Seit über drei Jahrzehnten lebt Tuvia Tenenbom in New York. Als er sich 2015 für seine neue Großreportage erstmals auf eine Reise quer durch die USA begab, ahnte er nicht, was ihn erwarten würde: »Ich hätte nie gedacht, dass die Vereinigten Staaten so völlig anders sind, als ich immer angenommen hatte. Lange Jahre war ich überzeugt, dass ich sie ziemlich gut kennen würde. Aber ich bin mir da nicht mehr so sicher. Erst jetzt entdecke ich so nach und nach das wahre Amerika, Stück für Stück, Mensch für Mensch, Staat für Staat.«
Tenenbom reiste von Florida bis nach Alaska, von Alabama bis nach Hawaii, vom Deep South und Bible Belt bis an die Großen Seen und die Westküste, sprach mit Politikern und Predigern, mit Evangelikalen, Mormonen und Quäkern, mit Rednecks und Waff ennarren, Kriminellen und Gefängnisinsassen, mit Ureinwohnern und Countrymusikern, Antisemiten und Zionisten, mit Obdachlosen und Superreichen und vielen, vielen mehr.
Die USA rühmen sich, »das Land der Freien und die Heimat der Tapferen« zu sein. Das wahre Amerika jedoch, so Tenenboms bestürzende Erkenntnis, ist weder frei noch tapfer, sondern ängstlich darauf bedacht, alle Freiheiten einzuschränken. Es ist in sich zutiefst gespalten, rassistisch und hasserfüllt. »Kann sich die Menschheit auf die USA verlassen? Ich würde es nicht tun.«
Tenenbom reiste von Florida bis nach Alaska, von Alabama bis nach Hawaii, vom Deep South und Bible Belt bis an die Großen Seen und die Westküste, sprach mit Politikern und Predigern, mit Evangelikalen, Mormonen und Quäkern, mit Rednecks und Waff ennarren, Kriminellen und Gefängnisinsassen, mit Ureinwohnern und Countrymusikern, Antisemiten und Zionisten, mit Obdachlosen und Superreichen und vielen, vielen mehr.
Die USA rühmen sich, »das Land der Freien und die Heimat der Tapferen« zu sein. Das wahre Amerika jedoch, so Tenenboms bestürzende Erkenntnis, ist weder frei noch tapfer, sondern ängstlich darauf bedacht, alle Freiheiten einzuschränken. Es ist in sich zutiefst gespalten, rassistisch und hasserfüllt. »Kann sich die Menschheit auf die USA verlassen? Ich würde es nicht tun.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.05.2017NEUES REISEBUCH
Für die Tasche Noch vor der Katastrophe, dem Super-GAU, der Apokalypse, noch bevor also Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten wurde, tourte Tuvia Tenenbom sieben Monate lang durch die Vereinigten Staaten, um das Land, in dem er lebte, besser zu verstehen - und zwar nicht nur die Küsten- und Künstlermetropolen, die er, der Leiter des jüdischen Theaters in New York, bereits kannte. Er sprach mit Politikern, Unternehmern, Slumbewohnern; gab den beharrlichen Naivling, der Fragen wiederholte, wenn er keine Antwort erhielt, ging keinem Streit aus dem Weg.
Auf diese Weise fand er heraus: Die Vereinigten Staaten sind nicht nur gespalten, sondern auch verängstigt. Kaum jemand traut sich, seine Meinung zu sagen. Politiker fürchten, ihre Spender zu verärgern, Kulturschaffende ihre Sponsoren; und überhaupt haben alle Bammel vor allen anderen. Nur wenn sie sich sicher fühlen - oder im Harnisch der Anonymität - erklären sie, was sie denken. Und plötzlich stellt sich heraus: Liberale und Konservative ähneln sich mehr, als sie denken.
Sie mögen weder Schwarze noch Raucher noch Juden. Den Rassismus lässt Tenenbom einen Gesprächspartner erklären: "Seattle ist eine liberale Stadt. Sie mögen mich hier nicht, weil ich schwarz bin, aber sie zeigen es nicht. In Dallas, da war ich auch, sind sie konservativ und zeigen einem, dass sie einen nicht mögen. Das ist der Unterschied zwischen Konservativen und Liberalen." Die Rhetorik vieler Liberaler nennt Tenenbom beim Namen: Scheinheiligkeit. Für die hat der Autor ein feines Sensorium. Und sie begegnet ihm allenthalben.
