Ein junger Amerikaner reist durch die Ukraine. Lebt sie noch, die Frau, die seinem jüdischen Großvater während der Nazizeit das Leben gerettet hat? In einem klapprigen alten Auto macht er sich auf die Suche nach einer gespenstigen Vergangenheit. Zusammen mit einem alten Ukrainer und dessen Enkel Alex, der ein herrliches verballhorntes Englisch spricht. Und dann ist da noch die Promenadenmischung Davis jr.jr.
»Ein Geniestreich.« Die ZEIT
»Ein Geniestreich.« Die ZEIT
"Ein todkomisches, todlustiges Romandebüt. Es stürzt einen in ähnliche Wechselbäder wie der Film 'Das Leben ist schön' von Roberto Benigni." (Der Spiegel)
"Der neue Superstar der amerikanischen Literaturszene. Das komische und berührende Duett einer Erinnerung, die im Medium Literatur noch einmal erfunden wird. (NZZ)
"Ein Debüt, wie es lange keines gegeben hat: Foer vollbringt das Wunder der erfundenen Erinnerung." (FAZ)
"Jonathan Safran Foer landet einen Geniestreich ... so witzig und gescheit, mit so viel Komik und einem Übermaß an klein verpackter großer Weisheit gemacht, dass man sich gelegentlich fragt, wie das einem so jungen Autor überhaupt passieren konnte." (Die Zeit)
"Der neue Superstar der amerikanischen Literaturszene. Das komische und berührende Duett einer Erinnerung, die im Medium Literatur noch einmal erfunden wird. (NZZ)
"Ein Debüt, wie es lange keines gegeben hat: Foer vollbringt das Wunder der erfundenen Erinnerung." (FAZ)
"Jonathan Safran Foer landet einen Geniestreich ... so witzig und gescheit, mit so viel Komik und einem Übermaß an klein verpackter großer Weisheit gemacht, dass man sich gelegentlich fragt, wie das einem so jungen Autor überhaupt passieren konnte." (Die Zeit)
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.09.2004Die Komödie des begabten Kindes
Jonathan Safran Foer in der American Academy
Als 1979 der Bestseller „Das Drama des begabten Kindes” von Alice Miller erschien, war Jonathan Safran Foer gerade zwei Jahre alt. Er wuchs in Washington DC auf und wusste weder, von welchen Gefahren ein begabtes Kind umstellt ist, noch ahnte er, dass er selber einmal ein Erfolgsbuch schreiben würde. Später ging er auf eine private High School, dann an die Princeton University, studierte dort Philosophie und belegte Kurse in Creative Writing. Dabei wurde er von Joyce Carol Oates und Jeffrey Eugenides adoptiert.
Seit im Frühjahr 2002 sein Romandebüt „Everything is illuminated” (deutsch: Alles ist erleuchtet, 2003) erschien, ist Jonathan Safran Foer ein Erfolgsautor. Derzeit schreibt er ein Libretto für die Staatsoper in Berlin, am Donnerstagabend eröffnete er das Herbstprogramm der American Academy am Wannsee mit einer denkwürdigen Lesung. Angekündigt war nichts als der Titel seines zweiten, gerade in der Rohfassung fertiggestellten Romans, der im Frühjahr 2005 erscheinen soll: „Extremely loud and incredibly close”.
Jonathan Safran Foer ist inzwischen 27, aber am Pult scheint ein schmaler, überwacher College-Boy zu stehen, der es nicht erwarten kann, sein Referat zu halten. Kaum hat er die ersten Sätze seines Manuskripts gelesen, ist jemand noch Jüngerer im Raum: Oscar, ein sehr begabtes Kind, neun Jahre alt. Es ist der Ich-Erzähler des Romans, und es sprudelt seine Sätze aus sich heraus, als müsse es eine Wette gewinnen, in der der Quotient aus Silbenzahl und Sekundenzahl eine Hauptrolle spielt. Das Kind erzählt, wie es seinem Vater Löcher über Kosmologie und Zeugung in den Bauch fragt, und wie der Vater die New York Times mit rotem Stift liest und in jedem Artikel irgendeinen Fehler findet.
Das begabte Kind ist stolz darauf, einen Vater zu haben, der klüger ist als die New York Times und schreibt gerne Briefe an Prominente, zum Beispiel an eines seiner Idole, den Physiker Stephen Hawking. Es betreibt Archäologie im Central Park. Und es hat eine Mutter, der es lieber nicht erklärt, wie vielen Personen es Nachschlüssel der Wohnung gegeben hat. Das altkluge Kind ist wahrscheinlich eine ziemliche Nervensäge.
Aber vor allem ist es komisch. Der 27-jährige Autor, sein Bauchredner, tut alles, um Oscar der Alice-Miller-Welt zu entführen. In Foers Welt spielt sich das Drama des begabten Kindes nicht als Tragödie ab, sondern als Komödie. Die Pointendichte seiner Oscar-Suada steht der eines Entertainers auf einem Kreuzfahrtschiff nicht nach.
In Foers Erstling suchte ein junger amerikanischer Schriftsteller in der Ukraine nach den Spuren einer Frau, von der die Familienlegende wissen will, sie habe seinen jüdischen Großvater vor den Nazis gerettet. Schon in diesem Roman waren die Stimmenimitationen aus der Gegenwart des Amerikaners und seines ukrainischen Übersetzers stärker als die Mimikry mit dem Epischen, mit einer Schtetl-Chronik aus alten Zeiten.
