Zurück im deutschen Wirtschaftswunder kommen neue Tücken und Demütigungen auf den peniblen Büroangestellten zu. Auf diesem dramatischen Tiefpunkt beschließt Robert Mohwinkel, sein Glück zu korrigieren - und das gelingt ihm mit anerzogener Perfektion, die er nun erstmals nicht für einen "Brotherrn", sondern für sich selbst entwickelt: Als Hafenarbeiter in Marseille gelangt er durch krumme Touren endlich zu Geld und gesellschaftlichem Ansehen. Rudolf Lorenzen stellt mit Ironie und Satire auf einzigartige Weise die Kriegs- und Nachkriegszeit bloß: Daß Robert Mohwinkel die Obrigkeiten durchschaut, ihrer Gewalt instinktiv ausweicht und sie damit entlarvt - das macht diesen klassischen Verlierer zu einem frappierend modernen Helden. Kein anderer Autor hat diese deutschen Jahre packender, realistischer und gleichzeitig amüsanter geschildert als Rudolf Lorenzen in diesem wieder entdeckten Roman.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2002Ein Umstandskrämer als Artist
Zu Unrecht vergessen: Rudolf Lorenzens Geschichte eines Blauäugigen
In der Literaturgeschichte der deutschen Nachkriegszeit gilt 1959, prominent markiert, aber nicht unbedingt repräsentiert, durch die "Blechtrommel" und "Billard um halbzehn", als ein Schlüsseljahr. Da sei "die bundesrepublikanische Gegenwart schon rein quantitativ zum zentralen Thema" des Romans geworden, von der "rühmlichen Ausnahme" Koeppen einmal abgesehen, gleichzeitig sei mit Grass und Böll der "ästhetische Sprung" gelungen. Die politisch korrekte Mißbilligung einer vorzeitigen Abwendung von der Vergangenheit bei verdruckster Rechtfertigung des ästhetisch Arrivierten erweist sich an Rudolf Lorenzens ebenfalls 1959 erschienenem Roman "Alles andere als ein Held" als ignorante Peinlichkeit. Denn anders als sein Generationsgenosse Wolfgang Borchert, dessen Stück über die, die zurückkamen, ohne nach Hause zu gelangen, sich samt seinem frühen Tod sentimental verklären ließ, kommt der am 5. Februar 1922 geborene Erzähler in der Literaturgeschichte nicht vor. Haffners Erwägung, ob das Buch nicht vielleicht "der beste Roman irgendeines heute lebenden deutschschreibenden Autors" sei, hat die Germanistik nicht erreicht.
Der Text erhebt allerdings in Inhalt und Form keinen Anspruch auf Superlative. Die Handlung ist in irritierender Detailliertheit auf einen Durchschnittsmenschen konzentriert, auf Robert Mohwinkel, der trotz seiner blonden Haare und seiner wäßrigblauen Augen auch "Mohrchen" genannt wird. Im Jahr 1933 geht er wie sein Autor auf das Gymnasium, und mit diesem Datum beginnt eine Schilderung, die persönliche und politische Geschichte so unspektakulär wie raffiniert verknüpft.
Robert ist ein Duckmäuser, der aber trotz seiner Beflissenheit in Schule und Hitlerjugend immer wieder in Konflikte gerät, denn es ist "im Jahre 1933 nicht modern, ängstlich zu sein". Sein übertriebener Untertanengeist führt ihn jedoch paradoxerweise aus dem Zwang zur Kameraderie heraus. Als Lehrling bei einem Bremer Schiffsmakler entwickelt er ein eigensinniges treudeutsches Pflichtgefühl, seine gesellschaftliche Anerkennung aber holt sich der Junge in der Tanzschule. In dieser Banalidylle wirkt der Kriegsausbruch störend. Robert kommt an die Ostfront, aber auch im Felde bewährt sich sein serviler Charakter: "Er konnte sicher sein, wenn in der ganzen Division nur ein einziger Mann für einen Sonderdienst gebraucht wurde, daß man ihn auswählen würde." So kommt er nie in gefährliche Situationen und kann aufkommende Zweifel am Sinn des Krieges leicht unterdrücken.