"Du schlägst mir auf den Magen, du dreckiger Scheißjude. Mit deinen Wurstfingern wirst du dir dein iPad ruinieren, machst du dir da keine Sorgen? Scheißjude!", beleidigt ihn ein Anti-Israel-Demonstrant. Als Tenenbom ihn filmt, verkündet er, dass er Menschen liebe und für ein freies Palästina eintrete. Als Tenenbom die Kamera ausschaltet, beleidigt der Liberale ihn weiter: "Fick dich, Jude! Du schmieriger Jude, du!" Die ganze Zeit schauen Sicherheitsbeamte zu. Als Tenenbom sich eine Zigarette anzündet, schreiten sie ein und schicken ihn fort. Nicht Rassisten, Raucher sind die Feinde des Landes. Darüber herrscht Einigkeit. So wie darüber, dass Juden die Welt regierten.
Bizarrerweise hört Tenenbom diese Ansicht sowohl von Feinden wie von Unterstützern Israels; es gibt in den Vereinigten Staaten durchaus noch einen Antisemitismus, der unabhängig vom jüdischen Staat gärt. Tenenbom, ganz Journalist, prüft die These: Wie viel Macht haben Juden in den Vereinigten Staaten? Er findet heraus: Amerikanische Juden hassen sich selbst, sehen Israel kritisch und setzen sich gegen Rassismus ein.
Seine Erfahrungen hat Tenenbom zu einem komischen Buch verarbeitet. Er schreibt aus der Rolle des lustigen Stehaufmännchens, das gerne isst und sich unterhält; auch mit den Lesern. Er stellt deren mögliche Fragen und beantwortet sie: "Die Quäker spielten eine große Rolle beim Aufbau der Vereinigten Staaten von Amerika. (. . .) Woher ich das weiß? Ich lese das hier in diesem Quäkerhaus." Das klingt wie ein Monolog im Theater; und was dem Schauspieler die Pause, ist dem Erzähler Tenenbom der Absatz.
Mit ihm setzt er Betonungen und Pointen, durch ihn demonstriert er sein Gefühl für Timing und Witz. Beispiel: Er spricht über Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender: "Diese Gruppe, auch unter den Kürzeln LGBT oder LGBTQ (das Q steht für Queer oder für Questioning) bekannt, ist eine der heiligsten auf Erden. Wenn man sich über sie lustig macht, wird man geächtet, verliert seine Arbeit und seinen Ehepartner.
Warum? Darum.
Es gibt auch asexuelle Menschen in New York, aber die zählen nicht.
Darum."
Pausen füllen sich mit Fragen. Die wichtigsten Fragen für Tenenbom sind die nach den Quellen und die nach dem Grund; dass Journalisten diese Fragen nicht immer beantworten, ist ihm eine satirische Medienkritik wert: "Morgen fahre ich wieder. Wohin? Nach Detroit. Warum Detroit? Weil es nichts Amerikanischeres gibt als diese Stadt. Woher ich das weiß? Weil ich es mir gerade ausgedacht habe."
Wer der Trump-Psychogramme überdrüssig ist, wer lieber Amerika verstehen will, dem sei Tenenboms Buch empfohlen.
Philipp Mangold
Tuvia Tenenbom: "Allein unter Amerikanern: Eine Entdeckungsreise". Mit Fotos von Isi Tenenbom. Suhrkamp, 463 Seiten, 16,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für die Tasche Noch vor der Katastrophe, dem Super-GAU, der Apokalypse, noch bevor also Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten wurde, tourte Tuvia Tenenbom sieben Monate lang durch die Vereinigten Staaten, um das Land, in dem er lebte, besser zu verstehen - und zwar nicht nur die Küsten- und Künstlermetropolen, die er, der Leiter des jüdischen Theaters in New York, bereits kannte. Er sprach mit Politikern, Unternehmern, Slumbewohnern; gab den beharrlichen Naivling, der Fragen wiederholte, wenn er keine Antwort erhielt, ging keinem Streit aus dem Weg.
Auf diese Weise fand er heraus: Die Vereinigten Staaten sind nicht nur gespalten, sondern auch verängstigt. Kaum jemand traut sich, seine Meinung zu sagen. Politiker fürchten, ihre Spender zu verärgern, Kulturschaffende ihre Sponsoren; und überhaupt haben alle Bammel vor allen anderen. Nur wenn sie sich sicher fühlen - oder im Harnisch der Anonymität - erklären sie, was sie denken. Und plötzlich stellt sich heraus: Liberale und Konservative ähneln sich mehr, als sie denken.
