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"Alles, was ich weiß", wollte er berichten. Albert Speer, Hitlers einziger Freund, des "Führers Archtitekt", Rüstungsminister und Organisator der deutschen Kriegsmaschinerie, hatte bereits 1945 sein Schweigen gebrochen. Was er auf Schloß Kransberg im Taunus einem amerikanischen Geheimdienstoffizier über Adolf Hitler und das Dritte Reich anvertraute, war ehrlicher und aufschlußreicher als alles, was er nach den Läuterungen einer 20jährigen Haft in seinen Bestsellern "Erinnerungen" und "Spandauer Tagebücher" preisgab. Denn zu diesem Zeitpunkt wußte Speer noch nicht, daß ihm in Nürnberg der Kriegsverbrecherprozeß gemacht werden würde.…mehr

Produktbeschreibung
"Alles, was ich weiß", wollte er berichten. Albert Speer, Hitlers einziger Freund, des "Führers Archtitekt", Rüstungsminister und Organisator der deutschen Kriegsmaschinerie, hatte bereits 1945 sein Schweigen gebrochen. Was er auf Schloß Kransberg im Taunus einem amerikanischen Geheimdienstoffizier über Adolf Hitler und das Dritte Reich anvertraute, war ehrlicher und aufschlußreicher als alles, was er nach den Läuterungen einer 20jährigen Haft in seinen Bestsellern "Erinnerungen" und "Spandauer Tagebücher" preisgab. Denn zu diesem Zeitpunkt wußte Speer noch nicht, daß ihm in Nürnberg der Kriegsverbrecherprozeß gemacht werden würde.
Autorenporträt
Ulrich Schlie, geb. 1965 in Nürnberg studierte Geschichte, Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Romanistik in Erlangen, Bonn und London (LSE). Seit 2003 ist er Vorsitzender des Kuratoriums Carl Jacob Burckhardt. Er lebt in Potsdam.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.1999

Ein Durchführer
Albert Speers nicht so unbekannte, nicht so sensationelle Kransberger Protokolle

Albert Speer: "Alles, was ich weiß". Aus unbekannten Geheimprotokollen vom Sommer 1945. Mit einem Bericht "Frauen um Hitler" von Karl Brandt. Herausgegeben von Ulrich Schlie. F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 1999. 320 Seiten, 44,- Mark.

Muß alle Welt wirklich unbedingt wissen, was Hitlers Architekt und Rüstungsminister Albert Speer kurz nach Kriegsende im Sommer 1945 einem Vernehmungsoffizier der Alliierten zu Protokoll gab? Der Verlag spricht von einer "brisanten zeitgeschichtlichen Entdeckung". Tatsächlich waren die Niederschriften der Speerschen Plaudereien mit einem ihm "äußerst sympathischen" amerikanischen Hauptmann keineswegs "unbekannt", sondern bislang nur noch nicht veröffentlicht worden. In der 1995 bei Kindler erschienenen umfangreichen und vielbeachteten Speer-Biographie der britischen Journalistin Gitta Sereny, an der sie zwölf Jahre gearbeitet hatte, ist jedenfalls mehrfach die Rede davon. Sereny gegenüber äußerte sich Speer dazu mit den Worten: "Ich arbeitete von Anfang Juli bis Ende September daran. Ich fand die Arbeit äußerst interessant, besonders weil sie von mir verlangte, über die innere Verfassung der Menschen nachzudenken und weniger über ihre offensichtlicheren äußeren Motive. Das war für mich eine Herausforderung. Es machte mir Spaß, und als ich fertig war, fühlte ich mich so gut wie seit Monaten nicht mehr."

So sensationell, wie Herausgeber und Verlag tun, sind diese Protokolle also nicht. Auch der Inhalt ist nicht weltbewegend, ihr Quellenwert für Historiker zweifelhaft. Vieles von dem, was Speer seinem "sympathischen" Gesprächspartner damals erzählte, wußte der wahrscheinlich längst; er wollte es nur bestätigt haben. Verwundert haben mag ihn allenfalls, wie bereitwillig Speer sich über die führenden Figuren des gerade untergegangenen Reiches mündlich und schriftlich ausließ. Kann man sich vorstellen, daß im Falle einer Niederlage der Alliierten eine Person von der Bedeutung Speers im damaligen Deutschland sich in England oder Amerika dazu hergegeben hätte, einem deutschen Vernehmungsoffizier so zu Diensten zu sein? Wohl kaum. Mußte bei so viel überraschender Redseligkeit der vernehmende Offizier nicht annehmen, daß Speer versuchte, ihm einige Bären aufzubinden?

