Ich habe ja schon einige Bücher über Bergsteiger gelesen. Also über „normale“ Bergsteiger. Die haben mir bereits reichlich Respekt abgenötigt, gehöre ich doch zu den Menschen, die zwar gerne in den Bergen unterwegs sind, aber nie einen Wanderweg verlassen würden. Und nun lese ich von einem Menschen
wie Kilian Jornet, der auf Berge hinaufrennt. Gipfel erklimmt, wieder runter rennt – und alles immer…mehrIch habe ja schon einige Bücher über Bergsteiger gelesen. Also über „normale“ Bergsteiger. Die haben mir bereits reichlich Respekt abgenötigt, gehöre ich doch zu den Menschen, die zwar gerne in den Bergen unterwegs sind, aber nie einen Wanderweg verlassen würden. Und nun lese ich von einem Menschen wie Kilian Jornet, der auf Berge hinaufrennt. Gipfel erklimmt, wieder runter rennt – und alles immer möglichst schnell. Ein Mensch, für den das Training zur Lebensform geworden ist, der täglich viele Stunden auf Bergen läuft und kein Problem damit hat, einen Wettkampf nach dem anderen zu absolvieren. Ist schließlich auch Training. Und der innerhalb weniger Tage zweimal auf den Mount Everest läuft. Natürlich ohne zusätzlichen Sauerstoff. Wie bitte kann ein Mensch das schaffen?
Das Buch gibt mir einige Antworten. Jornet erzählt über sich und ist dabei durchaus selbstkritisch. Seine hohe Verbundenheit mit den Bergen zeigte sich seit früher Kindheit. Und ebenfalls früh merkte er, wie wichtig das Ausloten seiner körperlichen Grenzen für ihn ist. In diesem Zusammenhang berichtet er von bizarren Experimenten. Da wollte er zum Beispiel mal austesten, wie lange er leistungsfähig bleibt, ohne die kleinste Kleinigkeit zu essen. Nach fünf Tagen mit normalem Trainingsprogramm ist er dann beim Laufen zusammengebrochen. Experiment erfolgreich abgeschlossen.
Bei den vielen Berichten von Touren, die er im Buch schildert, kommen weitere solcher in meinen Augen höchst grenzwertigen Aktionen heraus. Da läuft er zum Beispiel eine über 56 Stunden dauernde Monstertour, irgendwann natürlich völlig übermüdet und nur mit gelegentlichen halbstündigen Schlafpausen. Beim Lesen erfährt man dann, dass er sich außerdem nur drei Wochen zuvor bei einem Sturz das Wadenbein gebrochen hat und selber zugibt, dass dieser Lauf sicher nicht das Beste für sein Bein ist.
Höchst widersprüchlich betont er, dass jeder für seinen Körper verantwortlich sei und sagt, dass er auf dem Berg „nicht den Tod sucht, sondern das Leben“. Wenn er da mal nicht eines Tages eine böse Überraschung erlebt. An anderer Stelle erklärt er, dass Bergsteigen für ihn keine Heldentat und der Einsatz des Lebens mehr Dummheit als Mut, schlicht eine „egoistische Handlung, gefährlich und teuer“ sei. Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen.
Die Selbstkritik geht noch weiter. Jornet gesteht, dass er große Schwierigkeiten im Umgang mit Menschen hat. Er erkennt klar, wie sehr seine Lebensgefährtin unter seinen gefährlichen Aktionen leiden muss, aber die Frage nach der Priorität „Sport oder Privatleben?“ hat er schon längst für sich beantwortet.
Jornets Schilderungen sind durchaus fesselnd, da man (siehe Buchtitel) immer wieder staunt, was so alles möglich ist. Dazu kommen herrliche Natur- und Landschaftsbeschreibungen – er liebt halt die Berge mehr als alles andere.
Sehr interessant fand ich auch die kritischen Worte über die allgemeinen Entwicklungen im Bergsport. Schon oft las ich in diesem Zusammenhang von Massentourismus, sah Bilder von Basislagern, die Zeltstädten gleichen. Der Schaden, den die Natur dadurch nimmt, ist groß. Zumal die vielen Touristen oft enorme Müllberge hinterlassen. Und so mancher dieser Bergfreunde hat im Grunde gar nicht die benötigte körperliche Fitness für die Gipfeltour, sondern geht große Risiken ein. Bergretter können davon ein Lied singen. Ob sich solche Menschen nicht womöglich durch einen Buchtitel wie „Alles ist möglich“ noch bestätigt fühlen?
Was mir noch nicht bekannt war, ist der hohe Erfolgsdruck, der auf Bergsportlern lastet. Jornet erzählt vom Druck der Sponsoren, die nach immer neuen Rekorden und Höchstleistungen verlangen und damit schon so manchen Sportler dazu gebracht haben, hohe Risiken einzugehen. Es reicht wohl nicht mehr aus, einen Berg „nur“ zu besteigen, man muss sich offenbar immer etwas Neues, Spektakuläres, einfallen lassen. Ein bedauerlicher Trend.