Wenn das Eingangskapitel nicht täuscht, hat Foer sich in seinem zweiten Roman auf den Kern seines Talents konzentriert: die Auflösung der Erzählung in der rhetorischen Performance. Die Ermunterung zum Rollenspiel, zum Auftreten, zur Selbstdarstellung im amerikanischen Schulsystem dürfte dazu mehr beigetragen haben als der Bücherschrank der Eltern. Nicht nur Oscar, auch sein Autor ist eher ein Kind der elektronischen Medien und sich überlagernden musikalischen Tonspuren als eine Leseratte.
Die rhetorische Virtuosität läuft nicht leer. Immer dichter mischen sich schwarze Flocken in das Pointengestöber, beginnen Worte wie „the worst day” und Imperfektformen den Vater ins Jenseits zu rücken. Gehirn und Phantasie des begabten Kindes laufen auf Hochtouren, um eine Leerstelle zu füllen. Am Ende dieses ersten Kapitels hat das Gehirn die Erinnerung an die Stimme des Vater auf dem Anrufbeantworter abgerufen. Im letzten Satz ist Oscar selbst am Apparat, am anderen Ende der Vater. Es ist kurz nach 9 Uhr morgens. Das Datum kennt jeder, darum muss es nicht genannt werden.
Gewiss, das ist ein Cliffhanger wie aus dem Creative-Writing-Kurs. Aber diese traurig-komische Suada eines begabten Kindes könnte eine ernst zu nehmende Antwort der amerikanischen Literatur auf den 11. September 2001 werden.
LOTHAR MÜLLER
Jonathan Safran Foer
Foto: Marion Ettlinger
Jonathan Safran Foer in der American Academy
Als 1979 der Bestseller „Das Drama des begabten Kindes” von Alice Miller erschien, war Jonathan Safran Foer gerade zwei Jahre alt. Er wuchs in Washington DC auf und wusste weder, von welchen Gefahren ein begabtes Kind umstellt ist, noch ahnte er, dass er selber einmal ein Erfolgsbuch schreiben würde. Später ging er auf eine private High School, dann an die Princeton University, studierte dort Philosophie und belegte Kurse in Creative Writing. Dabei wurde er von Joyce Carol Oates und Jeffrey Eugenides adoptiert.
Seit im Frühjahr 2002 sein Romandebüt „Everything is illuminated” (deutsch: Alles ist erleuchtet, 2003) erschien, ist Jonathan Safran Foer ein Erfolgsautor. Derzeit schreibt er ein Libretto für die Staatsoper in Berlin, am Donnerstagabend eröffnete er das Herbstprogramm der American Academy am Wannsee mit einer denkwürdigen Lesung. Angekündigt war nichts als der Titel seines zweiten, gerade in der Rohfassung fertiggestellten Romans, der im Frühjahr 2005 erscheinen soll: „Extremely loud and incredibly close”.
Jonathan Safran Foer ist inzwischen 27, aber am Pult scheint ein schmaler, überwacher College-Boy zu stehen, der es nicht erwarten kann, sein Referat zu halten. Kaum hat er die ersten Sätze seines Manuskripts gelesen, ist jemand noch Jüngerer im Raum: Oscar, ein sehr begabtes Kind, neun Jahre alt. Es ist der Ich-Erzähler des Romans, und es sprudelt seine Sätze aus sich heraus, als müsse es eine Wette gewinnen, in der der Quotient aus Silbenzahl und Sekundenzahl eine Hauptrolle spielt. Das Kind erzählt, wie es seinem Vater Löcher über Kosmologie und Zeugung in den Bauch fragt, und wie der Vater die New York Times mit rotem Stift liest und in jedem Artikel irgendeinen Fehler findet.
Das begabte Kind ist stolz darauf, einen Vater zu haben, der klüger ist als die New York Times und schreibt gerne Briefe an Prominente, zum Beispiel an eines seiner Idole, den Physiker Stephen Hawking. Es betreibt Archäologie im Central Park. Und es hat eine Mutter, der es lieber nicht erklärt, wie vielen Personen es Nachschlüssel der Wohnung gegeben hat. Das altkluge Kind ist wahrscheinlich eine ziemliche Nervensäge.
Aber vor allem ist es komisch. Der 27-jährige Autor, sein Bauchredner, tut alles, um Oscar der Alice-Miller-Welt zu entführen. In Foers Welt spielt sich das Drama des begabten Kindes nicht als Tragödie ab, sondern als Komödie. Die Pointendichte seiner Oscar-Suada steht der eines Entertainers auf einem Kreuzfahrtschiff nicht nach.
In Foers Erstling suchte ein junger amerikanischer Schriftsteller in der Ukraine nach den Spuren einer Frau, von der die Familienlegende wissen will, sie habe seinen jüdischen Großvater vor den Nazis gerettet. Schon in diesem Roman waren die Stimmenimitationen aus der Gegenwart des Amerikaners und seines ukrainischen Übersetzers stärker als die Mimikry mit dem Epischen, mit einer Schtetl-Chronik aus alten Zeiten.
Wenn das Eingangskapitel nicht täuscht, hat Foer sich in seinem zweiten Roman auf den Kern seines Talents konzentriert: die Auflösung der Erzählung in der rhetorischen Performance. Die Ermunterung zum Rollenspiel, zum Auftreten, zur Selbstdarstellung im amerikanischen Schulsystem dürfte dazu mehr beigetragen haben als der Bücherschrank der Eltern. Nicht nur Oscar, auch sein Autor ist eher ein Kind der elektronischen Medien und sich überlagernden musikalischen Tonspuren als eine Leseratte.
