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Marie Gamillscheg nimmt den Leser mit in eine allmählich verschwindende Welt. Vielstimmig und untergründig erzählt ihr Debüt von einer kleinen Schicksalsgemeinschaft im Schatten eines großen Bergs und vom Glanz des Untergangs wie des Neubeginns. Tief in den Stollen des alten Bergwerks tut sich was - und alle im Dorf können es spüren. Die Wirtin Susa zum Beispiel, wenn sie im "Espresso" nachts die Pumpen von den Ketchup-Eimern schraubt. Oder der alte Wenisch, ihr letzter Stammgast. Sogar der Bürgermeister, wenn er nicht gerade auf Kur ist. Zuallererst aber hat es der schweigsame Martin gespürt,…mehr

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Produktbeschreibung
Marie Gamillscheg nimmt den Leser mit in eine allmählich verschwindende Welt. Vielstimmig und untergründig erzählt ihr Debüt von einer kleinen Schicksalsgemeinschaft im Schatten eines großen Bergs und vom Glanz des Untergangs wie des Neubeginns.
Tief in den Stollen des alten Bergwerks tut sich was - und alle im Dorf können es spüren. Die Wirtin Susa zum Beispiel, wenn sie im "Espresso" nachts die Pumpen von den Ketchup-Eimern schraubt. Oder der alte Wenisch, ihr letzter Stammgast. Sogar der Bürgermeister, wenn er nicht gerade auf Kur ist. Zuallererst aber hat es der schweigsame Martin gespürt, bis er dann eines Morgens die Kontrolle über sein Auto verlor. Es ist, als würde der Berg zittern, als könne er jeden Augenblick in sich zusammenbrechen. Für die junge Teresa und den Neuankömmling Merih ist die Sache klar: Sie will sich endlich absetzen aus dem maroden Ort, er hingegen sucht einen Neuanfang - ausgerechnet hier.

Autorenporträt
Gamillscheg, Marie
Marie Gamillscheg, geboren 1992 in Graz. Lebt in Berlin, arbeitet als freie Journalistin u.a. für ZEIT Campus. Veröffentlichungen in zahlreichen literarischen Zeitschriften und Magazinen. Ihr Roman "Alles was glänzt" landete auf der ORF-Bestenliste, wurde für den aspekte Literaturpreis nominiert und mit dem Österreichischen Buchpreis für das beste Debüt 2018 ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.2018

Was Berge versetzen kann

Marie Gamillschegs Roman "Alles was glänzt" ist eine präzise Fallstudie zum kollektiven Scheitern.

Auf den ersten Blick gibt es nicht viel, was glänzt, in diesem Ort. Eine Bergbaugemeinde, die entschieden bessere Zeiten gesehen hat, im Zentrum menschenleere Häuser, manche ausgebrannt: "Nicht die Nacht, der Tag höhlt die Häuser aus." Die Stille der Nacht ist ein Versprechen für den nächsten Tag, das nicht eingelöst wird, keine Leute, keine Stimmen, kein Verkehr. Der erhoffte Strukturwandel ist ausgeblieben, weil die Touristen ausgeblieben sind. Für sie hat man ein Schaubergwerk errichtet, das niemand sehen will. Licht und Ton lassen sich nicht mehr einschalten, kein bunter Scheinwerfer beleuchtet mehr den Fels, keiner erzählt mehr die Sage vom Blintelmann, der den Menschen ein Stück Sonne geschenkt hat, das er über den Berg fallen ließ. "Man weiß nicht mehr, wie das war: ob der rote Knopf kaputtging, als der Journalist hier war, oder ob der rote Knopf schon vorher nicht mehr funktionierte und nicht mehr repariert wurde, weil der Journalist hier war."

Was ist Ursache, was ist Wirkung in einem Teufelskreis? Nicht zuletzt diese Frage beschäftigt Marie Gamillscheg in ihrem Debüt. Der Journalist hatte damals behauptet, der Berg sei längst ausgehöhlt, zerfressen von Schächten und Stollen, und es sei nur eine Frage der Zeit, bis er in sich zusammenfalle und die kleine Stadt unter sich begrabe. Die Stadt hat keinen Namen, aber manche Charakteristika deuten auf das steirische Eisenerz und auf den Erzberg, dessen rotglänzende Terrassen seit 1890 dem Siderit-Tagebau dienen. 1532 Höhenmeter zählte der Berg einst, heute sind es nur noch 1466. Die Eisenerzer Gegend war bereits der Schauplatz von Elfriede Jelineks Roman "Neid", in dem die Tristesse der Gegenwart noch gesteigert wird durch das zwiespältige Bemühen um eine letztlich auch wieder touristisch verwertbare Gedenkkultur, die den Todesmärschen und Massakern des Frühjahrs 1945 gerecht werden soll.

