Durch Krieg und Wiederaufbau, durch den Muff der Universitätsjahre bis zum Rausschmiss, durch aufregende Theaterzeiten mit faszinierenden Begegnungen. Als Rudolf Rach als Leiter des Theaterverlags bei Suhrkamp anfing, hatte sein Vorgänger gerade den Verlag der Autoren gegründet. Ein kollektives Modell, das den von den Eigentümern geführten Suhrkamp Verlag herausfordern sollte. In einer Zeit, in der der westdeutsche Kapitalismus sich gegen den ostdeutschen Sozialismus wehrte, in der die Terroristen der RAF den westdeutschen Staat attackierten. Hier erzählt jemand eine deutsche Geschichte, eine Abenteuer- und Liebesgeschichte. Eine halbe Lebensreise, nachgezeichnet in Begegnungen mit Autoren wie Max Frisch oder Thomas Bernhard, Rainer Werner Fassbinder oder Pina Bausch, deren Choreographien den Tanz im letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts revolutioniert haben. Zeitgeschichte aus ästhetischem Blickwinkel wird in diesem ersten Band erzählt. Und Rudolf Rach zieht es weiter. 1986 bricht er nach Paris auf - in eine ganz andere Kultur - und kauft in Saint-Germain-des-Prés den Verlag L'Arche. Er verlegt Autoren wie Bertolt Brecht, Jon Fosse oder Sarah Kane und ein neues, spannendes Kapitel beginnt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2020Stunden mit Beckett
Ein Leben, das sich ums Theater dreht: Rudolf Rach blickt zurück
Nach den Memoiren von Karlheinz Braun, dem aufständischen Suhrkamp-Theaterlektor und langjährigen Leiter des Verlags der Autoren (F.A.Z. vom 28. Juni 2019), meldet sich nun auch sein Nachfolger auf dem Posten bei Siegfried Unseld zu Wort. Und zwar mit einer Sammlung von kurzen Szenen, die ein Leben erzählen, das mit einer Kölner Kindheit in Granatlöchern begann, sich mit einem kurzen Versuch als Universitätslehrer fortsetzte und schließlich ganz zum Theater führte. Bevor Rudolf Rach Leiter des Theaterverlags bei Suhrkamp wurde, hatte er bei einem Assistenten von Gustav Gründgens Theaterwissenschaften studiert und war nach dem gescheiterten universitären Zwischenspiel nach Münster ans Theater gewechselt, um Chefdramaturg zu werden. Dort bringt er Autoren zur Uraufführung, die von den renommierteren Häusern des Landes übersehen werden. 1971 ruft Unseld an und befreit den Zweiunddreißigjährigen aus der Provinz. In Frankfurt soll er sich fortan darum kümmern, dass mit dem Theaterverlag Geld verdient wird.
Zwei Autoren legt ihm der gegenüber dem Theater selbst eher indifferente Verleger besonders ans Herz: Thomas Bernhard und Franz Xaver Kroetz. Die Schilderungen der Begegnungen mit diesen zwei Dramatiker-Matadoren gehören zu den erzählerischen Höhepunkten des Buches. Selbstironisch wird beschrieben, wie Kroetz den jungen Verlagsmann in seinem Pasinger Elternhaus auflaufen ließ, als der von der Notwendigkeit einer vertraglichen Abmachung überzeugt werden soll ("Ich bin der Kroetz, ich scheiß auf Bedingungen"), oder wie Rach nach Oberösterreich fuhr und zusammen mit Claus Peymann einen Tag lang in einem ungeheizten Gasthof darauf wartete, dass Bernhard sein neues Stück vorbeibringen würde.
Neben den Erinnerungen an Begegnungen mit Autoren sind vor allem auch die rekapitulierenden Passagen über das intellektuelle Klima vergangener Theaterzeiten lesenswert. Die leichte Skepsis beispielsweise, mit der man bei Suhrkamp auf das Mitbestimmungsmodell schaute, das in Verlagen und Theatern (insbesondere der Berliner Schaubühne) getestet wurde, oder die pointierte Einschätzung der 68er-Bewegung als einen in erster Linie sozialen, nicht politischen Umbruch.