Die rhetorische Virtuosität läuft nicht leer. Immer dichter mischen sich schwarze Flocken in das Pointengestöber, beginnen Worte wie „the worst day” und Imperfektformen den Vater ins Jenseits zu rücken. Gehirn und Phantasie des begabten Kindes laufen auf Hochtouren, um eine Leerstelle zu füllen. Am Ende dieses ersten Kapitels hat das Gehirn die Erinnerung an die Stimme des Vater auf dem Anrufbeantworter abgerufen. Im letzten Satz ist Oscar selbst am Apparat, am anderen Ende der Vater. Es ist kurz nach 9 Uhr morgens. Das Datum kennt jeder, darum muss es nicht genannt werden.
Gewiss, das ist ein Cliffhanger wie aus dem Creative-Writing-Kurs. Aber diese traurig-komische Suada eines begabten Kindes könnte eine ernst zu nehmende Antwort der amerikanischen Literatur auf den 11. September 2001 werden.
LOTHAR MÜLLER
Jonathan Safran Foer
Foto: Marion Ettlinger
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2003Gott liebt jene, die abkupfern
Ein Debüt, wie es lange keines gegeben hat: In seinem Roman "Alles ist erleuchtet" vollbringt Jonathan Safran Foer das Wunder der erfundenen Erinnerung
Trachimbrod, ein kleiner Ort in der Ukraine, der durch den ersten Roman eines kaum fünfundzwanzigjährigen amerikanischen Juden in die Literaturgeschichte eingehen wird, existiert wirklich. Das heißt, Trachimbrod hat einmal existiert. Heute kündet nur noch ein Gedenkstein von dem Dorf, das am 18. März 1942 ausgelöscht wurde. Fünfzig Jahre nach dem Massaker wurde eine Inschrift enthüllt, die an 1204 jüdische Dorfbewohner erinnert, die von deutschen Faschisten ermordet wurden. Die Schrift ist in acht Sprachen in den Stein gemeißelt: Russisch, Ukrainisch, Hebräisch, Polnisch, Jiddisch, Englisch und Deutsch.
Der Stein war das einzige, was noch an Trachimbrod erinnerte, als Jonathan Safran Foer vor einigen Jahren auf der Suche nach den abgeschnittenen Wurzeln seiner Familie in die Ukraine fuhr. Die Reise verlief ergebnislos, denn Trachimbrod war ausgelöscht, seine Häuser waren vom Erdboden getilgt, ihre Bewohner waren getötet oder geflohen. Foer fand nichts von dem, was er gesucht hatte, aber er entdeckte, daß er alles, was er brauchte, um sein Denkmal für Trachimbrod zu schaffen, bereits in sich trug. Er konnte eine verschwundene Welt neu erfinden, er mußte nur die entsprechende literarische Form dazu erschaffen. Wer das Wagnis unternimmt, die zahllosen authentischen Zeugnisse der Judenvernichtung von Primo Levi bis Imre Kertész um ein weiteres, fiktives Kapitel zu vermehren, für den hängt alles von der Form ab. Die Form ist das wichtigste.
Auch die Angehörigen der Enkelgeneration sind noch immer von der Katastrophe der Großeltern geprägt. Aber anders als ihre Eltern, die mittlere Generation, die an der Last der Geschichte oft kaum weniger schwer trug als die unmittelbar Betroffenen, wissen die heute Zwanzig- bis Vierzigjährigen die Distanz zweier Generationen und eines halben Jahrhunderts zwischen sich und dem Genozid. Diese Distanz bedeutet auch Freiheit, eine Freiheit, die bei Foer zum literarischen Ereignis wird.
Der Roman wird auf drei Ebenen erzählt. Zunächst ist da die Reise eines amerikanischen Juden in die Ukraine. Ihr Zweck: Familienforschung. Der junge Mann, der den Namen des Autors trägt, ist auf der Suche nach einer Frau namens Augustine. Sie hat den Großvater vor den Nazis gerettet und damit auch Jonathan das Leben geschenkt. Weil solche Unternehmungen unter amerikanischen Juden nichts Ungewöhnliches sind, kann Jonathan in der Ukraine auf die Dienste eines speziellen Reisebüros zurückgreifen. Die "Heritage Tours" sind ein Rädchen jener großen Erinnerungs- und Bewältigungsmaschinerie, die auch zum Erbe des Holocaust gehört. Das Reisebüro weist seinem Kunden einen Fahrer und einen Übersetzer zu. Dieser Übersetzer, ein junger, amerikabegeisterter Ukrainer namens Alex, ist die heimliche Hauptfigur des Romans. Aus seiner Feder stammen zwei der drei Teile, aus denen dieses Buch besteht: die Briefe, die Alex seinem Freund nach dessen Rückkehr in die Vereinigten Staaten schreibt, sowie, als Roman im Roman, die Geschichte der Suche nach der Lebensretterin Augustine. Die dritte Ebene des Buches, wiederum ein Roman im Roman, ist die Chronik des Schtetl Trachimbrod, die Jonathan in Amerika verfaßt hat.
