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"Gott wohnt noch immer in Frankreich, doch er langweilt sich. Über Frankreich, das lange tonangebend war in Europa, ist hysterische Stille eingekehrt." Joseph Hanimann
Frankreich ist zu einem großen Rätsel geworden. Das Sehnsuchtsziel so vieler Künstler, Intellektueller und Liebhaber des Laisser-faire, Traumland des Genusses und Inbegriff der Lebensfreude, politischer Taktgeber und revolutionärer Querdenker - all dies scheint Vergangenheit. Einst radikal in seinem Willen zur gesellschaftlichen Veränderung, ist Frankreich nun ebenso radikal in seiner Verweigerung des Wandels. "Es soll besser…mehr

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Produktbeschreibung
"Gott wohnt noch immer in Frankreich, doch er langweilt sich. Über Frankreich, das lange tonangebend war in Europa, ist hysterische Stille eingekehrt."
Joseph Hanimann

Frankreich ist zu einem großen Rätsel geworden. Das Sehnsuchtsziel so vieler Künstler, Intellektueller und Liebhaber des Laisser-faire, Traumland des Genusses und Inbegriff der Lebensfreude, politischer Taktgeber und revolutionärer Querdenker - all dies scheint Vergangenheit. Einst radikal in seinem Willen zur gesellschaftlichen Veränderung, ist Frankreich nun ebenso radikal in seiner Verweigerung des Wandels. "Es soll besser werden, aber sich nichts ändern " - niemand lebt diesen Slogan derzeit so konsequent wie Frankreich.

Dieses Buch ist das kenntnisreiche Porträt eines Landes, das zwischen innerer Erstarrung und revolutionärem Gestus verharrt.
Autorenporträt
Hanimann, Joseph
Joseph Hanimann , geb. 1952 in Chur, ist ein in Paris lebender Kulturkorrespondentund Essayist. Seine Artikel und Reportagenerschienen in der Neuen Zürcher Zeitungund in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.Heute schreibt er für die SüddeutscheZeitung. 2011 erhielt er den renommierten»Berliner Preis für Literaturkritik«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2017

Der siebente Kontinent

Risse im Raum: Der Frankreich-Korrespondent Joseph Hanimann beschreibt die Gegenwart einer Nation, die sich für exzeptionell hält und sich auf einer Mission wähnt.

Von Günther Nonnenmacher

Noch in den korrigierten Fahnen, die der Verlag des Frankreich-Buches von Joseph Hanimann verschickt hatte, tauchten kurioserweise zwei verschiedene Titel auf: Einmal "Adieu la France. Porträt einer radikalen Nation"; daneben, auf derselben Seite, der neue und endgültige Titel "Allez la France. Aufbruch und Revolte. Porträt einer radikalen Nation". Offensichtlich ist das Buch zu großen Teilen vor der Wahl Emmanuel Macrons zum neuen Staatspräsidenten geschrieben und nach dieser Revolte gegen das vorherrschende Rechts-links-Schema mit seinen Regierungsparteien vom Autor überarbeitet worden. Der erste Titel, der einen Abgesang angedeutet hatte, ist von der Aufforderung abgelöst worden, unter und mit dem neuen Mann aufzubrechen: in Anlehnung an den Schlachtruf französischer Fußballfans ("Allez les bleus!"), in inhaltlicher Übereinstimmung mit dem Namen von Macrons Partei "La République en marche" (LREM).

Ein Bruch ist im Text trotz dieses Richtungswechsels nicht zu bemerken. Denn an den Stärken und Schwächen Frank-reichs, die der Schweizer Hanimann, der seit 1979 als Kulturjournalist in Paris lebt (und von dort mehrere Jahre lang für diese Zeitung berichtet hat), in seinen treffsicheren Diagnosen beschreibt, hat sich seit der Wahl natürlich noch nichts geändert. Dass Macron diese Stärken und Schwächen erkannt und benannt hat, war Teil seines Erfolgsrezepts und macht Hoffnung auf Veränderungen. Vor allem müsste er dem Land einen Elan geben, der die Niedergangsstimmung verscheucht, von der Frankreich seit Jahren wie besessen ist. Ob das gelingt, wird man in den nächsten Monaten sehen. Gerade sind der Präsident und seine Regierung nach anfänglicher Hochstimmung dabei, die Mühen der Ebene bei der Reform des Arbeitsrechtes kennenzulernen.

