Rassismuskritik ist allgegenwärtig. Aber was geschieht, wenn Vorwürfe systematisch überzogen und alltägliche Banalitäten mit der gleichen Verve beanstandet werden wie rassistisch motivierte Straftaten? Verliert dann nicht die Kritik ihre Wirkung und das Phänomen seine Konturen? Levent Tezcan legt eine pointierte Polemik gegen eine aufgeregte Debatte vor, die die Gemüter in Dauerschleife erhitzt.Alles Rassismus geht der Frage nach, warum rassische Unterscheidungen auch jenseits von fremdenfeindlichen Diskursen Konjunktur haben. Die medialisierte Rassismuskritik bietet sich derzeit als neue Großerzählung an, in der sich Subjekte als Marginalisierte gegenüber den Privilegierten in Stellung bringen und die Hautfarbe zum neuen Referenzpunkt wird. Tezcan stellt den zunehmenden Gebrauch von rassischen Unterscheidungen in den Zusammenhang der Affektökonomie westlicher Gesellschaften, in der eine Verschiebung von Stärke und Schwäche stattfindet. Gerecht sind nun die Vulnerablen, denen zurSichtbarkeit verholfen werden soll, nicht zuletzt durch die Forderung nach Migrantenquoten. Gefördert wird aber tatsächlich, so die provokante These des Buches, vor allem das Ressentiment - und zwar bei den Minderheiten wie bei der Mehrheit. Die eigentliche Gefahr für die demokratisch verfassten Gesellschaften geht aber nicht vom »alltäglichen Rassismus« und seinen Mikroaggressionen aus, sondern von einer rassistischen Politik, die in Europa wieder auf dem Vormarsch ist.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die Grundthese des Buches von Levent Tezcan kann Rezensent Gerald Wagner überzeugen, er hat allerdings ein paar Anschlussfragen. Tezcan legt dar, wie die Kritik am Rassismus zu einer neuen Form des Patriotismus wurde, und zwar indem subjektive Unrechtserfahrungen pauschal dem Rassismus der Mehrheitsgesellschaft zugeschrieben und Hautfarbenunterschiede als neue Leitdifferenz der Gesellschaft installiert wurden. Das Interesse am Begriff der Rasse hat, ist Tezcan laut Wagner überzeugt, mit dem Opferstatuts zu tun, der auf diese Weise zu erlangen ist, und der zu einer Form von Ressentiment führt, solange er nur auf einem Gefühl der Vulnerabilität gründet. Alles, was in der Gesellschaft passiert, könne nur noch als Diskriminierung erlebt werden. Das Problem daran besteht laut Tezcan darin, dass diese Sicht auf die Dinge sich gar nicht an Gesellschaft orientiert, sondern an einer auf Liebe gegründeten Gemeinschaft. Das aber ist, so Wagner mit Tezcan, unrealistisch, es bedarf stattdessen einer realistischeren Gesellschaftsbeschreibung auch und gerade mit Blick auf die Realität und Anerkennung von Migration. So weit so schlüssig, findet Wagner, der sich allerdings fragt, welche Erzählungen an die Stelle der Opfernarrative treten können - darauf findet er in diesem ansonsten klugen Buch keine Antwort.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein Appell an das kollektive Verantwortungsgefühl für eine solidarische Gesellschaft ohne Hautfarbenfetisch.« (Katharina Teutsch, DLF Kultur Lesart, 22.08.2024) »Eine überzeugend nüchterne und bündige Analyse der Tendenz zur Überbeanspruchung von Rassismuskritik.« (Helmut Mayer, FAZ, 27.11.2024) »Levent Teczan räumt in seinem Buch auf sehr überzeugende Weise den falschen Patriotismus ab.« (Gerald Wagner, FAZ, 14.12.2024)