Als Robert aus dem Krieg zurückkommt, hat er nur Sorge, an sein altes Leben anzuknüpfen. Die alten Bekannten wiederzufinden ist nicht leicht: "Sie waren fortgezogen oder tot." Er geht zur Tanzschule, wo es jetzt Frauenüberschuß gibt. Seine Ordnungsliebe, zuvor schon belächelt, steigert sich in den Augen seiner Kollegen zur Verrücktheit. Aber dann taucht seine frühere Flamme Ilse Meyerdierks wieder auf. Nur sie gibt ihm Selbstbestätigung. So kann er mit der Erkenntnis leben, daß er sein Leben lang gedemütigt wurde. Das setzt sich fort, als seine Firma ihn nach Frankreich abschiebt, wo er als Tallyman im Hafen von Marseille zum Proletarier absteigt. Er erträgt auch das, ja er macht sich, so gut es geht, mit Ilse ein gutes Leben mit Tanz und Wein in schäbigen Tavernen. Als aber das Geld nicht mehr reichen will, wird er auf die Möglichkeiten seiner Position aufmerksam gemacht. Den Betrug übt er nun in gewohnheitsmäßiger Pedanterie aus und kommt zu einem Vermögen, mit dem er sich in Lübeck als Reeder niederläßt.
Ein Anpasser mit Neigung zur miesen Liebesgeschichte bleibt er, aber in die bundesrepublikanische Verdrängungsmentalität fügt er sich nicht. Er hat ein schlechtes Gewissen und dazu den Groll, daß sein ermogelter Aufstieg nicht einmal von der eigenen Mutter anerkannt wird. Jedoch ist ein wenig südfranzösische Lebensart an ihm hängengeblieben. Die Demütigungen lassen sich um des schönen, mittelmäßigen und gar nicht mehr arbeitsamen Lebens willen ganz gut ertragen.
Lorenzens Erzähler führt seinen Antihelden mit dem Gleichmut des Umstandskrämers in staunenswerter stilistischer Sicherheit zu einem halben, gleichwohl rührenden Triumph des unverfügbaren Individuums. Er ist stets bei ihm, aber er weiß und sieht jeweils gerade so viel mehr, daß in der Diskrepanz der Wahrnehmung ein hinterhältiger Humor zum Ausdruck kommt. "Alles andere als ein Held" ist eine deutsche Geschichte in romanischer Manier, mit der sich Lorenzen als Romancier von europäischem Rang zeigt - mag das den Literaturhistorikern auch noch lange verborgen bleiben.
FRIEDMAR APEL
Rudolf Lorenzen: "Alles andere als ein Held". Roman. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2002. 624 S., geb, 26,-.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zu Unrecht vergessen: Rudolf Lorenzens Geschichte eines Blauäugigen
In der Literaturgeschichte der deutschen Nachkriegszeit gilt 1959, prominent markiert, aber nicht unbedingt repräsentiert, durch die "Blechtrommel" und "Billard um halbzehn", als ein Schlüsseljahr. Da sei "die bundesrepublikanische Gegenwart schon rein quantitativ zum zentralen Thema" des Romans geworden, von der "rühmlichen Ausnahme" Koeppen einmal abgesehen, gleichzeitig sei mit Grass und Böll der "ästhetische Sprung" gelungen. Die politisch korrekte Mißbilligung einer vorzeitigen Abwendung von der Vergangenheit bei verdruckster Rechtfertigung des ästhetisch Arrivierten erweist sich an Rudolf Lorenzens ebenfalls 1959 erschienenem Roman "Alles andere als ein Held" als ignorante Peinlichkeit. Denn anders als sein Generationsgenosse Wolfgang Borchert, dessen Stück über die, die zurückkamen, ohne nach Hause zu gelangen, sich samt seinem frühen Tod sentimental verklären ließ, kommt der am 5. Februar 1922 geborene Erzähler in der Literaturgeschichte nicht vor. Haffners Erwägung, ob das Buch nicht vielleicht "der beste Roman irgendeines heute lebenden deutschschreibenden Autors" sei, hat die Germanistik nicht erreicht.
Der Text erhebt allerdings in Inhalt und Form keinen Anspruch auf Superlative. Die Handlung ist in irritierender Detailliertheit auf einen Durchschnittsmenschen konzentriert, auf Robert Mohwinkel, der trotz seiner blonden Haare und seiner wäßrigblauen Augen auch "Mohrchen" genannt wird. Im Jahr 1933 geht er wie sein Autor auf das Gymnasium, und mit diesem Datum beginnt eine Schilderung, die persönliche und politische Geschichte so unspektakulär wie raffiniert verknüpft.