Sie mögen weder Schwarze noch Raucher noch Juden. Den Rassismus lässt Tenenbom einen Gesprächspartner erklären: "Seattle ist eine liberale Stadt. Sie mögen mich hier nicht, weil ich schwarz bin, aber sie zeigen es nicht. In Dallas, da war ich auch, sind sie konservativ und zeigen einem, dass sie einen nicht mögen. Das ist der Unterschied zwischen Konservativen und Liberalen." Die Rhetorik vieler Liberaler nennt Tenenbom beim Namen: Scheinheiligkeit. Für die hat der Autor ein feines Sensorium. Und sie begegnet ihm allenthalben.
"Du schlägst mir auf den Magen, du dreckiger Scheißjude. Mit deinen Wurstfingern wirst du dir dein iPad ruinieren, machst du dir da keine Sorgen? Scheißjude!", beleidigt ihn ein Anti-Israel-Demonstrant. Als Tenenbom ihn filmt, verkündet er, dass er Menschen liebe und für ein freies Palästina eintrete. Als Tenenbom die Kamera ausschaltet, beleidigt der Liberale ihn weiter: "Fick dich, Jude! Du schmieriger Jude, du!" Die ganze Zeit schauen Sicherheitsbeamte zu. Als Tenenbom sich eine Zigarette anzündet, schreiten sie ein und schicken ihn fort. Nicht Rassisten, Raucher sind die Feinde des Landes. Darüber herrscht Einigkeit. So wie darüber, dass Juden die Welt regierten.
Bizarrerweise hört Tenenbom diese Ansicht sowohl von Feinden wie von Unterstützern Israels; es gibt in den Vereinigten Staaten durchaus noch einen Antisemitismus, der unabhängig vom jüdischen Staat gärt. Tenenbom, ganz Journalist, prüft die These: Wie viel Macht haben Juden in den Vereinigten Staaten? Er findet heraus: Amerikanische Juden hassen sich selbst, sehen Israel kritisch und setzen sich gegen Rassismus ein.
Seine Erfahrungen hat Tenenbom zu einem komischen Buch verarbeitet. Er schreibt aus der Rolle des lustigen Stehaufmännchens, das gerne isst und sich unterhält; auch mit den Lesern. Er stellt deren mögliche Fragen und beantwortet sie: "Die Quäker spielten eine große Rolle beim Aufbau der Vereinigten Staaten von Amerika. (. . .) Woher ich das weiß? Ich lese das hier in diesem Quäkerhaus." Das klingt wie ein Monolog im Theater; und was dem Schauspieler die Pause, ist dem Erzähler Tenenbom der Absatz.
Mit ihm setzt er Betonungen und Pointen, durch ihn demonstriert er sein Gefühl für Timing und Witz. Beispiel: Er spricht über Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender: "Diese Gruppe, auch unter den Kürzeln LGBT oder LGBTQ (das Q steht für Queer oder für Questioning) bekannt, ist eine der heiligsten auf Erden. Wenn man sich über sie lustig macht, wird man geächtet, verliert seine Arbeit und seinen Ehepartner.
Warum? Darum.
Es gibt auch asexuelle Menschen in New York, aber die zählen nicht.
Darum."
Pausen füllen sich mit Fragen. Die wichtigsten Fragen für Tenenbom sind die nach den Quellen und die nach dem Grund; dass Journalisten diese Fragen nicht immer beantworten, ist ihm eine satirische Medienkritik wert: "Morgen fahre ich wieder. Wohin? Nach Detroit. Warum Detroit? Weil es nichts Amerikanischeres gibt als diese Stadt. Woher ich das weiß? Weil ich es mir gerade ausgedacht habe."
Wer der Trump-Psychogramme überdrüssig ist, wer lieber Amerika verstehen will, dem sei Tenenboms Buch empfohlen.
Philipp Mangold
Tuvia Tenenbom: "Allein unter Amerikanern: Eine Entdeckungsreise". Mit Fotos von Isi Tenenbom. Suhrkamp, 463 Seiten, 16,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Abwechselnd unterhaltsam und bestürzend.« Alan Posener DIE WELT 20161207