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Die vorliegende Arbeit räumt mit der Tabuisierung der eigenen Geschichte der österreichischen Nationalbibliothek bzw. dem Verschweigen der Verstrickung in NS-Verbrechen in offiziellen Publikationen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf und schildert erstmals die aktive Rolle, die die Bibliothek bei Erwerbungen spielte, bei der Errichtung der "Bücherverwertungsstelle", der größten Bücherbeschlagnahme, Büchersichtungs- und -vernichtungsaktion der Nazis in Österreich, beim Raub privater und institutioneller Bibliotheken im In- und Ausland. Im Zeitraum 1938 bis 1945 sind bis zu einer halben…mehr

Produktbeschreibung
Die vorliegende Arbeit räumt mit der Tabuisierung der eigenen Geschichte der österreichischen Nationalbibliothek bzw. dem Verschweigen der Verstrickung in NS-Verbrechen in offiziellen Publikationen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf und schildert erstmals die aktive Rolle, die die Bibliothek bei Erwerbungen spielte, bei der Errichtung der "Bücherverwertungsstelle", der größten Bücherbeschlagnahme, Büchersichtungs- und -vernichtungsaktion der Nazis in Österreich, beim Raub privater und institutioneller Bibliotheken im In- und Ausland. Im Zeitraum 1938 bis 1945 sind bis zu einer halben Million geraubte Bücher in die Bibliothek gelangt.
Die Publikation versteht sich als Beitrag zur bislang kaum behandelten Geschichte des Bibliothekswesens in Österreich in den Jahren 1938 bis 1945 und spiegelt gleichzeitig auch die politische Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert sehr gut wider.
Autorenporträt
Prof. Murray G. Hall, geb. 1947 in Winnipeg, Manitoba, Kanada, Professor am Institut für Germanistik der Universität Wien, Redakteur beim Österreichischen Rundfunk und Verfasser zahlreicher Beiträge zur österreichischen Literatur der Zwischenkriegszeit und zur Verlags- und Buchhandelsgeschichte. // Christina Köstner, geb. 1975 in Wien, Studium der Germanistik und Romanistik in Wien und Turin. Dissertation über die Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek in der NS-Zeit. Provenienzforscherin an der Universitätsbibliothek Wien.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.08.2007