Hanimann hat im eigentlichen Sinn kein politisches Buch geschrieben, sondern sich zum Ziel gesetzt, "hinter die Kulissen zu blicken und das Land aus seinen tieferen Seinsschichten zu erfassen", ein "portrait sensible" der eigenwilligen französischen Nation zu zeichnen. Dass dabei Politik immer wieder vorkommt, weil sie alle Aspekte des sozialen Lebens gewissermaßen durchsäuert, ist kein Wunder: In kaum einem anderen westlich-demokratischen Land wird dem Staat auf allen Gebieten soviel Kompetenz zugetraut wie in Frankreich. Die systemtheoretische Einschätzung, dass im Unterschied zur "alteuropäischen Tradition" (Niklas Luhmann) Politik und Staat nicht mehr die Spitze einer Pyramide bilden, sondern nur noch ein Subsystem neben anderen (Wirtschaft, Kunst, Recht . . .) sind, lehnen die Franzosen rundweg ab.

Die Weigerung, sich den "Imperativen" vor allem des ökonomischen Subsystems, aber auch der Hierarchie in den internationalen Beziehungen zu unterwerfen, gehört zum Kernbestand dessen, was den französischen "Exzeptionalismus" ausmacht. Hanimann verkürzt das etwas, indem er es hauptsächlich am Konzept der "kulturellen Ausnahme" abhandelt und - Kulturjournalismus oblige - in hohen Tönen lobt. Aber erst im Kontext dieses nationalen Selbstverständnisses als umfassender Ausnahme, die paradoxerweise eine universelle Mission hat, wird verständlich, warum sich Frankreich im Wechsel von Anziehung und Abstoßung immer wieder an Amerika misst: Das ist die andere Nation, die sich für exzeptionell hält und glaubt, mit einer Mission betraut zu sein. Die starken Stimmungsschwankungen, denen beide Länder unterliegen, treten regelmäßig auf, wenn und weil sich die Selbsteinschätzung und -überschätzung an den Realitäten der Welt bricht.

In sechzehn Kapiteln beschreibt Hanimann die gesellschaftlichen Realitäten Frankreichs, aber auch die Diskussionen darüber, die in kaum einem anderen Land so intensiv geführt werden. Dazu gehört nicht zuletzt das Ideal der Republik mit seinen Grundwerten von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (moderner: Solidarität). Republik heißt in Frankreich nicht eine Staatsform wie im deutschen Sprachgebrauch, Republik ist auch etwas anderes als Demokratie, die als bloße Regierungstechnik gilt. Nach französischem Verständnis ist die Republik ein dynamisches Konzept, eine unerfüllte Verheißung, vielleicht sogar ein unerreichbares Ideal, jedenfalls ein ständiger Kampf um die von ihr beschworenen Werte.

Am Begriff des "terroir", der inzwischen im deutschen Weinbau Fuß gefasst hat, beschreibt Hanimann einen anderen Unterschied zu Deutschland: Gemeint ist damit mehr als der Boden im physikalischen Sinn; er zielt aber auch auf anderes als das deutsche Wort Heimat, dem stets etwas Provinzielles - in schönem Schweizerdeutsch: etwas "Verhocktes" - anhaftet. Unter dem Titel "Risse im Raum" behandelt er in einem dicht argumentierenden Kapitel die sozialen Konsequenzen des Urbanismus, Stichwort "banlieues", und die unter Mitterrand begonnene Dezentralisierung des Landes. Er hält sie im Prinzip für einen Erfolg, übersieht dabei aber nicht, dass diese Reform die bürokratischen Abläufe weiter kompliziert und die territorialen Zuständigkeiten noch einmal unübersichtlicher gemacht hat. Zur Negativbilanz gehört auch, dass die Dezentralisierung ein geradezu explosives Wachstum des öffentlichen Dienstes nach sich zog, mit entsprechenden Auswirkungen für den Staatshaushalt.