Kunstvoll wechselt Foer die Ebenen, läßt Jonathan mit überbordender Fantasie das Leben im Schtetl schildern und folgt dann Alex' Bericht über die Reise, die am Ende mehr über die Familie des jungen Übersetzers als über die jüdischen Vorfahren des Amerikaners zum Vorschein bringen wird. Dazwischen lesen wir die Briefe, die Alex an Jonathan nach Amerika schreibt, und in denen beide Romane im Roman ausgiebig kommentiert werden: Dokumente einer Freundschaft zwischen zwei angehenden Schriftstellern, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Alex' Roman der Reise verwandelt sich vom skurrilen Road-Movie zur tragisch endenden Familienrecherche.
Zunächst ist alles nur ein Witz: am Steuer des klapprigen Gefährts der fluchende Großvater, der von sich behauptet, er sei blind, daneben sein Enkel, dessen holpriges Englisch Anlaß für die schönsten Mißverständnisse und die plattesten Kalauer, für Sprachspiele und Wortschöpfungen bietet, auf dem Rücksitz der junge Amerikaner, panisch bemüht, sich die läufige Blindenhündin des Großvaters vom Leib zu halten, einen neurotischen, völlig sexbesessenen Köter mit dem schönen Namen Sammy Davis jr. jr. Das ist so skurril, abgedreht und liebenswert, daß die Filmproduzenten aus Hollywood Schlange gestanden haben müssen, als die Filmrechte verkauft wurden. Zumal das Ende dieser Reise das Geheimnis des Großvaters enthüllt und die Geschichte nun um einige Zutaten bereichert wird, die in Hollywood ebenfalls hoch in Kurs stehen: große Gefühle, Pathos, die Tragik von Freundschaft, Liebe und Verrat. Dirk van Gunsteren hat diese Teile des Romans ingeniös und mit viel Gespür für die heikle Balance zwischen Klamauk und Emotion ins Deutsche übertragen.
Ganz anders in Stil und Tonfall hingegen die Chronik von Trachimbrod, die Jonathan schreibt. Sie beginnt mit einem Unfall. Ein Mann namens Trachim stürzt mit seinem Pferdefuhrwerk in einen Fluß namens Brod. Sein Leichnam wird nie gefunden, aber die Anwohner fischen neben etlichem Hausrat auch einen Säugling aus dem Wasser. Sie geben dem Kind ohne Nabelschnur den Namen des Flusses und benennen ihr Dorf fortan nach dem Unfall: Trachimbrod. Einhundertfünfzig Jahre lang, von 1791 bis 1941, feiern die Bewohner alljährlich ein Fest zum Gedenken an dieses Ereignis, und der Erzähler folgt der Geschichte der kleinen Brod, seiner Ur-ur-ur-ur-ur-Großmutter, und ihrer Nachkommen bis zu jenem letzten Fest, bei dem das Dorf vernichtet wird und eine schwangere Frau im Fluß ertrinkt, in ihren Armen einen Säugling, der durch die Nabelschnur an die sterbende Mutter gefesselt ist.
Jonathans Teil des Romans entfaltet einen Mikrokosmos von Figuren und Archetypen: Jankel, der entehrte Wucherer, zieht Brod groß, die von einem verrückten Grundbesitzer vergewaltigt wird und den schüchternen Safran heiratet, der eines Tages mit einem Sägeblatt im Schädel von der Arbeit heimkommt. Safran überlebt, aber der Riß im Kopf geht durch seine ganze Person. Ein zweiter Safran zeigt sich, ein gewalttätiges Monstrum. Erst jetzt entdeckt Brod, die zuvor allein die Liebe lieben konnte, die Liebe zu ihrem Ehemann.
Manches kommt einem hier bekannt vor, sogar allzu bekannt. Jonathans Stil erinnert an Isaac Bashevis Singer und Scholem Alechem, an Gimpel, den Narr, und Tewje, den Milchmann, an Chagall und am meisten an Gabriel García Márquez. Die schöne, überirdisch kluge Brod, die allen Männern den Kopf verdreht, ist eine wiedergeborene Remedios, die ihr Dorf Macondo verließ, um gen Himmel zu fahren. Bei Foer sind Lateinamerika und Osteuropa, Trachimbrod und Macondo kaum eine Handbreit voneinander entfernt. So gleicht "Alles ist erleuchtet" über weite Strecken jener Familienchronik aus dem Urwald, mit der Gabriel García Márquez weltberühmt wurde. "Hundert Jahre Einsamkeit" im Schtetl: magischer Realismus und jiddischer Barock.
Bei García Márquez ist das Geschehen vorherbestimmt. Alles passiert so, wie es der Zauberer Melquíades in seinen Schriften niedergeschrieben hatte. Auch Foer bedient sich einer Chronik, aus der er ausgiebig zitiert, und er inszeniert wie Gabriel García Márquez jenen unheimlichen Moment, in dem sich Romangeschehen und Chronik übereinanderschieben, miteinander verschmelzen und so die Grenzen von Zeit und Wirklichkeit aufheben. Das ist virtuos gemacht, kein Zweifel, aber es ist auch rotzfrech geklaut. Ist das nicht ein bißchen zuviel der Chuzpe?
Die Antwort gibt Foer selbst. Das "Buch der Begebenheiten" entwickelt sich im Lauf seiner Geschichte von einer Chronik der wichtigen Ereignisse zu einer Schrift über "das Leben und das Leben des Lebens", die neben Kommentaren auch "Definitionen, Gleichnisse, verschiedene Regeln für ein rechtschaffenes Leben und hübsche, wenn auch sinnlose Sprichwörter" enthält. Unter der Überschrift "Plagiat" findet sich hier die Geschichte von Kain und Abel in einer neuen Version. Abel mußte sterben, weil er eines der Lieblingsgedichte seines Bruders plagiiert hatte. Daß Kain, der sich im Recht glaubte, von Gott bestraft wurde, erklärt die Chronik mit einer überraschenden Einsicht: Gott liebt jene, die abkupfern, denn sie folgen seinem Vorbild. Gott war der erste Plagiator, schuf er doch den Menschen nach seinem Bilde: "Gott plünderte den Spiegel. Wenn wir plagiieren, erschaffen wir ebenfalls zum Bilde und leisten einen Beitrag zur Vollendung der Schöpfung. Soll ich meines Bruders Material sein? Natürlich, Kain. Natürlich."
