Der 13-jährige John lebt seit einiger Zeit mit seinen beiden kleinen Geschwistern und seiner alleinerziehenden Mutter in einer neuen Stadt. Sie sind schon oft umgezogen, gescheitert – diesmal soll es klappen. Als die Mutter wieder ihren Job verliert und es bergab zu gehen scheint, versucht John, die Fassade intakt zu halten. Auch, als die Mutter schwanger wird und zu ihrem neuen Freund zieht ...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.03.2008John – allein zu Haus
Wie ein 13-jähriger Junge eigenverantwortlich seine Geschwister versorgt
Im April 2006 wendet sich ein Zwölfjähriger an das Berliner Jugendamt, weil er sich von seiner Lebenssituation überfordert fühlt; seit einem dreiviertel Jahr lebt er mit seinen drei jüngeren Geschwistern alleine in einer Wohnung in Berlin. Die Mutter ist zu ihrem Freund gezogen. Sie bringt den Kindern lediglich hin und wieder Geld. Soweit die knappe Nachricht in der Zeitung.
Thomas Fuchs hat in seinem Roman „Alleingelassen” diese Geschichte mit Leben gefüllt. Die Hauptfigur ist der 13-jährige John, ein kluger und für sein Alter unglaublich tüchtiger Junge. Die Familie – seine Mutter und zwei jüngere Geschwister – ist schon oft umgezogen, auf der Flucht vor Schulden und anderen Schwierigkeiten. Die Väter der Kinder sind verschwunden und zahlen keine Alimente. Nun wagt die Familie einen Neuanfang in einer Kleinstadt. Die Mutter findet einen Job in einer Gärtnerei, und die vier können sogar eine schöne Neubauwohnung beziehen. John will die Chance nutzen, jetzt alles richtig zu machen, um „dazuzugehören”.
Wer als Kind eines Hartz-IV-Empfängers bekannt ist, hat bei den Gleichaltrigen schnell ausgespielt, das hat John schon oft erfahren und daraus gelernt. Er weiß jetzt, was man anziehen muss, welche Worte man gebrauchen darf und welche uncool sind, welche Musik in den richtigen Kreisen angesagt ist und welche Vornamen die soziale Schicht verraten. Er selbst lässt sich jetzt Jonathan nennen. Seine Mutter ist allerdings nicht so tüchtig: John muss ihr bei Behördengängen helfen, und er versucht nach Kräften, niemanden erfahren zu lassen, wie arm sie eigentlich sind. Es gelingt ihnen auch lange, die bürgerliche Fassade aufrechtzuerhalten. Der Autor setzt, wie in einer Fernsehdokumentation, den Erzählungen des Jungen immer kurze Einschätzungen Außenstehender wie von Nachbarn, Lehrern und Klassenkameraden gegenüber. Das erhöht die Spannung, denn der Leser weiß weniger als diese Augenzeugen.
Eine Weile läuft alles recht gut. Thomas Fuchs beschreibt sehr genau die feinen Unterschiede, die eine soziale Schicht von der anderen trennen. Die Mutter lernt sogar einen netten Mann mit Hund und Eigentumswohnung kennen. Sie verliebt sich in ihn und wird schwanger. Nun malen sich die Kinder eine glückliche Patchwork-Familie aus und freuen sich über den Zuwachs. Doch irgendwie spielen die Erwachsenen da nicht so mit. Der neue Mann der Mutter will zwar gerne Vater sein, aber nicht gleich von vier Kindern, die entsprechend teuer und anstrengend sind. Die Mutter übernachtet immer öfter bei ihrem Freund, kündigt schließlich sogar ihren Job und zieht „nur für den Sommer” zu ihm in ein Gartenhäuschen.
Die Kinder bleiben allein in der Wohnung und genießen anfangs noch die Freiheiten, vor allem John. Auch der Mutter gefällt das Arrangement. Die Kinder kommen ja offensichtlich so gut ohne sie zurecht. Doch dann fehlt das Geld, das Chaos in der Wohnung nimmt überhand, und die kleinen Geschwister machen Probleme. John tröstet sich immer wieder mit der Hoffnung, dass es bald besser wird. Wenn das Baby erst auf der Welt sei, werde die Mutter wohl zu ihnen zurückkommen. Die Geschwister wollen die bürgerliche Fassade um jeden Preis aufrechterhalten und versuchen das Handeln der Mutter zu decken. Sie lassen sich deswegen auch von wohlmeinenden Lehrern oder Freunden nicht in die Karten schauen.