Ein instruktives Kapitel behandelt das "Wintermärchen" der (republikanischen) Integration, das sich immer härter an den sozialen und den ethnisch-religiösen Spannungen der französischen Gesellschaft stößt. Kritisch geht Hanimann mit der neueren französischen Intellektuellen-Generation ins Gericht, den "Profis des Einspruchs", die die "Professionalisierung der Unzufriedenheit" betreiben. Eine schöne Etüde ist der "Privatrepublik" Familie gewidmet. Den Schluss bilden Kapitel über die französische Vorliebe für das treffende Wort und die Hochschätzung heroischer Gesten der Verweigerung, die, mit einem Wort des Philosophen Marcel Gauchet, als "ästhetischer Gaullismus" gekennzeichnet werden - wobei sich auf den Gründer der Fünften Republik heute Rechte wie Linke gleichermaßen berufen.

Das alles ist gut beobachtet, wissenschaftlich informiert und in eleganter Sprache vorgetragen. Die Gliederung nach "Seinsschichten" bringt es mit sich, dass politische, wirtschaftliche, soziologische und historische Erläuterungen und Erörterungen zwanglos ineinander übergehen - das zeigt sich schön im Kapitel über das "Zankobjekt Arbeit". Das Niveau der Reflexionen bringt es mit sich, dass dieses Buch nicht als eine Art gesellschaftspolitischer "Reiseführer" für jedermann dienen kann. Man muss schon Frankreich-Kenntnisse mitbringen, um Hanimanns Ausflügen in die französische Geschichte, in die Literatur und die aktuellen Debatten folgen zu können.

Vermisst hat der Rezensent im Grunde nur ein Kapitel über die "Éducation nationale", dieses durchorganisierte, hierarchische Ausbildungs- und Bildungssystem vom Kindergarten bis zur "Grande Ecole", das ein Gutteil Verantwortung für Größe und Elend der französischen Gegenwart trägt. Zwar kommt Hanimann auf die Mängel dieses Systems zu sprechen, etwa auf die Eliten-Zirkulation oder seine Abschottungswirkung. Aber wegen seiner Prägekraft hätte es eine eigenständige Behandlung verdient, zumal der Autor an der "Sciences Po" unterrichtet und den Betrieb von innen kennen müsste. Geschmäcklerisch wäre anzumerken, dass die Autokolonnen, die sich in der Mitte der langen Sommerferien auf den französischen Autobahnen kreuzen, zum einen aus den "juilletistes", den Juli-Urlaubern, bestehen, zum aus denen, die im August Ferien machen, aber nicht den Stammesnamen "aoûtistes" tragen, sondern "aoûtiens" genannt werden. Dass diese Mäkelei der Trefflichkeit von Hanimanns Analysen keinerlei Abbruch tut, versteht sich von selbst.

Joseph Hanimann: "Allez la France". Aufbruch und Revolte. Porträt einer radikalen Nation. Orell Füssli Verlag, Zürich 2017, 220 S., geb., 22,- Euro.

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"Hanimann stellt klug die richtigen Fragen"
NZZ, Ann-Dorit Boy

"Hanimann erweist sich als kluger Analytiker der vielschichtigen Differenzen, die das Land prägen."
NZZ, Claudia Mäder

"Gut beobachtet, wissenschaftlich informiert und in eleganter Sprache vorgetragen."
FAZ, Günther Nonnenmacher

"Etwas überraschend, aber in der Argumentation überzeugend hält Hanimann die Dezentralisierung der 'einen, unteilbaren Republik' für weitgehend gelungen und findet für viele Facetten des Alltagslebens den treffenden Ausdruck, wenn er beispielsweise die französische Familie als 'Privatrepublik' charakterisiert."
Die Welt, Wolf Lepenies

"Das Buch sollte lesen, wer sich mit Frankreich näher befassen will"
Die Tageszeitung

"Von Anschaulichkeit geprägte, von Sympathie und Klarsicht zu gleichen Teilen bestimmte Analyse."
St. Galler Tagblatt

"Klug dividiert Hanimann dieses Gespinst aus Mentalität und Monetarismus, Esprit und Weltabgewandtheit auseinander."
Der Standard

"Ein Glücksfall. Wer Frankreich verstehen will - der findet hier ein historisch-kulturelles Allroundbuch."
Die Presse

"Ein Buch voller prägnanter Formulierungen, pointierter Analysen und historischer Herleitungen."
Badische Zeitung