Ist ein Plagiatsprozeß denkbar, den dieser brillante Strafverteidiger seiner selbst mit diesem Plädoyer nicht für sich entscheiden würde? Das Urteil lautet Freispruch, die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Foers Argumentation gehört ebenso zum Arsenal der Postmoderne wie die immer wieder in die Handlung eingestreuten literarischen Selbstreflexionen. Aber die zentrale Rolle, die der Literatur und dem Medium der Schrift in diesem erstaunlichen Roman zugewiesen wird, erwächst aus einer Tradition, die weit älter ist als die literarischen Verfahren der Postmoderne. In zahllosen Bildern, Verweisen und Anspielungen erweist der junge Jonathan Safran Foer dem Selbstverständnis seiner Vorfahren als Volk der Schrift seine Reverenz. Am deutlichsten wird dies an Jankel, dem entehrten Wucherer, der schreibend lebt und schreibend stirbt. Auch seine Liebe zu Brod ist ohne die Schrift nicht denkbar. Als er den Säugling, zu dessen Adoptivvater ihn eine Lotterie gemacht hatte, am ersten Abend mit nach Hause nimmt, bereitet er dem Kind ein Bett in einer mit Zeitungspapier ausgestopften Backform, die er in den Ofen schiebt. Stundenlang betrachtet er Brod, "wie man einen Brotteig beim Aufgehen betrachten würde." Als er das Mädchen schließlich aus seinem Bettchen nimmt, ist der kleine Körper mit Überschriften übersät: "Manchmal wiegte er die Kleine in den Schlaf und las sie von Anfang bis Ende, und dann wußte er alles, was er über die Welt wissen mußte. Wenn es nicht auf dem Kindchen geschrieben stand, war es für ihn ohne Bedeutung."
Die Juden, heißt es im "Buch der Begebenheiten", haben sechs Sinne. Der sechste Sinn ist das Gedächtnis. Zwei Dinge gibt es auf der Welt, die länger im Gedächtnis bleiben als alles andere, das eine ist unvermeidlich, das andere unwahrscheinlich: der Schmerz und die Liebe. Von beidem handelt dieser erstaunliche Roman eines jungen amerikanischen Juden, eines Musterschülers des Creative Writing, der sich alles zutraut, weder Respekt noch gar Angst zu kennen scheint und zuweilen mit Karacho übers Ziel hinausschießt. Hätte Foer weniger Talent, wäre "Alles ist erleuchtet" das Buch eines altklugen Angebers geworden, aber vermutlich immer noch ein Erstling, der hätte aufhorchen lassen. Nun ist ihm ein Debüt gelungen, wie es lange keines gegeben hat, und das manchen Jungstar der deutschen Literatur doch recht brav und bieder aussehen läßt.
Daß ein Vierundzwanzigjähriger einen Roman über die Liebe und den Holocaust, die jüdische Tradition der Schrift und das mildtätige Wunder der erfundenen Erinnerung schreibt und etwas anderes dabei herauskommt als ein großer Haufen Kitsch und altkluger Zitate - das ist so unwahrscheinlich wie die Liebe. Jonathan Safran Foers Roman "Alles ist erleuchtet" lehrt uns, auch mit dem Unwahrscheinlichen zu rechnen. Es gibt nichts, worauf zu hoffen mehr lohnt.
Jonathan Safran Foer: "Alles ist erleuchtet". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003. 383 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Debüt, wie es lange keines gegeben hat: In seinem Roman "Alles ist erleuchtet" vollbringt Jonathan Safran Foer das Wunder der erfundenen Erinnerung
Trachimbrod, ein kleiner Ort in der Ukraine, der durch den ersten Roman eines kaum fünfundzwanzigjährigen amerikanischen Juden in die Literaturgeschichte eingehen wird, existiert wirklich. Das heißt, Trachimbrod hat einmal existiert. Heute kündet nur noch ein Gedenkstein von dem Dorf, das am 18. März 1942 ausgelöscht wurde. Fünfzig Jahre nach dem Massaker wurde eine Inschrift enthüllt, die an 1204 jüdische Dorfbewohner erinnert, die von deutschen Faschisten ermordet wurden. Die Schrift ist in acht Sprachen in den Stein gemeißelt: Russisch, Ukrainisch, Hebräisch, Polnisch, Jiddisch, Englisch und Deutsch.
Der Stein war das einzige, was noch an Trachimbrod erinnerte, als Jonathan Safran Foer vor einigen Jahren auf der Suche nach den abgeschnittenen Wurzeln seiner Familie in die Ukraine fuhr. Die Reise verlief ergebnislos, denn Trachimbrod war ausgelöscht, seine Häuser waren vom Erdboden getilgt, ihre Bewohner waren getötet oder geflohen. Foer fand nichts von dem, was er gesucht hatte, aber er entdeckte, daß er alles, was er brauchte, um sein Denkmal für Trachimbrod zu schaffen, bereits in sich trug. Er konnte eine verschwundene Welt neu erfinden, er mußte nur die entsprechende literarische Form dazu erschaffen. Wer das Wagnis unternimmt, die zahllosen authentischen Zeugnisse der Judenvernichtung von Primo Levi bis Imre Kertész um ein weiteres, fiktives Kapitel zu vermehren, für den hängt alles von der Form ab. Die Form ist das wichtigste.