Rach spezialisiert sich im Theaterverlag neben der deutschsprachigen Backlist von Brecht, Weiss und Frisch vor allem auf junge britische und französische Dramatik, verlegt Edward Bond, Christopher Hampton und Marguerite Duras. Die sogenannten "wellmade plays" verteidigt er gegen deren Verächter mit einem handfesten Bild: "Wer würde einem Schreiner vorwerfen, einen Stuhl zu bauen, auf dem man gut sitzt und der nicht wackelt?" Ende der siebziger Jahre wechselt Rach noch einmal die Seiten, wird stellvertretender Generalintendant an den Bühnen in Essen. Er wohnt und kämpft mit Einar Schleef, führt Honorarverhandlungen mit Rainer Werner Fassbinder und sieht in Wuppertal erstmals die Arbeiten einer jungen Choreographin namens Pina Bausch.
Über Bausch schreibt Rach seine euphorischsten Sätze, preist sie als Erfinderin eines revolutionär neuen Tanztheaters und als eine außergewöhnliche Gestalt, die "in ihrer Jugend etwas von einem amerikanischen Covergirl hatte". Auch später, als er zu Suhrkamp und dem Theaterverlag zurückkehrte und dort ihre Rechte vertrat, wich er der schwierigen "Ausnahmekünstlerin", die ein "sonderbares Verhältnis zum Geld" hatte und Verträge mitunter erst in letzter Minute auf dem Weg zu einer Maschine auf dem Frankfurter Flughafen unterschrieb, nicht von der Seite.
Nur Samuel Beckett, so scheint es, steht für Rach auf einem ähnlich hohen künstlerischen Niveau. Die exakt einstündigen Treffen mit ihm in seinem Stammcafé auf dem Boulevard Saint Jacques, immer an einem Tisch, an dem Beckett eine Uhr im Auge behalten konnte, beschreibt er mit ehrfurchtsvoller Intensität: "Weil er einen so anders wahrnahm, fing man an, auch selbst anders wahrzunehmen; seine Empfindlichkeit übertrug sich, seine Empfindsamkeit steckte an." Rachs Buch endet, als noch einmal etwas Neues beginnt: 1986 kauft er den französischen Kleinverlag "L'Arche" und kündigt Unseld zum dritten Mal die Gefolgschaft. Der Weg führt nach Paris, wo er in den darauffolgenden dreißig Jahren zum wichtigsten Vermittler internationaler Dramatik avancierte. Szenen aus diesem zweiten Leben sollen bald folgen.
SIMON STRAUSS
Rudolf Rach: "Alles war möglich".
'39 bis '86.
Verlag der Buchhandlung Klaus Bittner, Köln 2019. 294 S., Abb., geb. 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Leben, das sich ums Theater dreht: Rudolf Rach blickt zurück
Nach den Memoiren von Karlheinz Braun, dem aufständischen Suhrkamp-Theaterlektor und langjährigen Leiter des Verlags der Autoren (F.A.Z. vom 28. Juni 2019), meldet sich nun auch sein Nachfolger auf dem Posten bei Siegfried Unseld zu Wort. Und zwar mit einer Sammlung von kurzen Szenen, die ein Leben erzählen, das mit einer Kölner Kindheit in Granatlöchern begann, sich mit einem kurzen Versuch als Universitätslehrer fortsetzte und schließlich ganz zum Theater führte. Bevor Rudolf Rach Leiter des Theaterverlags bei Suhrkamp wurde, hatte er bei einem Assistenten von Gustav Gründgens Theaterwissenschaften studiert und war nach dem gescheiterten universitären Zwischenspiel nach Münster ans Theater gewechselt, um Chefdramaturg zu werden. Dort bringt er Autoren zur Uraufführung, die von den renommierteren Häusern des Landes übersehen werden. 1971 ruft Unseld an und befreit den Zweiunddreißigjährigen aus der Provinz. In Frankfurt soll er sich fortan darum kümmern, dass mit dem Theaterverlag Geld verdient wird.
