Zu keiner Zeit haben so viele Menschen allein gelebt, und nie war elementarer zu spüren, wie schnell das selbstbestimmte Leben in Einsamkeit umschlagen kann. Aber kann man allein überhaupt glücklich sein? Und warum wird in einer Gesellschaft von Individualisten das Alleinleben als schambehaftetes Scheitern wahrgenommen?
In seinem Bestseller ergründet Daniel Schreiber das Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach Rückzug und Freiheit und dem nach Nähe, Liebe und Gemeinschaft. Dabei greift er auf eigene Erfahrungen sowie philosophische und soziologische Ideen zurück. Ein »berauschend kluger Essay« (Denis Scheck) über die Frage, wie wir leben wollen.
In seinem Bestseller ergründet Daniel Schreiber das Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach Rückzug und Freiheit und dem nach Nähe, Liebe und Gemeinschaft. Dabei greift er auf eigene Erfahrungen sowie philosophische und soziologische Ideen zurück. Ein »berauschend kluger Essay« (Denis Scheck) über die Frage, wie wir leben wollen.
»Dies war wohl einer der wichtigsten deutschen Texte, die während der Pandemie erschienen sind.« Frauke Böger DER SPIEGEL 20230429
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Melanie Mühl versteht die Freuden und Leiden des Alleinseins besser mit Daniel Schreibers Essay. Der Autor, weiß wovon er schreibt, glaubt Mühl, und er weiß, den Blick zu weiten, indem er Texte von Illouz, Solnit, Bourdieu oder Derrida rezipiert. Vor welchen Herausforderungen der alleinstehende Mensch steht, welche Strategien ihm zur Verfügung stehen und wo Fallstricke lauern, erläutert der Autor laut Mühl auch anhand eigener Erfahrungen. Die Mischung aus Privatem und allgemeinen Erwägungen im Buch findet sie überzeugend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.2021Muss man sich schämen, Single zu sein?
Daniel Schreiber sondiert das komplizierte Terrain zwischen Einsamkeit und selbstbestimmtem Leben
In jungen Jahren malen sich viele Menschen gerne aus, wie sie einmal leben und lieben werden. Zu diesem Bild gehört die romantische Paarbeziehung, zelebrierte Zweisamkeit, zu der sich irgendwann Kinder gesellen, deren Augen besonders an Weihnachten unter dem Tannenbaum strahlen. Auch der Autor Daniel Schreiber, Jahrgang 1977, der in einigen sich bisweilen überschneidenden Beziehungen mit Männern lebte, die Symbiose ebenso kennt wie die in der Liebe erlebte Einsamkeit, ging einst davon aus, dass Beziehungen selbstverständlich sind. Man lernt jemanden kennen, verliebt sich, entliebt sich, verliebt sich neu, zieht zusammen, zieht aus und denkt: Beim nächsten Mal wird alles anders, wird alles besser.
Nur was, wenn diese nächste elektrisierende Begegnung ausbleibt? Wenn erst Monate und dann Jahre ins Land ziehen, in denen die Beziehungen und Affären immer seltener werden und man seine Paarträume schweren Herzens begräbt? Liegt es an einem selbst, ist es Pech, Schicksal oder schlicht das Ergebnis eines diffusen Gefühls der eigenen Unzulänglichkeit, die einen zurückschrecken lässt? "Hatte ich lange Zeit nicht allein sein können, schien ich das Alleinsein jetzt zu suchen", schreibt Daniel Schreiber in seinem Essay "Allein".
Knapp achtzehn Millionen Menschen leben in Deutschland allein, wofür sich der Begriff "Single-Haushalte" eingebürgert hat, als hieße, allein zu leben, automatisch, dass man Single ist. Was bei diesem Begriff noch mitschwingt, ist das persönliche Scheitern. Denn die Liebe ist das, "was sich die meisten Menschen wünschen, das, worauf sie hoffen, sie ist der vielleicht wesentlichste Bestandteil dessen, was sie unter Glück verstehen", schreibt Schreiber.
Sein Buch ist auch eines über die Scham des Singles und die Verwunderung darüber, wie viel Macht die große Erzählung der Liebe nach wie vor in unserer Gesellschaft hat, obwohl die eigene Erfahrung und der Blick in den Freundes- und Bekanntenkreis bekanntlich lehren, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Doch weil das Loslassen schwerer fällt, als an einer Fantasie festzuhalten, tappen viele in die Falle des von der Kulturtheoretikerin Lauren Berlant geprägten Konzepts des grausamen Optimismus.