Auch die Angehörigen der Enkelgeneration sind noch immer von der Katastrophe der Großeltern geprägt. Aber anders als ihre Eltern, die mittlere Generation, die an der Last der Geschichte oft kaum weniger schwer trug als die unmittelbar Betroffenen, wissen die heute Zwanzig- bis Vierzigjährigen die Distanz zweier Generationen und eines halben Jahrhunderts zwischen sich und dem Genozid. Diese Distanz bedeutet auch Freiheit, eine Freiheit, die bei Foer zum literarischen Ereignis wird.
Der Roman wird auf drei Ebenen erzählt. Zunächst ist da die Reise eines amerikanischen Juden in die Ukraine. Ihr Zweck: Familienforschung. Der junge Mann, der den Namen des Autors trägt, ist auf der Suche nach einer Frau namens Augustine. Sie hat den Großvater vor den Nazis gerettet und damit auch Jonathan das Leben geschenkt. Weil solche Unternehmungen unter amerikanischen Juden nichts Ungewöhnliches sind, kann Jonathan in der Ukraine auf die Dienste eines speziellen Reisebüros zurückgreifen. Die "Heritage Tours" sind ein Rädchen jener großen Erinnerungs- und Bewältigungsmaschinerie, die auch zum Erbe des Holocaust gehört. Das Reisebüro weist seinem Kunden einen Fahrer und einen Übersetzer zu. Dieser Übersetzer, ein junger, amerikabegeisterter Ukrainer namens Alex, ist die heimliche Hauptfigur des Romans. Aus seiner Feder stammen zwei der drei Teile, aus denen dieses Buch besteht: die Briefe, die Alex seinem Freund nach dessen Rückkehr in die Vereinigten Staaten schreibt, sowie, als Roman im Roman, die Geschichte der Suche nach der Lebensretterin Augustine. Die dritte Ebene des Buches, wiederum ein Roman im Roman, ist die Chronik des Schtetl Trachimbrod, die Jonathan in Amerika verfaßt hat.
Kunstvoll wechselt Foer die Ebenen, läßt Jonathan mit überbordender Fantasie das Leben im Schtetl schildern und folgt dann Alex' Bericht über die Reise, die am Ende mehr über die Familie des jungen Übersetzers als über die jüdischen Vorfahren des Amerikaners zum Vorschein bringen wird. Dazwischen lesen wir die Briefe, die Alex an Jonathan nach Amerika schreibt, und in denen beide Romane im Roman ausgiebig kommentiert werden: Dokumente einer Freundschaft zwischen zwei angehenden Schriftstellern, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Alex' Roman der Reise verwandelt sich vom skurrilen Road-Movie zur tragisch endenden Familienrecherche.
Zunächst ist alles nur ein Witz: am Steuer des klapprigen Gefährts der fluchende Großvater, der von sich behauptet, er sei blind, daneben sein Enkel, dessen holpriges Englisch Anlaß für die schönsten Mißverständnisse und die plattesten Kalauer, für Sprachspiele und Wortschöpfungen bietet, auf dem Rücksitz der junge Amerikaner, panisch bemüht, sich die läufige Blindenhündin des Großvaters vom Leib zu halten, einen neurotischen, völlig sexbesessenen Köter mit dem schönen Namen Sammy Davis jr. jr. Das ist so skurril, abgedreht und liebenswert, daß die Filmproduzenten aus Hollywood Schlange gestanden haben müssen, als die Filmrechte verkauft wurden. Zumal das Ende dieser Reise das Geheimnis des Großvaters enthüllt und die Geschichte nun um einige Zutaten bereichert wird, die in Hollywood ebenfalls hoch in Kurs stehen: große Gefühle, Pathos, die Tragik von Freundschaft, Liebe und Verrat. Dirk van Gunsteren hat diese Teile des Romans ingeniös und mit viel Gespür für die heikle Balance zwischen Klamauk und Emotion ins Deutsche übertragen.
Ganz anders in Stil und Tonfall hingegen die Chronik von Trachimbrod, die Jonathan schreibt. Sie beginnt mit einem Unfall. Ein Mann namens Trachim stürzt mit seinem Pferdefuhrwerk in einen Fluß namens Brod. Sein Leichnam wird nie gefunden, aber die Anwohner fischen neben etlichem Hausrat auch einen Säugling aus dem Wasser. Sie geben dem Kind ohne Nabelschnur den Namen des Flusses und benennen ihr Dorf fortan nach dem Unfall: Trachimbrod. Einhundertfünfzig Jahre lang, von 1791 bis 1941, feiern die Bewohner alljährlich ein Fest zum Gedenken an dieses Ereignis, und der Erzähler folgt der Geschichte der kleinen Brod, seiner Ur-ur-ur-ur-ur-Großmutter, und ihrer Nachkommen bis zu jenem letzten Fest, bei dem das Dorf vernichtet wird und eine schwangere Frau im Fluß ertrinkt, in ihren Armen einen Säugling, der durch die Nabelschnur an die sterbende Mutter gefesselt ist.