Zwei Autoren legt ihm der gegenüber dem Theater selbst eher indifferente Verleger besonders ans Herz: Thomas Bernhard und Franz Xaver Kroetz. Die Schilderungen der Begegnungen mit diesen zwei Dramatiker-Matadoren gehören zu den erzählerischen Höhepunkten des Buches. Selbstironisch wird beschrieben, wie Kroetz den jungen Verlagsmann in seinem Pasinger Elternhaus auflaufen ließ, als der von der Notwendigkeit einer vertraglichen Abmachung überzeugt werden soll ("Ich bin der Kroetz, ich scheiß auf Bedingungen"), oder wie Rach nach Oberösterreich fuhr und zusammen mit Claus Peymann einen Tag lang in einem ungeheizten Gasthof darauf wartete, dass Bernhard sein neues Stück vorbeibringen würde.
Neben den Erinnerungen an Begegnungen mit Autoren sind vor allem auch die rekapitulierenden Passagen über das intellektuelle Klima vergangener Theaterzeiten lesenswert. Die leichte Skepsis beispielsweise, mit der man bei Suhrkamp auf das Mitbestimmungsmodell schaute, das in Verlagen und Theatern (insbesondere der Berliner Schaubühne) getestet wurde, oder die pointierte Einschätzung der 68er-Bewegung als einen in erster Linie sozialen, nicht politischen Umbruch.
Rach spezialisiert sich im Theaterverlag neben der deutschsprachigen Backlist von Brecht, Weiss und Frisch vor allem auf junge britische und französische Dramatik, verlegt Edward Bond, Christopher Hampton und Marguerite Duras. Die sogenannten "wellmade plays" verteidigt er gegen deren Verächter mit einem handfesten Bild: "Wer würde einem Schreiner vorwerfen, einen Stuhl zu bauen, auf dem man gut sitzt und der nicht wackelt?" Ende der siebziger Jahre wechselt Rach noch einmal die Seiten, wird stellvertretender Generalintendant an den Bühnen in Essen. Er wohnt und kämpft mit Einar Schleef, führt Honorarverhandlungen mit Rainer Werner Fassbinder und sieht in Wuppertal erstmals die Arbeiten einer jungen Choreographin namens Pina Bausch.
Über Bausch schreibt Rach seine euphorischsten Sätze, preist sie als Erfinderin eines revolutionär neuen Tanztheaters und als eine außergewöhnliche Gestalt, die "in ihrer Jugend etwas von einem amerikanischen Covergirl hatte". Auch später, als er zu Suhrkamp und dem Theaterverlag zurückkehrte und dort ihre Rechte vertrat, wich er der schwierigen "Ausnahmekünstlerin", die ein "sonderbares Verhältnis zum Geld" hatte und Verträge mitunter erst in letzter Minute auf dem Weg zu einer Maschine auf dem Frankfurter Flughafen unterschrieb, nicht von der Seite.
Nur Samuel Beckett, so scheint es, steht für Rach auf einem ähnlich hohen künstlerischen Niveau. Die exakt einstündigen Treffen mit ihm in seinem Stammcafé auf dem Boulevard Saint Jacques, immer an einem Tisch, an dem Beckett eine Uhr im Auge behalten konnte, beschreibt er mit ehrfurchtsvoller Intensität: "Weil er einen so anders wahrnahm, fing man an, auch selbst anders wahrzunehmen; seine Empfindlichkeit übertrug sich, seine Empfindsamkeit steckte an." Rachs Buch endet, als noch einmal etwas Neues beginnt: 1986 kauft er den französischen Kleinverlag "L'Arche" und kündigt Unseld zum dritten Mal die Gefolgschaft. Der Weg führt nach Paris, wo er in den darauffolgenden dreißig Jahren zum wichtigsten Vermittler internationaler Dramatik avancierte. Szenen aus diesem zweiten Leben sollen bald folgen.
SIMON STRAUSS
Rudolf Rach: "Alles war möglich".
'39 bis '86.
Verlag der Buchhandlung Klaus Bittner, Köln 2019. 294 S., Abb., geb. 22,- [Euro].
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