Daniel Schreiber weiß um die gedanklichen Fallstricke. Indem er sie beschreibt, versucht er, sie besser zu verstehen. Dazu dienen ihm sowohl persönliche (Liebes-)Erfahrungen als auch ein Arsenal an psychologischen, soziologischen und literarischen Werken. Derrida, Bourdieu und Sartre zieht der Autor ebenso zu Rate wie Eva Illouz, Rebecca Solnit, Sherry Turkle oder die Psychoanalytikerin Melanie Klein. Und so gelingt es Schreiber immer wieder, den Blick zu weiten, im Kleinen etwas Größeres zu entdecken.
Das Leben allein, so Schreiber, stelle einen vor Herausforderungen, die für Menschen mit Partnern, Partnerinnen und Familien nicht nachvollziehbar seien. "Auch Menschen in einer Partnerschaft können sich einsam fühlen, doch wenn man allein lebt und sich einsam fühlt, bleibt man das auf absehbare Zeit auch. Die Einsamkeit schwillt an und ebbt wieder ab, manchmal macht sie sich als ein akutes Gefühl bemerkbar, dann vergisst man sie wieder oder sie lässt sich beiseiteschieben." Besonders schlimm trifft den Einsamen das Jahresende, die dunklen Tage und hellen Lichter der von Paaren bevölkerten Weihnachtsmärkte.
Zu Schreibers Strategie, sich vor seelischem Schmerz zu schützen, gehört es, rauszugehen, Konzerte und Theateraufführungen zu besuchen und die besten Weihnachtsgeschenke für seine Patenkinder zu kaufen. Und Freundschaften? Ja, auch die bilden ein verlässliches Gerüst von Nähe und Intimität, und doch ist Daniel Schreiber das inflationär angestimmte Loblied der Freundschaft suspekt, diese "Idee des Freundes als das andere Ich". Auf lange Sicht, so Schreiber, sei es keine kluge Strategie, in der Freundin oder im Freund einen Doppelgänger oder eine Doppelgängerin zu suchen, im Gegenteil. "Die meisten Freundschaften überstehen nur dann den Wandel der Zeit, den Wechsel der Lebensphasen, der Orte, Haltungen und persönlichen Konstellationen, wenn man den narzisstischen Rausch des Sich-selbst-im-Gegenüber-Wiedererkennens hinter sich lässt." Nur mit jenen Menschen, bei denen ihm das gelang, ist Schreiber noch befreundet.
Es gibt ein Gedicht von Gottfried Benn, in dem es heißt: "wer allein ist, ist auch im Geheimnis". Im Alleinsein, das zeigt Schreibers Buch, liegt die Chance der Selbsterkundung, die Möglichkeit, dem eigenen Ich näher zu kommen und damit auch einem fremden Menschen, dem man meist begegnet, wenn man es am wenigsten erwartet. MELANIE MÜHL
Daniel Schreiber: "Allein".
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2021. 160 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Daniel Schreiber sondiert das komplizierte Terrain zwischen Einsamkeit und selbstbestimmtem Leben
In jungen Jahren malen sich viele Menschen gerne aus, wie sie einmal leben und lieben werden. Zu diesem Bild gehört die romantische Paarbeziehung, zelebrierte Zweisamkeit, zu der sich irgendwann Kinder gesellen, deren Augen besonders an Weihnachten unter dem Tannenbaum strahlen. Auch der Autor Daniel Schreiber, Jahrgang 1977, der in einigen sich bisweilen überschneidenden Beziehungen mit Männern lebte, die Symbiose ebenso kennt wie die in der Liebe erlebte Einsamkeit, ging einst davon aus, dass Beziehungen selbstverständlich sind. Man lernt jemanden kennen, verliebt sich, entliebt sich, verliebt sich neu, zieht zusammen, zieht aus und denkt: Beim nächsten Mal wird alles anders, wird alles besser.
