alt, Kunststoff, 25 Quadratmeter Segelfläche. Mit dem Ton jugendlicher Unschuld findet er Förderer artverwandter Firmen. Einem Ölzeugausrüster schreibt er: "Wenn Sie noch eine Kappe dazulegen, mache ich auch an Land für Sie Werbung." Hervorzuheben ist seine Familie. Alle sind mit ganzem Herzen dabei und haben etwas beigesteuert: Vater, Mutter, Schwester, Bruder, Großmutter. Beneidenswerte Verhältnisse. Man möchte sie gleich kennenlernen. Vor allem Onkel Uwe muss ein wundervoller Mensch sein. Er ermuntert und unterstützt den Gymnasiasten sofort, als er von der Atlantik-Idee erfährt. Jammerschade: Die "Maverick" ist ein ausgesegeltes Boot, denn die Atlantik-Überquerung zeigt, dass das alte Boot immer schwächer wird, während der Junge mit der Zunahme der Probleme an Substanz gewinnt.

Auch wenn das Kernstück des Buchs, der Atlantik, etwas schwachbrüstig (an Umfang) daherkommt, nehmen den Leser die Leiden und Gefühle des Neunzehnjährigen gefangen. Es beginnt mit einer gerissenen Saite seiner Gitarre und endet mit einem Getriebeschaden der Maschine und den Fallen, die sich im Mast verklemmen. Dazwischen bereitet das Boot Johannes kontinuierlich Arbeit und Sorge: Das Deck kommt praktisch von oben herunter; der Windgeneratormast knickt weg; Leinen schamfilen; höllische Zahnschmerzen; der Kocher rußt erbärmlich; Segelrisse; die Reservezahnbürste ist nicht zu finden; Magenschmerzen; die Ruderwelle im Schacht schlägt gefährlich; Öl in der Bilge. Und immer wieder das Wetter. Der Passat ist massiv kantig. Als junger Mensch fragt er sich natürlich: Wieso und warum muss das alles jetzt passieren? Seine Ankunft auf der Antilleninsel St. Lucia ist dann ein prägender und leidvoller Augenblick zugleich. Bei Sturm und ohne Focksegel hat er keine Chance, gegen den Wind in den Hafen zu kommen. Weit draußen geht er vor Anker und holt sich die Hilfe eines Speedboots, das die "Maverick" in den Hafen schleppt. Amüsant zu lesen die Resonanz des Hafenmeisters: "Was, in diesem kleinen Boot ...?" - "Du bist verrückt." - "Iss erst mal ein Eis." Obschon todmüde, fühlt Johannes Erdmann sich gleich einen Fuß größer, und sein Gang wird fester. Als Erstes, nach 31 Seetagen, leistet er sich eine eisgekühlte Cola und Schokoladenkekse. Zum Vergleich: Als ich (wir tragen nur zufällig den gleichen Nachnamen) 1965 erstmals allein den Atlantik überquert hatte, ging auch ich stolz und selbstbewusst an Land, allerdings geradewegs in eine Bar, gönnte mir ein Heineken und war nicht lange allein damit.

Der Benjamin der deutschen Atlantik-Segler muss dann leider sein Boot in den Vereinigten Staaten verkaufen. Seinen Traum, die Rückreise über den Nordatlantik nach Europa, kann er sich nicht erfüllen. Das Geld wird knapp. Traurig resigniert er. Auch wartet in Kiel sein Schiffbaustudium, das pünktlich zu beginnen er seiner Familie versprochen hat.

Als ihm gleich zu Anfang der Reise die Probleme über den Kopf wachsen, notiert er in sein Logbuch: "Zweifel plagten mich. Zweifel, ob das Boot halten würde. Zweifel, ob ich halten würde. Zweifel, ob ich mir nicht doch eine ganze Ecke zu viel auf die Schultern gelegt hatte." Da er sich und andere nicht enttäuschen mochte, notiert er weiter: "Ich beschloss, mir zu vertrauen, dass ich es schaffen würde. Mir und dem anderen da draußen, diesem Jemand, der in den Stürmen auf mich aufpasst und mich irgendwie auf die andere Seite des Atlantiks bringen würde."Wir sollten Johannes Erdmanns Mut bewundern, wie er sich mit der wackeligen "Maverick" der Prüfung Ozean aussetzte. Wir sollten ihm dankbar sein, dass er uns allen, speziell jungen Menschen, eine Tugend und Orientierung zeigt, die wir in dieser Welt der Hektik und Perfektionisten, der Zauderer und (vom Staat) Subventionierten fast schon verloren haben: mit Begeisterung etwas zu wagen.

Johannes Erdmann, Allein über den Atlantik. 302 Seiten, 50 Abbildungen, Verlag Delius Klasing, 19,90 Euro. Das Buch ist vor wenigen Tagen erschienen.

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