Robert ist ein Duckmäuser, der aber trotz seiner Beflissenheit in Schule und Hitlerjugend immer wieder in Konflikte gerät, denn es ist "im Jahre 1933 nicht modern, ängstlich zu sein". Sein übertriebener Untertanengeist führt ihn jedoch paradoxerweise aus dem Zwang zur Kameraderie heraus. Als Lehrling bei einem Bremer Schiffsmakler entwickelt er ein eigensinniges treudeutsches Pflichtgefühl, seine gesellschaftliche Anerkennung aber holt sich der Junge in der Tanzschule. In dieser Banalidylle wirkt der Kriegsausbruch störend. Robert kommt an die Ostfront, aber auch im Felde bewährt sich sein serviler Charakter: "Er konnte sicher sein, wenn in der ganzen Division nur ein einziger Mann für einen Sonderdienst gebraucht wurde, daß man ihn auswählen würde." So kommt er nie in gefährliche Situationen und kann aufkommende Zweifel am Sinn des Krieges leicht unterdrücken.
Als Robert aus dem Krieg zurückkommt, hat er nur Sorge, an sein altes Leben anzuknüpfen. Die alten Bekannten wiederzufinden ist nicht leicht: "Sie waren fortgezogen oder tot." Er geht zur Tanzschule, wo es jetzt Frauenüberschuß gibt. Seine Ordnungsliebe, zuvor schon belächelt, steigert sich in den Augen seiner Kollegen zur Verrücktheit. Aber dann taucht seine frühere Flamme Ilse Meyerdierks wieder auf. Nur sie gibt ihm Selbstbestätigung. So kann er mit der Erkenntnis leben, daß er sein Leben lang gedemütigt wurde. Das setzt sich fort, als seine Firma ihn nach Frankreich abschiebt, wo er als Tallyman im Hafen von Marseille zum Proletarier absteigt. Er erträgt auch das, ja er macht sich, so gut es geht, mit Ilse ein gutes Leben mit Tanz und Wein in schäbigen Tavernen. Als aber das Geld nicht mehr reichen will, wird er auf die Möglichkeiten seiner Position aufmerksam gemacht. Den Betrug übt er nun in gewohnheitsmäßiger Pedanterie aus und kommt zu einem Vermögen, mit dem er sich in Lübeck als Reeder niederläßt.
Ein Anpasser mit Neigung zur miesen Liebesgeschichte bleibt er, aber in die bundesrepublikanische Verdrängungsmentalität fügt er sich nicht. Er hat ein schlechtes Gewissen und dazu den Groll, daß sein ermogelter Aufstieg nicht einmal von der eigenen Mutter anerkannt wird. Jedoch ist ein wenig südfranzösische Lebensart an ihm hängengeblieben. Die Demütigungen lassen sich um des schönen, mittelmäßigen und gar nicht mehr arbeitsamen Lebens willen ganz gut ertragen.
Lorenzens Erzähler führt seinen Antihelden mit dem Gleichmut des Umstandskrämers in staunenswerter stilistischer Sicherheit zu einem halben, gleichwohl rührenden Triumph des unverfügbaren Individuums. Er ist stets bei ihm, aber er weiß und sieht jeweils gerade so viel mehr, daß in der Diskrepanz der Wahrnehmung ein hinterhältiger Humor zum Ausdruck kommt. "Alles andere als ein Held" ist eine deutsche Geschichte in romanischer Manier, mit der sich Lorenzen als Romancier von europäischem Rang zeigt - mag das den Literaturhistorikern auch noch lange verborgen bleiben.
FRIEDMAR APEL
Rudolf Lorenzen: "Alles andere als ein Held". Roman. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2002. 624 S., geb, 26,-
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"Eine deutsche Geschichte in romanischer Manier, mit der sich Lorenzen als Romancier von europäischem Rang zeigt" (FAZ)
"Ich bin gar nicht sicher, ob 'Alles andere als ein Held' nicht der beste Roman irgendeines heute lebenden deutschschreibenden Schriftstellers ist." (Sebastian Haffner)
"Ich bin gar nicht sicher, ob 'Alles andere als ein Held' nicht der beste Roman irgendeines heute lebenden deutschschreibenden Schriftstellers ist." (Sebastian Haffner)