Berge von Raubgut
Die Österreichische Nationalbibliothek in der NS-Zeit
Von Terentianus Maurus stammt der Satz, dass Bücher ihr eigenes Schicksal haben. Dies gilt in noch höherem Maße für Bibliotheken. Anzuzeigen ist ein Wissenschaftskrimi, den der aus Kanada stammende Wiener Germanist Murray G. Hall und die Bibliothekswissenschaftlerin Christina Köstner verfasst haben. Es hat lange gedauert, bis Ernst Trenklers betuliche Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) aus dem Jahr 1973 fortgeschrieben wurde, und man wünschte sich ähnlich exakt recherchierte und mit eindringlichem Bildmaterial dokumentierte Studien auch für die großen deutschen Bibliotheken.
Wien wurde nach dem „Anschluss” die drittgrößte Bibliothek hinter Berlin und München in dem jetzt „Großdeutschland” benannten Reich. Was Hall und Köstner für ihre Umstrukturierung im personellen, administrativen, bibliothekarischen und baulichen Sektor beschreiben, dürfte auch für die reichsdeutschen Bibliotheken gelten. Mit Paul Heigl wurde bereits im März 1938 ein neuer Generaldirektor für die ÖNB bestellt, der als Illegaler vor dem „Anschluss” der NSDAP angehört hatte und deshalb 1935 nach Deutschland abgeschoben worden war. Er ersetzte den zeitweise in Dachau und Sachsenhausen inhaftierten Josef Bick, der als Funktionär des Ständestaats von den Nazis als feindlicher „Systempolitiker” eingestuft und verfolgt wurde. Nach Kriegsende erhielt Bick sein früheres Amt wieder zurück. Heigl trat kompromisslos für die Gleichschaltung der ÖNB ein, wobei ihn vor allem die Mehrung der Bestände interessierte. Insgesamt gelangten etwa eine halbe Million Druckschriften, Manuskripte, Noten, Papyri, Karten, Plakate und Photos in die ÖNB. Sie waren den Personen und Einrichtungen fortgenommen worden, die die Nazis nach der Machtergreifung als unerwünscht Schritt für Schritt entrechtet, vertrieben oder ermordet hatten: Juden, Freimaurer, Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftler, bekennende Christen und Nazigegner. Synagogen, Gemeindehäuser, Schulen, Logentempel, Vereinsheime, Bibliotheken, Akademien, Verlage, Museen und Sammlungen, die diesem Personenkreis gehörten, wurden geplündert, ihre Bücher von der Gestapo oder der SA konfisziert. Aber auch zahlreiche Privatleute, unter denen sich bedeutende Künstler oder Künstlernachfahren (Erich Wolfgang Korngold, Heinrich Schnitzler), Wissenschaftler (Norbert Jokl, Guido Adler, Elise und Helene Richter), Verleger (Gottfried Berman Fischer, Paul Zsolnay), Bankiers (Rothschild), Industrielle (Hugo Friedmann) befanden, wurden beraubt.
Sondersammelgebiet Südost
Heigl, dessen Name hier für die Politik der ÖNB insgesamt steht, schien kein Unrechtsbewusstsein zu kennen. Die dem Nationalsozialismus zuarbeitenden Juristen hatten unmittelbar nach 1933 die Grundlagen für die Enteignung der Regimegegner geschaffen, die als angebliche Volksfeinde beschuldigt wurden, sich ihr Vermögen widerrechtlich und zum Schaden des deutschen Volkes angeeignet zu haben. Es ihnen jetzt fortzunehmen, galt als nationale Tat. Spezielle Kommandos machten systematisch Jagd auf Gemälde, Antiquitäten, Kunstgegenstände und Bücher, die übernommen, verkauft, in Einzelfällen sogar zerstört wurden. Der aus Breslau stammende israelische Jurist Joseph Walk hat 1973 Verordnungen und Gesetze aufgelistet, die das gegen Juden gerichtete „Sonderrecht” der Nazis umfassen und ihrer Ausschaltung und Vernichtung dienen sollten.
Im Krieg wurde der Einzugsbereich der Bibliothek auf die eroberten Länder ausgedehnt. Wien wurde zum Sondersammelgebiet für den Südosten, weshalb vor allem aus Slowenien, Kroatien, Triest, Serbien und der Tschechoslowakei geraubte oder erpresste Bücher nach Wien verbracht wurden. Eine in der ÖNB in Teilen untergebrachte „Bücherverwertungsstelle” wurde dabei zur Drehscheibe, die insbesondere an die geplante Führerbibliothek in Linz (ausgelagert nach Grundlsee) und die im Aufbau befindliche Hohe Schule Rosenbergs (ausgelagert nach Tanzenberg) Teile des Raubguts abgeben musste.
Trotz hoher Effizienz schaffte es die ÖNB nicht, alle an sie gekommenen Bücher „einzusignieren”, zumal im Krieg Personalknappheit herrschte und nur ein Notbetrieb aufrechterhalten werden konnte. Bei Kriegsende stapelten sich daher in ihren Magazinen Berge von Raub- und Beutegut, die dank dieser Tatsache wenigstens in kleinen Teilen restituiert werden konnten. Erst die jüngere Provenienzforschung hat anhand der Akten die Ursprünge vieler Bücher ohne Besitzvermerk geklärt, die, wie es im österreichischen Verwaltungsjargon hieß, noch „nicht zur Eingliederung gelangt waren”. Es ist kein Klischee, wenn die Verfasser, selber anerkannte Provenienzforscher, am Ende ihrer Untersuchung festhalten, die NS-Zeit sei wahrhaft das „dunkelste Kapitel” in der mehrhundertjährigen Geschichte der ÖNB, doch sei es nie zu spät, sich mit dieser Vergangenheit auseinanderzusetzen uns das unrechtmäßig erworbene Eigentum auch nach über sechzig Jahren den Erben der Geschädigten zurückzuerstatten. FRANK-RUTGER HAUSMANN
MURRAY G. HALL, CHRISTINA KÖSTNER: „ . . . Allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern”. Eine österreichische Institution in der NS-Zeit. Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar 2006. 617 Seiten, 59 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Frank-Rutger Hausmann begrüßt diese Studie über die Österreichische Nationalbibliothek in der NS-Zeit, die der Germanist Murray G. Hall und die Bibliothekswissenschaftlerin Christina Köstner vorgelegt haben. Ausführlich referiert er über die personelle Umstrukturierung der ÖNB nach dem "Anschluss" Österreichs an Nazideutschland, über ihre Gleichschaltung, über die Vermehrung der Bestände durch die Enteignung von Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten, Nazigegnern und die Erweiterung des Einzugsbereichs der Bibliothek. Er zeigt sich beeindruckt von den genauen Recherchen der Autoren und dem aufschlussreichen Bildmaterial, das sie zusammengetragen haben. Und so wünscht sich Hausmann eine derart überzeugende Studie auch für die großen deutschen Bibliotheken.

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