Wahrscheinlich diente vieles von dem, was Speer damals im Vernehmungszentrum auf Schloß Kransberg im Taunus ausplauderte, schon der Vorbereitung seiner Verteidigung bei den zu erwartenden Kriegsverbrecherprozessen. Gitta Sereny liefert in ihrem Buch auch dafür einen Beleg. Einer von Speers ehemaligen engen Mitarbeitern, der zusammen mit seinem früheren Chef in Kransberg inhaftiert war, fragte ihn dort eines Tages, warum er sich so absondere von den anderen und ihnen nie Gesellschaft leiste. Speers Antwort lautete: "Ich bereite mich auf zwanzig Jahre vor." Zu zwanzig Jahren Haft wurde Speer dann mehr als ein Jahr später tatsächlich verurteilt.

Aufschlußreich ist die angeblich so "brisante zeitgeschichtliche Entdeckung" eigentlich nur, was die Form der Speerschen Auslassungen angeht. Sie sind in einem Stil abgefaßt, der in seiner Wortwahl noch tief im typischen NS-Jargon wurzelt. Den hat als erster Victor Klemperer in seinem die Jahre 1933 bis 1945 umfassenden Tagebuch "Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten" unter der Rubrik LTI (Lingua Tertii Imperii) unter die Lupe genommen und mit ätzender Schärfe kommentiert. Später hat er seine sprachkritischen Tagebuch-Eintragungen zu einer größeren Abhandlung ausgearbeitet. Ähnliches haben Sternberger, Storz und Süskind nach dem Krieg mit dem von ihnen herausgegebenen "Wörterbuch des Unmenschen" versucht, das mittlerweile kaum noch jemand kennt. Wenn man junge Leute heute zum Beispiel darauf hinweist, daß ein Beitrag darin das Wort "durchführen" behandelt und es als im Grunde nicht mehr unbefangen verwendbar charakterisiert, schütteln sie verständnislos den Kopf. Es ist ihnen nicht mehr geläufig, daß die Nationalsozialisten die Ermordung der Juden in Deutschland und Europa mit dem Satz angekündigt hatten, sie wollten "die Endlösung der Judenfrage durchführen".

Auch Speer führt in seinen Vernehmungsprotokollen unablässig alles mögliche durch: Pläne, Konferenzen, Kriege, die Erweiterung der Reichskanzlei, beinahe alles. Einmal sagt er sogar, "führende Leute der Partei" seien "mit der Durchführung des Antisemitismus unzufrieden" gewesen. Und als er auf die "Reichskristallnacht" des Jahres 1938 zu sprechen kommt, berichtet er von Goebbels, dieser habe über die Reichspropagandaleitung die "Volkswut" organisiert und in allen Städten "spontane" Kundgebungen "durchgeführt". Und dann noch einmal wörtlich: "Erst nach Beendigung der Aktion wurde sie in der Reichskanzlei als durchgeführt berichtet." In seinen Memoiren hat sich Speer später (angeleitet von stilsicheren Beratern und geläutert von langer Haft) nicht mehr eines solchen Tons bedient. 1945 aber war er noch ganz und gar der von Klemperer so scharfsinnig gegeißelten "Sprache des Dritten Reiches" verhaftet; das wird an zahllosen Stellen deutlich. Zum Beispiel auch, wenn Speer von einer Eliteeinheit der deutschen Wehrmacht berichtet, sie sei "aus bestem Material der deutschen Jugend zusammengesetzt" gewesen. Nicht nur für Hitler waren Menschen immer bloß "Material", auch Speer dachte 1945 offensichtlich noch in ähnlichen Kategorien. Die Gefahr ist, daß Leser, die sich nun allein an Speers Auslassungen in Kransberg vom Sommer 1945 halten, ein einseitiges Bild von Hitlers Architekten und Rüstungsminister bekommen. Wenige Wochen nach Kriegsende hatte Speer noch nicht den nötigen Abstand von den Ereignissen der Jahre 1933 bis 1945, um darüber objektive Auskunft geben zu können. Vielleicht wollte er es auch nicht in Anbetracht des zu erwartenden Verfahrens gegen sich. Vieles, was er von sich gibt, ist denn auch widersprüchlich, oberflächlich, unreflektiert. Wer ein facettenreicheres, zutreffenderes Bild von der äußerst komplexen Persönlichkeit Speers gewinnen will, kommt nicht umhin, die eindrucksvolle Biographie von Gitta Sereny zu lesen. Die Protokolle von Kransberg (in Serenys Buch leider durchgehend falsch als Kranzberg geschrieben) sind allenfalls eine kleine Ergänzung zum bislang von Speer selbst und von anderen über Speer Veröffentlichten.

KLAUS NATORP

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