Nur was, wenn diese nächste elektrisierende Begegnung ausbleibt? Wenn erst Monate und dann Jahre ins Land ziehen, in denen die Beziehungen und Affären immer seltener werden und man seine Paarträume schweren Herzens begräbt? Liegt es an einem selbst, ist es Pech, Schicksal oder schlicht das Ergebnis eines diffusen Gefühls der eigenen Unzulänglichkeit, die einen zurückschrecken lässt? "Hatte ich lange Zeit nicht allein sein können, schien ich das Alleinsein jetzt zu suchen", schreibt Daniel Schreiber in seinem Essay "Allein".
Knapp achtzehn Millionen Menschen leben in Deutschland allein, wofür sich der Begriff "Single-Haushalte" eingebürgert hat, als hieße, allein zu leben, automatisch, dass man Single ist. Was bei diesem Begriff noch mitschwingt, ist das persönliche Scheitern. Denn die Liebe ist das, "was sich die meisten Menschen wünschen, das, worauf sie hoffen, sie ist der vielleicht wesentlichste Bestandteil dessen, was sie unter Glück verstehen", schreibt Schreiber.
Sein Buch ist auch eines über die Scham des Singles und die Verwunderung darüber, wie viel Macht die große Erzählung der Liebe nach wie vor in unserer Gesellschaft hat, obwohl die eigene Erfahrung und der Blick in den Freundes- und Bekanntenkreis bekanntlich lehren, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Doch weil das Loslassen schwerer fällt, als an einer Fantasie festzuhalten, tappen viele in die Falle des von der Kulturtheoretikerin Lauren Berlant geprägten Konzepts des grausamen Optimismus.
Daniel Schreiber weiß um die gedanklichen Fallstricke. Indem er sie beschreibt, versucht er, sie besser zu verstehen. Dazu dienen ihm sowohl persönliche (Liebes-)Erfahrungen als auch ein Arsenal an psychologischen, soziologischen und literarischen Werken. Derrida, Bourdieu und Sartre zieht der Autor ebenso zu Rate wie Eva Illouz, Rebecca Solnit, Sherry Turkle oder die Psychoanalytikerin Melanie Klein. Und so gelingt es Schreiber immer wieder, den Blick zu weiten, im Kleinen etwas Größeres zu entdecken.
Das Leben allein, so Schreiber, stelle einen vor Herausforderungen, die für Menschen mit Partnern, Partnerinnen und Familien nicht nachvollziehbar seien. "Auch Menschen in einer Partnerschaft können sich einsam fühlen, doch wenn man allein lebt und sich einsam fühlt, bleibt man das auf absehbare Zeit auch. Die Einsamkeit schwillt an und ebbt wieder ab, manchmal macht sie sich als ein akutes Gefühl bemerkbar, dann vergisst man sie wieder oder sie lässt sich beiseiteschieben." Besonders schlimm trifft den Einsamen das Jahresende, die dunklen Tage und hellen Lichter der von Paaren bevölkerten Weihnachtsmärkte.
Zu Schreibers Strategie, sich vor seelischem Schmerz zu schützen, gehört es, rauszugehen, Konzerte und Theateraufführungen zu besuchen und die besten Weihnachtsgeschenke für seine Patenkinder zu kaufen. Und Freundschaften? Ja, auch die bilden ein verlässliches Gerüst von Nähe und Intimität, und doch ist Daniel Schreiber das inflationär angestimmte Loblied der Freundschaft suspekt, diese "Idee des Freundes als das andere Ich". Auf lange Sicht, so Schreiber, sei es keine kluge Strategie, in der Freundin oder im Freund einen Doppelgänger oder eine Doppelgängerin zu suchen, im Gegenteil. "Die meisten Freundschaften überstehen nur dann den Wandel der Zeit, den Wechsel der Lebensphasen, der Orte, Haltungen und persönlichen Konstellationen, wenn man den narzisstischen Rausch des Sich-selbst-im-Gegenüber-Wiedererkennens hinter sich lässt." Nur mit jenen Menschen, bei denen ihm das gelang, ist Schreiber noch befreundet.
Es gibt ein Gedicht von Gottfried Benn, in dem es heißt: "wer allein ist, ist auch im Geheimnis". Im Alleinsein, das zeigt Schreibers Buch, liegt die Chance der Selbsterkundung, die Möglichkeit, dem eigenen Ich näher zu kommen und damit auch einem fremden Menschen, dem man meist begegnet, wenn man es am wenigsten erwartet. MELANIE MÜHL
Daniel Schreiber: "Allein".
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2021. 160 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main