Jonathans Teil des Romans entfaltet einen Mikrokosmos von Figuren und Archetypen: Jankel, der entehrte Wucherer, zieht Brod groß, die von einem verrückten Grundbesitzer vergewaltigt wird und den schüchternen Safran heiratet, der eines Tages mit einem Sägeblatt im Schädel von der Arbeit heimkommt. Safran überlebt, aber der Riß im Kopf geht durch seine ganze Person. Ein zweiter Safran zeigt sich, ein gewalttätiges Monstrum. Erst jetzt entdeckt Brod, die zuvor allein die Liebe lieben konnte, die Liebe zu ihrem Ehemann.
Manches kommt einem hier bekannt vor, sogar allzu bekannt. Jonathans Stil erinnert an Isaac Bashevis Singer und Scholem Alechem, an Gimpel, den Narr, und Tewje, den Milchmann, an Chagall und am meisten an Gabriel García Márquez. Die schöne, überirdisch kluge Brod, die allen Männern den Kopf verdreht, ist eine wiedergeborene Remedios, die ihr Dorf Macondo verließ, um gen Himmel zu fahren. Bei Foer sind Lateinamerika und Osteuropa, Trachimbrod und Macondo kaum eine Handbreit voneinander entfernt. So gleicht "Alles ist erleuchtet" über weite Strecken jener Familienchronik aus dem Urwald, mit der Gabriel García Márquez weltberühmt wurde. "Hundert Jahre Einsamkeit" im Schtetl: magischer Realismus und jiddischer Barock.
Bei García Márquez ist das Geschehen vorherbestimmt. Alles passiert so, wie es der Zauberer Melquíades in seinen Schriften niedergeschrieben hatte. Auch Foer bedient sich einer Chronik, aus der er ausgiebig zitiert, und er inszeniert wie Gabriel García Márquez jenen unheimlichen Moment, in dem sich Romangeschehen und Chronik übereinanderschieben, miteinander verschmelzen und so die Grenzen von Zeit und Wirklichkeit aufheben. Das ist virtuos gemacht, kein Zweifel, aber es ist auch rotzfrech geklaut. Ist das nicht ein bißchen zuviel der Chuzpe?
Die Antwort gibt Foer selbst. Das "Buch der Begebenheiten" entwickelt sich im Lauf seiner Geschichte von einer Chronik der wichtigen Ereignisse zu einer Schrift über "das Leben und das Leben des Lebens", die neben Kommentaren auch "Definitionen, Gleichnisse, verschiedene Regeln für ein rechtschaffenes Leben und hübsche, wenn auch sinnlose Sprichwörter" enthält. Unter der Überschrift "Plagiat" findet sich hier die Geschichte von Kain und Abel in einer neuen Version. Abel mußte sterben, weil er eines der Lieblingsgedichte seines Bruders plagiiert hatte. Daß Kain, der sich im Recht glaubte, von Gott bestraft wurde, erklärt die Chronik mit einer überraschenden Einsicht: Gott liebt jene, die abkupfern, denn sie folgen seinem Vorbild. Gott war der erste Plagiator, schuf er doch den Menschen nach seinem Bilde: "Gott plünderte den Spiegel. Wenn wir plagiieren, erschaffen wir ebenfalls zum Bilde und leisten einen Beitrag zur Vollendung der Schöpfung. Soll ich meines Bruders Material sein? Natürlich, Kain. Natürlich."
Ist ein Plagiatsprozeß denkbar, den dieser brillante Strafverteidiger seiner selbst mit diesem Plädoyer nicht für sich entscheiden würde? Das Urteil lautet Freispruch, die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Foers Argumentation gehört ebenso zum Arsenal der Postmoderne wie die immer wieder in die Handlung eingestreuten literarischen Selbstreflexionen. Aber die zentrale Rolle, die der Literatur und dem Medium der Schrift in diesem erstaunlichen Roman zugewiesen wird, erwächst aus einer Tradition, die weit älter ist als die literarischen Verfahren der Postmoderne. In zahllosen Bildern, Verweisen und Anspielungen erweist der junge Jonathan Safran Foer dem Selbstverständnis seiner Vorfahren als Volk der Schrift seine Reverenz. Am deutlichsten wird dies an Jankel, dem entehrten Wucherer, der schreibend lebt und schreibend stirbt. Auch seine Liebe zu Brod ist ohne die Schrift nicht denkbar. Als er den Säugling, zu dessen Adoptivvater ihn eine Lotterie gemacht hatte, am ersten Abend mit nach Hause nimmt, bereitet er dem Kind ein Bett in einer mit Zeitungspapier ausgestopften Backform, die er in den Ofen schiebt. Stundenlang betrachtet er Brod, "wie man einen Brotteig beim Aufgehen betrachten würde." Als er das Mädchen schließlich aus seinem Bettchen nimmt, ist der kleine Körper mit Überschriften übersät: "Manchmal wiegte er die Kleine in den Schlaf und las sie von Anfang bis Ende, und dann wußte er alles, was er über die Welt wissen mußte. Wenn es nicht auf dem Kindchen geschrieben stand, war es für ihn ohne Bedeutung."