In "Alles was glänzt" richtet die Autorin ihr Augenmerk auf die weiter zurückliegende stolze Vergangenheit einer einst reichen Gemeinde, auf den verblichenen Glanz, der heute vom Heimatmuseum verwaltet wird, und auf Urgeschichtliches: Unter ihren Quellen nennt sie auch ein Buch über das Urmeer und die Entstehung des Lebens. Am Beginn der Erzählung steht aber der Tod: Die Leiche eines jungen Mannes wird in einem Autowrack gefunden, oben auf dem Berg, es muss in der fünfundzwanzigsten Serpentine passiert sein: "Von Hubertus hat es ihn aus der Kurve geworfen, auf Thekla ist das Auto auf dem Dach liegen geblieben." Seit jeher haben die Terrassen Namen.

Der Mann ist aus dem Ort, er heißt Martin, und dass er Selbstmord begangen hat, wird allgemein vermutet, aber nicht laut gesagt. Martin war ein vergrübelter Teenager, ein Eigenbrötler, er glaubte an die düsteren Prognosen vom Einsturz des ausgebeuteten Berges. Um seinen Unfalltod spinnt Gamillscheg den Faden der Geschichte, um die Leerstelle, die er hinterlässt, gruppiert sie ein Ensemble von Figuren: seine Freundin Esther, die sich in ihrem Zimmer vergräbt und das Schlafen verlernt, deren Schwester Teresa, die ihr Klavierspiel als Fahrkarte in die weite Welt begreift, Susa, die das Espresso als letzte Bastion geselliger Gemeinschaft betreibt, ihr Stammgast, der pensionierte Kumpel Wenisch - und Merih, der aus der Großstadt kommt, um als "Regionalmanager" den Ort aus dem Dornröschenschlaf zu küssen.

Die Kapitel sind mit den Namen der jeweiligen Hauptperson überschrieben, aus deren Perspektive das Geschehen betrachtet wird. Die in Klammern gesetzte Zahl darüber gibt, wie weiter hinten verraten wird, die Höhenmeter der einzelnen Abbaustufen an, beginnend und endend bei 0,0: Meereshöhe. Dazwischen stehen Einschübe - Sagenhaftes, Urzeitlich-Geologisches, montanistische Sachkunde.

Marie Gamillscheg hat der Versuchung widerstanden, ihre Geschichte als mythische Parabel aus den Tiefen der Erde zu erzählen. Zwar bezieht sie sich auf das romantische Schürfen nach der Nachtseite der Seele, auf die Tradition eines Novalis und E. T. A. Hoffmann, aber vor allem geht es ihr um eine Fallstudie kollektiver Anstrengung und kollektiven Scheiterns. Als Chronistin einer sozioökonomischen Krisenintervention beweist die junge Autorin - Jahrgang 1992 - eine erstaunliche erzählerische Frühreife, ein diskretes Interesse für ihre Figuren, die sich allesamt dem großen Abwärtssog nicht entziehen können.

Die Espressochefin Susa unterhält sich etwa damit, sich auszumalen, welche Todesart ihrem jeweiligen Gegenüber beschieden sein wird. Für den Optimismus der Ortskernrevitalisierung fehlt ihr das Verständnis: "Was ist daran so schlimm, wenn der Ort herunterkommt? Er ist ja immer noch da." Gegen solche Wollust des Sichdreinschickens muss der Aktivist Merih auf verlorenem Posten stehen, zumal wir den Verdacht haben, es könnte bei all seinen Anstrengungen vor allem darum gehen, seiner Freundin und sich selbst zu beweisen, dass er sich sehr wohl für etwas zu interessieren vermag.

Marie Gamillscheg ist Spezialistin für den menschlichen Faktor und die Überzeugungskraft des Details, für die Misstöne der Zukunftsmusik und die Wahrheit des Körpers. "Nur wer einmal wirklich getrunken hat, weiß, was das heißt: sich spüren und sich nicht mehr spüren. Spüren, wie die Hautoberfläche vibriert und wie jedes Wort bis tief in den Magen klingt." In die Magengrube des Lesers trifft auch der überforderte Bürgermeister. Mit hängenden Armen steht er vor dem Seismographen, der im Notfall einen Anruf bei ihm und der Polizei auslösen soll. Doch das Gerät hat den Geist aufgegeben, und der Bürgermeister hat seine Telefonnummer geändert. Jetzt steht er davor "wie ein Kind, das in einen Spielzeugautomaten starrt, für den es aber kein Geld hat". Poetischer Realismus.

Dass das titelgebende Leitmotiv seine Spur durch den Text zieht, dass die Angst vor dem Berg beschworen wird und die Erde sich am Ende tatsächlich auftut, forciert ein Bild von Omen und Apokalypse, dessen es gar nicht bedurft hätte, um der Drohung des Chthonischen Nachdruck zu verleihen. Ein sterbender Ort ist eben immer auch ein Ort, in dem Leute sterben.

DANIELA STRIGL

Marie Gamillscheg: "Alles was glänzt". Roman.

Luchterhand Literaturverlag, München 2018. 222 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Zu Recht gilt Gamillscheg als eine der aufregendsten jungen Stimmen der deutschsprachigen Literatur." Britta Schmeis / SPIEGEL ONLINE