Mit der Charakterisierung des 13-jährigen John hat Thomas Fuchs zwar etwas dick aufgetragen – der Junge schreibt für seine Mutter Briefe, schmeißt den Haushalt, weiß, wie man Lehrern um den Bart geht, ist ein brillanter Schüler und verdient noch nebenbei Geld. Dennoch ist Fuchs ein den Leser packendes Buch gelungen. BIRGITT VON MALTZAHN
THOMAS FUCHS: Alleingelassen. Arena-Verlag, Würzburg 2008. 169 Seiten, 5,95 Euro. Ab 13
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Wie ein 13-jähriger Junge eigenverantwortlich seine Geschwister versorgt
Im April 2006 wendet sich ein Zwölfjähriger an das Berliner Jugendamt, weil er sich von seiner Lebenssituation überfordert fühlt; seit einem dreiviertel Jahr lebt er mit seinen drei jüngeren Geschwistern alleine in einer Wohnung in Berlin. Die Mutter ist zu ihrem Freund gezogen. Sie bringt den Kindern lediglich hin und wieder Geld. Soweit die knappe Nachricht in der Zeitung.
Thomas Fuchs hat in seinem Roman „Alleingelassen” diese Geschichte mit Leben gefüllt. Die Hauptfigur ist der 13-jährige John, ein kluger und für sein Alter unglaublich tüchtiger Junge. Die Familie – seine Mutter und zwei jüngere Geschwister – ist schon oft umgezogen, auf der Flucht vor Schulden und anderen Schwierigkeiten. Die Väter der Kinder sind verschwunden und zahlen keine Alimente. Nun wagt die Familie einen Neuanfang in einer Kleinstadt. Die Mutter findet einen Job in einer Gärtnerei, und die vier können sogar eine schöne Neubauwohnung beziehen. John will die Chance nutzen, jetzt alles richtig zu machen, um „dazuzugehören”.
Wer als Kind eines Hartz-IV-Empfängers bekannt ist, hat bei den Gleichaltrigen schnell ausgespielt, das hat John schon oft erfahren und daraus gelernt. Er weiß jetzt, was man anziehen muss, welche Worte man gebrauchen darf und welche uncool sind, welche Musik in den richtigen Kreisen angesagt ist und welche Vornamen die soziale Schicht verraten. Er selbst lässt sich jetzt Jonathan nennen. Seine Mutter ist allerdings nicht so tüchtig: John muss ihr bei Behördengängen helfen, und er versucht nach Kräften, niemanden erfahren zu lassen, wie arm sie eigentlich sind. Es gelingt ihnen auch lange, die bürgerliche Fassade aufrechtzuerhalten. Der Autor setzt, wie in einer Fernsehdokumentation, den Erzählungen des Jungen immer kurze Einschätzungen Außenstehender wie von Nachbarn, Lehrern und Klassenkameraden gegenüber. Das erhöht die Spannung, denn der Leser weiß weniger als diese Augenzeugen.
Eine Weile läuft alles recht gut. Thomas Fuchs beschreibt sehr genau die feinen Unterschiede, die eine soziale Schicht von der anderen trennen. Die Mutter lernt sogar einen netten Mann mit Hund und Eigentumswohnung kennen. Sie verliebt sich in ihn und wird schwanger. Nun malen sich die Kinder eine glückliche Patchwork-Familie aus und freuen sich über den Zuwachs. Doch irgendwie spielen die Erwachsenen da nicht so mit. Der neue Mann der Mutter will zwar gerne Vater sein, aber nicht gleich von vier Kindern, die entsprechend teuer und anstrengend sind. Die Mutter übernachtet immer öfter bei ihrem Freund, kündigt schließlich sogar ihren Job und zieht „nur für den Sommer” zu ihm in ein Gartenhäuschen.
Die Kinder bleiben allein in der Wohnung und genießen anfangs noch die Freiheiten, vor allem John. Auch der Mutter gefällt das Arrangement. Die Kinder kommen ja offensichtlich so gut ohne sie zurecht. Doch dann fehlt das Geld, das Chaos in der Wohnung nimmt überhand, und die kleinen Geschwister machen Probleme. John tröstet sich immer wieder mit der Hoffnung, dass es bald besser wird. Wenn das Baby erst auf der Welt sei, werde die Mutter wohl zu ihnen zurückkommen. Die Geschwister wollen die bürgerliche Fassade um jeden Preis aufrechterhalten und versuchen das Handeln der Mutter zu decken. Sie lassen sich deswegen auch von wohlmeinenden Lehrern oder Freunden nicht in die Karten schauen.
Mit der Charakterisierung des 13-jährigen John hat Thomas Fuchs zwar etwas dick aufgetragen – der Junge schreibt für seine Mutter Briefe, schmeißt den Haushalt, weiß, wie man Lehrern um den Bart geht, ist ein brillanter Schüler und verdient noch nebenbei Geld. Dennoch ist Fuchs ein den Leser packendes Buch gelungen. BIRGITT VON MALTZAHN
THOMAS FUCHS: Alleingelassen. Arena-Verlag, Würzburg 2008. 169 Seiten, 5,95 Euro. Ab 13
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