Die Juden, heißt es im "Buch der Begebenheiten", haben sechs Sinne. Der sechste Sinn ist das Gedächtnis. Zwei Dinge gibt es auf der Welt, die länger im Gedächtnis bleiben als alles andere, das eine ist unvermeidlich, das andere unwahrscheinlich: der Schmerz und die Liebe. Von beidem handelt dieser erstaunliche Roman eines jungen amerikanischen Juden, eines Musterschülers des Creative Writing, der sich alles zutraut, weder Respekt noch gar Angst zu kennen scheint und zuweilen mit Karacho übers Ziel hinausschießt. Hätte Foer weniger Talent, wäre "Alles ist erleuchtet" das Buch eines altklugen Angebers geworden, aber vermutlich immer noch ein Erstling, der hätte aufhorchen lassen. Nun ist ihm ein Debüt gelungen, wie es lange keines gegeben hat, und das manchen Jungstar der deutschen Literatur doch recht brav und bieder aussehen läßt.
Daß ein Vierundzwanzigjähriger einen Roman über die Liebe und den Holocaust, die jüdische Tradition der Schrift und das mildtätige Wunder der erfundenen Erinnerung schreibt und etwas anderes dabei herauskommt als ein großer Haufen Kitsch und altkluger Zitate - das ist so unwahrscheinlich wie die Liebe. Jonathan Safran Foers Roman "Alles ist erleuchtet" lehrt uns, auch mit dem Unwahrscheinlichen zu rechnen. Es gibt nichts, worauf zu hoffen mehr lohnt.
Jonathan Safran Foer: "Alles ist erleuchtet". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003. 383 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Eine wunderbar vielschichtige Chronik ... Selten hat ein so junger Autor solche Virtuosität und Klugheit bewiesen.« (Washington Post Book World)
»Mit seinen verschiedenen Erzählern, den vielfachen Spiralen von Witz und den halsbrecherischen Wechseln zwischen Horror und Heiterkeit, mit seinen Seitenhieben auf den Nach-Wende-Kapitalismus und zeitgenössischen Antisemitismus, mit all dem ist ›Alles ist erleuchtet‹ eine wahre Wundertüte.« (Los Angeles Times Book Review)
»Jonathan Safran Foer, das 25-jährige literarische Wunderkind, entwickelt die Geschichte eines Schtetls, indem er jeden nur denkbaren literarischen Kniff nutzt. So entsteht eine dichte Erzählung aus Geschichte, Erinnerung und Versöhnung.« (New York Magazine)
»Seit Anthony Burgess’ Roman ›Clockwork Orange‹ ist die englische Sprache nicht mehr mit solcher Brillanz und solcher Kraft durcheinander gewirbelt und gestaltet worden.« (New York Times Book Review)
»Mit seinen verschiedenen Erzählern, den vielfachen Spiralen von Witz und den halsbrecherischen Wechseln zwischen Horror und Heiterkeit, mit seinen Seitenhieben auf den Nach-Wende-Kapitalismus und zeitgenössischen Antisemitismus, mit all dem ist ›Alles ist erleuchtet‹ eine wahre Wundertüte.« (Los Angeles Times Book Review)
»Jonathan Safran Foer, das 25-jährige literarische Wunderkind, entwickelt die Geschichte eines Schtetls, indem er jeden nur denkbaren literarischen Kniff nutzt. So entsteht eine dichte Erzählung aus Geschichte, Erinnerung und Versöhnung.« (New York Magazine)
»Seit Anthony Burgess’ Roman ›Clockwork Orange‹ ist die englische Sprache nicht mehr mit solcher Brillanz und solcher Kraft durcheinander gewirbelt und gestaltet worden.« (New York Times Book Review)
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Die Rezensentin Angela Schader wundert sich ein wenig, weshalb der Übersetzer Diek van Gunsteren die für Jonathan Foers Roman so charakteristische "sprachliche Schieflage" begradigt hat. Denn "Alles ist erleuchtet" ist für Schader ein von Schieflagen geprägter Text, in dem der Autor seine tatsächlich unternommene Reise in die Ukraine verarbeitet, die ihn auf die Spur seiner jüdischen Vorfahren führen sollte, die jedoch gescheitert ist. Und so versucht Foer, diese "doppelte Leerstelle in der Familiengeschichte und der eigenen Biografie" zu füllen, in einem Text, der sich als "Gemeinschaftswerk" zwischen der reisenden "Ich-Projektion" Jonathan und dem ukrainischen Übersetzer Alex entspinnt. Während Alex die Irrungen der Reise beschreibt, ist es Jonathan, der den schließlich erreichten Heimatort Trachimbrod als "Shtetl-Phantasmagorie", als "mythisch-surreal überhöhte Nachschöpfung des Ortes und seiner Bewohner" entwirft. Hier, erklärt Schader, vermischt sich "Schrulliges" mit der "Bitterkeit einer fortlaufenden Reflexion über die Unmöglichkeit der Liebe". Etwas störend dabei findet Schader das übermächtige "phantastische Beiwerk". Denn genauso wie Jonathans Ahnfrau sich entschieden habe, "ein Leben zweiten Grades zu leben, in einer Welt, die nur eine Verwandte zweiten Grades einer Welt war, in der alle anderen zu existieren schienen", so scheint sich für Schader auch Foers Roman in eine Art "Dissoziation" zu manövrieren, in der das Entrückte nicht immer dem Romangeschehen dient. Es ist also bei weitem nicht "alles erleuchtet", wie der Romantitel verspricht, doch trotz dieses "Unbehagens", meint die Rezensentin, bleibt einerseits "der Widerschein eines Feuerwerks von Ideen und sprachlichen Einfällen" und andererseits die von Alexander entsponnene "Herzenswärme" übrig.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Der neue Superstar der amerikanischen Literaturszene. Das komische und berührende Duett einer Erinnerung, die im Medium Literatur noch einmal erfunden wird.« NZZ